Papstkritik und Katholizität

Auf Creative Minority Report, einer englischsprachigen katholischen Webseite, die fast immer lesenswert ist, findet sich derzeit ein hochinteressanter und aufschlussreicher Beitrag von Patrick Archbold, in dem er berichtet, wie Aussagen, die noch vor wenigen Monaten unter lehramtstreuen Katholiken absoluter Konsens gewesen wären, heute als Papstfeindlichkeit angegriffen und gar als unkatholisch qualifiziert werden. Wörtlich schreibt er:

It has been a wild ride since the resignation of Pope Benedict XVI and the election of Pope Francis.

Several times already, after making some commentary, I have been accused of ‚attacking‘ the Pope. (…)

But here is the interesting thing. Many of the lines that I tweeted were things I wrote months ago for a possible post on liturgy but never published. When I wrote them, they would have seemed obvious and boring and 100% in line with Catholic thinking and the Pope.

But since I published them them this week, the are perceived by some as beyond the pale and an outlandish attack on the Pope. Same lines. Different month.

Woran liegt das? Der Artikel, für den Archbold angegriffen worden ist, findet sich auf der Homepage des National Catholic Register und kann dort jederzeit nachgelesen werden. Zwei Zitate, die Archbold „getwittert“ hatte, habe ich gestern hier zitiert. Was er dort schreibt, ist keineswegs unkatholisch, und doch wird es massiv von lehramts- und papsttreuen Katholiken angegriffen. Warum?

Es gibt unter lehramtstreuen Katholiken einen weitverbreiteten Irrtum, nämlich dass man den Papst immer und unter allen Umständen gegen Kritik in Schutz nehmen und verteidigen müsse. Dies ist verständlich, sowohl vor dem Hintergrund der herausgehobenen Position des Heiligen Vaters als sichtbares Oberhaupt der Kirche, als auch angesichts der hysterischen Feindschaft, die dem Papst in der breiteren Öffentlichkeit normalerweise entgegenschlägt, sobald er über die alltäglichen Floskeln der Politischen Korrektheit hinaus Stellung bezieht. Doch so verständlich es sein mag, es bleibt falsch. Ein Papst ist nicht unfehlbar, wenn er seine liturgischen Präferenzen ausdrückt, und er kann wahrhaft unwürdige Liturgien zelebrieren, ohne dass dies irgendetwas mit der Unfehlbarkeit zu tun hätte. Dasselbe gilt für alle normalen öffentlichen Äußerungen des Heiligen Vaters.

Der Papst ist nur unfehlbar, wenn er ex cathedra, in Ausübung seiner außerordentlichen Lehrvollmacht, eine Glaubenslehre für die ganze Kirche endgültig festlegt. Ebenso spricht er unfehlbar, wenn er nur das wiederholt, was immer und überall Bestandteil der katholischen Lehre war. Ansonsten kann er irren, und irrt er zuweilen, wie jeder andere Mensch auch. Der Papst ist ein Mensch. Errare humanum est.

Wenn nun also der Papst durch Wort und Tat eine anti-liturgische Haltung vertritt, dann ist das kein Argument für den Anti-Liturgismus, sondern nur gegen die liturgische Position des Papstes. Clownmessen oder Hüpf-und-Mitmach-Messen für Kinder aller Altersgruppen werden nicht dadurch besser oder akzeptabel, dass der neue Papst sie zelebriert hat.

Wenn der Papst den Koran küsst oder relativistisch anmutende Religionstreffen abhält, und diese auch noch theologisch mit einem falschen Ökumenismus rechtfertigt, den die Tradition immer abgelehnt hat, dann ist dies eine falsche Theologie, die nicht dadurch besser oder richtiger wird, dass es der Papst ist, der sie verkündet. Solange er sie nicht zum Dogma zu erheben sucht, berühren seine falschen Meinungen in keiner Form sein Amt oder seine Unfehlbarkeit. Kritik an diesen falschen Meinungen ist daher genauso zulässig und selbstverständlich, wie Kritik an den falschen Meinungen anderer Menschen.

Gebührt dem Papst aufgrund der Würde seines Amtes ein besonderer Respekt, der sich auch auf seine nicht-unfehlbaren Äußerungen erstreckt? Ja, sicherlich. Doch Respekt macht Irrtümer nicht besser. Und gerade weil der Papst ein so hohes Amt bekleidet, und für so viele Seelen Verantwortung trägt, ist es wichtig, dass seine Irrtümer nicht im Verborgenen bleiben, sondern bekannt gemacht werden, damit die Menschen sich nicht umso leichter in ihnen verfangen. Gerade in einer Zeit, in denen Glaube, Sittenlehre und Liturgie immer weniger als bekannt vorausgesetzt werden können.

Aus diesen Gründen ist es gerechtfertigt, auch scharfe Kritik an den Handlungen eines Papstes vorzubringen. Trotzdem wird derlei Kritik, wie im Falle Archbolds, immer wieder als unhaltbarer Angriff auf den Papst interpretiert, selbst wenn sie noch zu Zeiten des vorangegangenen Pontifikats ohne Weiteres als rechtgläubig und gar selbstverständlich angenommen worden wären.

Archbold hat sich kritisch über vereinfachte, von falscher Bescheidenheit triefende Liturgien geäußert und dies in einige höchst treffende, prägnante Sätze gefasst, die man wirklich gelesen haben sollte. Doch inhaltlich dasselbe wie Papst Benedikt zu sagen, war vor einem Monat vielleicht noch akzeptabel, doch für viele gläubige Katholiken ist das jetzt unerträglich, weil Papst Franziskus das alles anders sieht. Jetzt ist die „Bescheidenheit“ der liturgischen Kargheit, das Unter-den-Scheffel-Stellen des Lichts der Heiligen Liturgie gerade wieder einmal modern unter Katholiken, die leider unverbrüchliche Treue zum Papst mit unkritischer Zustimmung zu seinen Handlungen verwechselt zu haben scheinen.

Weil das Konklave ja vom Heiligen Geist beeinflusst wird, so denkt man, müsse jegliches Ergebnis des Konklaves notwendig als die persönliche Wahl des Heiligen Geistes interpretiert werden. Was immer dabei auch herauskommen mag, es muss als Gottes Wille interpretiert werden. Und bekanntlich ist Widerstand gegen Gottes Willen nicht nur zwecklos, sondern auch höchst verwerflich – es handelt sich um die Sünde Adams, die Verweigerung des Gehorsams gegen Gott. So landet der Kritiker der anti-liturgischen Affekte von Papst Franziskus schnell in einem Topf mit Luther und Hans Küng, während er noch vor einem Monat als vorbildlicher Papsttreuer über den grünen Klee gelobt worden wäre. Ebenso geht es dem, der den Unterschied zwischen ostentativer „Demut“ und der christlichen Tugend der Demut erklärt, und darauf beharrt, dass wahre Demut – wie Papst Benedikt sie zu zeigen pflegte – nicht mit dem Verzicht auf die Insignien des Papstamtes einhergeht, sondern gerade ihr Annehmen beinhaltet, während die Ablehnung dieser Insignien eine Überhebung über die Traditionen des Amtes bedeutet, die alles andere als demütig ist.

Ebenso wird bald der radikale Ökumenismus, dem der neue Papst anhängt, wohl von den selbsternannten Verteidigern katholischer Rechtgläubigkeit als quasi-dogmatischer Standard ausgelegt, an dem jede Kritik verboten ist, weil der Papst das so sagt.

Doch wahrer Katholizismus ist eben nicht das, was der aktuelle Papst gerade so sagt und denkt, sondern der unveränderliche, von Gott offenbarte, wahre Glaube, der uns in Schrift und Tradition in ununterbrochener Folge von Gott über Seinen Sohn, über die Apostel und ihre Nachfolger bis heute überliefert ist, und an dem die aktuellen Präferenzen und Launen des Papstes nichts ändern.

Wenn also besagte Präferenzen und Launen im Widerspruch zu besagter Überlieferung stehen, dann ist der Überlieferung der Vorzug zu geben, und die Präferenzen und Launen sind als das zu kritisieren, was sie sind: Irrtümer.

Und diese Irrtümer beim Namen zu nennen, sie zu kritisieren und ihnen die Wahrheit aus Schrift und Tradition entgegenzustellen, ist nicht unkatholisch, sondern gerade der Inbegriff der Katholizität, denn der Katholizismus ist die Religion der Wahrheit, nicht des Irrtums.

„Gebt es doch den Armen!“

Once you strip the altar, you might as well roll dice for its garments. (Patrick Archbold)

A Church truly dedicated to the poor would provide them the most magnificent liturgy possible. (Patrick Archbold)

In der heutigen Zeit ist es populär, prachtvolle Kirchen, liturgische Gewänder und edle Gefäße abzulehnen, weil es die Aufgabe der Kirche sei, den Armen zu helfen. Die „Kirche der Armen“ solle sich auch durch einen kargen äußeren Ausdruck auszeichnen, sozusagen in einer Art vorauseilender Solidarität. Diese Auffassung ist nicht neu. Schon zu biblischen Zeiten war diese Auffassung unter den Aposteln des Herrn vertreten, und zwar passenderweise durch Judas, wie der Evangelist Johannes schreibt:

„Sechs Tage vor dem Paschafest kam Jesus nach Betanien, wo Lazarus war, den er von den Toten auferweckt hatte.2 Dort bereiteten sie ihm ein Mahl; Marta bediente und Lazarus war unter denen, die mit Jesus bei Tisch waren.3 Da nahm Maria ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl, salbte Jesus die Füße und trocknete sie mit ihrem Haar. Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt.4 Doch einer von seinen Jüngern, Judas Iskariot, der ihn später verriet, sagte:5 Warum hat man dieses Öl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Erlös den Armen gegeben?6 Das sagte er aber nicht, weil er ein Herz für die Armen gehabt hätte, sondern weil er ein Dieb war; er hatte nämlich die Kasse und veruntreute die Einkünfte.7 Jesus erwiderte: Lass sie, damit sie es für den Tag meines Begräbnisses tue.8 Die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer bei euch.“

Es ist kein Zufall, dass es gerade der Verräter Judas war, der diese säkularisierte Haltung vertreten hat. Er, der nach dem Zeugnis der Evangelisten Matthäus und Markus direkt nach dieser Episode seinen Verrät in Gang gesetzt und den Herrn für 30 Silberstücke verkauft hat, konnte natürlich nicht wirklich verstehen, warum das Hochheilige außerhalb bloß weltlicher Nutzenkalküle steht, und warum es den Armen nicht wirklich geholfen hätte, das wertvolle Öl zu verkaufen und den Erlös unter die Armen zu verteilen. Für ihn war Jesus, der sich einfach mit diesem prächtigen Öl salben ließ, ein Verschwender, einer, der knappe Ressourcen nicht für die Armen einsetzte, und sie auch nicht einmal in die eigenen Taschen wirtschaftete, sondern sie für die Salbung des Heiligen ausgab. Der Herr selbst wurde an diesem Tag gesalbt, und Er sollte gekreuzigt werden; ihn würde man nicht alle Tage in körperlicher Form bei sich haben – die Armen hingegen schon.

