Der Mörder will nur helfen…

Manchmal ist es, wie wir wissen, sehr gefährlich, anderen helfen zu wollen. Vor allem, wenn man die Natur ihrer Probleme gründlich missversteht. Aber selbst wenn man etwas weiter ist, und wenigstens versteht, woran es ihnen fehlt, ist noch längst nicht alles gewonnen. Die Mittel der Hilfe müssen auch noch angemessen sein, nicht nur der Zweck.

So ist der folgende (glücklicherweise fiktive) Verbrecher nicht gerechtfertigt, obwohl er gute Absichten hat:

Ein Serienmörder geht um. Er lauert seinen Opfern vor der Kirche auf, direkt nachdem sie gebeichtet haben. Sein Motiv: Er ist Katholik. Er tötet seine Opfer direkt nach der Beichte, damit sie keine neuen Sünden mehr begehen können. Die alten sind ihnen vergeben – neue haben sie keine begangen. Er ist sicher: Er hat seinen Opfern geholfen, das größte Gut zu erlangen, nämlich die ewige Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht. Deswegen bereut er nichts.

Zugegebenermaßen ist die ewige Schau Gottes im Himmel für Katholiken ein weitaus höheres Gut als das irdische Leben. Dieses ist kurz und vergänglich, jene ewig und unvergänglich. Wenn es von ihm verlangt ist, soll der einzelne Mensch als Märtyrer in den Tod gehen, um den Glauben nicht zu verleugnen. Das ewige Leben ist wichtiger als das irdische, zeitliche Leben.

Doch Güterabwägung ist keine Tugend der christlichen Moral, wenn es um intrinisches Übel geht. Man darf keine ihrer Natur nach verwerfliche Tat tun (wie Mord – oder um eine alte Debatte auf diesem Blog wieder aufzuwärmen – Lüge), um ein größeres Gut zu erreichen. Die christliche Ethik ist absolutistisch – sie nimmt die Existenz eines objektiven, absoluten Standards für das menschliche Verhalten an. Und nach diesem Standard sind bestimmte Handlungen immer und überall moralisch falsch und können nicht gerechtfertigt werden. Das skurrile Beispiel des Mörders ist natürlich eine Überspitzung. Aber haben nicht viele von uns die Tendenz Böses zu rechtfertigen, weil die Bösen damit etwas Gutes tun? Selbst Menschen mit einem sonst gut informierten christlichen Gewissen tappen in diese Falle.

Wie etwa Kardinal Woelki, wenn er die „Treue“ von Homosexuellen in dauerhaften Partnerschaften lobt. Ja, „Treue“ ist für sich genommen ein hohes Gut. Aber das verwerfliche Mittel (die Ausübung homosexueller Akte) wird durch den guten Zweck (eine treue Partnerschaft zu haben) nicht gerechtfertigt.

Wir alle sind vor solchen Trugschlüssen nicht gefeit. Man kann nicht die bösen Handlungen eines Menschen loben, weil dabei auch gute Resultate erzielt werden. Sonst müsste man, wäre man konsequent, in sein Lob auch den genannten „Beichtmörder“ aufnehmen – denn die Resultate lassen sich wirklich sehen. Alle Menschen, die direkt nach ihrer aufrichtigen Beichte getötet worden sind, kommen direkt zu Gott, dem Herrn, und genießen die ewige Glückseligkeit.

Doch glücklicherweise heiligt der Zweck niemals die Mittel – nicht bei „treuen“ Homosexuellen, nicht bei Lügnern, und nicht beim „Beichtmörder“.

18 Gedanken zu „Der Mörder will nur helfen…

  1. Dann haben also die Leute, die Menschen vor den Nationalsozialisten versteckt haben und die Gestapo bei Nachfragen belogen haben aus der Sicht des christlichen Ethik Unrecht begangen….. Es ist doch immer wieder schön, wenn sich das Absolutistische selbst entlarvt.

      • Genau das ist das Hauptproblem der Kirche: Der fehlende Relativismus, die fehlende Einsicht, dass etwa eine Lüge nicht intrisisch falsch ist, sondern erst durch ihre Zielrichtung falsch wird.

