Erzbischof Müller: Keine Verhandlungen über den Glauben

In dem bereits gestern angesprochenen Interview hat Erzbischof Müller erklärt, weitere Gespräche mit der Piusbruderschaft seien nicht erforderlich, weil es keine Verhandlungen über den Glauben geben dürfe. Der Erzbischof sagt wörtlich:

„Wir können den katholischen Glauben nicht den Verhandlungen preisgeben. Da gibt es keine Kompromisse.“

Ich möchte dem Erzbischof an dieser Stelle zu seiner hellsichtigen Klarheit gratulieren. Seine Stimme ist wahrhaft ein leuchtendes Beispiel für verwirrte Seelen in aller Welt. Über den Glauben darf man nicht verhandeln. Er steht nicht zur Disposition. Wer also etwa, wie Erzbischof Müller, in einer Abhandlung über Dogmatik erklärt, man solle manche Dogmen, wie die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens, einfach uminterpretieren, so dass sie praktisch nur noch symbolisch gemeint sind, und nicht mehr unbedingt auch über die körperliche Jungfräulichkeit der Gottesmutter sprächen, der sollte sich diese starken Worte zu Herzen nehmen: Es gibt keine Verhandlungen über den Glauben. Am Glauben gibt es nichts herumzukritisieren, umzuinterpretieren oder anzupassen. Was die Kirche lehrt, das lehrt sie. Wenn das für die Aussagen eines Pastoralkonzils gilt, dann gilt das sicher auch für eindeutig definierte Glaubenswahrheiten.

Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: Manchmal gibt es Kirchenvertreter, wie Erzbischof Müller, die sich anmaßen, etwa mit schismatischen Gruppen über den Glauben zu verhandeln, oder doch mindestens durch symbolische Gesten deutlich zu machen, dass die Glaubensdifferenzen keine Rolle mehr spielen sollen. Ich habe gehört, dass es auch einen deutschstämmigen Bischof in Italien geben soll, der sich zu der These verstiegen haben soll, schismatische Gruppierungen bräuchten nicht mehr zur Kirche zurückzukehren. Das, was dieser Bischof „Rückkehrökumene“ nannte, sei nicht der richtige Weg. Der Name dieses Bischofs, Ratzinger, ist wohlbekannt, und er ist derzeit der Bischof von Rom. Den leuchtend klaren Worten des Erzbischofs Müller, jenes unerschrockenen Hüters des Wahren Glaubens, ist hier wirklich nichts hinzuzufügen. Es darf keine Verhandlungen über den Glauben geben. Wer den Glauben nicht vollumfänglich annimmt, der kann uns gestohlen bleiben. Wer sich von der Kirche getrennt hat, wie diese traditionalistischen Piusbrüder, oder natürlich auch die schismatische evangelische „Kirche“, der muss erst einmal das Konzil anerkennen, und das bedeutet auch die Suprematie des Römischen Papstes. Danach, erst danach, können wir reden.

Weiter im Text. Auch hinsichtlich des Verhältnisses zu den Juden sprüht die Einsicht des Erzbischofs Müller einen Geist, der an Klarheit nichts vermissen lässt. Auch die Juden sollen erst einmal den Glauben der Kirche anerkennen, bevor wir mit ihnen verhandeln. Manche, darunter wieder einmal der oben erwähnte Bischof von Rom und Erzbischof Müller, haben sich ja sogar zu der Aussage verstiegen, die Bekehrung der Juden sollte nicht mehr aktiv angestrebt werden. Erzbischof Müllers Diktum wendet sich entschlossen gegen diese Auffassung. Es gibt keine Verhandlungen über den Glauben. Die Juden haben nicht den katholischen Glauben. Verhandlungen sollte es nicht geben, bevor diese falsche Religion sich nicht bekehrt.

Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, wie bei so manchem zweifelhaften Treffen, das von Erzbischof Müller positiv gesehen wird, etwa in Assisi, dass alle Religionen gleichwertig seien. Denn der Glaube ist unantastbar und steht nicht zur Disposition, wie Erzbischof Müller mit strahlender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen vermag. Die Kirche lehrt aber, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Damit muss man jeden Eindruck vermeiden, als ob sich die Kirche gleichberechtigt neben die ungläubigen Heiden im Kampf für einen bloß weltlichen „Freiden“ stelle. Die Heiden sollen sich lieber erst einmal bekehren und den Glauben der Kirche annehmen. Danach können wir reden.

Die leuchtend klaren Worte des Erzbischofs strahlen das Licht entschlossener Handlungsbereitschaft in eine dunkel werdende Welt.

Allerdings gelten die scharfen Worte des Vorsitzenden der Glaubenskongregation nur den Piusbrüdern, jener ultra-häretischen unkatholischen Gruppierung, die sich anmaßt, den Glauben der vorkonziliaren Päpste nicht den Auffassungen eines Pastoralkonzils anzupassen, wenn ihnen dort Widersprüche zu bestehen scheinen. Alle anderen Gruppen, die das Konzil nicht anerkennen – Protestanten, Orthodoxe, Juden, Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Atheisten, Agnostiker, Marxisten, Freimaurer, Voodoo-Schamanen und viele mehr – können sich freundlicher Verhandlungsbereitschaft sicher sein. Man empfängt sie mit offenen Armen. Man verhandelt mit ihnen über alles. Man lässt sie in katholischen Gotteshäusern ihre Götzen anbeten oder ihre heidnischen Rituale abhalten. Man betrachtet sie als wunderbare Partner in der Welt zur Errichtung eines weltlichen Friedens und des Paradieses auf Erden. Man hofiert sie in jeder Beziehung. Meist verzichtet man aus Höflichkeit sogar darauf, sie auf die Irrtümer ihrer falschen Religionen hinzuweisen, so dass der Eindruck entsteht, die Kirche halte diese Religionen gar nicht mehr für falsch.