Christus erkannte, wie auch Maria in dieser Geschichte, dass den Armen nicht damit gedient ist, das Heilige zu vernachlässigen, oder seine innere Schönheit durch äußere Hässlichkeit und Kargheit zu verstecken. Nein, ihm gebührt ein der inneren Pracht und Heiligkeit angemessener äußerer Ausdruck, weil geistliche und materielle Realität in einer Welt der Inkarnation, der Fleischwerdung Gottes untrennbar zusammengehören. Was für Christus gilt, das gilt ebenso für den wahrhaft gegenwärtigen Herrn im hochheiligen Messopfer und für die Altäre und Kirchen, auf bzw. in denen man es zelebriert. Die würdige Zelebration der heiligen Liturgie ist natürlich nicht abhängig von irgendeinem Prunk. Die Hütte, in der sich die Gläubigen in einem bitterarmen Dorf treffen, um vor einem einfachen Holzkreuz auf einem liebevoll, doch mit einfachsten Mitteln geschmückten Tischaltar der Feier des Heiligen Messopfers beizuwohnen, ist ebenso würdig, wie das prunkvolle Pontifikalamt eines Pius XII. Dies liegt aber nicht daran, dass die liturgische Pracht egal oder unwichtig wäre, sondern an den zur Verfügung stehenden Mitteln.

Das geistliche Zentrum des katholischen Lebens ist die Kirche, und in der Kirche der Altar, auf dem das Messopfer gefeiert wird. Das Messopfer, die erneute (unblutige) Vergegenwärtigung des allein heilbringenden Kreuzesopfers unseres Herrn Jesus Christus, das höchste der sieben Sakramente, ist Mittelpunkt des irdischen Gnadenlebens des Katholiken. Und da das geistliche Leben wichtiger ist als das bloß weltliche Leben, ist auch die geistliche Mitte wichtiger als die weltliche Mitte, und dies muss sich auch im Einsatz der Ressourcen widerspiegeln. Eine Messe, die trotz immensen Wohlstands an einem Sperrholzaltar in schlichten Gewändern und mit einfachen, statt edlen Gefäßen zelebriert wird, ist kein Akt von Demut oder Präferenz für die Armen, sondern der Herabwürdigung des Heiligen vor den profanen Ideologien dieser Welt.

Wenn Maria den Herrn salbt, dann tut sie dies, weil sie (anders als Martha, Judas, und die heutigen Apostel der Armen, ob mit oder ohne weißer Soutane) von einem tiefen Verständnis der Bedeutung des Heiligen durchdrungen ist. Sie versteht etwas vom Vorrang des Geistlichen, so wie ja auch in der Liebe zuerst die Gottesliebe kommt, und dann (als Folge aus der Gottesliebe) die Liebe zum Nächsten. Wer nicht Gott, und damit das Messopfer, in dem Gott selbst auf unseren Altären gegenwärtig wird, an die erste Stelle setzt, sondern die weltlichen Sorgen der Menschen, der handelt damit gegen Christus und gegen seine Lehre.

Es ist ein Irrglaube, dass man mittels Bildersturm und Holzaltar eine Kirche der Armen schaffen könnte. Die Kirche der Armen, die wirkliche Kirche der Armen, ist nicht die falsche Demut der Holzaltäre und Eisenkreuze, sondern das sind die gotischen Kathedralen, jene prachtvollen Meisterwerke der Baukunst im Dienste des Herrn, die von den Armen und für die Armen gebaut worden sind, und immer am meisten von den Armen geliebt wurden und ihnen zur bildreichen und wortlosen Inspiration gereicht haben.

Wohlhabende Liturgieprofessoren erklären uns, wie ihr geistliches Vorbild, von dem oben im Evangelium die Rede war, man solle auf Pracht und Prunk verzichten, und das Geld lieber den Armen geben. Progressistische, modernistische Theologen und ihre Anhänger in der Kirchenhierarchie reden uns dies seit Jahrzehnten ebenfalls ein. Doch das wahre Geschenk an die Armen sind nicht die dreißig Silberstücke, die man durch die Auslieferung des Heiligen bekommt, nicht die dreihundert Denare, die man durch minimalistische Feier der Heiligen Geheimnisse womöglich unter die Armen ausschütten könnte.

Das wahre Geschenk an die Armen ist das Hochheilige Messopfer, durch das die Erlösung, die Gnade Gottes, an sie ausgeschüttet wird, und die ewige Schau des Herrn von Angesicht zu Angesicht im Himmel, zu dem diese Gnade führt, wenn sie denn gläubig angenommen wird.

Das wahre Geschenk an die Armen ist der Herr. Dominus est – es ist der Herr, heißt ein Büchlein von Weihbischof Athanasius Schneider, das zwar hauptsächlich mit anderen liturgischen Fragen beschäftigt ist, aber den richtigen, katholischen Geist verströmt, und daher von höchster Wichtigkeit ist, gerade in dieser Zeit, in dem der Antiliturgismus, die Bilderstürmerei, die Ablehnung wertvoller und wichtiger Zeichen und Symbole, bis in die höchsten Positionen der Kirche tragischerweise Einlass gefunden hat.

Lassen wir uns von diesen Irrtümern, die bis auf Judas zurückgehen, nicht beeindrucken, sondern setzen wir uns für die ehrfürchtige, würdige, und prachtvolle Feier der göttlichen Liturgie ein, die eben mehr ist als nur ein weltliches Fest, das ggf. hinter wirtschaftlichen Erwägungen zurückzustehen hätte.

Es ist ein schlimmer Irrtum, Demut und Bescheidenheit gegen die würdige Feier der göttlichen Geheimnisse auszuspielen, so als ob die Braut Christi sich nicht mehr für ihren Bräutigam schmücken sollte, wenn die Gelegenheit dies nahelegt, damit sie prahlen kann, sie sei ja so demütig und solidarisch mit den Armen.

Erzbischof Müller: Keine Verhandlungen über den Glauben

In dem bereits gestern angesprochenen Interview hat Erzbischof Müller erklärt, weitere Gespräche mit der Piusbruderschaft seien nicht erforderlich, weil es keine Verhandlungen über den Glauben geben dürfe. Der Erzbischof sagt wörtlich:

„Wir können den katholischen Glauben nicht den Verhandlungen preisgeben. Da gibt es keine Kompromisse.“

Ich möchte dem Erzbischof an dieser Stelle zu seiner hellsichtigen Klarheit gratulieren. Seine Stimme ist wahrhaft ein leuchtendes Beispiel für verwirrte Seelen in aller Welt. Über den Glauben darf man nicht verhandeln. Er steht nicht zur Disposition. Wer also etwa, wie Erzbischof Müller, in einer Abhandlung über Dogmatik erklärt, man solle manche Dogmen, wie die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens, einfach uminterpretieren, so dass sie praktisch nur noch symbolisch gemeint sind, und nicht mehr unbedingt auch über die körperliche Jungfräulichkeit der Gottesmutter sprächen, der sollte sich diese starken Worte zu Herzen nehmen: Es gibt keine Verhandlungen über den Glauben. Am Glauben gibt es nichts herumzukritisieren, umzuinterpretieren oder anzupassen. Was die Kirche lehrt, das lehrt sie. Wenn das für die Aussagen eines Pastoralkonzils gilt, dann gilt das sicher auch für eindeutig definierte Glaubenswahrheiten.

Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: Manchmal gibt es Kirchenvertreter, wie Erzbischof Müller, die sich anmaßen, etwa mit schismatischen Gruppen über den Glauben zu verhandeln, oder doch mindestens durch symbolische Gesten deutlich zu machen, dass die Glaubensdifferenzen keine Rolle mehr spielen sollen. Ich habe gehört, dass es auch einen deutschstämmigen Bischof in Italien geben soll, der sich zu der These verstiegen haben soll, schismatische Gruppierungen bräuchten nicht mehr zur Kirche zurückzukehren. Das, was dieser Bischof „Rückkehrökumene“ nannte, sei nicht der richtige Weg. Der Name dieses Bischofs, Ratzinger, ist wohlbekannt, und er ist derzeit der Bischof von Rom. Den leuchtend klaren Worten des Erzbischofs Müller, jenes unerschrockenen Hüters des Wahren Glaubens, ist hier wirklich nichts hinzuzufügen. Es darf keine Verhandlungen über den Glauben geben. Wer den Glauben nicht vollumfänglich annimmt, der kann uns gestohlen bleiben. Wer sich von der Kirche getrennt hat, wie diese traditionalistischen Piusbrüder, oder natürlich auch die schismatische evangelische „Kirche“, der muss erst einmal das Konzil anerkennen, und das bedeutet auch die Suprematie des Römischen Papstes. Danach, erst danach, können wir reden.

Weiter im Text. Auch hinsichtlich des Verhältnisses zu den Juden sprüht die Einsicht des Erzbischofs Müller einen Geist, der an Klarheit nichts vermissen lässt. Auch die Juden sollen erst einmal den Glauben der Kirche anerkennen, bevor wir mit ihnen verhandeln. Manche, darunter wieder einmal der oben erwähnte Bischof von Rom und Erzbischof Müller, haben sich ja sogar zu der Aussage verstiegen, die Bekehrung der Juden sollte nicht mehr aktiv angestrebt werden. Erzbischof Müllers Diktum wendet sich entschlossen gegen diese Auffassung. Es gibt keine Verhandlungen über den Glauben. Die Juden haben nicht den katholischen Glauben. Verhandlungen sollte es nicht geben, bevor diese falsche Religion sich nicht bekehrt.

Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, wie bei so manchem zweifelhaften Treffen, das von Erzbischof Müller positiv gesehen wird, etwa in Assisi, dass alle Religionen gleichwertig seien. Denn der Glaube ist unantastbar und steht nicht zur Disposition, wie Erzbischof Müller mit strahlender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen vermag. Die Kirche lehrt aber, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Damit muss man jeden Eindruck vermeiden, als ob sich die Kirche gleichberechtigt neben die ungläubigen Heiden im Kampf für einen bloß weltlichen „Freiden“ stelle. Die Heiden sollen sich lieber erst einmal bekehren und den Glauben der Kirche annehmen. Danach können wir reden.

Die leuchtend klaren Worte des Erzbischofs strahlen das Licht entschlossener Handlungsbereitschaft in eine dunkel werdende Welt.

Allerdings gelten die scharfen Worte des Vorsitzenden der Glaubenskongregation nur den Piusbrüdern, jener ultra-häretischen unkatholischen Gruppierung, die sich anmaßt, den Glauben der vorkonziliaren Päpste nicht den Auffassungen eines Pastoralkonzils anzupassen, wenn ihnen dort Widersprüche zu bestehen scheinen. Alle anderen Gruppen, die das Konzil nicht anerkennen – Protestanten, Orthodoxe, Juden, Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Atheisten, Agnostiker, Marxisten, Freimaurer, Voodoo-Schamanen und viele mehr – können sich freundlicher Verhandlungsbereitschaft sicher sein. Man empfängt sie mit offenen Armen. Man verhandelt mit ihnen über alles. Man lässt sie in katholischen Gotteshäusern ihre Götzen anbeten oder ihre heidnischen Rituale abhalten. Man betrachtet sie als wunderbare Partner in der Welt zur Errichtung eines weltlichen Friedens und des Paradieses auf Erden. Man hofiert sie in jeder Beziehung. Meist verzichtet man aus Höflichkeit sogar darauf, sie auf die Irrtümer ihrer falschen Religionen hinzuweisen, so dass der Eindruck entsteht, die Kirche halte diese Religionen gar nicht mehr für falsch.

Das alles ist bloß Ökumene, interreligiöser Dialog, Dialog mit den „Nicht-Glaubenden“. Doch es wäre eine ganz andere Dimension, wenn man eine offen anti-katholische, anti-kirchliche, anti-päpstliche Sekte wie die Piusbruderschaft durch Gespräche legitimieren würde. Das wäre wirklich untragbar. Die Kirche muss nämlich bekennen, dass es über den Glauben keine Verhandlungen geben darf. Der Glaube ist nicht verhandelbar und nicht antastbar. Er steht nicht zur Disposition, sagt Erzbischof Müller.

