Zielsetzung

HOC EST ENIM CORPUS MEUM…

HIC EST ENIM CALIX SANGUINIS MEI, NOVI ET AETERNI TESTAMENTI: MYSTERIUM FIDEI: QUI PRO VOBIS ET PRO MULTIS EFFUNDETUR IN REMISSIONEM PECCATORUM…

Nur wenigen dürfte die Bedeutung der obenstehenden Worte geläufig sein. Doch wer sie kennt, und wahrhaft versteht was sie bedeuten, und glaubt, dass sie der Wahrheit entsprechen, dessen Leben wird sich verändern.

Dies sind die Wandlungsworte, durch die während des Heiligen Meßopfers in der Katholischen Kirche Brot und Wein in Leib und Blut des Herrn Jesus Christus verwandelt werden (Transsubstantiation). Dadurch ist Jesus Christus, der Gott-Mensch, wirklich und wahrhaftig (nicht bloß symbolisch) gegenwärtig.

In einer Zeit, in der oft schon die Existenz Gottes an und für sich umstritten ist, wenn nicht gar für absurd gehalten wird, ist allein die Existenz dieses Anspruchs – Gott selbst ist unter uns – abenteuerlich. Doch die Art und Weise wie er gegenwärtig wird – unter den demütigen Gestalten von Brot und Wein – ist nichts weniger als lächerlich – für den heutigen Menschen.

Als lebenslanger Atheist, der vor kurzem zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche konvertiert ist, kann ich aus einer Perspektive langjähriger Skepsis sprechen. Nicht, dass ich damals auch nur einen ernsthaften Gedanken an die Frage verschwendet hätte, ob dieses Mysterium wirklich sei oder nur eine Fiktion der Kirche – weit gefehlt. Ich habe die Frage nie bedacht, weil ich nie erfahren durfte, dass es sie gibt. Aus meinem historischen Interesse heraus kannte ich diffus den „Transsubstantiationsstreit“, doch hielt dies arrogant für ein Relikt finsterster Zeiten – nicht dass heute so etwas noch ernsthaft geglaubt werden könnte! Wir sind doch so viel weiter als diese Halbwilden des Mittelalters. So spottete und höhnte ich innerlich. Und bei jeder Gelegenheit auch äußerlich.

Bei alledem gab es nur ein Problem. Nie war ich ernsthaft mit dem katholischen Anspruch konfrontiert worden, dass in der Messe das Kreuzesopfer Jesu Christi durch die Opferhandlung auf dem Altar mittels des Priesters blutlos gegenwärtig gemacht werde. Niemals hatte ich einen katholischen Würdenträger darüber sprechen hören. Niemals auch nur so etwas andeuten sehen. Dass die Kirche ernsthaft daran glaubte, erfuhr ich erst 2008, als ich auf einigen katholischen Blogs in englischer Sprache auf derartige Ansatzpunkte stieß.

Und die einzige Frage, die sich dann noch stellte, war: Ist das wirklich Sein Leib, Sein Blut? Nicht, dass die Mehrheit es glaubte. Aber als ich mich auf die Fährten des Kreuzes setzte, in der Bibel las, wie Jesus im Johannesevangelium (vgl. Joh 6) darüber sprach, dass man ganz wörtlich sein Blut trinken und sein Fleisch essen müsse, um erlöst zu werden, als ich mich mit der ununterbrochenen apostolischen Überlieferung seit frühester Zeit in dieser Frage beschäftigte, da kam ich zu dem Ergebnis, dass die Kirche tatsächlich im Recht sein konnte.

Die Kirche jedenfalls lehrte es – damals, heute, immer – auch wenn es krampfhaft verschwiegen wurde. Und wenn Jesus wirklich Gottes Sohn war, und wirklich gestorben und auferstanden war, und wirklich die Apostel, angeführt von Petrus, ausgewählt hatte, und diese wirklich Nachfolger bestellt hatte, und diese wirklich bis heute noch existierten, dann würde die Kirche auch wissen, was sie da behauptete, und ob das wirklich stimmte.

HOC EST ENIM CORPUS MEUM.

Ein Satz – ein Skandal für die Moderne. Ein Skandal, weil damit alle Dogmen der Moderne in ihren Grundfesten erschüttert werden. Er behauptet Gott, Wunder, objektive Wahrheit, alles was heute in sogenannten gebildeten Kreisen nurmehr als dumme Phantasie abgetan würde. Von denselben Kreisen, die nie genug von immer neuen Tabubrüchen bekommen, die inzwischen so langweilig und leer geworden sind, dass selbst die stetige Steigerung der Dosis nicht mehr zu befriedigen vermag. Doch eins ist der Katholische Glaube – der wirkliche, wahre, traditionelle katholische Glaube, der Glaube der Päpste und des Lehramts – heute sicher nicht:

Respektabel.

Ein Stein des Anstoßes, ein Zeichen, dem widersprochen wird. Das alles ist der Glaube heute. Aber nicht respektabel, angesehen, populär, mehrheitsfähig. Aber sollte uns das stören? Alle reden von Reformen, doch wo bleibt die innere, innerliche Reform. Die Reform eines jeden Sünders? Und wenn ich mir betrachte, wie ich handle, wie wir alle handeln, dann brauchen wir diese Art Reform dringend. Umkehr, nannte Jesus es. „Kehrt um! Das Himmelreich ist nahe!“ Wenn wir das glauben, dann zerfallen alle schrillen Schreie der Abkehr vom Reich Gottes in zwei Teile Staub und drei Teile Irrelevanz. Kehren wir uns nicht vom Reich Gottes ab, sondern kehren wir um!

Wenn die Wandlungsworte die Wahrheit ausdrücken, dann ist es völlig egal wie beliebt wir sind. Dann zählt nur wie treu, wie gläubig, wie loyal wir gegenüber dem einen Gott in drei Personen und der von ihm eingesetzten Kirche sind.

Ich komme von außen in die Kirche hinein und sehe den unermeßlichen Schatz – kulturell, spirituell, künstlerisch – auf dem Katholiken sitzen und nicht wissen, worauf sie sich apathisch ausruhen. Doch selbst dieser unermeßliche Schatz, der seinesgleichen auf Erden sucht, ist nichts als eine einzige Glasperle vor dem wahren Schatz, der in der Kirche wirklich gegenwärtig ist. Der Schatz, der uns von unseren Sünden erlöst, der Schatz, der sich für uns am Kreuz aufgeopfert hat – wenn die Geschichte stimmt.

Man kann leugnen, dass sie stimmt. Vielleicht ist das alles nur ein Betrug. Doch wenn man die Geschichte für Betrug oder Irrtum hält, dann sollte man nicht der Organisation angehören, die diesen Betrug verbrochen hat. Ist die Geschichte aber wahr, dann ändert sich alles. Dann ergibt das Leben plötzlich Sinn, die Beliebigkeit, die so viele Menschen heute knechtet, verschwindet und wird ersetzt von dem Bild einer Pilgerfahrt durch ein Jammertal hin zu unserer wahren Heimat. Eine Pilgerfahrt, die durch gefährliches Terrain führt, da es durchaus machtvolle Kräfte gibt, die nicht wollen, dass wir am Ziel ankommen. Nicht zuletzt wir selbst, in unseren schlechtesten Momenten. Doch eine Pilgerfahrt mit einem allmächtigen Anführer, der genau weiß was er tut.