Das alles ist bloß Ökumene, interreligiöser Dialog, Dialog mit den „Nicht-Glaubenden“. Doch es wäre eine ganz andere Dimension, wenn man eine offen anti-katholische, anti-kirchliche, anti-päpstliche Sekte wie die Piusbruderschaft durch Gespräche legitimieren würde. Das wäre wirklich untragbar. Die Kirche muss nämlich bekennen, dass es über den Glauben keine Verhandlungen geben darf. Der Glaube ist nicht verhandelbar und nicht antastbar. Er steht nicht zur Disposition, sagt Erzbischof Müller.

27 Gedanken zu „Erzbischof Müller: Keine Verhandlungen über den Glauben

  1. Ich komme immer mehr zu der Auffassung, das EB Müller von Gott ausersehen ist, den Glauben seiner Kirche auf den Prüfstand zu stellen.

    Wer als Katholik EB Müller und seinen feinfühligen gynäkologischen Untersuchungen Mariens nicht widersteht trennt sich vom „Glauben“. Soweit verstanden. Wer tatsächlich die leisen Bedenken Müllers hinsichtlich der Realpräsens nicht teilt, ist ebenfalls auf falschem Gleis unterwegs. Denn Glaube bedeutet inzwischen Dialog und Hinterfragen. Hinterfragen dient ja der Selbstvergewisserung im Glauben.

    Ein genialer Streich Satans, den dieser gegen die Kirche führt. Es ist ihm gelungen, auf Personalentscheidungen des Bischofs von Rom Einfluß zu nehmen.

    Auch Luther war ein Prüfstein Gottes, der seine Kirche zunächst lähmte, aber dann zu neuer Blüte führte. Diese erneute Leuterung steht uns jetzt bevor. Wenn wir von Bruderschaften (Pius) sprechen, so haben wir auf der anderen Seite Die „Gesellschaft Jesu (SJ)“, die wiedermal aus dem Ruder läuft.

    Am Ende wird im Interesse der Kirche die Piusbruderschaft rehabilitiert und die SJ zwecks Neubesinnung (wie schon mehrfach geschehen) aufgehoben. Zwischenzeitlich scheint das Schiff Petri vom Anker losgerissen und auf den Felsen zu treiben. Es kommt auf die Aktionen der Besatzung und des künftigen Kapitäns an. Die Besatzung, das sind wir.

  2. Und:
    Wenn EB Müller der neue Prüfstein Gottes ist, dann ist die Piusbruderschaft möglicherweise Gottes Einweckglas für Zeiten der Hungersnot. An diesen Notvorrat kommt EB Müller nicht ran. Daraus erklärt sich sein offener Zorn.

    Irgendwie scheint das die Piusbruderschaft zu spüren.

  3. „Es gibt keine Ermäßigungen was den katholischen Glauben angeht,…“
    „Wir können den katholischen Glauben nicht den Verhandlungen preisgeben. Da gibt es keine Kompromisse”.
    „..weil es über den Glauben keine Verhandlungen gibt…“

    Das sind Schlüsselsätze EB Müllers aus zwei Interviews Wenn man die auf die Themen Ökumene, „Dialoge“ und Assisi anwendet , wo steht man da? Genau: Das sind die Positionen der Piusbruderschaft.

    Eine gute Richtschnur für die DBK zur Behandlung und Sicht demnächst anstehender 500 Jahre.

    • Leider lehnt der Erzbischof Verhandlungen über den Glauben, Kompromisse, Ermäßigungen usw. nur ab, wenn es gegen die Anhänger der Tradition geht.

      • Wer sagt’s dem EB Müller, daß er in Wahrheit die Grundsätze der Piusbruderschaft ausspricht? Wer sagt ihm, daß jedes Wort davon von ihnen unterschrieben werden kann?

        Wer fragt den EB, warum der gegenüber den „Dialog“-Partnern, den anderen Christlichen Glaubensgemeinschaften, denen in Assisi, nicht die gleichen Sätze entgegenschleudert? Warum sagt das der oberste Hüter des Glaubens nicht den Moslems und den Juden? Weil sie beleidigt sein könnten???

        Ich würd’s ihm sagen. Aber das wird er zu verhüten wissen.

        • Quer,
          warum sagt er es nicht den Juden? Weil er nicht als „Antisemit“ durchs Dorf getrieben werden will.
          Warum nicht den Moslems? Er möchte nicht als Märtyrer sterben.
          Warum nicht den schismatischen Gemeinschaften? Es würde ihn sehr unpopulär machen.
          Das mögen keine guten Gründe sein, aber sie erklären durchaus, warum der Glaube nur dann kompromisslos verteidigt werden muss, wenn es sich bei dem Glauben um den sorgfältig angepassten, reformierten proto-lutheranischen Glauben handelt, der sich nach dem Konzil weitgehend eingebürgert hat. Denn dieser Glaube ist populär, er stört weder die Juden noch die Moslems, und er erhebt gar nicht mehr den Anspruch absoluter Wahrheit, weshalb auch die Säkularisten damit gut leben können.

  4. Die Frage, die mich beschäftigt, ist, wie kommt es, dass B XVI sich so plötzlich umgewendet hat.
    Über die Einstellungen von EB Müller dürfte er kaum im Unklaren gewesen sein. Hat er plötzlich kalte Füsse bekommen und läuft vor den Wölfen davon? Dann haben wir vielleicht nicht genug gebetet. Oder übt man massiven Druck auf ihn aus?