Luther ja – Lefebvre nein!

Jetzt ist es also soweit (lange habe ich es schon erwartet): Der neue Glaubenspräfekt der katholischen Kirche, dessen Anhänglichkeit an das Konzil als Superdogma ja nicht erst seit gestern bekannt ist, hat erklärt, es werde keine weiteren Gespräche mit der Piusbruderschaft geben, weil es keine Kompromisse im Glauben geben könne. Bei kath.net heißt es:

«Wir können den katholischen Glauben nicht den Verhandlungen preisgeben. Da gibt es keine Kompromisse», fügte Müller laut NDR hinzu. Man werde in der Glaubenskongregation in Einheit mit dem Papst nun das weitere Vorgehen beschließen. Müller stellte klar, dass das Zweiten Vatikanische Konzil (1962-1965) nicht im Gegensatz zur gesamtkirchlichen Tradition stehe. «Es gibt keine Ermäßigungen, was den katholischen Glauben angeht, gerade wie er auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil gültig formuliert worden ist.»

Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Erzbischof Müller das letzte Konzil in allen seinen Aussagen zum Dogma erheben möchte. Die Piusbruderschaft erkennt die ganze Lehre der Kirche bedingungslos und aus Überzeugung an, abgesehen von einigen Aussagen des letzten Konzils und den daraus abgeleiteten Innovationen. Wenn es also unüberbrückbare Differenzen „im Glauben“ gibt, die weitere Gespräche überflüssig machen, dann müssen diese von der Piusbruderschaft abgelehnten Textpassagen des Konzils verbindliche, dogmatische Glaubensaussagen darstellen.

Natürlich hat die Kirche diese strittigen Passagen niemals als dogmatische Lehrsätze festgeschrieben. Im Gegenteil: Das Konzil selbst, und die nachkonziliaren Päpste haben immer daran festgehalten, dass es sich um ein „Pastoralkonzil“ gehandelt habe, das keine neuen Glaubenssätze definiert habe. Seit dem Konzil vertreten die Päpste faktisch eine Hermeneutik der Kontinuität, auch wenn erst Papst Benedikt XVI. diese Formulierung zu wählen begonnen hat. Der Glaube sei nicht fundamental verändert worden. Es bestehe Kontinuität zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Zeit. Einen Bruch, so hieß es, habe es nicht gegeben.

Nun, wenn es keinen Bruch im Glauben gegeben hat (wie der Erzbischof ja selbst in dem Interview behauptet), dann ist der Glaube von 1962 auch noch der Glaube von 2012. Und damit müsste die Piusbruderschaft, die an dem Glauben von 1962 festhält, auch 2012 noch dem Glauben der Kirche entsprechen. Wenn man vorkonzilare Schriften liest, von Enzykliken bis hin zu Katechismen, dann stellt man immer wieder fest, dass dort nichts anderes steht, als was man heute noch in den Schriften der Piusbrüder lesen kann. Und wenn ein einfacher Katholik wie Konrad Adenauer heute eine Kapelle der Piusbruderschaft aufsuchen könnte, dann würde er die dortige Messe sofort wiedererkennen. Was er über die real existierende „Neue Messe“ sagen würde, möchte ich eigentlich gar nicht wissen. Es bräuchte vermutlich viele Erklärungen, bevor er in ihr den Katholizismus, den er als kleines Kind gelernt hat, wiedererkennen würde.

Machen wir etwas Logik:

1. Es hat beim Konzil keinen Bruch im Glauben gegeben. (Aussage des Papstes zur „Hermeneutik der Kontinuität“)

2. Wenn es keinen Bruch im Glauben gegeben hat, dann ist der Glaube der Kirche vor dem Konzil genauso katholisch wie der Glaube der Kirche nach dem Konzil.

3. (aus 1 und 2) Der Glaube der Kirche vor dem Konzil ist genauso katholisch wie der Glaube der Kirche nach dem Konzil.

4. Die Piusbruderschaft lehrt denselben Glauben, den die Kirche vor dem Konzil gelehrt hat.

5. (Aus 3 und 4) Der Glaube der Piusbruderschaft ist genauso katholisch wie der Glaube der Kirche nach dem Konzil.

Wenn nun also Erzbischof Müller Aussage 5 leugnet, indem er sagt, es seien keine weiteren Gespräche mit der Piusbruderschaft erforderlich, weil es beim Glauben keine Kompromisse geben könne, dann muss er eine der Prämissen (1,2 und 4) leugnen. Denn eine durch einen gültigen logischen Schluss gewonnene Konklusion ist wahr, genau dann, wenn die Prämissen wahr sind. Der obige logische Schluss ist gültig. Also ist er genau dann wahr, wenn die Prämissen wahr sind.

Sind die Prämissen wahr? Dass die Piusbruderschaft denselben Glauben lehrt wie die vorkonziliare Kirche, ist unmittelbar offensichtlich. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man sich mit den Schriften der Piusbruderschaft beschäftigt. Was dort steht, ist nichts anderes, als was die Kirche immer gelehrt hat. Satz 4 ist also wahr.

Die Wahrheit von Satz 2 ergibt sich aus der Bedeutung des Wortes Bruch.

Damit ist noch Prämisse 1 übrig. Der Erzbischof sagt in dem oben zitierten Textabschnitt eindeutig, dass das Konzil in Kontinuität zur gesamtkirchlichen Überlieferung stehe. Wenn sich diese Prämisse aber als wahr erweist, wie der Erzbischof behauptet, so ist auch die Konklusion (Satz 5) wahr. Nur wenn sich die Prämisse als falsch erweist, kann die Konklusion (Satz 5) falsch sein. Doch Erzbischof Müller leugnet Satz 5. Er sagt, Gespräche mit der FSSPX seien sinnlos, weil man keine Kompromisse im Glauben machen könne. Die Piusbrüder haben gesagt, dass sie von ihrer ablehnenden Haltung bestimmter Konzilspassagen nicht abrücken werden. Wenn diese Konzilspassagen dogmatische Glaubenssätze sind, dann machen weitere Gespräche mit der FSSPX wirklich keinen Sinn. Solange sie nicht den ganzen Glauben anerkennen, braucht man nicht unnötig Papier zu füllen und zu schwätzen. Das ist eine wunderbare Einsicht, die den heutigen Kirchenvertretern hinsichtlich der sogenannten Ökumene allzu oft fehlt. Dafür gebührt Erzbischof Müller ein großes Lob.

Doch seine ganze Argumentation, warum man mit der FSSPX nicht weiter zu verhandeln brauche, basiert auf der Prämisse, dass die von der FSSPX abgelehnten Konzilspassagen dogmatische Glaubenssätze seien. Wenn es sich nur um pastorale Aussagen handelt, die für ihre Zeit Gültigkeit besitzen mögen, die aber durchaus nicht zum Glaubensgut im engen Sinne gehören, dann kann man diese Aussagen durchaus ablehnen, und auch offen als falsch kritisieren, ohne sich dadurch eines Defizits im „Glauben“ schuldig zu machen.

Doch für Erzbischof Müller müssen die Piusbrüder alle Aussagen des Konzils anerkennen, um in die volle Gemeinschaft der Kirche zurückkehren zu können. Das Konzil ist für ihn also der zentrale Markstein für die Zugehörigkeit zum katholischen Glauben. Wer das Konzil auch nur in einzelnen Passagen für falsch hält, der gehört nicht dazu, und mit dem braucht man auch gar nicht zu verhandeln, bis er den Irrtum seiner Wege einsehend um Einlass in die Kirche bittet und seinen Irrlehren widersagt.

Damit behandelt er das ganze Konzil als Dogma. Es ist das größte je formulierte Dogma der Kirchengeschichte; das Superdogma eben. Die Mutter aller Dogmen. Ein Dogma, mit dessen Textausgabe man jemanden buchstäblich erschlagen kann. Waren Dogmen früher klar und eindeutig formulierte Lehrsätze, so sind sie heute unübersichtliche Textmassen weitschweifiger, ungelenker, fortschrittsoptimistischer Soziologenprosa.

Damit leugnet er offenbar auch Prämisse 1 (dass es beim Konzil keinen Bruch im Glauben gegeben habe), wie man aus der obigen logischen Analyse entnehmen kann. Der Erzbischof behauptet, es habe keinen Bruch gegeben, doch seine Haltung gegenüber der FSSPX setzt logischerweise die Annahme eines solchen Bruchs voraus.

Wenn man einen einfachen, gläubigen Katholiken von 1950 in eine Zeitmaschine setzen und in die heutige Zeit transportieren könnte, dann wäre er nach dieser Auffassung kein guter Katholik mehr, sondern einer, der den wahren Glauben nicht hat. Er wäre, da der wahre Glaube nach der Lehre der Kirche heilsnotwendig ist, faktisch in der Gefahr des ewigen Todes, sobald der freundliche Erzbischof ihm die neuen Dogmen erklärt hat, und der Zeitreisende damit nicht mehr in unverschuldetem Irrtum verharrt.

Wenn diese Auffassung stimmt, dann gab es auf dem Konzil sehr wohl einen Bruch, und dieser Bruch ging über Äußerlichkeiten und zeitbedingte Erscheinungsformen weit hinaus. Das ist es aber, was die Piusbrüder und Erzbischof Lefebvre immer behauptet haben.

Nun soll also nach dem Willen von Erzbischof Müller nicht mehr katholisch sein, was bis zum Konzil immer katholisch war, obwohl es angeblich keinen Bruch gegeben habe…. Das geht aber nur, wenn die Wahrheit sich ändern kann. Wenn der wahre, ganze Glaube vor dem Konzil heute plötzlich ernsthafte Irrtümer beinhaltet, oder ihm entscheidende Teile fehlen. Eine solche Veränderlichkeit der Wahrheit ist explizit als Modernismus verurteilt worden.

Der offensichtliche Schluss wäre, dass Erzbischof Müller eine modernistische Auffassung von der katholischen Wahrheit hat: sie vermag sich zu ändern, wenn ein Pastoralkonzil das so beschließt. Hier liegt dann auch der Unterschied zur Piusbruderschaft, die eindeutig bekennt, was alle Päpste bis zum Konzil immer bekannt haben: Dass die Wandlung in der Messe eine echte Transsubstantiation ist, dass die Gottesmutter nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich Jungfrau ist, dass der wahre Glaube sich nicht ändern kann, usw.

Aber wir sollten nie vergessen, dass die Piusbruderschaft das Superdogma nicht anerkennt und daher eine indiskutable, quasi-häretische Gruppe darstellt, mit der man nicht zu reden braucht, während man eifrig katholische Wahrheiten unter den Tisch kehrt, um sich bei den schismatischen Gefolgsleuten Luthers anzubiedern.

Mut zum Patriarchat

Wir leben in der „vaterlosen“ Gesellschaft. Wenn es ein Merkmal gibt, das unsere moderne, westliche Gesellschaft sowohl von ihrem Wesen her als auch in vielen ihrer individuellen Ausprägungen treffend zu charakterisieren vermag, dann ist es wohl die Vaterlosigkeit.