Was also, lange Vorrede, kurzer Sinn, bezwecke ich mit „Kreuzfährten“? Den totalen Unterschied deutlich zu machen, den traditioneller Katholizismus für den Menschen macht. Deutlich zu machen, worin sich der Katholizismus von den verschiedenen Zeitgeistreligionen unterschiedet – denn dieses Thema kommt von katholischer Seite derzeit zu kurz. Und natürlich zu preisen und zu loben den Herrn, dessen Leib und Blut real präsent ist, nachdem der Priester gesprochen hat:

HOC EST ENIM CORPUS MEUM…

HIC EST ENIM CALIX SANGUINIS MEI, NOVI ET AETERNI TESTAMENTI: MYSTERIUM FIDEI: QUI PRO VOBIS ET PRO MULTIS EFFUNDETUR IN REMISSIONEM PECCATORUM…

Ad maiorem Dei gloriam

Catocon.

23 Gedanken zu „Zielsetzung

  1. Pingback: New Brilliant German Blog « Mundabor's Blog

  2. Ut in omnibus glorificetur DEUS.
    Die Heilige Messe ist wahrhaft das Herz und die Wandlungsgnade der Erlösung will in die Schöpfung heimholen. Wir dürfen daran teilhaben und begreifen kaum, was uns geschenkt ist, …! Ich erlaube mir, auf ein Buch (meiner Mitschwester) hinzuweisen, das hier eine große Hilfe sein kann, das Geheimnis der Eucharistiefeier tiefer zu erahnen:
    http://www.sodelia.com/product_info.php?info=p252_die-heiligste-eucharistie–himmel-auf-erden–michaela-voss-.html
    Vielleicht kann das ein wertvoller Beitrag sein.
    Gottes Segen und vergelt’s Gott für diese Seiten.

  3. Guten Abend,

    glauben Sie wirklich, dass die Oblate in der Kirche zum Leib Christi wird und der Wein zum Blut Christi? Also wirklich, wirklich? Oder sehen Sie das eher als Symbol?

      • Ja das beantwortet das, nur verstehe ich das dann überhaupt nicht. Denn man wird doch sicher leicht nachweisen können, das da kein echtes Blut ist, oder?

        • Alien,
          was die katholische Kirche glaubt, und was ich ebenfalls glaube, ist tatsächlich nur schwer nachzuvollziehen, wenn man mit der klassischen Philosophie nicht vertraut ist, in deren Sprache die Kirche diesen Glauben immer ausgedrückt hat. Die Substanz (im klassisch-philosophischen, nicht chemischen Sinn des Wortes) ist nach diesem Glauben Christus, wobei diese Substanz unter den „Akzidenzien“ oder materiellen Aspekten, von Brot und Wein auftritt. Wie gesagt, diese aus der klassischen griechischen Philosophie stammende Unterscheidung ist heute selbst unter gebildeten Menschen weitgehend unbekannt. Deswegen müssen solche Glaubensaussagen Verwirrung stiften.
          Kurz gesagt (eigentlich kann man das nicht zureichend kurz erläutern) ist nach dieser Terminologie unter Substanz dasjenige zu verstehen, was das Ding seinem Wesen nach ausmacht, wobei Akzidenzien die Eigenschaften sind, die das Ding hat, die aber durchaus auch anders sein könnten. In einem einfachen Beispiel ausgedrückt: Nehmen wir eine Billardkugel. Sie verfügt über eine Menge (natur-)wissenschaftlich messbarer Eigenschaften, etwa ihr Gewicht, das Material aus dem sie besteht usw. Doch das alles ist nicht die Billardkurgel – es sind nur die Eigenschaften der Billardkugel. Die Eigenschaften haften der Billardkugel an, doch sie könnte auch andere Eigenschaften aufweisen. Sie könnte aus einem anderen Material gefertigt sein, eine andere Größe haben, ein anderes Gewicht usw. Doch selbst wenn alle ihre konkreten Eigenschaften anders wären, sie könnte immer noch eine Billardkugel bleiben, und wir würden sie auch jederzeit als solche erkennen. Das, was sie in ihrem Wesen ausmacht, was es uns erlaubt, sie als Billardkugel zu identifizieren, der substanzielle Kern, ist gar nicht materiell, gar nicht wissenschaftlich messbar, sondern seinerseits die Voraussetzung dafür, dass da überhaupt ein „Ding“ ist, das die Wissenschaft untersuchen kann.
          Ebenso ist das mit der sogenannten Transsubstantiation in der katholischen Messe. Christus selbst war einmal als Mensch im Nahen Osten vor gut 2000 Jahren gegenwärtig, ist dann gekreuzigt worden usw. Der gläubige Katholik (unterschieden von dem, der zwar Mitglied der kath. Kirche ist, aber nicht unbedingt aus voller Überzeugung, sondern vielleicht aus Tradition, Gewohnheit usw.) glaubt nun, dass derselbe Jesus Christus in der Messe nicht unter menschlichen Akzidenzien, sondern unter den Akzidenzien von Brot und Wein gegenwärtig ist.
          Die dahinterstehende Philosophie wurde von den „alten Griechen“ übernommen, der Glaube an diese „Realpräsenz“ ist bereits in der frühen Kirche nachweisbar, und war von ganz früher Zeit ein Grundelement des katholischen Glaubens. Aber es ist natürlich ein Glaube. Es ist prinzipiell unmöglich ihn mittels der empirischen Wissenschaft zu verifizieren bzw. zu falsifizieren. Die Wissenschaft (die ich, auch wenn Sie das vielleicht nicht werden glauben können, sehr schätze) ist eben nur in der Lage materielle Gründe zu untersuchen. Das ist keine Kritik an der Wissenschaft – sie hat ein bestimmtes Aufgabengebiet, eine bestimmte Methode und leistet einen unschätzbaren Dienst für die Menschheit. Aber sie ist auf die Untersuchung materieller Dinge beschränkt. Ob es über diese materiellen Dinge hinaus noch weitere Realitäten gibt, darüber kann sie nichts aussagen – weder dass es sie gibt, noch dass es sie nicht gibt.
          Wenn wir den Versuch unternehmen wollen, hinter rein materielle Umstände zu blicken, dann brauchen wir andere Methoden – von denen die bekannteste und meines Erachtens bedeutsamste die klassische Philosophie ist. (Nicht die Version, bei der es darauf ankommt, zu bezweifeln, ob der Tisch wirklich da ist – das ist Schwafelei, wie ich jedem Naturwissenschaftler zugestehen möchte, sondern die wirkliche Philosophie, die mittels der logischen Denkgesetze den Dingen auf den Grund zu gehen versucht.)
          Diesem klassischen Denkgebäude gegenüber steht der sogenannte philosophische Materialismus. Dessen Hauptaussage ist, dass es über die materiellen oder empirischen Gegebenheiten hinaus nichts gibt. Dass die empirische Wissenschaft im Rahmen ihrer Forschung dies annimmt, ist gut und richtig. Die Frage ist, ob dieser Materialismus als generelle Weltanschauung taugt, oder ob es Dinge im Leben gibt, die nicht allein materielle, empirisch erforschbare Gründe haben. Etwa die Realität menschlicher Liebe, echte Freundschaft, das menschliche Gewissen usw. Erschöpfen diese sich in materiellen Gegebenheiten? Ich verneine diese Frage. Und wenn man sie erst einmal verneint hat, wenn man manche Realitäten jenseits der rein empirischen Ebene anerkennt hat, dann erscheint vielleicht auch die Vorstellung eines Gottes, der Wunder tun kann, und einen solchen Substanzwandel vollführt, nicht mehr so abwegig wie Ihnen oder bis vor nicht allzu langer Zeit auch mir.
          Im Endeffekt ist es aus der Sicht der katholischen Kirche eine „Glaubenswahrheit“, d.h. man glaubt, dass sie wahr ist, zieht den Beweis jedoch aus göttlicher Offenbarung, nicht aus empirischer Beobachtung. Wer die göttliche Offenbarung des Christentums nicht anerkennt, dem wird die Realpräsenz zwangsläufig absurd erscheinen. Deswegen habe ich mich in den voranstehenden Ausführungen auf die allgemeinere Frage beschränkt, ob es überhaupt immaterielle Realitäten gibt, also in der Sprache der klassischen Philosophie, einen substanziellen Kern, der materielle Eigenschaften hat, aber selbst nicht wieder materiell ist.
          Ich hoffe, die Erklärung hilft weiter. Sollten mehr Fragen oder Anmerkungen bestehen, können wir gern weiter diskutieren.