    • Kassandra,
      Druck wird es gegeben haben, da bin ich sicher, sowohl innerhalb der Kirche als auch von außerhalb. Doch es ist auch eine Tatsache, dass Benedikt ein Mann des Konzils ist und immer war. Er ist kein geheimer oder offener Traditionalist, sondern einer, der versucht, durch vorsichtige Kurskorrekturen, das Konzil vor sich selbst und seinen eigenen Folgen zu retten. Deswegen halte ich es für unplausibel, dass der Papst zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich bereit gewesen sein soll, die FSSPX ohne unmissverständliches Bekenntnis zu den Neuerungen des Konzils zu regularisieren.
      Er hat versucht auf dem Verhandlungsweg eine Lösung zu finden, doch seine Überzeugung, dass das Konzil ein großer Segen für die Kirche ist, den alle Katholiken annehmen und zelebrieren sollen, war für ihn von Anfang an scheinbar unverhandelbar. Wenn der Papst wirklich eine Einigung auch um den Preis der absoluten Verbindlichkeit aller Konzilsaussagen gewollt hätte, dann hätte er keine Wende vollzogen, sondern seiner Überzeugung Gehör verschafft und das gewünschte Ergebnis herbeigeführt.

  5. Na, um ehrlich zu sein, finde ich die Diskussion hier schon ein wenig verquer. Juden, Muslime oder Protestanten wollen doch – anders als die Piusbruderschaft – überhaupt nicht von Rom anerkannt werden. Das sind doch zwei paar Schuhe. Und auch wenn ich kein Müller-Fanboy bin und ich die Liturgiereform für verkorkst halte, kann ich nicht verhehlen, dass einem aus vielen Verlautbarungen der Piusbruderschaft doch eine geistige Engstirnigkeit entgegenschlägt; alles, was das theologische Fassungsvermögen übersteigt, wird sogleich als modernistisch und häretisch beschimpft, und insofern ist es für mich überhaupt nicht verwunderlich, dass es mit der Einigung nicht klappt.

    „Gottes Einweckglas“? Es kommt zwar drauf an, aber in der Regel schmecken mir frische Dinge einfach besser.

    • ChB,
      Du wirst festgestellt haben, dass der ursprüngliche Artikel unter „Satire und Humor“ kategorisiert ist, so dass man ihn mit einem Körnchen Salz lesen sollte. Was die Diskussion betrifft, nun ja, ich vermag die „geistige Engstirnigkeit“ der Piusbrüder nicht zu entdecken, zumindest nicht in dieser Pauschalität. In der Tat fehlt den Piusbrüdern der innovatorische Drive, der so viele moderne Theologen auszeichnet, doch mir entgeht die Fähigkeit, dies als Makel zu erkennen… 😉
      Aber im Ernst: Was ich in den Schriften der Piusbrüder finde, ist eine klare, kompromisslose Darstellung des katholischen Glaubens. Die finde ich in Erzbischof Müllers berühmter (berüchtigter?) Dogmatik nicht. Die finde ich auch in der durchschnittlichen Verkündigung nicht. Insofern bewahren die Piusbrüder den überlieferten Glauben ganz als ob sie ihn in einem Einweckglas aufbewahren würden. Vielleicht braucht man ihn ja in dem langen heidnischen Winter, der nach menschlichem Ermessen vor uns liegt, noch einmal. Deswegen finde ich die Metapher treffend. Das gilt übrigens unabhängig von der Frage, ob man die Haltung der Piusbrüder zum Konzil teilt, denn meistens reden sie nicht vom Konzil, sondern vom Glauben. Und der kann sich nicht plötzlich geändert haben, da er die Wahrheit ist, und die Wahrheit gilt ewig. Selbst wenn die Piusbrüder zum Konzil im Unrecht sind, wird eine Zeit kommen, in der man dafür dankbar sein wird, dass sie den Glauben bewahrt haben, während die breitere Kirche in der Praxis die Überlieferung des Glaubens von Generation zu Generation praktisch vollständig versäumt hat.
      Gott wird wissen, warum er in seiner Vorsehung die Piusbrüder in dieser Zwitterstellung – nicht richtig drin, aber auch nicht richtig draußen – belassen hat, und wer weiß wie lange belassen wird. Vielleicht hat es ja etwas damit zu tun, dass er dort Glaubensressourcen konservieren kann, die der Kirche später, nach Überwindung ihrer derzeitigen Krise, noch nützlich sein werden.

      • Natürlich habe ich bemerkt, dass Dein Artikel satirisch gemeint war. Die anschließende Diskussion schien mir nicht mehr ganz so satirisch; außerdem soll ja mittels satirischer Überspitzung auch eine bestimmte Wahrheit ausgedrückt werden, die man ja fragwürdig finden kann. Das Thema „Piusbruderschaft“ möchte ich jetzt nicht unbedingt vertiefen; ich könnte Dir nur subjektive Eindrücke schildern. Skeptisch stimmt mich aber prima vista die immer wieder geäußerten Verschwörungstheorien, wonach Konzil und Kurie von Freimaurern unterwandert (worden) sind, und eben der inflationäre Gebrauch von Häresie- und Modernismusvorwürfen. Auch Papst Benedikt ist Fellay zufolge ein Modernist im Kopf (im Herzen immerhin Traditionalist).