Wir haben uns seit der Französischen Revolution von der Monarchie als normaler Staatsform verabschiedet. Die noch verbliebenen europäischen Monarchen sind eigentlich Aushängeschilder ohne echte politische Macht. Sie hängen von der Gnade gewählter Parlamentarier ab, die sie jederzeit endgültig abschaffen könnten, wenn ihnen gerade danach wäre. Wir haben die Könige praktisch kastriert, wenn wir sie nicht gerade im Eifer aufklärerischer Befreiung aufgeknüpft, oder, nach dem berühmten Vorschlag des Voltaire*, mit den Innereien des letzten Priesters erdrosselt haben. Der Fachbegriff dafür ist Demokratisierung.

Der Kampf gegen den Vater als Haupt der Familie ist durch den modernen Feminismus weitgehend erfolgreich abgeschlossen worden. Der Sirenengesang der Ideologie hat Millionen Frauen dazu verführt, mehr ihrer „Selbstverwirklichung“ nachzuhängen, als ihrer unverzichtbaren Rolle als Herz ihrer Familie. Zugleich ist durch den innerfamiliären Egalitarismus eine Generation von Männern herangezogen worden, die ihre Rolle als Haupt der Familie, als echter Vater, gar nicht mehr wahrnehmen kann, weil ihr dazu die charakterliche Stärke fehlt. Die traditionelle Familie ist längst kein Leitmodell mehr; in vielen Landesteilen hat sie bereits den Charakter einer ungeliebten Seltsamkeit. Der Vater ist höchstens noch eine Lachfigur. Immer mehr Kinder wachsen, mit teils schwerwiegenden Folgen, ohne Vater auf.

Auch in der Kirche ist der Vater nicht mehr Gegenstand hohen Ansehens. Väter gibt es in der Kirche viele – angefangen beim Heiligen Vater. Aber auch der einfache Pfarrer oder Pastor ist durch seinen priesterlichen Dienst der geistliche Vater seiner Gemeinde. Die katholische Kirche hat kaum noch priesterliche Berufungen. Viele Priester beschäftigen sich lieber mit Ungehorsamsaufrufen, statt sich um das Wohl ihrer geistlichen Kinder zu kümmern. In der breiteren Gesellschaft, aber auch unter Katholiken, ist eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Feindseligkeit gegenüber Priestern längst hoffähig geworden. Die Rolle der Priester soll immer weiter eingeschränkt werden. Laien, auch Frauen, sollen viele der Tätigkeiten übernommen, die traditionell Klerikern, geistlichen Vätern, vorbehalten waren. Selbst die Gemeindeleitung wird inzwischen zunehmend von Laien übernommen, weil es an Priestern mangelt, aber auch weil die Ideologie es so will.

Über aller Vaterlosigkeit der modernen Gesellschaft steht als Wurzel des Übels die eine Vaterlosigkeit, von der alle weltliche Vaterlosigkeit ihren Namen hat: Die Abwesenheit Gottes, sozusagen des ultimativen Vaters, in den Herzen der Menschen. Nicht, dass die Mehrheit überhaupt nicht mehr an Gott glauben würde – weit gefehlt. Umfragen zeigen immer wieder, dass die meisten Menschen an irgendwelche schattenhaft vorgestellten übernatürlichen Wesenheiten glauben, und immer noch mehr als 50% bringen diese diffusen Vorstellungen in Verbindung mit dem Wort „Gott“. Doch der christliche Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist dem modernen Menschen definitiv zuviel.

Dabei ist auffällig, dass der Sohn, Jesus Christus, immer noch eine gewisse sentimentale Zuneigung hervorruft. Selten wird er abgelehnt, meist möchte man ihn eher vereinnahmen. Als netten Menschen ist man bereit ihn zu tolerieren, solange er sich wohlfeil verhält, und nicht aus der Rolle fällt. Auch der Heilige Geist ist nicht allzu unpopulär. Aber der Vater? Der mit den ganzen Geboten? Der, von dem alle Autorität auf Erden stammt?

Die moderne westliche Gesellschaft flüchtet vor dem Himmlischen Vater und allen kleinen, weltlichen, irdischen Vätern, die einen winzigen Teil seiner Vaterschaft übertragen bekommen haben. Sie führt einen Stellvertreterkrieg gegen echte, starke Väter in Politik, Gesellschaft und Familie, weil wir an den einzig wahren Vater nicht herankommen. Wir spucken auf die Abbilder, weil das Urbild unerreichbar ist.

In dieser Situation braucht der Christ „Mut zum Patriarchat“. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bezeichnet die Herrschaft des Vaters. Die ganze Schöpfung ist ein riesiges Patriarchat: Gott-Vater hat sie geschaffen und er regiert sie bis heute, auch wenn die Menschen gegen ihn rebelliert haben und dies mit Freuden immer noch tun.

Auch die Kirche ist ein Patriarchat. Das wahre Oberhaupt der Kirche ist der himmlische Vater. Der bis in den Tod gehorsame Sohn hat sie gestiftet, und alles was der Sohn tut, kommt vom Vater. Vom Sohn hat Petrus, der Fels, die Leitung der Kirche übertragen bekommen. Bis heute ist das sichtbare Oberhaupt der Kirche der geistliche Vater aller Katholiken und sie sind gerufen, der legitimen Autorität dieses Vaters zu gehorchen. Die Kirche ist keine egalitäre, sondern eine patriarchalische Institution.

Das ist kein Vorwurf, sondern ein Kompliment.

Dasselbe gilt für die Familie. Auch sie ist nicht egalitär, sondern patriarchalisch. Auch in ihr ist der Vater das Haupt. Er vertritt mit seiner väterlichen Autorität die väterliche Autorität Gottes. Die Familie ist bekanntlich immer auch eine kleine Kirche (ecclesiola) und wie in der „großen“ Kirche gibt es in ihr geistliche Autorität, Hierarchie und Leitung.

Auch das ist kein Vorwurf, sondern ein Kompliment.

Im Staat ist prinzipiell auch eine demokratische Regierungsform legitim; es gibt hierzu keine verbindliche lehramtliche Festlegung. Trotzdem kann man wohl kaum leugnen, zumindest als Ideal, dass der katholische Monarch eine Figur ist, die sehr gut in die hier beschriebene patriarchalische Ordnung passt. So wie der göttliche Vater seine Schöpfung und der Heilige Vater seine Kirche und der Familienvater seine Familie zu leiten hat, so obliegt auch dem katholischen Monarchen die Leitung seines Volkes. Das Ausmaß der Autorität, und ihre jeweils konkrete Ausprägung variiert natürlich mit den Aufgaben, die ihr übertragen sind, doch immer bleibt es eine Autorität, und nie ist diese Autorität unpersönlich-neutral, sondern persönlich, väterlich, nach dem Bilde Gottes.

Alle Autorität kommt von Gott – man kann sie missbrauchen, doch selbst dann kommt sie noch von Gott. Selbst wenn man dem Träger dieser Autorität aufgrund des Missbrauchs den Gehorsam verweigern muss. Und weil sie von Gott kommt, und weil Gott Vater ist, ist Autorität ihrer Natur nach väterlich. Deswegen spricht man ja auch von „Herrschaft„. Selbst die Feministen sprechen nicht von „Frauschaft“ oder „Damenschaft“.

Nun ist es ein ganz besonderes christliches Faktum, dass jede Herrschaft immer eigentlich Dienst ist. Gott ist hier wieder das Urbild. Wir, seine Geschöpfe, sündigen, beleidigen und verhöhnen ihn. Und was tut er? Ja, er straft uns. Er ist ein gerechter Gott, und Strafe muss sein. Doch er tut mehr. Er schickt seinen eigenen Sohn. Gott selbst nimmt Menschengestalt an, demütigt sich, entäußert sich, lässt sich zu Tode foltern und ans Kreuz schlagen, besiegt den Tod und öffnet uns den Weg zurück zu ihm. Er ist der Herr. Doch als guter Herr opfert er sich für seine Diener.

Weil alle Autorität väterlich ist und von Gott kommt, ist jeder Vater, jeder, der Autorität hat, dazu gerufen, sich ebenso zu verhalten. Auch er soll sich hingeben für seine „Diener“. Auch er soll nicht um seines eigenen Vorteils willen herrschen, sondern für die seiner Herrschaft oder Autorität anvertrauten Personen. Auch er soll sich demütigen und entäußern, wenn sich dies als notwendig erweist.

So ist ein Christliches Patriarchat nicht einfach die Herrschaft der Väter, sondern auch die Herrschaft der Diener.

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* Anmerkung: Ich wurde in einem Kommentar darüber aufgeklärt, dass der Satz ursprünglich gar nicht von Voltaire stammt, sondern von einem katholischen Priester (!) namens Jean Meslier, der materialistische und atheistische Religionskritik schrieb. Anscheinend ändern sich die Zeiten nie… Solche Priester hatten wir schon immer.

Vom Dialog der Schattenkirche

Es folgt: „Catocon sah Tiere – Ernsthaftigkeit voller Ernst“

Erzbischof Zollitsch – der Leser weiß, was kommt, wenn auf diesem Blog der Name des freundlichen, liebenswürdigen, schwäbischen Märchenonkels aus dem heutigen Serbien genannt wird – kündet, wie kath.net zu berichten weiß, derzeit von den gar erbaulichen Ergebnissen des deutsch-katholischen Dialogprozesses, in dem hauptsächlich verbandskatholische Neo-Reformatoren über die weitere Protestantisierung der geschundenen Mutter Kirche zu beraten unternehmen.

Natürlich braucht man weder den Artikel auf kath.net noch irgendeinen anderen Bericht zum Thema zu lesen. Man weiß ohnehin schon, worin die angepriesenen Ergebnisse bestehen. Natürlich soll weiter beraten werden. Dialog ist ein Instrument zur Schaffung von Dialog, und jede Institution tendiert dazu, sich selbst immer neue Aufgabenfelder zu schaffen, um Fortbestand, Expansion und Finanzmittel zu sichern.

Doch es gibt immerhin eine atemberaubende neue Entwicklung im Gleichklang der revolutionären Graubärtinnen und Graubärte, die im Stuhlkreis tanzend das immergleiche Lied vom Aufbruch verkrusteter Strukturen in eine Neue Zukunft von Kirche singen. Es soll nun nicht mehr nur geredet und verhandelt und gesprochen und diskutiert – offen und ehrlich und ohne Denkverbote, versteht sich – sondern endlich auch gehandelt werden. Die verbandskatholische Armada bereitet sich vor, in See zu stechen. Der Stapellauf der neuen Reformagenda ist in vollem Gange. Bald wird das Schiff der Kirchenreform in gewohnter Manier den starren, überholten, mittelalterlichen, feudalistischen Strukturen den Kampf ansagen, die (durch ihr Festhalten an Zölibat und Sündhaftigkeit der Homosexualität) männliche Priester im Alleingang dazu gebracht haben, sich an vorwiegend männlichen Jugendlichen zu vergehen, indem sie ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen frei und ohne falsche Hemmungen und Schuldgefühle ausleben. Und dann werden die Gewohnheitsreformatoren aller Geschlechter die längst überfällige Reform der verkrusteten Strukturen anpacken. Gehhilfen für alle! Sie werden die Flotte der Reaktionäre aufbringen und ihre Schiffe entern. Mit ihren Gehstöcken werden sie den Widerstand der dunklen Krustenkatholiken brechen und die offenen Türen der hinterwäldlerischen Kirchenhierarchie einreißen, und Licht von Freiheit wird in Kirche neue Funken schlagen, und ein Neuer Frühling des Aufbruchs bricht an und bricht aus und bricht mit Rom.