        • Oliver,
          sag das mal Immanuel Kant, ganz sicher kein Katholik. Ich verweise auf die kleine Schrift über „ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen“, die der Königsberger Philosoph verfasst hat. Ich persönlich ziehe das naturrechtliche Argument vor, demzufolge die Lüge intrinsisch falsch ist, weil sie eine Perversion der menschlichen Kommunikationsfunktion darstellt. Doch wie man das auch immer begründet – solange man nicht utilitaristisch vorgeht, und die Tauglichkeit einer moralischen Maxime nach ihrem weltlichen Nutzwert beurteilt – kommt man kaum daran vorbei, dass die Lüge immer falsch ist.

          Wie schwerwiegend die Schuld eines Menschen ist, der aus guten Gründen lügt, kann kontrovers diskutiert werden. Ich persönlich bin, wie Dir bei der Lektüre der Kommentare zu den oben angeführten Links aufgefallen sein dürfte, eher der Ansicht, dass eine solche Schuld minimal ist, und in manchen Fällen aufgrund einer Art übergesetzlichen Notstands vielleicht sogar ganz fehlen könnte. Mehr Relativismus möchte ich der Kirche in einer bereits heute an moralischer Schwammigkeit leidenden Gesellschaft allerdings wahrlich nicht wünschen.

          • Kant hatte auch sonst zuweilen ganz seltsame Ansichten. Ich würde ihn also nicht unbedingt als Basis meines ethischen Denkens heranziehen. Die Frage ist hier eine ganz andere: Es ist falsch, einen Menschen Mördern auszuliefern, nur um einer moralischen Maxime zu genügen, die Lügen verbietet. Man kann auch das sonstige Sittengesetz der Kirche wegen seiner Absolutheit angreifen.

            • PS: Damit meine ich jetzt: Sobald etwas absolut gesetzt wird und keine Ausnahmen mehr kennt, führt es in das Verderben (ich habe dir z. B. schon den einen Extremfall zitiert, in dem eine Abtreibung das einzige Mittel war, um das Leben eines vergewaltigten 9-jährigen Mädchens zu retten und die Ärzte und die Mutter des Mädchens öffentlichkeitswirksam exkommuniziert wurden).

  2. Hass und Intoleranz gegenüber Homosexuellen zu predigen ist übrigens auch nicht im Sinne Jesu. Glaube mag für sich genommen ein hohes Gut sein, aber das verwerfliche Mittel der Intoleranz wird dadurch nicht gerechtfertigt.

    • AW,
      und wo genau sehen Sie hier „Hass“ gegen Homosexuelle?
      Was „Intoleranz“ betrifft – so ist sie nicht intrinsisch verwerflich. Sie kann manchmal richtig sein, und zu einem anderen Zeitpunkt unter anderen Umständen wieder falsch. Ob man ein verwerfliches Verhalten im Einzelfall duldet (toleriert), hängt von verschiedenen Umständen ab, die nicht allgemein, sondern eben nur im Einzelfall beurteilt werden können.

  3. Als ich den Blog gelesen habe, fiel mir auch spontan Kants Schrift „Über ein vermeintliches Menschenrecht …“ ein – aber dazu ist ja hier schon einiges gesagt. Früher war ich auch (unbedingter) Anhänger einer deontologischen Ethik (sozusagen „prinzipentreu“), muss das aber mittlerweile etwas relativieren (leider!). Schon Hegel hatte Probleme mit Kants rigoroser Auffassung: Es ist einfach kontraintuitiv anzunehmen, man könne sich moralisch gut fühlen, wenn man der Gestapo, die an der Tür klingelt (wenn sie nicht gleich die Tür eintritt ..) wahrheitsgemäß sagen, man habe einen Juden versteckt. Nach aller Erfahrung liefert man ihn damit der Folter und dem Tod aus – auch wenn man das ja (wie Kant betont) nicht sicher wissen kann. Das jetzt zu vertiefen geht hier allerdings zu weit. Nur soviel: Die beiden Pole des (absolutistischen) Utilitarismus und der (ebenso absolutistischen) deontologischen Position sind für sich genommen fragwürdig (wenn nicht sogar falsch …). Erst wenn man sie beide in die richtige Balance setzt, kommt meiner Ansicht nach etwas Vernünftiges dabei heraus. Als oberster Maßstab richtigen Handelns sollte die „höchste christliche Tugend“ gelten: die Liebe. Natürlich ist die Lüge intrinsisch falsch und damit auch verboten; wenn aber eine Situation eintritt, bei der ich nach bestem Wissen und Gewissen davon ausgehen muss, dass ich einem Menschen großes Leid zufügen würde, wenn ich die Wahrheit sagte, dann muss es erlaubt sein (und ist es auch!), hier die Wahrheit eben nicht zu sagen. Das gilt auch für weniger dramatische Fallkonstellationen, wenn ich z.B. von einem einmaligen Seitensprung eines Freundes erfahre, dann muss ich nicht sofort seiner Frau davon berichten, wenn ich davon ausgehen muss, dass damit deren Ehe zerbricht. Weitere Beispiele kann sich ja jeder selbst überlegen ….