          • Vielen Dank für die ausführliche Erklärung.

            Der alte Streit zwischen Materialismus und Dualismus ist sicher noch nicht entschieden. Ich kann mir zumindest vorstellen, dass nicht alles materialistisch erklärbar ist. Hier fallen mir spontan die Qualia ein, also Wahrnehmungseindrücke, die nicht durch Elektrochemie im Gehirn erklärbar sind. Oder eben Liebe, Freundschaft etc.

            Die Argumentation ist für mich nachvollziehbar: ich denke auch, es könnte immaterielle Dinge geben. Philosophisch ist damit alles soweit klar.

            Was ich nur nicht verstehe: wie kommt man als skeptischer Philosoph auf einmal auf die Idee, dass die Bibel (über deren Entstehung sie sicher sogar noch mehr wissen als ich) eine heilige Schrift sei, die uns etwas über den einzigen allmächtigen, allwissenden und allgütigen Schöpfergott offenbart?
            Ich meine nur weil die Bibel behauptet, sie berichte über Gott, muss das ja noch lange nicht stimmen. Und wenn man das glaubt, warum dann gerade die Bibel und z.B. nicht den Koran oder andere „heilige Bücher“?
            Ich will mit dieser Frage nicht provozieren, sondern wirklich verstehen (falls sie provokativ klang).

            • Alien,
              der Sprung von einer nicht-materialistischen Philosophie zum Offenbarungsglauben ist in der Tat groß und erscheint zunächst abwegig. Daher erscheint mir Ihre Frage auch nicht provokativ. Tatsächlich habe ich im Zuge meiner Bekehrung mit ganz ähnlichen Fragen gekämpft, und ich will auch gar nicht bestreiten, dass es hier keine logische Zwangsläufigkeit gibt. Da ich nicht weiß, inwieweit Sie mit der klassischen Philosophie vertraut sind (ich spreche hauptsächlich von Platon, Aristoteles und den diversen Denkern, die im Lauf der Jahrhunderte in deren Fußstapfen gefolgt sind), werde ich den Gedankengang hier zunächst holzschnittartig skizzieren. Wenn es dann Unklarheiten gibt, können wir das gern in weiteren Kommentaren vertiefen. Der Gedankengang, der mich von der Philosophie zum katholischen Glauben geführt hat, ist folgender:
              1. Mittels logisch-philosophischer Gedankengänge gelangt Aristoteles in vorchristlicher Zeit mit Notwendigkeit zur Annahme eines „unbewegten Bewegers“ oder letzten Urgrund allen Seins. Dieser Gedankengang wurde in christlicher Zeit von Philosophen wie Thomas von Aquin weiter ausgeführt und vertieft, ebenfalls ohne Rückgriff auf Offenbarungswahrheiten. Nehmen wir einmal an, dieser philosophische Gedankengang sei tatsächlich überzeugend – und zu dieser Auffassung bin ich gelangt.
              2. Wir wissen dann, dass es einen letzten Urgrund der Dinge geben muss, der nicht selbst wieder Teil der geschaffenen Welt sein kann (sonst wäre er wieder erklärungsbedürftig). Doch etwas, das außerhalb der geschaffenen Welt steht, steht ebenso außerhalb von Raum und Zeit. Was außerhalb der Zeit steht, ist unveränderlich, da Veränderung immer in der Zeit vor sich geht. Was außerhalb des Raumes ist, ist immateriell. Wir haben es dann also mit einem unveränderlichen, anfangslosen, immateriellen, nicht geschaffenen Urgrund aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge zu tun, von dessen Existenz wir auf der Basis des (hier nicht beschriebenen) philosophischen Gedankengangs ohen Rückgriff auf Offenbarungsglauben wissen können. Ein solches Etwas hat nun eine große Ähnlichkeit zu dem Schöpfergott, dessen Existenz Juden, Christen und Moslems behaupten. Es lohnt sich also, sich die Geschichten, die diese Religionen erzählen, genauer anzusehen, freilich ohne ihnen irgendeinen Unfehlbarkeitswert zuzugestehen, einfach als Geschichten, die Menschen erzählen. Natürlich könnte ein solcher Urgrund auch einfach deistisch oder gar unpersönlich gedacht werden, was zu einem ganz anderen „Gottesbild“ führte. Auch diese Möglichkeit dürfen wir nicht außer Acht lassen.
              3. Wenn wir uns nun vor dem Hintergrund des philosophisch erlangten Wissens über Existenz und einige Eigenschaften dieses letzten Urgrundes aller Dinge die Geschichten anschauen, die sich Juden und frühe Christen erzählt haben (also die Bibel), können wir die Geschichten nicht mehr als per se unmöglich ablehnen, bloß weil in ihnen Wunder behauptet werden. Doch ansonsten ist es, allein aufgrund der für Dokumente aus dieser Zeit üblicherweise angelegten historischen Kriterien, sehr schwierig, den Wahrheitsgehalt zumindest einiger Kernereignisse – Geburt, Wirken und Tod Jesu – des Neuen Testaments ernsthaft anzuzweifeln. Wir können hier gern historisch ins Detail gehen.
              4. Verknüpfen wir nun unsere weiter oben gewonnene Erkenntnis, dass Wunder nicht prinzipiell unmöglich sind, weil es etwas jenseits der materiellen Realität gibt, das in selbige eingreifen kann, mit der Einsicht in die historische Verlässlichkeit einiger Dokumente des Neuen Testaments, so stellt sich die Frage, ob die Auferstehung, das Kernwunder des Christentums überhaupt, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist. Ferner stellt sich die Frage, wer oder was dieser Jesus, dessen Anhänger steif und fest behauptet haben, er sei der Sohn Gottes, und sich dafür sogar haben umbringen lassen, ansonsten aber recht vernünftig wirken (sie scheinen keine Irren zu sein, sondern einfache Leute, die seltsame Ereignisse gesehen haben), eigentlich war.
              5. Nun ist es jederzeit möglich, an dieser Stelle die Frage, ob Jesus wirklich „Gott“ war, was das Kerndogma des christlichen Glaubens ist, das diesen von allen anderen Religionen unterscheidet, mit nein zu beantworten. Es ist keine logisch notwendige Deduktion, sondern eine Frage der Wahrscheinlichkeiten. Und wenn wir uns den Jesus anschauen, der in den zumindest im Groben und menschlich gesprochen, verglichen mit anderen Dokumenten aus dieser Zeit, einigermaßen zuverlässigen Texten des Neuen Testaments, nicht wie ein Wahnsinniger gewirkt hat, sondern im Gegenteil oft sehr bedeutsame moralische Einsichten hatte, die selbst die meisten Atheisten nicht einfach als Unsinn abstempeln wollen, dann wird diese Frage immer drängender: Wer oder was war Jesus? Liest man die Evangelien, stellt man sehr schnell fest, dass dieser moralisch so überzeugende Lehrer die seltsamsten Dinge von sich behauptete. Er war kein Irrer – wir wissen wie sich durchgedrehte religiöse Spinner benehmen, wir kennen sie aus Erfahrung, und Jesus benimmt sich nicht so. Er ist auch keine Erfindung, es hat ihn wirklich gegeben. Und dass schon kurze Zeit nach seinem Tod seine Anhänger im römischen Reich verfolgt und zu Märtyrern gemacht worden sind, ist historisch nachweisbar. Ich kann im Rahmen dieses Kommentars nicht weiter ins Detail gehen, aber ich gewinne den Eindruck, dass man den Worten dieses Jesus glauben kann, dass ich diesen Charakter für glaubwürdig halte.
              6. Und dieser Jesus behauptet, er sei der Sohn Gottes. Also dem Wesen nach identisch mit dem letzten Urgrund der Dinge, und zugleich die Erfüllung jüdischer Prophezeihungen hinsichtlich des „Messias“. Wenn ich nun nicht bereits aus philosophischen Erwägungen heraus von der Existenz dieses letzten Urgrundes mit Eigenschaften, die sehr gut zu denen passen, die Juden, Moslems und Christen ihrem Gott zuschreiben, überzeugt wäre, könnte ich dieser Aussage nicht zustimmen. Doch so erscheint sie mir zumindest nicht per se absurd, zumal der, der dies von sich behauptet, mir bereits vertrauenswürdig erscheint.
              7. Nehme ich also an, dass diese Aussage Jesu glaubwürdig ist – nicht notwendigerweise wahr, aber zumindest nicht unwahrscheinlich. Es ist dann geboten, den Selbstversuch zu machen. Dieser Jesus hat auch gesagt, dass wer sucht, auch finden wird, und wer klopft, dem wird aufgetan. Wenn also hinter dieser christlichen Tür wirklich jemand ist, dann wird er auf mein Klopfen reagieren.
              8. In meinem Fall hat dieser Selbstversuch Erfolg gezeitigt. Wenn ich aber Jesus als den Sohn Gottes sehe, dann kann ich ihm in allem glauben, was er gesagt hat. Und wenn er gesagt hat, vgl. Joh 6, dass man sein Blut trinken und seinen Leib essen muss, um das ewige Leben zu erlangen, und was das Christentum sonst noch so an zunächst unglaublichen Dingen behauptet, und wenn er auf den Felsen (Petrus) eine Kirche gebaut hat, die er in die ganze Wahrheit führen wollte, usw., dann ist es rational, einzusehen, dass man nicht alles komplett rational durchdringen kann, sondern manches einfach als Mysterium anerkennen muss, das man nie wird verstehen können, und dass der Glaube, den diese von Jesus eingesetzte Kirche lehrt, tatsächlich der Wahrheit entspricht. Dadurch und später durch die Annahme des christlichen Glaubens bin ich über die philosophische Rationalität hinausgegangen, ich würde jedoch behaupten, dass der christliche Glaube in keinem Punkt der philosophischen Rationalität widerspricht. Täte er dies, wäre das ein sehr gewichtiges Argument gegen ihn.
              Das alles ist natürlich nicht in einem Tag geschehen, sondern ist das Ergebnis jahrelanger Überlegungen, die sich auch noch in viele weitere aus Platzgründen nicht erwähnte Richtungen erstrecken, und weit komplexer waren, als sie hier erscheinen müssen. Auf der Basis eines Gedankengangs, wie ich ihn gerade skizziert habe, würde ich die Annahme des christlichen Glaubens, wie die katholische Kirche ihn lehrt, für rational halten, d.h. er widerspricht nicht der Vernunft, auch wenn er über sie hinausgeht.
              Wie immer, weitere Nachfragen und Diskussionen sind willkommen – es freut mich, ein so freundliches und sachliches Gespräch zu führen. Oft genug sind solche Diskussionen zwischen Christen und Atheisten (von beiden Seiten) nicht so sachlich, sondern eher von Ressentiments geprägt.