Die Dialoggespräche im verfahrenen Dialogprozess haben, wie gesagt, im immerwährenden Gleichklang des Fortschritts eine neue Dimension erreicht. Wie der Erzbischof Zollitsch verkündet, soll nun, wie schon angedeutet, nicht mehr nur gesprochen und geredet werden, sondern es soll einen Studientag geben, auf dem, wie der Name schon sagt, studiert werden soll. Gehhilfen für alle! Dies ist der Aufbruch des Aufbruchs, der Anfang vom Ende der muffigen Kirchenhierarchie, die sich unter seit Jahrzehnten nicht mehr getragenen Soutanen nicht länger verstecken kann.

Denn jetzt werden die Bleistifte gespitzt und es wird studiert. Was wird studiert? Die Rolle der Frauen in Kirche. Es soll auch mehr „Frauen in Führungspositionen“ in Kirche geben. So spricht und verspricht es zumindest der freundliche Erzbischof von Freiburg. Da „Führungspositionen“ in der katholischen Kirche priesterlicher Natur sind, ist wohl von der Befreiung des Diakonats und/oder Priestertums vom patriarchalischen Dunkelkatholizismus die Rede.

Ob Kristina Schröder und Ursula von der Leyen bereits damit beauftragt worden sind, für diese aufregende neue Idee die passende Frauenquote festzulegen? Gehhilfen für alle!

Immerhin kann wieder einmal konstatiert werden, dass der mutige Schritt der deutschen Schattenkirche unter Papst Dialogos I. so unerhört mutig und revolutionär und aufbrecherisch ist, dass er in seiner ganzen Unerhörtheit ungehört zu bleiben gezwungen ist, weil heimtückische Dunkelkatholiken, wie der radikale ultra-traditionalistische, beton-konservative Patriarchenpapst Pius XIII. Johannes Paul II., im Mittelalter, im vergangenen Jahrtausend, sich in ihrem längst veralteten Dogmatismus angemaßt haben, für alle Zeiten zu bestimmen, dass die Frau in demütigender Abhängigkeit und Minderwertigkeit zu halten ist, indem man ihr die gleiche Teilhabe am Priesteramt in derselben Form verwehrt, in der es schon der unverbesserliche Sexist Jesus von Nazareth zur dauerhaften Unterjochung der Frau bestimmt haben soll (wenn man einmal den nachträglich erfundenen Geschichten über Jesus glauben will, die eine patriarchalische Kirche in tyrannischer Weise diesem Wanderprediger in den Mund gelegt hat).

Diese Gesamtthematik soll nun, hoffentlich aus aufklärerisch-feministischer Sicht, studiert werden. Glücklicherweise steht das Ergebnis schon vorher fest und ist sicher in ideologische Worthülsen verpackt, so dass keine „rationale“ Beschäftigung mit dem Thema droht. Gehhilfen für alle! Diese wäre auch in hohem Maße desaströs, weil in dem treibhausartigen Klima der ängstlichen Unterdrückung, das besonders der bissige Schäferhund Ratzinger in Kirche wieder erzeugt hat, nur die übliche, sozial-konstruierte phallozentrische Perspektive zu Wort kommen könnte, bloß weil alle anderen Perspektiven sich von logozentrischen Betrachtungsweisen abgrenzen, um alternativen Stimmen Gehör zu verschaffen und der Kontamination durch fremdartige Partikel zu trotzen, die von traditionalistischen Hinterwäldlern als „Argumente“ bezeichnet werden.

Die Ergebnisse des Dialogprozesses werden in die Geschichte als der Tag eingehen, an dem der Aufbruch endlich angebrochen und die Kirche endlich abgebrochen wurde, wenn das energische Signal, das seit Jahren und Jahrzehnten um die Stühle kreist, nicht als Ende, sondern als Anfang einer beständigen Diskontinuität der Reform gesehen wird. Das ist an diesem historischen Wendepunkt, in dieser denkunwürdigen historischen Stunde, besonders bedeutsam. Gehhilfen für alle! Wir müssen im Geist des Konzils den Geist des Dialogprozesses suchen und finden, auf dass eine Neue Kirche werde, und das alte Modell, das nicht von aufgeklärten, modernen, emanzipierten Frauen aller Geschlechter, sondern von einem hinterwäldlerischen Zimmermann aus einem winzigen, rückständigen Dörfchen irgendwo in Palästina gegründet worden ist, und daher nicht mehr in unsere Zeit passt, endlich zu Grabe getragen wird, und seine verdiente ewige Ruhe auf dem Müllhaufen der Geschichte findet, nachdem es auf dem Altar der Politischen Korrektheit ohne Weihrauch (nach Empfehlung des Liturgieprofessors) geopfert worden ist.

Fühlt ihr auch den frischen Atem, den unsere Kirche ausströmt, wenn sie alles mutig nachbetet, was der Rest der Welt seit Jahrzehnten fordert, und dadurch ganz neue Akzente setzt, die allein den wahren Aufbruch verbürgen können? Und Gehhilfen für alle natürlich! Öffnet die Fenster und lasst die Frische Luft des Neuen Frühlings in unsere Kirche hinein und unterstützt enthusiastisch die neuen Ergebnisse und Forderungen des sechshundertsechsundsechzigsten Aufgusses des guten alten Dialogs und seiner Unheiligkeit, Papst Dialogos I. und seiner derzeitigen Lebensgefährtin und Mitpäpstin Julia I.

Ahoi, Genossinnen und Genossaußen!

Was uns verbindet…

… ist hinsichtlich der katholischen Kirche und den anderen christlichen Gemeinschaften nach Auffassung von Kardinal Kasper weitaus wichtiger als das, was uns trennt. So ist es einem Artikel von kath.net zu entnehmen. Es folgen wie üblich in roter Schrift einige Kommentare zu diesem Artikel:

Der ökumenische Dialog befindet sich nach den Worten von Kurienkardinal Walter Kasper in einer schwierigen Phase. (Ach, wirklich? Ich dachte immer, alles liefe wundervoll, weil der Papst die Ökumene ja zur „Chefsache“ erklärt haben soll.) «Gegenwärtig deutet leider manches auf eine Verschlechterung des ökumenischen Klimas hin», schreibt der frühere Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen im Vorwort zu seinem demnächst erscheinenden Buch «Wege zur Einheit der Christen». (Ich kenne nur einen Weg zur Einheit der Christen, und der besteht in der Rückkehr der schismatischen Gemeinschaften in den Schoß der Heiligen Mutter Kirche! Man mag das diplomatischer formulieren, doch letztlich geht daran kein Weg vorbei.) Auszüge aus dem Text veröffentlichte die Wochenzeitung «Die Zeit» (Donnerstag). Kasper betont darin die Vielzahl theologischer Differenzen zwischen den Konfessionen. «In Wirklichkeit wird mehr und mehr deutlich, dass Unterschiede nicht nur in wichtigen Einzelfragen bleiben.» Das gelte sowohl mit Blick auf die orthodoxen wie die reformatorischen Kirchen. (Doch wohl deutlich stärker im Falle der evangelischen Gemeinschaften, da Katholiken mit den Orthodoxen gerade im liturgisch-sakramentalen Bereich sehr viele Gemeinsamkeiten haben, die gegenüber den meisten protestantischen Gemeinschaften einfach nicht bestehen.)

Noch so feinfühlige Formulierungen in Ökumeneerklärungen änderten nichts daran, dass etwa evangelische Christen ein grundlegend anderes Kirchenverständnis hätten als Katholiken, schreibt Kasper. (Genau! Nichts gegen feinfühlige Formulierungen, aber wenn selbst der Oberökumeniker Kardinal Walter Kasper so spricht, dann weiß man, wie schief der ökumenische Haussegen hängt.) Vor der ökumenischen Bewegung liege noch eine schwierige Wegstrecke, «die wohl länger sein wird, als viele hofften». (Doch wo ist dann die Einsicht? Erwartet der Kardinal eine Rückkehr der anderen christlichen Gemeinschaften zur Kirche? Wohl eher nicht, denn er wendet sich ja bekanntlich gegen die sogenannte „Rückkehrökumene“. Doch wenn die nichtkatholischen „Konfessionen“ nicht zur Kirche zurückkehren, soll die Kirche dann den nichtkatholischen Konfessionen weiterhin Zugeständnisse machen, wie es seit dem Konzil mehr und mehr üblich geworden ist?) Gegenwärtig bilde sich angesichts der Schwierigkeiten der amtlichen Ökumene eine «liberale katholisch-evangelische Ökumene» heraus, «welche die Unterschiede überspringt und eigenmächtig ihren Weg geht». (Das ist natürlich abzulehnen. Doch folgt diese Entwicklung nicht notwendig aus dem weitgehenden Verschweigen der wahren Bedeutung der Unterschiede zwischen der Kirche und den diversen schismatischen Gruppen in der lehramtlichen Verkündigung seit dem Konzil? Wundert es den Kardinal, dass z.B. die meisten Laien glauben, sie könnten etwa das „gemeinsame Abendmahl“ feiern, wenn die Amtskirche sich seit Jahrzehnten darüber ausschweigt, dass der Herr im Allerheiligsten Sakrament des Altares wahrhaft und wesenhaft gegenwärtig ist? Nein, wenn die Amtskirche im Namen der Verhandlungsökumene über Jahrzehnte wesentliche Glaubenswahrheiten herunterspielt, dann sollte sie sich nicht wundern, wenn die nicht-amtliche Ökumene sie dann ganz beiseite lässt, um sich auf die brüderliche Einheit im Brotbrechen zu konzentrieren. Ähnlich verhält es sich bei vielen anderen ökumenischen Themen.)  Diese Strömung drohe jedoch früher oder später «im Aus» zu enden. Bei der Kircheneinheit lasse sich nichts erzwingen.

Die Spaltung der Christen bleibe nichtsdestoweniger ein Skandal, so Kasper. Jesus hat nur eine einzige Kirche gewollt.» (Und so hat er auch nur eine einzige Kirche eingerichtet, nämlich die katholische Kirche mit ihrem sichtbaren Oberhaupt, dem römischen Papst. Um die Spaltung der Christen zu überwinden, müssen daher die Christen, die sich von der Kirche gelöst haben, in dieselbe zurückkehren. Daran führt kein Weg vorbei. Doch warum fordert Kasper das nicht?) Aus seiner Sicht hat die Trennung der Konfessionen die tiefgreifende Säkularisierung aller Lebensbereiche besonders in Europa mitverursacht. (Natürlich führt die Trennung einzelner Gemeinschaften vom Leib Christi zu deren Fall in den Säkularismus. Die spannende Frage ist aber, warum die Katholiken zumindest seit 50 Jahren diesem Fall in ihren eigenen Reihen keinen ernsthaften Widerstand mehr entgegen setzen und sich stattdessen lieber damit beschäftigen, nicht mehr so schrecklich katholisch zu wirken.) Zumindest habe sich seit Jahrzehnten aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass die christlichen Konfessionen mehr verbinde als trenne. Heute gehe es vor allem darum, die gemeinsamen Fundamente des christlichen Glaubens zu sichern – den Glauben an Gott und Jesus, das Wirken des Heiligen Geistes und die Hoffnung auf das ewige Leben. (Das kann man so nicht sagen. Natürlich ist rein quantitativ die Ähnlichkeit zwischen überzeugten, traditionellen Katholiken und überzeugten, traditionellen Protestanten und Orthodoxen weitaus größer als die Unterschiede. Doch es gibt leider zwei große Einwände: Erstens haben die meisten schismatischen Gemeinschaften, wie etwa die EKD, längst den größten Teil der einstmals allgemein-christlichen Glaubensinhalte vergessen. Eine Einigkeit ist nicht einmal mehr in Fragen der Sittenlehre zu erzielen, und wann hat ein protestantischer Würdenträger zuletzt ein eindeutiges Bekenntnis zu Gott, zur Dreifaltigkeit, zum Wirken des Heiligen Geistes usw. geleistet, das nicht inhaltlich massiv vom katholischen Glauben abgewichen wäre? In der Praxis sind die Unterschiede zwischen Luther und dem glaubenstreuen Katholiken tatsächlich geringer als die Unterschiede zwischen Luther und der EKD. Doch die Verhandlungsökumene redet nicht mit Luther, sondern mit der EKD. Und da sind die Unterschiede viel größer als die sehr rar gesäten Gemeinsamkeiten.