        • ChB,
          dass es nach wie vor sehr viele Freimaurer gibt; dass einige deutsche Bischöfe Mitglieder in Vereinigungen sind, die oft als Vorfeldorganisationen der Freimaurer beschrieben werden usw – das sind Tatsachen, die nicht nur Tradtiionalisten auffallen. Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber die Freimaurer gibt es unbestritten wirklich; die Haltung der Kirche ist ihnen gegenüber zwar offiziell weiterhin ablehnend, aber faktisch haben sich Kirche und Freimaurer seit dem Konzil so weit angenähert, dass man oft den Eindruck hat, es bestehe gar kein Gegensatz mehr. Faktisch ist die Freimaurerei heute so etwas wie die inoffizielle Staatsreligion / Volkskirche und die Ringparabel von Lessing so etwas wie der zentrale religionspolitische Leitfaden der breiten Mehrheit. Betrachtet man, was die Freimaurer wollten, und was die Menschen heute denken, so sind die Übereinstimmungen immens; und das gilt auch in Bezug auf viele „moderne“ Theologen, Priester und sogar Bischöfe.
          Das heißt nicht, dass ich die Verschwörungstheorien, die manchmal von Piusbrüdern verbreitet werden, für wahr halte. Aber wenn ich einen Geheimbund habe, dessen Ziel die Zerstörung der Kirche ist, und ich dann erlebe, was seit dem Konzil passiert ist, dann können auch vernünftige Nicht-Spinner auf Verschwörungsgedanken kommen.
          Hinsichtlich des inflationären Gebrauchs von Häresie- und Modernismusvorwürfen kann ich nur wiederholen, was ich schon gesagt habe: Nicht alles, was die Piusbrüder für häretisch halten, ist häretisch. Vieles von dem, was einige Hardliner für häretisch halten, ist nach Auffassung der meisten Piusbrüder auch gar nicht häretisch. Doch einiges ist definitiv häretisch, vieles kommt sehr nahe an Häresie heran, und bisher hat mir noch niemand aus der Sammlung der von der FSSPX für häretisch gehaltenen Dinge eine einzige Sache nennen können, die für die Kirche vorteilhaft gewesen wäre. Sie alle haben der Kirche geschadet und schaden ihr noch immer.

          • „Sie alle haben der Kirche geschadet und schaden ihr noch immer.“ Kann sein, kann nicht sein. Ich finde, man kann das schlecht verifizieren. Schlecht verifizieren kann man, finde ich, auch die These, dass das Konzil bzw. die Konzilstexte schuld am nachkonziliaren Niedergang seien. Mir ist das Thema eine Nummer zu groß. Auch ohne Konzil hätte sich das ideologische Klima in der westlichen Welt geändert, und dieses ideologische Klima ist dem Glauben eher ungünstig (wobei: man kann das auch umgekehrt sehen: ungünstige Bedingungen erproben den Glauben, und aus jeder bestandenen Glaubensprobe geht der Glaubende gestärkt hervor), und ich denke auch, dass die Kirche als soziale Institution sich nie ganz dagegen immunisieren kann. Die Menschen in der Kirche sind keine Engel, sondern soziale Wesen und als solche unweigerlich von der Gesellschaft geprägt, in der sie leben.

            • ChB,
              Die Kirche wächst an den Herausforderungen, die eine solche Ideologie ihr und ihren Getreuen stellt. Doch wie soll sie wachsen, wenn sie sich lieber anpasst, statt sich den Herausforderungen zu stellen? Sicherlich sind weder Konzil noch Konzilstexte allein schuldig am Niedergang nach dem Konzil. Doch es besteht kein Zweifel, dass der oftmals beschworene „Geist des Konzils“ kein anderer ist als der Zeitgeist. Nun hat das Konzil selbst viele Aussagen gemacht, die mit dem beschworenen „Geist des Konzils“ nichts gemein haben, und von keinem gläubigen Katholiken ernsthaft als modernistisch bezeichnet werden könnten. Aber es hat doch mindestens durch eine schwammige, mehrdeutige Sprache der späteren Instrumentalisierung des Konzils für modernistisch-konzilsgeistige Irrwege Vorschub geleistet. Zudem hatten die Konzilsväter nach dem Konzil in ihren Bistümern ja die Umsetzung der Konzilsvorschriften zu überwachen – und damit zu verantworten – gehabt. Wäre die nachkonziliare Fehlentwicklung ihnen inhaltlich zuwider gewesen, und hätte sie gröblich der Intention der Konzilsväter widersprochen, so hätten sie sie wohl in ihren Diözesen bekämpfen können. Derlei ist leider nahezu gänzlich ausgeblieben. Im Gegenteil: Sehr viele von ihnen haben die Fehlentwicklungen des „Konzilsgeistes“ noch vorangetrieben.

              Das Konzil als schuldloses, missbrauchtes Wesen hinzustellen, das für das, was auf es folgte, und in seinem Namen getan wurde, nichts kann, ist daher ebenso übertrieben wie die These, das Konzil sei an allem schuld.

              Die Kirche hat praktisch – nicht lehramtlich-theologisch, sondern praktisch – dem ideologischen Klima keinen Widerstand entgegengesetzt. Sie hat sich lieber angepasst, manchmal gar in vorauseilendem Gehorsam. Heutige Katholiken unterscheiden sich von heutigen Nichtkatholiken fast gar nicht mehr. Wäre die Fehlentwicklung nach dem Konzil bloß die Folge von Umweltfaktoren gewesen, für die das Konzil nicht die Verantwortung zu tragen hat, so hätte man doch mindestens eine gewisse Widerstandsfähigkeit der durch die guten Lehren des Konzils gestärkten Laien und Kleriker gegen die Übel der Zeit erwarten müssen. Wirklich eingetreten ist aber, dass seitens der Gläubigen der Zeitgeist fast komplett geschluckt wurde, was auch auf die Mehrzahl der Priester und sehr viele Bischöfe zutrifft. Waren sie alle unfähig, dass sie den guten und richtigen Beschlüssen des Konzils so wenig Gehör zu verschaffen wussten? Oder ist es vielleicht doch der Fall, dass das Konzil seinen nicht geringen Teil zur Krise beigetragen hat?