            • P.S. Falls Sie auf meine Antwort wieder antworten möchten, tun Sie dies bitte in einem neuen Kommentarstrang – der aktuelle wird immer schmaler, was die Lesbarkeit reduziert. Danke.

          • Warum muss zur Verteidigung dieses katholischen Dogmas jedes Mal „schweres Geschütz“ aufgefahren werden – ellenlange Erklärungen voller schwammig definierter Fachbegriffe?
            Warum muss Jesus im Brot/Wein gegenwärtig sein, wenn er es auch so schon ist? (vgl. Mt. 18:20 „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“)
            Und müsste nicht Jesus dann schon beim letzten Abendmahl auf diese Art in Brot und Wein vorhanden gewesen sein? Was hätte das für einen Sinn gemacht?
            Alles in allem, ist das ganze Gerede von Transsubstantation für mich erstens Absurd und zweitens lenkt es von dem wesentlichen ab – von der Umkehr zu Jesus, davon ihm die Kontrolle über unser Leben zu geben.

            Diese Verzerrung des Evangeliums findet sich leider allzu oft in der katholischen Kirche.
            http://www.kleiner-katechismus.de/3h2c3.html ist z.B. ein abschreckendes Beispiel, wie menschliche Vorschriften mit kleinen „Wahrheitsbrocken“ vermischt werden… von einem Unterschied zwischen irgendwelchen verschiedenen Sündenarten lesen wir in der Bibel – nichts. Von irgendwelchen Kleidervorschriften – nichts. Davon vor dem Abenmahl nichts zu essen und nur Wasser zu trinken – nichts.

            Die Liste ließe sich (leider) nahezu endlos fortsetzen…
            Abschließend möchte ich dazu aus Offenbarung 22, 18.19 zitieren: „Ich bezeuge jedem, der die prophetischen Worte dieses Buches hört: Wer etwas hinzufügt, dem wird Gott die Plagen zufügen, von denen in diesem Buch geschrieben steht.

            Und wer etwas wegnimmt von den prophetischen Worten dieses Buches, dem wird Gott seinen Anteil am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt wegnehmen, von denen in diesem Buch geschrieben steht.“

  4. Also ich bin sehr erstaunt. Es ist das erste Mal, dass ich nicht in besserwisserischer Arroganz überzeugt bin, Recht zu haben. Ich finde Ihre Erklärung sehr stringent und durchdacht. Ich teile nicht alle Schlussfolgerungen, aber ich habe nun zum ersten Mal eine Idee, wie man trotz intensiven Studiums beim christlichen Glauben bleiben bzw. ihn annehmen kann.

    Zu dem unbewegten Beweger: Ich bin mir nicht sicher, ob es diesen gibt, aber ich halte es für gut möglich. Ich würde diesem aber nicht unbedingt Persönlichkeit zuschreiben. Denn wie soll diese entstanden sein? Wobei wir hier wieder an die Grenze unseres Denkens kommen, denn ich kann mir nichts außerhalb der Zeit vorstellen, und außerhalb der Zeit haben Begriffe wie entstehen möglicherweise wenig Sinn. Ich halte es jedenfalls für grundsätzlich möglich. Hier sind wir uns ziemlich einig.

    Was mich jetzt noch interessieren würde: Was meinen Sie, mit der Selbstversuch war erfolgreich? Sie haben skeptisch den Glauben ausprobiert und haben erfahren, dass er wahr ist? Oder wie kann ich mir das vorstellen?

    Das ist die erste Diskussion mit einem Gläubigen, die nicht mit „Gott ist unbegreiflich und die Bibel ist wahr, weil sie wahr ist“ endet. Das finde ich sehr erfrischend und freue mich auf weiteren Austausch.