Zweitens, und noch viel wichtiger: Selbst wenn die Ähnlichkeiten zahlreicher sind als die Unterschiede, so reicht doch die Ablehnung eines einzigen Glaubenssatzes bereits aus, damit das Gesamtkunstwerk des wahren Glaubens in sich zusammenfällt. Entweder man hat den ganzen Glauben, oder man hat ihn eben nicht. Man darf bei allem Gerede von „Gemeinsamkeiten“ nicht vergessen, dass auch die vernünftigsten schismatischen Gemeinschaften immer noch schismatisch sind, und dass sie die kirchliche Lehre über den Papst ablehnen. Die meisten von ihnen glauben auch nicht an die Realpräsenz Christi bzw. die Transsubstantiation.)

Kardinal Kasper distanziert sich also eindeutig von dem Versuch mancher praktisch längst vom Glauben abgefallener Katholiken, auf Biegen und Brechen, unter völliger Aufgabe der Glaubensinhalte, eine künstliche Einheit mit den Protestanten herzustellen. Seiner Auffassung nach soll die Ökumene zwar weiterhin ähnlich wie bisher vorangetrieben werden (und das bedeutet, dass die Verwässerung des Glaubens im Namen der Ökumene weitergehen wird), aber eine völlige, restlose Anpassung an die Wünsche des evangelisch-agnostischen Zeitgeistes lehnt er ab. Leider bleibt er damit inkonsequent. Denn entweder kann wahre Ökumene nur in der Rückkehr der getrennten Gemeinschaften bestehen – wenn die Kirche nämlich als einzigartige Stiftung Jesu Christi im Besitz der unveränderlichen Glaubenswahrheiten ist, oder es spielt letztlich keine große Rolle, wie stark wir die Glaubenswahrheiten verwässern, um den Häretikern zu gefallen, die die Gegenwart des Herrn im Altarsakrament und die immerwährende (auch körperliche) Jungfräulichkeit der Gottesmutter leugnen, um nur zwei Beispiele zu nennen, an deren faktischer Verwässerung auch der neue oberste Glaubenswächter kräftig mitgewirkt hat.

Wo stehen wir?

Getreu der Aufforderung des Chefökumenisten der katholischen Kirche, Kardinal Koch, möchte ich hier genau diese Frage stellen: Wo stehen wir, die wir uns traditionelle Katholiken nennen? Der Kontext dieser eigenartigen Frage ist natürlich das Konzil (was sonst?). Kardinal Koch wünscht sich die totale Anerkennung. In einem Interview sagt er zur Verbindlichkeit des Konzils:

„Das Zweite Vatikanum hat vier große Konstitutionen erlassen, zudem neun Dekrete und drei Erklärungen. Rein formal kann man natürlich einen Unterschied zwischen diesen drei Gattungen machen. Allerdings stellt sich dann insofern ein Problem, als das Konzil von Trient (1545-1563) nur Dekrete erlassen hat und keine Konstitutionen. Und man wird hier sicher nicht von einem Konzil minderen Grades reden wollen. Also: Rein formal kann man Unterschiede finden, aber man kann kaum Unterschiede in der Verbindlichkeit in inhaltlicher Hinsicht machen. Das Ökumenismus-Dekret beispielsweise hat seine dogmatischen Grundlagen in der Kirchen-Konstitution. (…) Dass Konzile auch irren können, ist allerdings eine Behauptung, die auf Martin Luther zurückgeht. Von daher müssen sich die Traditionalisten schon fragen, wo sie denn eigentlich stehen.

Kardinal Koch vetritt also die Haltung, dass jeder Katholik das Konzil zur Gänze in all seinen Texten vorbehaltlos und vollständig annehmen muss, dass es nicht statthaft ist, manchen Konzilstexten einen höheren Grad an Verbindlichkeit zuzumessen, sondern dass alle Texte gleichermaßen „verbindlich“ sind. Zudem unterstellt er Konzilskritikern eine quasilutheranische Gesinnung. Ob der geschätzte Kardinal mit seinen Freunden aus den „getrennten Gemeinschaften“ auch so diplomatisch umspringt?

Der Kardinal fordert „Traditionalisten“, verstanden als Personen, die das Konzil kritisch sehen, und daher an „vorkonziliaren“ Positionen festhalten, dazu auf, zu überdenken, wo sie eigentlich stehen. Die Frage lautet eigentlich: Seid ihr Traditionalisten überhaupt katholisch?

Man merke: Die feste Überzeugung von der unbezweifelbaren Richtigkeit aller Konzilsaussagen – alles soll gleichermaßen verbindlich sein – wird hier zum Markstein der Glaubenstreue bzw. Orthodoxie. Wer das anders sieht, ist eine Art zweiter Luther. Dies ist ein geradezu lehrbuchmäßiges Beispiel für die Stilisierung eines Pastoralkonzils zum „Superdogma“. Das Konzil selbst hat natürlich, ebenso wie auch die nachkonziliaren Päpste, immer wieder festgestellt, dass gar keine neuen Dogmen definiert worden sind.

Nun, der Kardinal möchte, dass die Traditionalisten sich fragen, wo sie denn eigentlich stehen. Sind sie überhaupt Katholiken? Ich kann natürlich nicht für alle Traditionalisten sprechen, aber soweit ich weiß, sehen die allermeisten sich durchaus als Katholiken. Ich zumindest habe meine oftmals eingestandenen Schwierigkeiten mit dem Konzil, und wäre niemandem böse, wenn es einfach in der Versenkung verschwände, doch ich halte mich durchaus für katholisch.

Vielleicht irre ich mich, und ich bin in Wahrheit ein Schüler Luthers, wie der Kardinal zu insinuieren wünscht. Ich bin – im Gegensatz zum Größten Konzil Aller Zeiten – schließlich nicht unfehlbar. Vielleicht sind die Traditionalisten in Wahrheit gar keine Katholiken, sondern Protestanten. Immerhin würden sie dann in Zukunft vom Ökumenefanclub hofiert, statt verketzert.

Doch die Frage des Kardinals ist ernstzunehmen. Wo stehen die Traditionalisten? Wie gesagt, ich kann nicht für alle Traditionalisten sprechen, sondern nur für mich selbst: Aber hier ist meine Antwort:

Der Zweck des Konzils war erklärtermaßen, den Glauben pastoral zeitgemäß darzustellen, um die Kirche zu stärken, und den Glauben zu verbreiten. Hat das Konzil seinen Zweck erfüllt? Ist die Kirche heute stärker als 1965?

Nur jeder zehnte Katholik besucht regelmäßig die Messe. Wenn er die Messe besucht, dann erlebt er meist eine krampfhaft kreative Gemeindefeier mit Empfang eines nicht besonders schmackhaften Brotplättchens im Gänsemarsch am Ende der Messe. Das ist sein subjektiver Eindruck. Wenn er das Glück hat, noch eine Messe in seiner Gemeinde vorzufinden, und keine „Wort-Gottes-Feier“ mit freundlicher Unterstützung der lokalen Häretikerinnen aus dem Gemeinderat.

90% der Katholiken sind kirchenfern. Die allermeisten nach 1965 geborenen Katholiken haben nicht die geringste Ahnung von ihrem Glauben. Weder ihre Eltern noch die Gemeinden legen besonderen Wert auf die Ausbildung der jungen Menschen in ihrem Glauben. Nur lustig muss es sein, und fröhlich und modern, alles andere ist egal. Zunehmend werden Kinder christlicher Eltern gar nicht mehr getauft. Wenn kann es wundern?

Wenn ein Nichtgläubiger einmal den Weg zur Kirche findet, und einen Priester nach den Inhalten des Glaubens fragt, dann hat er sehr gute Chancen, dass man ihm erklärt, es gehe darum, lieb und nett zu sein, weil alles andere sowieso nur später hinzugedichtet worden sei. Fragt er einen Theologieprofessor, so sind seine Chancen in dieser Hinsicht noch besser. Fragt er einen einfachen katholischen Laien, so wird er vermutlich gar keine zusammenhängende Antwort erhalten. Von den zentralen Gehalten des christlichen Glaubens erfährt er so jedenfalls nichts. Er wird nicht wiederkommen. Warum auch?

Katholische Familien unterscheiden sich nicht vom Rest der Gesellschaft. Diesseitiges Streben nach Geld, Prestige und materiellem Besitz überstrahlt das Streben nach Heiligkeit, sofern letzteres überhaupt noch eine Rolle spielt. Die wenigen nicht verhüteten, nicht abgetriebenen Kinder sind wie in der Mehrheitsgesellschaft eher im Weg, weil sie Mutter und Vater an ihrer Selbstverwirklichung hindern. Katholische Verbände fordern die Einweisung möglichst aller Kinder ab dem ersten Lebensjahr in staatlich finanzierte Verwahranstalten. Sie haben keine Skrupel, mit Abtreibungslobbyisten gemeinsame Sache zu machen. Die meisten Bischöfe und Priester schweigen dazu vornehm. Man fürchtet sich vor dem, was sie sagen würden.

Katholische Familien leben den Glauben nicht. Das Tischgebet ist kaum noch verbreitet, und ähnliches gilt für das gemeinsame Gebet überhaupt. Die Existenz Gottes ist zweifelhaft, außer als gelegentlich gebrauchte Redensart, die Heilsnotwendigkeit der Kirche unbekannt oder Gegenstand von Spott. Nach einigen Jahren ist die Chance nicht schlecht, dass die katholische Familie auseinanderbricht, weil die Ehepartner sich auseinandergelebt haben, und einer der beiden oder beide jüngeres Fleisch erblickt haben.

In der Ökumene geht es vor allem um den Ausverkauf katholischer Substanz zwecks Vorspiegelung real inexistenter Einheit. Das Ziel der Bekehrung der Irrgläubigen zum Kirche Gottes ist praktisch aufgegeben worden, und jeder, der die Juden auffordert, sich zu Jesus Christus zu bekehren, wird als Antisemit angefeindet, bloß weil ihm das Seelenheil des jüdischen Volkes am Herzen liegt.

Das Konzil hat den Glauben in einer schweren Zeit nicht gestärkt, sondern durch seine Schwammigkeit und seine Schwurbelprosa selbst unter Annahme vollständiger Kontinuität mit der Glaubensüberlieferung massiv geschwächt. Der Konzilskaiser hat keine Kleider.

Die Kirche steht heute vor einem Scherbenhaufen. Ganz Gallien befindet sich in einer tiefen Glaubenskrise. Ganz Gallien? Nein, in einigen kleinen verstreuten Dörfern sieht es deutlich besser aus. Was zeichnet diese kleinen gallischen Dörfer aus, die sich alleingelassen durch die Mainstreamkirche mit bescheidenen Mitteln durch die Glaubenskrise kämpfen? Ist es extreme Treue zu der unerschöpflichen Weisheit des Konzils? Ist es die feste Überzeugung, dass man alle Beschlüsse des Konzils unterschiedslos als richtig und wunderbar annehmen muss?