    • „Das gilt auch für weniger dramatische Fallkonstellationen, wenn ich z.B. von einem einmaligen Seitensprung eines Freundes erfahre, dann muss ich nicht sofort seiner Frau davon berichten, wenn ich davon ausgehen muss, dass damit deren Ehe zerbricht.“
      Das ist korrekt. Allerdings gilt das auch für die „absolutistische“ Position. Denn aus der Pflicht nicht zu lügen, ergibt sich keine Pflicht zu sprechen. Man kann auch einfach schweigen – dem Freund also nichts erzählen. Fragt er aber direkt, so darf man nicht lügen (obwohl ein „darüber möchte ich nicht sprechen“ moralisch zulässig wäre.)

      • Ein „darüber möchte ich nicht sprechen“ enthält in sich selbst schon die negative Aussage. Eine wahrheitsgemäße entlastende Aussage würde man nämlich ohne wenn und aber tätigen.

        • Naja, wenn man schon direkt gefragt wird, ob ein „Seitensprung“ stattgefunden hat, dann hat die betreffende Person bereits ernsthaften Verdacht geschöpft. Dann noch zu lügen, hätte überhaupt keine Rechtfertigung mehr. Solange nicht direkt gefragt wird, braucht man sich zum Thema einfach nicht zu äußern. Dies lässt nicht notwendigerweise Rückschlüsse der von dir behaupteten Weise zu.

    • Wäre Lügen intrisisch falsch, dann gülte das immer. Es gäbe keine Ausnahme. Wir erkennen aber, dass auch die Wahrheit zu sagen in bestimmten Situationen falsch sein kann. Damit kann Lügen nicht intrisisch falsch sein, sondern nur abhängig von Situation und ZIelrichtung.

      • Aus „manchmal sollte man nicht die Wahrheit sagen, sondern schweigen“, folgt logisch überhaupt nicht, „manchmal darf man lügen“. Die beiden Aussagen sind vollkommen verschieden.

        • Nein, auch Schweigen sollte man nicht, wenn man mit diesem Schweigen jemanden in Gefahr bringt, der nichts getan hat, was diese Gefahr rechtfertigen könnte. Lügen ist in so einer Situation nicht nur gerechtfertigt, sondern intrisisch richtig, da Leben über Wahrheit steht.

      • Mit der Logik ist das so eine Sache – betrachtet man nur das, was „Lüge“ bedeutet, dann ist sie tatsächlich vom Wesen her falsch: sie gibt vor, eine Tatsache sprachlich widerzugeben, die aber keine Tatsache ist (sondern eben nur eine „vorgespiegelte“ Tatsache, in Wahrheit aber eine Täuschung). Da unsere Kommunikation in Bezug auf die Mitteilung von Sachverhalten bzw. „wahren Sachverhalten“ (= Tatsachen) nur funktionieren kann, wenn dabei wahrheitsgemäß gesprochen wird, ist die Lüge „in sich“ falsch, weil sie die Kommunikation unmöglich macht. Das ist auch der Sinn des kantischen kategorischen Imperativs: Wenn wir alle so handelten und munter teils lügen, teils wahrheitsgemäß redeten, dann wüsste niemand mehr, was er von einer solchen Mitteilung halten soll. Ist sie wahr, ist sie gelogen – was soll’s, ich kann damit nichts anfangen. So wäre dann wohl die Reaktion. Dass unter solchen Bedingungen sinnvolle Mitteilungen nicht mehr möglich wären, ist (hoffentlich!) einleuchtend. Soweit die Logik. – ABER: das reale Leben, in dem sich ja die moralischen Anforderungen konkretisieren sollen, ist erheblich komplizierter; es geht einfach nicht (gut), wenn man sich immer und überall nur auf ein Prinzip stützen will, und sei es auch logisch noch so klar. Für mich ist die Liebe als oberste Maxime in ihrer generellen Allgemeinheit (wenn man das mal so lax ausdrücken darf) die geeignetste Maxime. Sie gibt damit eben generell keine konkrete Handlungsanweisung für jeden einzelnen Fall, sondern sie fordert uns auf, darüber nachzudenken, was im Einzelfall das richtige ist. Das kann eben auch mal eine Lüge sein, obwohl sie tatsächlich (!) in sich falsch ist. Hier stößt Logik eben an praktische Grenzen: die Welt scheint tatsächlich (irgendwie …) widersprüchlich zu sein. Mal so weit für heute, obwohl da natürlich immer noch mehr dazu zu sagen wäre.