    • Alien,
      zum unbewegten Beweger: Es ist richtig, dass man ihm nicht unbedingt Persönlichkeit zuschreiben muss. Er könnte persönlich sein, aber auch ein unpersönlicher, immaterieller Schöpfergeist oder etwas dieser Art. Dies können wir ohne Zuhilfenahme weiterer Informationen, die durch die reine Vernunft nicht zu gewinnen sind, weder in der einen noch der anderen Richtung entscheiden. Sicher können wir hingegen sein, dass diese Persönlichkeit nicht „entstanden“ sein kann – was außerhalb der Zeit steht, ist unveränderlich, kann also weder entstehen noch vergehen noch sich verändern.

      zum „Selbstversuch“: Nachdem ich aufgrund der geschilderten Überlegungen festgestellt hatte, dass der christliche Glaube (a) prinzipiell nicht irrational ist, bzw. sein muss und (b) durchaus der Wahrheit entsprechen könnte, stellte sich natürlich die Frage, wie man diese Hypothese verifizieren bzw. falsifizieren könnte. Glücklicherweise bietet Jesus der Bibel zufolge eine solche Möglichkeit: Es wird versprochen, dass die Suchenden auch finden werden, und denen, die klopfen, aufgetan wird. Also habe ich geklopft. Das heißt, ich habe gebetet (das erste Gebet in meinem Leben, denn ich hatte nie einen „Kinderglauben“ und meine Eltern waren auch nicht religiös). Worum ging es in diesem Gebet? Ich habe diesem Gott, von dem ich nicht sicher wusste, ob ich seine Existenz annehmen sollte, erklärt, ich sei ein Suchender, ich wolle ehrlich wissen, ob er da ist, und er möge mir dabei helfen, wie Jesus versprochen hat, ihn zu finden, wenn er wirklich da sei. Dieses Gebet habe ich an ihn gerichtet, und, natürlich, weder Stimmen gehört noch sonst etwas Unheimliches. (Ich wäre vermutlich geflohen, wenn so etwas passiert wäre ;))
      In den folgenden Monaten wuchs meine Überzeugung allerdings immer mehr an. Es kam zu einer Reihe von kleinen Ereignissen und Erfahrungen, die meine Unsicherheit immer weiter reduzierten. Meine bis dahin rein rationale Überzeugung von der Plausibilität der christlichen Geschichte, wie ich sie in einem früheren Kommentar skizziert habe, wurde mehr und mehr von dem ergänzt, was die Christen mit dem Wort Glauben bezeichnen würden, also die innere Überzeugung von der Wahrheit dieser christlichen Geschichte, verbunden mit einem wachsenden Vertrauen auf die Person Jesu Christi. (Glauben und Vertrauen sind nicht nur inhaltlich, sondern übrigens auch etymologisch sehr eng verwandt.) Theoretisch ist es möglich, dass es sich um Selbsttäuschung gehandelt hat, d.h., dass ich mir einbildete, bei manchen Erlebnissen handle es sich um „Antworten“, während sie in Wahrheit nur zufällige Ereignisse waren. Ich halte diese Erklärung für sehr schwach, aber ganz ausschließen kann man das natürlich nicht. Man sagt, der Unterschied zwischen Fanatismus und gesunder Überzeugung bestehe darin, dass der Fanatiker sich überhaupt nicht vorstellen kann, Unrecht zu haben.

      Schließlich noch ein weiterer Gedanke: Als Atheist bin ich generell nur mit zwei Arten von Christen in Berührung gekommen. Die einen sagten mehr oder weniger, ihr Glaube sei genauso „wahr“ wie jeder andere, und eigentlich gehe es doch nur darum, dass wir uns ganz lieb haben und nett zueinander sind. Sicher, eine ganz gute Maxime fürs alltägliche Zusammenleben, aber hinsichtlich der Wahrheitsfindung absoluter Unsinn. Wenn zwei Aussagen einander widersprechen, wie dies etwa Katholizismus und Protestantismus oder beliebige andere Religionen zuweilen tun, können nicht beide richtig sein.
      Die andere Sorte Christen, denen ich begegnet bin, vertrat die Auffassung, das Christentum sei wahr, weil Gott es offenbart habe. Und dass Gott es offenbart habe, wissen sie aus der Bibel. Und dass die Bibel wahr ist? Nun ja, göttliche Offenbarung… Auch das ist nicht überzeugend, wie Sie schon richtig andeuten.
      Allerdings würde auch ich sagen, dass Gott unbegreiflich und die Bibel wahr ist. Aber „unbegreiflich“ heißt nicht gänzlich außerhalb der Sphäre der Vernunft. Er ist kompatibel mit der Vernunft, und das bedeutet, dass man zumindest einen gewissen Teil rational erkennen bzw. begreifen kann. (Es ist sogar ein Dogma der katholischen Kirche, dass man einen Teil des Glaubens rein rational, ohne göttliche Offenbarung, erfassen kann.) Dass Gott unbegreiflich ist, bedeutet, er ist nicht gänzlich, nicht vollständig rational erfassbar. Heute ist es nicht mehr üblich, dass die Kinder im christlichen Religionsunterricht oder auch nur in der Kirche, im Kommunionunterricht usw. diese grundlegenden Dinge überhaupt lernen. Die Folge ist, dass die Christen ihren Glauben nicht mehr zu verteidigen wissen, und das gilt zum Teil selbst für hochstehende Religionsvertreter. Die meisten nehmen ihren Glauben daher überhaupt nicht mehr ernst (so wie sie den Weihnachtsmann oder andere Mythen- und Sagenfiguren nicht ernst nehmen), und viele andere, besonders im „evangelikalen“ Umfeld, flüchten sich in einen irrationalen Fideismus. Es ist traurig, dass das Christentum in der Öffentlichkeit daher oft irrational und/oder beliebig austauschbar erscheint, aber Ihre Erfahrungen decken sich da durchaus mit meiner Erinnerung aus der Zeit vor meiner Bekehrung.

      Auch ich finde unsere Diskussion erfrischend. Vor meiner Bekehrung haben mich die „irrationalen“ Christen gestört, nachher die „rechthaberischen“ Atheisten – beides fehlt in unserem Austausch.

      • Fallen Ihnen noch Beispiele von diesen Erfahrungen und Ereignissen ein, die sie überzeugt haben? Dann kann ich das vielleicht besser einordnen. Im Moment klingt nämlich ihrer zweite Alternative der Selbsttäuschung für mich vernünftiger.

        Psychologisch kann man „Wer suchtet, der findet“ nämlich auf eine ganz andere Art und Weise interpretieren. Wer in mehrdeutigen Situationen etwas sucht, wird auch genau das finden. Stichwort: Selektive Wahrnehmung. So ist es möglich, dass alle Indizien die für eine These sprechen erkannt werden, während die anderen übersehen oder zumindest als unwichtig angesehen werden.

        Es muss ja nun nicht sein, dass das bei Ihnen so war, deshalb frage ich nach Details.

        Da ich jetzt so langsam erahnen kann, wie Sie zum Glauben gefunden haben, stellen sich für mich noch einige Fragen:

        1) Ich nehme nicht an, dass Sie die Bibel wörtlich interpretieren. Welche Geschichten halten Sie denn für wahr?

        2) Wie gehen Sie mit Theodizee um?

        3) Haben sich Ihre moralischen Einstellungen durch die Bekehrung geändert? Wie steht es mit denen, die ich bei der katholischen Kirche kritisch finde (zum Beispiel Diffamierung von Homosexuellen, Verhütungsverbot, Geschiedenen wird gekündigt, Diskriminierung der Frau)

        Danke für ihre Antworten.

        • Alien,
          eine Menge Fragen für einen Kommentar… 😉
          Solche „Erfahrungen“ kann man sehr schlecht beschreiben, und ich werde Sie in diesem Punkt nicht davon überzeugen können, dass es sich nicht um Selbsttäuschung gehandelt hat. Da ihre Rolle bei meiner Bekehrung auch nicht unbedingt ausschlaggebender sondern eher unterstützender Natur war, ist das auch nicht das entscheidende Thema.