Oder ist es nicht vielmehr das Festhalten an der traditionellen katholischen Religion, ihrer Frömmigkeit, ihrer dogmatischen Klarheit, ihrer überlieferten Theologie, und nicht zuletzt, ihrer theologisch unmissverständlichen traditionellen Messe, bei der niemand den Eindruck gewinnen kann, er wohnte einer lutheranischen Gedächtnisfeier bei?

Schwere, inhaltliche Kritik oder absolute Anhänglichkeit an jede Konzilsformulierung als verbindliches Glaubensgut: Welche Haltung zum Konzil bringt die richtigen, katholischen Früchte? Kardinal Koch mag dies nach seinen eigenen Kriterien beurteilen.

Doch ich kann das Konzil nur an seinen Früchten messen. Und wenn ich sehe, wie zwei Zwillinge von zwei Bäumen essen, und der eine Zwilling danach schwer erkrankt, während der andere weitgehend gesund bleibt, dann weiß ich, dass die Früchte des einen Baumes vergiftet waren.

Und also esse ich nicht von diesem Baum.

Ich halte an dem überlieferten Baum des wahren Glaubens fest. Von dem weiß ich wenigstens, dass er unbedenklich, verträglich und gesund ist.

Und wenn die Laborergebnisse irgendwann einmal vorliegen, wenn der Konzilsbaum genau untersucht worden ist, und man genau herausgefunden hat, von welchen Früchten des Konzilsbaums man unbedenklich essen kann, dann werde ich von diesen Früchten essen. Bis dahin halte ich an dem Glauben fest, der 1961 wahr war, in der sicheren Zuversicht, dass er heute nicht plötzlich falsch sein kann.

Beantwortet das – zumindest was meinen Fall betrifft – Ihre Frage, Herr Kardinal?

Woelki und der unheilige Zeitgeist

Kardinal Woelki, von manchen naiven Zeitgenossen gar als Hoffnung für den am Rande des Schismas taumelnden deutschen Episkopat gehandelt, beginnt nun langsam Flagge zu zeigen. Die Abkehr von der überlieferten, auf Jesus zurückgehenden Lehre der Kirche im Bereich der Ehe, die inzwischen zum Markenzeichen des Vorsitzenden der Bischofskonferenz geworden ist, findet nämlich nun auch mindestens zum großen Teil die Unterstützung des anfangs als „konservativ“ bezeichneten Erzbischofs von Berlin. So liest man bei kath.net:

Grundsätzlich ist die Ehe nach katholischer Lehre unauflöslich. Deshalb sind Geschiedene nach einer zweiten zivilen Eheschließung vom Empfang der Kommunion und auch von der Beichte ausgeschlossen, da sie laut gängiger Lehre der Kirche dauerhaft in einem Zustand schwerer Sünde leben.

Der Berliner Kardinal plädierte [im Gegensatz dazu] dafür, dass sich die katholische Kirche ntensiver [sic!] mit dem Weg der orthodoxen Kirche in dieser Frage auseinandersetzt. Auch die orthodoxe Kirche halte an der Unauflöslichkeit der Ehe fest; eine Scheidung und eine zweite Eheschließung würden dort allerdings toleriert. «Das erlaubt unter bestimmten Bedingungen die Zulassung zu den Sakramenten.»

In dem Interview warnte der Berliner Erzbischof zugleich vor einer Verurteilung von Homosexuellen. Auch der katholische Katechismus mahne, dass homosexuelle Menschen nicht «in ungerechter Weise zurückgesetzt» werden dürften. «Wenn ich das ernst nehme, darf ich in homosexuellen Beziehungen nicht ausschließlich den Verstoß gegen das natürliche Gesetz sehen», fügte der Kardinal hinzu. «Ich versuche auch wahrzunehmen, dass da Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, sich Treue versprochen haben und füreinander sorgen wollen, auch wenn ich einen solchen Lebensentwurf nicht teilen kann.» Die katholische Kirche stehe ein für die sakramentale Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die offen ist für die Weitergabe des Lebens.

Nun, da haben wir so gut wie alle Zutaten, die auch sonst die Einlassungen deutscher Bischöfe ausmachen. Unklar in der Sache, undeutlich in der Form und entschieden in der Anpassung an den herrschenden Zeitgeist. Woelki spricht zwei Themen an, die natürlich eng miteinander verwandt sind: Die Zulassung von unbußfertigen Ehebrechern zur Kommunion und die Haltung der Kirche zu Homosexuellen. Die leidige Ehebrecherfrage zuerst:

Das Argument ist zu oft ausgeführt worden, als dass es noch eine Wiederholung vertrüge. Doch anscheinend geht es nicht anders. Die Kirche kann Menschen, die es vorziehen in schwerer Sünde zu verharren, nicht zur Kommunion zulassen, allein schon um zu verhindern, dass sie sich noch mehr schwere Sünden auf die Seele laden. Wenn die Kirche am Seelenheil der Menschen interessiert ist, und das muss doch das oberste Ziel aller Aktivitäten der Kirche, einschließlich ihrer „pastoralen“ Seelsorge sein, dann ist die Zulassung von Menschen, die in schwerer Sünde zu persistieren wünschen, einfach nicht richtig, weil die Seele der betroffenen Menschen dadurch weiteren Schaden erlitte. Doch da die Ehe unauflöslich ist, sind auch Menschen, die zivilrechtlich als „geschieden“ gelten, in Wahrheit vor Gott – und damit für die Kirche relevant – noch verheiratet. Gehen sie nun eine sexuelle Beziehung zu einer anderen Person ein, so handelt es sich offensichtlich um Ehebruch. Und Ehebruch ist, wenn er wissentlich und willentlich geschieht, offenbar eine schwere Sünde.

Damit ist die Frage eigentlich schon ganz klar. Natürlich muss man dann in der Seelsorge noch den richtigen Ton finden, und die richtigen Worte, wie man das möglichst schonend sagen kann. Doch inhaltlich die Sache klar. Jeder Katholik kann zur Kommunion gehen, es sei denn, er befindet sich im Stande der schweren Sünde. Die schwere Sünde kann durch die sakramentale Beichte vergeben werden. Doch dazu gehört die Reue. Wer aber gar keine Anstalten macht, sich von der Sünde abzuwenden, der zeigt keinerlei Reue. Der „wiederverheiratete“ Ehebrecher, um den es in der Debatte immer wieder geht, hat ja gar nicht die Absicht seinen Ehebruch einzustellen. Er hat nicht die Absicht, fortan „wie Bruder und Schwester“ mit seinem zivilrechtlichen Ehepartner zu leben. Er will nicht seine Sünden bekennen und bereuen; er will nicht umkehren. Er wünscht in seiner Sünde zu verharren. Eine Beichte wäre also ungültig. Der Empfang des Sakramentes der Beichte ist also nicht möglich, eine Zulassung zur Kommunion also auch nicht.

Wie windet sich der Kardinal nun aus dieser kirchlichen Lehre? Er spricht ganz klare Worte: Die Kirche soll zwar pro forma an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten, sie aber, nach Vorbild der Orthodoxen praktisch ignorieren. Man soll einfach so tun, als ob die Ehe nicht unauflöslich wäre. Und dann, wenn man die Ehe faktisch nicht mehr als unauflöslich sieht, dann kann man eine zweite Eheschließung auch nur als persönliche subjektive Option einstufen, die moralisch gar nicht mehr falsch wäre. Dem Empfang des Sakramentes stünde dann nichts mehr im Wege.

Das funktioniert natürlich nicht. Denn das Verbot der Ehescheidung ist kein menschliches, sondern ein göttliches Gesetz. Es ist nicht, dass die Kirche es nicht ändern wollte. Sie kann es nicht ändern. Gott hat die Ehe so geschaffen, dass sie ihrer Natur nach nicht aufgelöst werden kann. Selbst wenn irgendein Kirchenfürst – und sei es der von Rom – also dekretierte, in Zukunft sei in seinem Zuständigkeitsbereich die „Zweitehe“ zu „tolerieren“, änderte dies nicht einen Hauch an dem göttlichen Verbot der Ehescheidung. Die Ehe bleibt unauflöslich, und daher bleibt der Vollzug der „Zweitehe“ Ehebruch. Und damit bleibt der Kommunionempfang der unbußfertigen Ehebrecher schwere Sünde. Sie essen und trinken sich dann weiter das Gericht, nur diesmal mit dem Segen des Kardinals. Das kann die Kirche nicht ändern. Sie kann es nur ignorieren, worauf sich gerade die deutschen Bischöfe in ihrer Mehrzahl ja sehr trefflich verstehen.

Solange die Ehe unauflöslich bleibt, ist der Kommunionempfang der „Wiederverheirateten“ schwere Sünde. Eine Änderung der kirchlichen Lehre zum Thema Kommunionempfang wäre damit auch eine Abkehr von der Unauflöslichkeit der Ehe.

Und damit, Eminenz, eine Abkehr von Jesus Christus.

Ähnlich verhält es sich auch bei den politisch korrekten Floskeln zur Homosexualität, die der Kardinal in vorauseilender Kapitulation vor Zeitgeist und Homolobby äußert. Wenn Kardinal Woelki sagt, der Katechismus verbiete ungerechte Zurücksetzung von Homosexuellen, dann ist das natürlich richtig. Das bestreitet niemand. Doch es impliziert auch die Existenz gerechtfertigter Zurücksetzung. Nämlich immer dann, wenn es für die Ungleichbehandlung einen ausreichenden Sachgrund gibt. Dies ignoriert Woelki vollkommen. Er will stattdessen lieber „wahrnehmen“ wie achso wunderbar Homosexuelle einander treu sind. Für die Seelen der Betroffenen wäre es freilich besser, von ihren schweren Sünden abzulassen, statt ihnen weiter – mit kirchenfürstlichem Beifall, versteht sich – „treu“ anzuhängen.

Man stelle sich vor, Jesus hätte zu der Ehebrecherin nicht gesagt, sie solle gehen und nicht mehr sündigen, sondern sie solle ihrem ehebrecherischen Partner nur ja weiter „treu“ bleiben! Nein, Umkehr heißt immer Abkehr von der Sünde. Gerade auch von „himmelscheienden“ Sünden. Und wenn homosexuelle Akte, wie die Kirche lehrt, sündhaft sind, dann muss der Homosexuelle deutlich dazu aufgefordert werden – in wie pastoral freundlicher Form auch immer – von seiner Sünde abzukehren, umzukehren, um Vergebung zu bitten.

Doch davon spricht der Kardinal natürlich nicht. Wie käme er auch dazu, die Sünder zur Umkehr zu rufen! Was ist er denn? Ein Hirte? Nein, liebe Sünder, verbleibt ganz treu in euren Sünden. Übernehmt „Verantwortung“ für andere, die auch in ihren Sünden zu verharren wünschen – freilich keine Verantwortung für das Heil ihrer Seelen, denn dann müsstet ihr sie ja wieder zur Umkehr auffordern, und dass geht in Kirche von Heute bekanntlich nicht. Nein, übernehmt Verantwortung dafür, dass auch sie weiter „treu“ in ihren Sünden verharren. Und zwar, wie der Kardinal sagt, „dauerhaft“. Zumindest bis zum Ende des Lebens. Dann übernimmt nämlich der, für den ihr so sorgsam, treu und verantwortlich Seelen gewonnen habt. Umkehr ist für Reaktionäre. Die Neue Moderne Quirche Ist Nicht Mehr So.