    • Was den Vorwurf betrifft, die Piusbrüder würden alles pauschal als häretisch und modernistisch beschimpfen, was ihr theologisches Fassungsvermögen übersteht, so wäre es schön, wenn er durch Beispiele erhärtet würde, damit man versteht, was genau gemeint ist.
      Wunder wie Auferstehung und Transsubstantiation übersteigen das theologische Fassungsvermögen. Ich wüsste nicht, dass die FSSPX diese Sachen je als häretisch bezeichnet hätte. Dasselbe gilt für die Glaubensgeheimnisse, die wir nie richtig fassen können, wie etwa die Trinitätslehre. Was die FSSPX manchmal schnell häretisch oder modernistisch nennt, sind theologische Innovationen aller Art, besonders solche, die vor, während oder nach dem Konzil von liberalen Theologen eingebracht worden sind. Vielleicht sind diese Ideen nicht alle häretisch, aber dass sie besonders hilfreich wären, kann man wohl angesichts der Lage der Kirche nicht gerade sagen.

    • “Gottes Einweckglas”? Es kommt zwar drauf an, aber in der Regel schmecken mir frische Dinge einfach besser“

      Wenn’s (nur) um die Frische geht, dann nennen wir’s einfach Gottes Tief(st)kühlfach. Das ist womöglich noch besser. Der Inhalt bleibt jeweils der gleiche, aber das auftauen garantiert geschmackliche Bekömmlichkeit.

      • Mit Tiefkühltruhe kann ich noch weniger anfangen. Glauben bringe ich vor allem mit Feuer in Verbindung; wer den Glauben also tiefgefrieren will, ruiniert sich höchstens seine Tiefkühltruhe. Wie soll Tiefgekühltes außerdem im „heidnischen Winter“ (catocon) wärmen? Da der Glaube eine göttliche Tugend ist, ist er unendlich. Man muss da nix aufbewahren oder auf Vorrat halten.

        • ChB,
          der Glaube ist eine göttliche Tugend, das ist richtig. Die göttliche Tugend muss man nicht aufbewahren. Aber man kann das Wort „Glauben“ auch für die Gesamtheit des katholischen Glaubens (!) verwenden. Dann besteht er aus einer Reihe von Lehrsätzen. Diese kann und muss man sehr wohl aufbewahren und verteidigen.
          Das Tiefgekühlte und der Heidnische Winter vertragen sich nicht – es sind zwei Metaphern von zwei verschiedenen Leuten. Ich glaube nicht, dass die herannahende Zeit des impliziten oder expliziten Neuheidentums im Wortsinne „kalt“ sein wird. Ebenso möchte quer den Glauben nicht im Wortsinne in einem Einweckglas oder einer Tiefkühltruhe einschließen.

          • Meinen letzten Beitrag sollte man auch eher satirisch auffassen – als Beitrag zu der Begrenztheit von Metaphern.

            Natürlich besteht der katholische Glaube aus zu bewahrenden Lehrsätzen. Der Streit derzeit dreht sich ja – abgesehen von unhaltbaren Positionen, die ein „undogmatisches“ Christentum wünschen – darum, welches die zu bewahrenden Lehrsätze (genau) sind – und um deren richtiges Verständnis. Denn die Lehrsätze sind ja in menschlicher Sprache abgefasst, die menschliche Sprache unterliegt einem steten Wandel. Wenn es zwar keine zeitbedingte Wahrheit gibt, so doch ein zeitbedingtes Verstehen dieser ewigen Wahrheit.

            • „Denn die Lehrsätze sind ja in menschlicher Sprache abgefasst, die menschliche Sprache unterliegt einem steten Wandel. Wenn es zwar keine zeitbedingte Wahrheit gibt, so doch ein zeitbedingtes Verstehen dieser ewigen Wahrheit.“
              Wobei nach kirchlicher Lehre auch das Verständnis der Lehrsätze nicht veränderlich sein darf. Sonst lägen die Theologen richtig, die sagen, man müsse den Glauben heute anders verstehen als früher, und könne daher den Lehrsätzen unter Beibehaltung der Formulierung einen ganz anderen Sinn beilegen, was die Lehrsätze zu beliebigen Leersätzen, in die jeder seine eigene „Wahrheit“ hineininterpretieren könnte, abwertete. (Dies ist übrigens einer der Gründe für die Verwendung einer „toten“ und damit nicht mehr dem stetigen Bedeutungswandel ausgesetzten Sprache wie dem Lateinischen nicht nur in der Liturgie, sondern auch bei Formulierung und Auslegung solcher Lehrsätze.)

              • Oh ha, jetzt wird’s heikel.
                „Wobei nach kirchlicher Lehre auch das Verständnis der Lehrsätze nicht veränderlich sein darf.“ Sprachphilosophisch / hermeneutisch finde ich diese Aussage sehr schwierig. Wenn man von einem einfachen Sender/Empfänger-Modell ausgeht, dann kann der Sender schlichtweg nicht kontrollieren, wie der Empfänger den Satz versteht. „Normal“ würde ich diesen Satz oben insofern verwerfen oder doch mit einem dicken Fragezeichen versehen.

                Nun, in einem christlichen Kontext verstehe ich den Satz so, dass der Heilige Geist das richtige Verständnis der Lehrsätze garantiert. Dazu muss man den Heiligen Geist aber auf Seiten des Senders wie des Empfängers plazieren.