          Interpretation der Bibel: Das kommt darauf an, was Sie mit „wörtlich“ meinen. Glaube ich, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat? Nein, ich schließe mich in dieser Frage der Auffassung des Augustinus an, nach der die sieben „Tage“ auch symbolisch für Zeitalter oder Epochen stehen können. Die Bibel ist ja nicht ein einziges Buch, sondern eine Sammlung sehr vieler verschiedener Bücher, die über einen langen Zeitraum von verschiedenen Autoren geschrieben wurden. Es gibt Lieder (Psalmen), Geschichtsbücher (z.B. Chronik), Sprüchesammlungen, Prophezeihungen und viele mehr – alles unterschiedliche Textgattungen, alle nach katholischer Auffassung von Gott inspiriert sind, doch die göttliche Absicht hinter der Inspiration muss nicht immer die Vermittlung von Wahrheit im Wortsinne sein. Ebensowenig wie etwa heutige Gedichte oder Sprüche die Wahrheit im Wortsinne transportieren – oft genug haben sie einfach aufgrund der Textgattung andere „Interpretationsschlüssel“. Die Schöpfungserzählung ist das beste Beispiel dafür.
          Generell kann man leicht unterscheiden zwischen Texten, die wörtlich gemeint sind, und solchen, die eher eine allegorische oder symbolische Wahrheit vermitteln wollen. Es gibt schwierige Fälle, in denen verschiedene Lesarten möglich sind. Für den Protestanten ist ein solcher Einwand fatal. Nach katholischem Glauben bewahrt jedoch die Tradition bzw. das Lehramt die authentische Interpretation der Bibel und den unverfälschten Glauben. Im Katholizismus steht die Schrift nicht allein, sondern sie ist eingebettet in die Gemeinschaft der Apostel und ihrer Nachfolger, so dass viele Interpretationsprobleme ausgeräumt werden können.
          Natürlich führt das in die Thematik des Lehramts, bzw. der apostolischen Sukzession und ihrer Verlässlichkeit, worüber wir natürlich auch reden können, wenn Sie wollen.

          Theodizee: Ein schwieriges Thema, das in einem Kommentar kaum abzuhandeln ist. Eine ziemlich überzeugende christliche Antwort liefert C.S. Lewis in seinem Buch „The Problem of Pain“, das ich nur empfehlen kann, wenn Sie sich für eine erstklassige Darstellung des christlichen Denkens zu diesem Thema interessieren. Im Endeffekt lassen sich große Teile des real existierenden Leids durch freien Willen erklären, doch dies ist keine vollständige Erklärung Ich bin überzeugt, dass es eine vollständige Erklärung gibt, und dass der Mensch den größten Teil davon verstehen kann, doch die Darstellung ist für einen Kommentar zu komplex, bzw. hat viele Voraussetzungen, die erst geklärt werden müssten. Ich verweise erneut auf das zitierte Werk. Ich glaube allerdings nicht, dass solche Erklärungen einen Nichtgläubigen jemals überzeugen werden. Als ich noch Atheist war, haben sie mich nie überzeugt. Wenn man die christliche Geschichte aus anderen Gründen für überzeugend hält, wird man auch hier nicht mehr auf unauflösliche Probleme stoßen – hält man sie nicht für überzeugend, findet sich hier ein weiteres Problem, für das man keine überzeugende Erklärung findet.

          Moralische Fragen: Meine moralischen Einstellungen haben sich in etwa parallel zu meiner religiösen Bekehrung verändert, und größtenteils nicht aufgrund der Annahme einer göttlichen Offenbarung, sondern aus meinem Studium der klassischen naturrechtlichen Ethik heraus, die keinen Offenbarungsglauben voraussetzt, sondern nur den bereits besprochenen „Urgrund des Seins“ oder „Unbewegten Beweger“, und aus diesen „metaphysischen“ Überlegungen ethisch-philosophische Schlussfolgerungen zieht.
          Um Ihre Frage gleich zu beantworten: Ja, ich teile in allen diesen Fragen die Auffassung der katholischen Kirche in vollem Umfang. Ich bin ferner der Auffassung, dass Sie ihre Beispiele tendenziös formuliert haben. Lassen Sie mich dies begründen: Bei der Aussage, dass gelebte Homosexualität Sünde sei, handelt es sich nur dann um eine „Diffamierung“, wenn besagte Aussage tatsächlich falsch ist. Ist gelebte Homosexualität tatsächlich eine Sünde, so ist die Aussage keine Diffamierung, sondern eine Tatsachenbeschreibung.
          Ebenso verwenden Sie „Diskriminierung“ in einem pejorativen Sinne. Diskriminieren heißt zunächst nur „unterscheiden“, und da Mann und Frau tatsächlich verschieden sind, ist es nur zu angemessen und notwendig, dass man Unterschiede macht. Ein gewisses Maß an „Diskriminierung“ ist also unverzichtbar. In seiner negativ gemeinten Bedeutung ist „diskriminieren“ nicht bloß unterscheiden, sondern ungerecht unterscheiden, bzw. ohne zureichenden Sachgrund unterscheiden. Die Frage ist, ob in konkreten Fällen zureichende Sachgründe vorliegen (dann ist die Unterscheidung legitim) oder nicht (dann ist es ungerechtfertigte „Diskriminierung“) Ich würde behaupten, dass die Kirche an den Stellen, an denen sie zwischen Mann und Frau unterscheidet, etwa beim Priesteramt, dafür jeweils zureichende Sachgründe hat, weshalb ich sagen würde, dass die Kirche die Frau gar nicht (im negativen Sinne) diskriminiert, sondern nur die tatsächlich gerechtfertigten und notwendigen Unterschiede zwischen ihnen anerkennt; im Gegensatz zur heutigen Gesellschaft, die diese Unterschiede übersieht, und eine ungesunde Gleichmacherei betreibt.
          Da die von Ihnen erwähnten Fragen alle miteinander eng verknüpft sind, erfordert eine Begründung der kirchlichen Position zu diesem Thema eine grundsätzliche Darstellung des katholischen Verständnisses der menschlichen Sexualität. Leider haben es die meisten kirchlichen Würdenträger in den letzten 50 Jahren unterlassen, die Auffassung der Kirche mit sachlichen Argumenten zu verteidigen, und stattdessen entweder ganz geschwiegen, oder einfach nur gesagt, „Homosexualität ist Sünde, weil die Kirche das so lehrt“ oder „Verhütung ist falsch, weil der Papst das sagt“ und es dabei bewenden lassen. Zur besseren Verständnis der kirchlichen Position in einer zunehmend entchristianisierten Gesellschaft trägt dieses Vorgehen nicht bei. Ich kann versuchen, wenn Sie dazu weitere Fragen stellen, in weiteren Kommentaren einige der Grundlagen des katholischen Denkens darzustellen. Wenn man die katholische Sexualmoral eingehend betrachtet, stellt sich heraus, dass sie durchdacht und rational ist, dass sie eine innere Konsistenz und Köhärenz besitzt, dass sie sich logisch aus einigen Prämissen ergibt. Man muss diese Prämissen natürlich nicht teilen, und lehnt man sie ab, wird man zu anderen moralischen Vorstellungen kommen. Oft genug treffe ich Atheisten (oder „kirchenferne“ Christen) an, die diese Prämissen ablehnen, nicht weil sie sie kennen und informiert verworfen haben, sondern einfach weil die Sexualmoral sie beim Ausleben ihrer Vorlieben stört. Das mag zwar richtig sein, ist aber kein rationales Argument.
          Der Kommentar ist schon wieder sehr lang geworden. Weitere Fragen und Vertiefungen zum schon gesagten sind willkommen, besonders zur Sexualmoral, da meine Darstellung bislang aus Platzgründen nur einige Thesen aufgestellt hat, ohne diese zureichend zu begründen, einfach weil die Begründungen zu viel Platz einnehmen würden. Auf Nachfrage führe ich das gern weiter aus.