        • Rainer,
          eine interessante Einlassung zum Thema – sehr differenziert und wohltuend. Ich stimme soweit zu, dass Lüge in sich falsch ist, und dass das wahre Leben erheblich komplizierter ist als die philosophische Theorie. Nicht umsonst spricht man bei Ethik von „praktischer Philosophie“, weil sie sich eben aufs Handeln und nicht nur aufs Nachdenken richten soll. Aristoteles wusste auch, dass man in ethischen Fragestellungen keinen Resutate erwarten darf. Bei Kant gerät diese Einsicht manchmal in Vergessenheit und darunter kommt ein unmenschlicher Rigorismus zum Vorschein, der tatsächlich blind für die komplexe Realität menschlicher Handlungszusammenhänge werden kann.

          Allerdings bleibt es wichtig, dass die Lüge immer und überall moralisch falsch ist. Das ist auch eine Tatsache, die in das komplexe, womöglich uns nicht selten widersprüchlich erscheinende Gesamtbild einer Situation gehört. Ich stimme als Christ selbstverständlich zu, dass die Liebe entscheidende Bedeutung für die moralische Bewertung von Handlungen hat. Nur, welche Handlung drückt in einer gegebenen Situation die Liebe am besten aus? Dazu müssen wir wieder wissen, was Liebe ist, und welche Handlungen geeignet sind, einer Liebe Ausdruck zu verleihen. Da zur Liebe gehört, das Gute seiner Mitmenschen zu wollen, ist die Wissenschaft, die uns diese Antworten zu geben vermag, wieder die Ethik. Und die sagt uns eben mit ihren logisch-philosophischen Methoden, dass man nicht lügen darf. Also dürfen wir es auch nicht.

          Kann das zu schweren Dilemmasituationen führen? Natürlich. Die Welt ist komplex und oft scheint die richtige Handlung nicht offensichtlich. Die Lösung kann aber nicht sein, Logik gegen Liebe auszuspielen, und sich auf den Standpunkt zu stellen, dann müsse man eben das Böse tun dürfen (Lügen), weil die Liebe das erfordere. Die Liebe kann keine böse Tat fordern. Wenn es uns scheint, dass die Liebe eine Lüge FORDERT, dann könnte auch unser Verständnis von Liebe korrekturbedürftig sein.

          Zusammenfassend: Ja, die Welt da draußen ist komplexer als der kategorische Imperativ. Ja, Situationen sind schwierig und die Versuchung zur Lüge kann groß und ihr nachzugeben bisweilen sehr gut erscheinen. Und doch bleibt sie falsch, und der Mensch darf nicht lügen. Wie kommen wir damit zurecht? In letzter Konsequenz ist es die Unschärfe unseres Blicks, die Liebe und Logik widersprüchlich erscheinen lässt – in Wahrheit können sie es nicht sein. Wir müssen beide Einsichten festhalten – die logisch-ethische und die Liebeseinsicht – und sie so gut wie möglich beide umsetzen. Machen wir dabei Fehler? Sicherlich. Ist das ein einfacher Ausweg aus dem Dilemma? Nicht immer. Aber es ist besser, wenn wir unsere logische Einsicht nicht einfach ignorieren, um uns an der (ebenso unscharf verstandenen) Liebe zu orientieren (oder, wie Kant manchmal, den umgekehrten Fehler begehen).

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