                Das schließt m. E. aber ein zeitbedingtes Verstehen nicht aus. Jesus selbst sagt im Evangelium, dass die Jünger das, was er sagt, erst richtig nach seiner Auferstehung verstehen werden (und dass der von ihm gesandte Geist sie weitere Dinge lehren wird). Es spricht daher m. E. nichts gegen die Annahme, dass sich im Laufe der Kirchengeschichte ein tieferes und reicheres Verständnis der christlichen Offenbarung vollzieht.

                Zum Latein:
                Als Liturgiesprache hat Latein m. E. große Vorzüge. Die Benutzung von Latein als Sprache, in der Lehrsätze und deren Auslegung formuliert werden – meinetwegen. Nur dispensiert das ja nicht von Übersetzungsarbeit. Die wenigsten sprechen bzw. verstehen ja Latein. M. E. besteht dann die Gefahr, dass ebenso tot wie die Sprache auch die Lehrsätze werden; es entsteht ein abstraktes System von Sätzen, das keine Frucht bringt.
                Und Jesus Christus hat auch nicht in einer toten Sprache gelehrt. Mit den „Leersätzen“ wäre ich außerdem vorsichtig. Dies könnte man Jesus Christus, seiner Vorliebe für Gleichnisse, den Evangelisten oder Paulus auch zum Vorwurf machen.

                Und wahrscheinlich ist es das, was mich an der Piusbruderschaft befremdet, dass sie offenbar davon ausgeht, dass man eindeutige Texte verfassen könnte, die nicht interpretierbar wären. Das halte ich für eine Fiktion.

  6. ChB,
    gehen wir die Punkte der Reihe nach durch:
    1. Sender-Empfänger-Modell: Man kann nicht kontrollieren, wie der Empfänger den Satz versteht, aber wenn man wirklich ein und denselben Glauben überliefern will – unverfälscht durch alle Generationen – dann muss man sicherstellen, dass der Sender nicht unter Beibehaltung der Formulierung plötzlich etwas ganz anderes unter dem fraglichen Satz versteht. Das heißt: Natürlich kann der Empfänger den Lehrsatz missverstehen, doch die Möglichkeit des Missverständnisses setzt ein korrektes Verständnis voraus, nämlich das des Senders. Und gerade weil Texte immer interpretationsbedürftig sind, muss durch entsprechende Auslegung der Lehrsätze sichergestellt werden, dass keine Sinnverfälschung eintritt. Alles andere wäre das „Stille-Post-Prinzip“. Nach 100 Generationen der Sinnverschiebung unter der formal identischen Dogmenformel wäre von dem ursprünglichen heilsnotwendigen Glauben nichts mehr übrig. Für die objektive Überlieferung des Glaubens geht es nicht darum, dass jeder Empfänger der Satz faktisch richtig versteht (das ist, wie Du richtig sagst, unmöglich), sondern dass jeder Empfänger zu jeder Zeit den Satz richtig, das heißt, so wie er ewig wahr ist, verstehen KANN, nämlich dann, wenn er die konstante Auslegung dieses Satzes annimmt, die die Kirche (Sender) in ihrer lehramtlichen Tradition unter Beistand des Heiligen Geistes etabliert hat.

    2. Zeitbedingtes Verstehen: Ja, es gibt, im Sinne Newmans, eine Entwicklung der Dogmen. Doch kann diese Entwicklung niemals den Sinn eines Lehrsatzes verändern, weil nicht bloß die Formulierung, sondern auch das, was durch die Formulierung ausgesagt werden soll, Teil des Lehrsatzes ist. Man kann einen Glaubenssatz tiefer durchdringen und besser verstehen – das ist legitim. Das ist das, was Jesus den Aposteln an den zitierten Stellen ankündigt. Wenn die gleiche Formulierung, etwa von der Dreifaltigkeit, heute dies, morgen das und übermorgen noch etwas anderes bedeutete, dann gäbe es schlicht kein Lehramt, das verlässlich den einen, wahren Glauben lehrte. Die katholische Kirche und ihr Unfehlbarkeitsanspruch hinsichtlich ihrer Dogmen wäre damit ad absurdum geführt.

    3. Latein: Nein, man ist nicht von der Übersetzungsarbeit dispensiert. Doch wenn die Lehrsätze bindend in lateinischer Sprache festgelegt sind, dann kann man immer wieder genau nachprüfen, ob die Übersetzung wirklich den Kern trifft, oder ob durch Bedeutungsverschiebungen in der „lebendigen“ Zielsprache der Sinn des Lehrsatzes verfälscht worden ist, und dann die Übersetzung bei Bedarf korrigieren. Es gibt einen verlässlichen Urtext, dessen Bedeutung nicht der altäglichen Veränderung der meisten Sprachen unterworfen ist. Formulierte man einen Lehrsatz direkt in z.B. italienischer oder deutscher Sprache, so hätte man diesen Vorteil nicht. Glücklicherweise sind die offiziellen lehramtlichen Texte nach wie vor verbindlich in lateinischer Sprache. Dass sie nur noch von wenigen verstanden werden, ist eine Folge des Kreuzzuges gegen das Lateinische, der seit Jahrzehnten seitens der Bildungsmodernisierer geführt worden ist (man müsse, so heißt es, neusprachliche Kompetenz in den Vordergrund stellen, da man Latein nicht mehr brauche… mehr dazu hier: https://hocestenim.wordpress.com/2011/07/21/von-den-vorzugen-des-lateinischen/). Leider hat sich die Kirche diesem anti-lateinischen Kreuzzug seit dem Konzil faktisch, wenn auch hier sicher NICHT durch die Kontilstexte gerechtfertigt, angeschlossen, so dass das Verständnis des Lateinischen selbst unter Priestern auf ein grauenhaft schlechtes Niveau gesunken ist. Die These, man könne „x“ nicht auf Latein tun, weil es keiner versteht, ist unsinnig; keiner versteht es mehr, weil man „x“ nicht mehr auf Latein tut, und daher jeder glaubt, er brauche kein Latein mehr zu lernen.