          • Das Angebot nehme ich gerne an.

            Sie haben natürlich Recht, dass ich die Kritik nicht 100 % sachlich geschrieben habe. Dies liegt bei diesen Dingen wohl daran, dass ich bis jetzt keine andere Perspektive eingenommen habe.

            Sie behaupten, die katholischen Moralvorstellungen ergeben sich hauptsächlich aus naturrechtlichen ethischen Überlegungen. Das finde ich spannend, da ich mit solchen Überlegungen zu anderen Schlussfolgerungen komme. Um die Kommentare nicht übermäßig zu strapazieren, beschränke ich mich für den Anfang mal auf die Verhütung. Die anderen Themen können wir ja danach diskutieren.

            Wie kann man die Ablehnung von beispielsweise Kondomen denn ethisch begründen? Meine bisherige Einstellung dazu ist: Wenn ich niemandem schade, spricht nichts dagegen.

            Ich freue mich auf Ihre Antwort.

          • Das Angebot nehme ich gerne an.

            Sie haben sicher Recht, dass ich bei der Kritik nicht ganz sachlich war. Dies liegt vermutlich daran, dass ich bisher noch nicht die andere Perspektive kennen gelernt habe.

            Sie behaupten, die katholischen Morallehre könne man hauptsächlich durch naturrechtlich ethische Überlegungen erhalten. Das finde ich sehr spannend, da ich bei solchen Überlegungen zu zum Teil abweichenden Auffassungen komme. Um die Kommentare nicht zu arg auszudehnen, beschränke ich mich für den Anfang auf das Thema Verhütung.

            Wie kann man denn naturrechtlich ethisch deren Ablehnung begründen? Meine bisherige Auffassung ist, dass so lange ich niemandem schade, das völlig in Ordnung ist.

            Ich freue mich auf Ihre Antwort.

  5. Alien,
    ich vermute, Sie haben zwei verschiedene Versionen desselben Kommentars veröffentlicht? Ich antworte daher auf beide Kommentare in einem.
    Da ich vor einigen Monaten bereits als Antwort auf einen anderen Kommentator das grundlegende naturrechtliche Argument gegen (künstliche) Verhütungsmittel dargelegt habe, werde ich meine damaligen Ausführungen hier einfach als Einstieg in die Diskussion reproduzieren. Wir können dann über die einzelnen Prämissen und Schlußfolgerungen reden.

    „Zum Thema Verhütung:
    Naturrechtliche Prämissen:
    (1) Der Eingriff in das Wesen einer Sache ist nicht zulässig.
    (2) Das Wesen einer Sache ist durch ihren Zweck bestimmt.
    Empirische Prämisse:
    (3) Der natürliche Zweck der menschlichen Sexualität ist die Fortpflanzung. [Wir Menschen können noch andere Zwecke damit verfolgen, doch wie jeder Biologe bestätigen wird, ist Sexualität zur Fortpflanzung da.]

    Schlussfolgerungen aus den Prämissen nach den Gesetzen der Logik:
    (4) (Aus 2 und 3:) Das Wesen der Sexualität besteht in der Fortpflanzung.
    (5) (Aus 1 und 4) Also ist der Eingriff in das Wesen der Sexualität nicht zulässig.
    (6) (Aus 3 und 5) Also sind Eingriffe in die Sexualität, durch die die Fortpflanzung unterbunden wird, nicht zulässig.

    Soweit, nach scholastischer Logik aufgedröselt, das grundlegende Argument. “

    Bevor ich nun „ins Blaue hinein“ irgendwelche weiteren Erklärungen anfüge, warte ich lieber erst einmal ab, welche konkreten Fragen oder Kritikpunkte Sie vorbringen. Ich vermute, dass zumindest die ersten zwei Prämissen nicht Ihre Zustimmung finden werden, aber das werde ich ja sehen. Ich freue mich auf Ihre Antwort.

  6. Sie können gerne einen der Kommentare löschen. Nachdem Absenden war der erste nämlich verschwunden, so dass ich ihn nochmal neu geschrieben habe. Wo der plötzlich wieder herkommt weiß ich nicht.

    Die Logik ist natürlich offenkundig, nur die Prämissen sind diskussionswürdig.

    „(1) Der Eingriff in das Wesen einer Sache ist nicht zulässig.“

    Sie haben Recht, diese Prämisse würde ich nicht so ohne weiteres akzeptieren. Warum sollte ich einem Menschen das Recht absprechen etwas in seinem Sinne zu verändern, dass niemandem schadet. Wenn wir „Sache“ durch „Lebewesen“ ersetzen würden, würde ich das eher einsehen. Da ein Lebewesen ein Wert an sich und nicht Mittel zum Zweck ist (frei nach Kant), würde ich in diesem Fall der Prämisse zustimmen.

    „(2) Das Wesen einer Sache ist durch ihren Zweck bestimmt.“

    Für mich ist das lediglich eine genauere Bestimmung – quasi eine Definition – von Wesen. Daher könnte ich dem zustimmen, außer man würde Sache durch Lebewesen ersetzen, dann gilt meine obige Aussage (kein Mittel zum Zweck).

    „(3) Der natürliche Zweck der menschlichen Sexualität ist die Fortpflanzung. [Wir Menschen können noch andere Zwecke damit verfolgen, doch wie jeder Biologe bestätigen wird, ist Sexualität zur Fortpflanzung da.]“

    Klingt grundsätzlich plausibel. Allerdings werden die meisten Evolutionsbiologen einen Zweck eher leugnen. Die Evolution hat eben nicht als intelligenter Designer die Sexualität als Fortpflanzungsmethode erfunden, sondern diese hat sich entwickelt, sowie viele überflüssige Sachen auch, die nicht verschwunden sind. Dass die Sexualität nicht überflüssig ist, heißt nicht unbedingt, dass es für sie nur EINEN festgelegten Zweck gibt, auch wenn der Hauptzweck in diesem Fall offensichtlich ist.
    Aber wie gesagt: dieser Prämisse könnte ich mich grundsätzlich anschließen.

    Zusammengefasst: Prämisse 1: nein, Prämisse 2: ja, Prämisse 3: unter Umständen.

    Ich bin gespannt auf Ihre Ergänzungen.

    • Alien,
      sehr interessante Antwort – das erfordert einige etwas weitergehende Ausführungen.
      Ich habe Sie nicht vergessen, bin aber im Moment zu beschäftigt, um eine Antwort zu schreiben, die Ihrem Kommentar gerecht wird. Sie folgt, sobald ich etwas mehr Zeit habe, also vermutlich Freitag…
      Bis dann!