    4. „Leersätze“: Ich brauche Christus keinen Vorwurf dieser Art zu machen, und tue dies selbstverständlich auch nicht, weil Christus überhaupt keine Dogmen formuliert hat – dies ist der durch Ihn gestifteten Kirche unter Führung des Heiligen Geistes überlassen gewesen. Der Herr hat in Gleichnissen gesprochen, die trotz ihrer unterschiedlichen Formulierungen immer wieder mit geradezu göttlicher Luzidität und Trefflichkeit von den ewigen Wahrheiten künden. Er hat verschiedene Formulierungen für seine inhaltlich unveränderliche Lehre verwendet. Die moderne Idee von der Bedeutungsverschiebung unter Beibehaltung der Formulierung tut exakt das Gegenteil: Sie verändert die Lehre, behält aber die Worte des Lehrsatzes bei – und macht dadurch die Lehrsätze zu letztlich beliebig uminterpretierbaren Worthülsen – „Leersätzen“ eben. Der Herr tut genau das Gegenteil. Er füllt immer neue Formulierungen mit der konstanten, gleichen, wahren Lehre, die sich eben nicht nach Geschmack des Publikums oder den aktuellen philosophischen Moden inhaltlich verändert. Dasselbe gilt übrigens nicht nur für Christus, sondern auch für Paulus.

    5. Eindeutige Texte ohne Interpretation: Die gibt es nicht, und kein Piusbruder, von dem ich je gehört habe, hat dies jemals behauptet. Man kann die Piusbrüder gern kritisieren, aber das ist eine unfaire Kritik, weil sie nicht zutrifft. Die Piusbrüder gestehen jederzeit die Notwendigkeit der Interpretation der Lehrsätze zu. Doch sie sagen, dass die Interpretation der Lehrsätze und ihr legitimes vertieftes Verständnis nicht zu einer Verschiebung des ursprünglich gemeinten Inhalts führen darf. So könne, sagt die Piusbruderschaft, die ewige Jungfräulichkeit Mariens heute nichts anderes bedeuten als vor 100 Jahren, und daher lehnen sie es ab, wenn jemand dieses Dogma so sehr spiritualisiert, dass gar keine physische Jungfräulichkeit mehr übrig bleibt, um nur ein Beispiel zu nennen. Ebenso für andere Lehrsätze.
    Gerade weil man keine eindeutigen Texte verfassen kann, ist etwa die sola scriptura-Lehre der Protestanten falsch. Denn könnte man dies, so wäre sicher Gott in besonderem Maße dazu in der Lage gewesen und hätte dies sicherlich im Interesse der Unverfälschlichkeit seiner Offenbarung auch im Falle der Heiligen Schrift getan. In diesem Falle wäre alles, was Gott dem Menschen zu offenbaren hat, ohne Interpretationsbedürftigkeit bereits in der Heiligen Schrift enthalten, die daher allein zureichend wäre. Nein, Texte bedürfen der Interpretation. Aber diese Interpretation kann sich nicht plötzlich so sehr verändern, dass der dem Text beigelegte Sinn ganz anders wird. Was gestern wahr war, muss auch heute noch wahr sein, sonst ist Wahrheit bloß zeitbedingt oder relativ.

    • Finde jetzt erst Zeit, Dir zu antworten. Wobei jetzt Fragen aufgeworfen sind, für deren Beantwortung eine Doktorarbeit erforderlich wäre und ich gar keine Kompetenz habe, weil mir das entsprechende theologische Wissen abgeht. Daher stark abgekürzt:

      zu 1. würde ich mich fragen, ob es dem Selbstverständnis der Kirche nicht eher entspricht, dass der Hl. Geist Sender und die Kirche vor allem Medium und Empfänger ist (analog zur heilsgeschichtlichen Bedeutung Mariens), so dass die Lehrsätze immer schon Übersetzungen sind (von der Sprache des Hl. Geistes in menschliche Sprache(n)), wenngleich vom Hl. Geist autorisiert bzw. (an)geleitet. Und natürlich kommt es dann darauf an, was die Dogmen aussagen, also deren Sinngehalt; so dass die Forderung, die Formulierung der Dogmen beizubehalten unter Änderung ihres Sinngehalts, absurd erscheint – wobei ich mich allerdings frage, wer dies ernsthaft vertritt.
      “ … sondern dass jeder Empfänger zu jeder Zeit den Satz richtig, das heißt, so wie er ewig wahr ist, verstehen KANN …“ Das erscheint mir allerdings sehr theoretisch. Bis vor gar nicht so langer Zeit war der einfache Laie wohl auf das angewiesen, was der Pfarrer vor Ort ihn gelehrt hat (ihm stand keine Bibel zur Verfügung – falls er überhaupt lesen konnte -, und die kirchlichen Dokumente ebenfalls nicht), und mir erscheint zweifelhaft, ob der Pfarrer immer die kirchliche Lehre richtig wiedergegeben hat, ob nun aus Unwissen oder was auch immer.

      zu 2. Theoretisch ist die Grenzziehung klar, praktisch wirft das aber wohl nicht wenige Probleme auf, ob es sich um eine legitime Entwicklung oder um eine Abweichung handelt. Beispiel vielleicht das filioque.