    • Alien,
      zunächst kurz zu Ihrem Einwand zu Prämisse 3:
      Sie sagen, die Evolution habe nicht als intelligenter Designer die Sexualität als Fortpflanzungsmethode erfunden. Und mit diesem Einwand sind wir direkt inmitten der Thematik, um die es auch gehen wird, wenn ich Ihren Einwand gegen Prämisse 1 beantworten soll. Lassen Sie mich dazu etwas weiter ausholen und kurz über das Verhältnis von Evolution und dem von Ihnen so genannten „Intelligenten Designer“ sprechen.
      Nehmen wir für die Dauer dieses Arguments einmal die Existenz eines unbewegten Bewegers (im Folgenden: UB) oder Urgrunds aller Dinge im aristotelischen Sinne an. Ein solcher UB wäre der Ursprung aller geschaffenen Dinge. Selbst wenn wir dies annehmen, bedeutet dies aber nicht, dass wir die Evolutionstheorie als falsch oder auch nur zweifelhaft sehen müssten. Dies trifft selbst dann noch zu, wenn der UB tatsächlich der christliche Gott wäre. Die Evolutionstheorie ist eine wissenschaftliche Theorie. Solange sie sich als wissenschaftliche Theorie treu bleibt, beschreibt sie die Entwicklung von Lebewesen und Spezies durch bestimmte biologische Prozesse. Sie sagt nichts über den Ursprung dieser biologischen Prozesse oder aller Dinge überhaupt. Solange die Evolutionstheorie als naturwissenschaftliche Theorie verstanden wird, kann sie die Frage nach dem Urgrund der Dinge nicht beleuchten. Für diese Frage brauchen wir, wenn wir sie überhaupt beantworten können, andere Methoden, nämlich philosophische, und speziell metaphysische.
      Soweit also die Evolutionstheorie in ihrem Rahmen als wissenschaftliche Theorie bleibt, kann sie die Existenz eines UB weder bestreiten noch bestätigen. Lassen Sie mich das mit einem kleinen Bild illustrieren. Nehmen wir einmal an, wir wären winzige Lebewesen, die auf der Oberfläche einer (verglichen mit uns) riesigen Statue lebten. Die Statue wird gerade von einem Bildhauer bearbeitet. Das einzige, was die Bewohner der Statue mit ihrer Naturwissenschaft feststellen könnten, wären die Werkzeuge des Bildhauers, die von Zeit zu Zeit, in mehr oder weniger regelmäßigen Mustern auf die Statue treffen und diese allmählich verändern. Es wäre nun für die Lebewesen auf der Statue äußerst nützlich, Naturwissenschaft zu betreiben, damit sie die Muster lernen, die diesen Einwirkungen zugrundeliegt, etwa um sich besser gegen sie schützen zu können, oder einfach aus Erkenntnisinteresse. Doch ihre Naturwissenschaft, so unverzichtbar sie auch wäre, könnte ihnen niemals sagen, ob sich hinter den von ihnen beobachteten Regelmäßigkeiten und Prozessen ein Bildhauer verbirgt. Sie können keine Aussagen darüber treffen, ob die „Evolution“ der Statue, ihre allmähliche Veränderung, von einem Willen gesteuert oder das Produkt zufälliger Ereignisse ist.
      Es gibt nun einige Evolutionsbiologen, die aus philosophischen Gründen die Evolutionstheorie über ihr wissenschaftliches Anwendungsgebiet hinaus ausdehnen. Sie erheben „Evolution“ zu einem nahezu universellen Erklärungsprinzip, das weitere Erklärungen über das „warum“ einer Sache angeblich überflüssig macht. Sie mögen ihre Gründe dafür haben, doch ist so ein Verhalten nicht mehr Naturwissenschaft, sondern Philosophie, und bedarf daher einer philosophischen, nicht naturwissenschaftlichen, Begründung.
      Wenn man die Existenz dessen leugnet, was ich „objektive Naturzwecke“ nennen möchte, also Zwecke, die nicht von uns oder irgendeinem anderen erschaffenen Wesen gesetzt werden und die der Natur inhärent sind (also nicht nur unsere Erklärungsversuche der Natur repräsentieren), wie es die von Ihnen erwähnten Evolutionsbiologen tun, treibt man Philosophie und nicht Biologie, weil, wie eben gesehen, die Existenz eines UB, der allein objektive Naturzwecke begründen könnte, durch biologische oder allgemein naturwissenschaftliche Prozesse weder widerlegt noch bewiesen werden kann. Es ist den erwähnten Evolutionsbiologen selbstverständlich unbenommen, auch Philosophie zu betreiben; jedoch können sie im Fach der Philosophie nicht als Experten gelten, und sind es in der Regel auch nicht. Ihre philosophischen Argumentationen bleiben dann generell auch eher auf einem bescheidenen Niveau, ganz anders als ihre evolutionsbiologischen Einsichten, die uns aber wie gesagt nichts über Existenz oder Wesen eines UB und eventuell von ihm begründete Naturzwecke sagt.

      Die Naturrechtslehre beruht, wie ich bereits in einem früheren Kommentar sagte, nicht auf einer göttlichen Offenbarung, aber sie basiert durchaus auf einer bestimmten Art von Metaphysik, aus der unter anderem auch die Existenz eines UB folgt. Eine solche Metaphysik findet sich in den philosophischen Systemen von Platon und Aristoteles, sowie bei ihren Anhängern quer durch alle Epochen. Ohne die in dieser Metaphysik entwickelten Grundannahmen, insbesondere ohne die Annahme objektiver Naturzwecke (aus denen, so man sie denn annimmt, die Existenz eines UB folgt), ist die klassische Naturrechtslehre, auf die ich mich für meine ethischen Ausführungen stütze, einfach gegenstandslos. Ohne objektive Naturzwecke ergibt keine meiner drei oben angeführten Prämissen Sinn, nicht einmal die Prämisse, die Sie akzeptiert haben, weil es gar keinen objektiven Zweck gäbe, durch den das Wesen einer Sache bestimmt wäre.

      Eine Verteidigung der drei Prämissen, besonders der von Ihnen abgelehnten Prämisse Nr.1, erfordert daher zunächst eine Auseinandersetzung mit der Frage was denn ein objektiver Naturzweck eigentlich sei, und ob es so etwas überhaupt gibt. Damit verbunden ist unweigerlich ein Ausflug in die klassische Metaphysik, so dass ich, bevor ich meine Ausführungen fortsetze, die Frage stellen möchte, ob Sie mit dieser klassischen Metaphysik vertraut sind (was heute die wenigsten Menschen, selbst unter den Gebildeten, von sich behaupten können).

      Abschließend möchte ich noch eine Anmerkung zu Ihrem Kommentar machen: Sie bringen Kants These ins Spiel, der Mensch dürfe nicht nur als Mittel zu einem Zweck gebraucht werden. Dieser These stimme ich zu. Was Kant jedoch mit „Zweck“ meint, ist definitiv kein objektiver Naturzweck (er selbst lehnte die klassische Metaphysik samt Naturrechtslehre entschieden ab). Der „Zweck“ von dem Kant spricht, ist ein subjektiver Zweck. Der Mensch darf andere Menschen nicht ausnutzen, sie nicht bloß als Mittel zu (seinen eigenen) Zwecken benutzen. Über die Frage objektiver Naturzwecke, die ja gerade nicht die Zwecke anderer Menschen sind, ist damit noch gar nichts gesagt. Ebenso hat in Prämisse Nr.2 auch der Begriff „Sache“ (ich hätte vielleicht, der Deutlichkeit halber, „Seiendes“ sagen sollen, weil tatsächlich jedes Seiende, also alles was existiert, gemeint ist, und nicht nur „Sachen“ im umgangssprachlichen Sinne als Abgrenzung zu Lebendigem) zu einem Missverständnis geführt. Eine philsophische Klärung der Grundlagen und Begriffe erscheint daher als logischer nächster Schritt, aber ich werde Ihre Antwort abwarten, bevor ich fortfahre.

  7. „ob Sie mit dieser klassischen Metaphysik vertraut sind“

    Nun, sie ist mir nicht unbekannt und ich habe mich durchaus damit beschäftigt, aber ob ich damit vertraut bin? Gute Frage. Sie würden mich sicher nicht langweilen, wenn Sie eine Sache erklären, die mir schon klar ist.

    „weil tatsächlich jedes Seiende, also alles was existiert, gemeint ist, und nicht nur “Sachen” im umgangssprachlichen Sinne als Abgrenzung zu Lebendigem“

    Einverstanden. Meine Trennung gilt dann dennoch. Denn ein Eingriff in das Wesen des Menschen ist nicht zulässig, bei einer Sache (unbelebt, egal ob materiell oder immateriell) sehe ich das anders.

    Ich hoffe, ich habe damit alle bisherigen Fragen erstmal beantwortet.

  8. Pingback: Der Papst, ein Liturgiesünder? | fecistinos

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