      zu 5. So unfair finde ich den Vorwurf nicht. Unfair finde ich eher, wie die Piusbruderschaft mit Bischof Müller umgegangen ist, und zwar so, als könnte man seine aus dem Kontext gerissenen Passagen ausschließlich häretisch deuten. Was m. E. aber nicht der Fall ist. In Bezug auf die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens hat Müller keineswegs die körperliche Seite des Dogmas geleugnet, lediglich die Meinung vertreten, dass es nicht darum gehen kann, sich en detail diese körperliche Seite auszumalen; wie genau die Jungfräulichkeit während der Geburt sich körperlich manifestiert, ist meines Wissens nicht Inhalt des Glaubenssatzes – so auch nicht, dass, wie P. Gaudron, glaube ich, angemerkt hat, das Hymen unverletzt blieb -, und in der Tat fand und finde ich es eher unschicklich, sich gynäkologische Gedanken über die Jungfräulichkeit Mariens zu machen.

      • ChB, ich antworte, da ich in den letzten Tagen überhaupt keine Zeit zum bloggen hatte, erst jetzt und ebenfalls in abgekürzter Form:

        zu 1. (a) Natürlich ist die Kirche nicht primär Sender, sondern Empfänger. Sie empfängt die Lehre, doch sie sendet sie auch weiter. Dass auf der menschlichen Seite dieses Weitersendens Probleme entstehen, und daher die Botschaft nicht immer unverfälscht beim letzten Dorfpfarrer ankommt, ist selbstverständlich richtig.
        (b) Du sagst: „Und natürlich kommt es dann darauf an, was die Dogmen aussagen, also deren Sinngehalt; so dass die Forderung, die Formulierung der Dogmen beizubehalten unter Änderung ihres Sinngehalts, absurd erscheint – wobei ich mich allerdings frage, wer dies ernsthaft vertritt.“ Mir scheint die Forderung auch absurd. Aber werden nicht faktisch viele Dogmen – etwa an so mancher theologischen Fakultät – sinnentleert und mit ganz neuem, modernen, weltkompatiblem Sinn angereichert? Dass dies praktisch getan wird, scheint mir unbestreitbar. Was ist es denn, wenn jemand die physische Auferstehung des Herrn bestreitet und daraus ein Osterereignis in den Herzen der Jünger macht? Hier wird das Dogma der Auferstehung formal beibehalten, aber komplett uminterpretiert. Pius X. hat über diese Tendenz bereits in der Enzyklika Pascendi einige Worte verloren, wenn ich mich richtig erinnere.

        zu 5: Aus welchem Kontext wurden die ziemlich ausführlich zitierten Passagen denn gerissen? Natürlich kann man nicht das ganze Buch zitieren, aus dem sie stammen. Wenn durch die Auslassung des weiteren Kontextes etwas verloren gegangen ist, dann fühle Dich frei, den Kontext nachzuliefern, der Deines Erachtens fehlt.
        Tatsächlich stimme ich zu, dass es nicht darum gehen kann, die Körperlichkeit der Jungfräulichkeit im Detail auszumalen. Das hat die Kirche auch nie getan. Aber Sprache verliert jeglichen Sinn, wenn jemand eine Jungfrau sein kann, ohne eine Jungfrau zu sein. Wir können sagen, dass jemand trotz fehlender (physischer) Jungfräulichkeit die Qualitäten und Tugenden der Seele besessen hat, die sonst eine Jungfrau auszeichnen, und natürlich ist diese spirituelle Dimension weit wichtiger als eine bloß materielles Vorliegen bestimmter körperlicher Mekrmale. Doch Jungfräulichkeit erschöpft sich nicht in diesen seelischen Charakteren, sondern hat eben einenj körperlichen Charakter. Natürlich besagt das Dogma nicht „Jungfräulichkeit unter Einschluss der körperlichen Unversehrtheit des Hymen“, sondern einfach nur „Jungfräulichkeit“. Dass zur Jungfräulichkeit das kritische Merkmal dazuzählen muss, ist von selbst klar, wenn man Worten überhaupt noch eine Bedeutung zuerkennen möchte.

        Was nun das Verhalten der Piusbrüder betrifft: Von einer Ausnahme abgesehen (Bischof Tissier de Mallerais) hat niemand von Häresie geredet, soweit ich weiß. Der Vorwurf scheint mir zu sein, dass Erzbischof Müller einen wichtigen Teil der kirchlichen Lehre zur immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens mindestens so umgedeutet habe, dass das Resultat faktisch eine andere Lehre ist. Ich sehe nicht, wie man diesen Tatbestand leugnen kann (außer mir entgeht ein breiterer Kontext, nach dem ich oben gefragt habe). Man kann (und sollte vermutlich) die Form kritisieren, in der dies bei den Piusbrüdern manchmal polemisch vermittelt wird, doch wenn der Erzbischof Sätze in seinen theologischen Werken schreibt, die mindestens in Zweifel ziehen, ob er Jungfräulichkeit wirklich im Vollsinn des Wortes versteht, dann muss diese Kritik erlaubt sein.

        Wir sind uns einig, dass die marianisch-gynäkologischen Untersuchungen so unnötig wie unschicklich sind. Aber eine sprachliche Analyse der Bedeutung des Wortes „Jungfräulichkeit“ muss zulässig sein, weil man sonst nicht verstehen kann, was es eigentlich heißt, wenn jemand dieses Wort verwendet. Es gibt einen Unterschied zwischen Gynäkologie und Philosophie, auch wenn es manchmal ein schmaler Grat ist, auf dem wir wandeln… 😉

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