Natürlich, verschwommen, unklar, kann man, wenn man es krampfhaft wünscht, in den Worten des Kardinals auch ein Bekenntnis zur kirchlichen Lehre finden. Er gesteht durchaus ein, dass die Kirche für die sakramentale Ehe zwischen Mann und Frau steht. Wie er ja auch pro forma – wen will er damit eigentlich täuschen? Gott? – an der „Unauflöslichkeit“ der Ehe festhalten und faktisch die „Aufgelöstheit“ von Ehen anerkennen will. Doch was bleibt von seinen Worten? Dass dieser Hirte kein Interesse an der Verteidigung der katholischen Wahrheit hat. Dass er nicht für die Umkehr der Sünder eintritt, sondern für die Aufweichung der Wahrheit, damit die Sünder sich wohlfühlen und die Kirche nicht mehr als Stein des Anstoßes sehen. Dass der Verführer der Seelen im Erzbistum Berlin freie Fahrt hat, damit sein Oberhirte nicht wieder von den Homo-Verbänden kritisiert wird.

Dass der Kardinal sich in die Reihe der entchristlichenden Neo-Reformatoren des Zeitgeists einzureihen wünscht.

Schade.

Die Krise der Kirche ist eine Krise der Bischöfe.

Keine natürliche Hoffnung (Teil 2/2)

Dies ist der zweite Teil einer Artikelserie über natürliche und übernatürliche Hoffnung des Christen in der modernen Welt. Im ersten Teil habe ich einen ganz kurzen, inadäquaten historischen Abriss der geistesgeschichtlichen Veränderungen bis zum Liberalismus des 19. Jahrhunderts gegeben, der nun im zweiten Teil fortgesetzt werden soll. Sodann will ich versuchen, einige Schlussfolgerungen aus diesen Entwicklungen zu ziehen.

Letztlich stellt man aber doch fest, dass auch der religionsfreie, säkulare, öffentliche Diskurs nicht rational ist, sondern ebenso „subjektiv“ wie die Religion nach der modernen Konzeption. Nicht nur rein materielle Interessen, sondern auch moralische Werthaltungen sind bestimmend für die Politik. Religion soll Privatsache sein, weil sie keine objektive Gültigkeit beanspruchen kann, sondern nur private Sinndeutung. Doch ohne den Pfeiler der Religion geraten mehr und mehr auch die moralischen Werthaltungen, die bislang im Wesentlichen gar nicht angetastet worden waren, unter den Verdacht der Subjektivität. Locke begründete seine liberale Moral noch eindeutig mit dem Besitzanspruch Gottes; aber selbst Kant kann seine Moral nicht zureichend begründen ohne Gott als „Postulat der praktischen Vernunft“ wiederzubeleben. Die Utilitaristen versuchen im 19.Jahrhundert eine säkulare Moral auf dem Prinzip des diesseitigen Nutzens aufzustellen, scheitern damit aber an der einfachen Tatsache, dass es keinen objektiven Nutzen gibt, sondern so viele verschiedene Nützlichkeiten wie Menschen, und daran, dass man nach dem Nutzen nicht entscheiden kann, weil man ihn nicht kennt, solange man die Folgen einer Handlung nicht absehen kann – und das kann man eben nur selten schon vor der Handlung in zureichender Form.

Trotz all seiner tödlichen Schwächen ist der Utilitarismus in der Praxis heute das vorherrschende sittliche Modell, und damit kann man sagen, es gebe überhaupt kein sittliches Modell, weil Sittlichkeit gerade besagt, dass man das Gute tut, auch wenn es gar nicht nützlich ist. Doch das nur am Rande.

Letztlich muss der moderne Mensch, seiner eigenen Vorstellung von Rationalität folgend, die Möglichkeit einer objektiven Moral fallenlassen. Moral kann nur noch das sein, was das Individuum für gut, nützlich, oder was auch immer befindet. Objektiv bindende Prinzipien kann es nicht geben. Damit ist ein weiterer Schritt auf der Reise in die Gegenwart getan. Der noch in der Aufklärung gegenwärtige Anspruch einer rationalen Moralbegründung ist praktisch erledigt. Doch wenn Moral nur noch die Setzung des Individuums ist, dann ist es ungerecht, diese Setzung anderen Menschen aufzuzwingen, die vielleicht ganz andere Präferenzen haben. Und damit sind wir endlich im 20. Jahrhundert angekommen. Die subjektive Moral des Einzelnen bleibt notwendig Individualmoral. Jeder muss tun, was sein Gewissen ihm diktiert, doch was sein Gewissen ihm diktiert, ist das kontingente Ergebnis sozialer Einflüsse, doch diese sozialen Einflüsse sind vom Menschen gemacht – konkret von den Herrschenden, die den einfachen Menschen unterdrücken. Moral ist das Mittel der Mächtigen, die Schwachen zu beherrschen.

Moral, und das ist jetzt immer bloß die „herrschende“ Moralvorstellung, muss also, im Namen der Interessen der Schwachen, überwunden werden. Hier haben wir den Marxismus, der die „bourgeoise“ Moralität überwinden will. Doch während der klassische Marxismus noch die Produktionsmittel in den Vordergrund stellt, weil er letztlich dem neuzeitlichen, liberalen Materialismus verhaftet ist, erkennt man im 20. Jahrhundert, dass nicht das Sein das Bewusstsein bestimmt, sondern eher umgekehrt, das Bewusstsein das Sein. Bevor die materielle Basis des Eigentums an Produktionsmitteln umgestürzt werden kann, muss man zuerst den Überbau, das heißt die religiösen und moralischen Vorstellungen, umstürzen. Oder, treffender ausgedrückt, man muss sie unterwandern.

Welche moralischen und religiösen Vorstellungen sind das? Nun, die christliche Religion ist zwar im Rahmen des modernen Denkens praktisch erledigt und subsistiert meist bloß noch in einer abgestumpften, rein subjektiven Weise in der modernistischen Theologie, doch sehr viele Menschen sind am Anfang des 20. Jahrhunderts noch fromm und gläubig. Spätestens ihren Kindern muss man dies abgewöhnen. Entsprechend werden Bildungsstätten „säkularisiert“ – Religion darf dort nicht mehr, oder nur noch als individuelle, subjektive Intuition, als ein „Sinnangebot“ unter vielen, existieren. Sie darf nicht mehr als Wahrheit gelehrt werden, und schon gar nicht in Form praktisch gelebter Frömmigkeit (Gebet, Gottesdienst usw.) praktiziert werden.

Doch nicht nur die christliche Religion, sondern auch die „herrschende Moral“ muss als Teil des „bürgerlichen“ Überbaus unterwandert werden. Wie macht man das? Man spielt die natürlichen, ungeordneten Triebe des Menschen gegen moralische Prinzipien aus, und bringt den Menschen bei, ihre Triebe seien doch eigentlich ganz gesund, und es gebe gar keinen Grund sie ständig zu „unterdrücken“, solange „es niemandem schadet“. So etwas sei gar nicht gut. Freud, ob er es nun so meinte, oder nur verdreht wurde, bietet dafür den idealen Ansatzpunkt. Verbindet man ihn mit der kulturell gewendeten Form des Marxismus, wie die „Frankfurter Schule“ ihn lehrt, so kann man ganz erstaunliche Resultate erzielen, was uns in die 60er-Jahre bringt.

Der Angriff auf die christliche Religion ist praktisch erfolgreich abgeschlossen. Nur eine kleine Minderheit, ein kleines gallisches Dorf sozusagen, verteidigt noch den ganzen christlichen Glauben als objektive Wahrheit. Selbst die katholische Kirche ist seit dem letzten Konzil zumindest in der Praxis kaum noch als Trägerin dieser Wahrheit zu erkennen, auch wenn sie es in ihrer offiziellen, lehramtlichen Theologie natürlich weiterhin ist. Diese verbliebenen Gallier, die bösartigen, antimodernistischen Traditionalisten, sind nie ganz zum Schweigen zu bringen, doch es wäre Verblendung, wenn wir glaubten, wir könnten nach Maßgabe menschlicher Kräfte das Blatt noch zugunsten des christlichen Glaubens wenden.

Der Angriff auf die Moral ist auf theoretischer Ebene auch praktisch abgeschlossen. Objektive Moralität wird kaum noch ernsthaft verteidigt. Moral wird entweder aus dem praktischen Nutzen für die Menschheit begründet, oder aus dem Zeitgeist bzw. der Mehrheit, oder einfach, ebenso pervers wie ehrlich, aus bloßem individuellem, nicht weiter begründungsbedürftigem Willen.

Der Angriff auf die Moral in praktischer Hinsicht ist ebenfalls sehr weit fortgeschritten. Zwar erkennen die meisten Menschen – rational betrachtet vollkommen unbegründet – noch einige moralische Haltungen an und versuchen sie auch umzusetzen, doch es ist gelungen, die kulturelle Weitergabe der Sitten von Generation zu Generation auszuhebeln, so dass spätestens in den nächsten Generationen absehbar die noch vorhandenen Spuren irrationaler moralischer Vorurteile (etwa gegen Inzest, Mord, Diebstahl und Pädophilie) fallen werden. Um dies zu verhindern, wäre eine verlässliche Weitergabe moralischer Überzeugungen an die nachfolgenden Generationen notwendig. Doch ohne ein auf sittliche Erziehung achtendes Schulsystem, oder wenigstens sehr starke, sehr eng geknüpfte Familienbande, ist ein solches Projekt wiederum nach Maßgabe der menschlichen Kräfte vollkommen aussichtslos.

Das „christliche Abendland“ hat damit seine christliche Religion in Theorie und Praxis fast vollkommen verloren, und die verbliebenden Kraftreserven sind so schwach, dass sie selbst gegenüber einer kleinen Minderheit entschlossener islamischer Fundamentalisten vollkommen wehrlos ist, und deswegen die Fiktion des „Multikulturalismus“ erfindet, um ihr eigenes Abdanken wenigstens noch ehrbar als „Toleranz“ zu verbrämen. Dasselbe gilt für die christliche Sittenlehre, die unter dem Ansturm der 60er-Jahre zusammengebrochen ist, weil ihre Verteidiger es zugelassen haben, dass die entscheidenden Bastionen ihrer Weitergabe (Familien, Schulen, Medien) in die Hände der moralischen Unterwanderer gefallen sind.

Nach menschlicher Maßgabe gibt es daher keine Hoffnung. Der christliche Westen ist aus eigener Kraft vollkommen unfähig, sich wieder aus seinem Grab zu erhaben. Er ist tot. Hilaire Belloc sagte: Europa ist der Glaube und der Glaube ist Europa. Er hatte Recht. Doch da der Glaube nach menschlicher Maßgabe tot ist, wird auch Europa in Kürze sterben. Man könnte argumentieren, dass die EU bloß noch eine Nachlassverwalterin ist, die aber keinen Wert auf den Nachlass legt, sondern ihn stattdessen veruntreut.

Nach menschlichem Maßstab ist keine Rettung mehr möglich. Das christliche Abendland ist tot.

Doch es gibt da einen, habe ich mir sagen lassen, der nicht an den menschlichen Maßstab gebunden ist, und der auch mit den Toten noch nicht fertig ist. Dieser Jemand trägt den Namen Jesus Christus, und die Schar seiner Getreuen ist zwar klein, doch ebenfalls nicht nur an menschliche Maßgaben gebunden. Thomas Fleming schrieb einmal, wenn die Welt zur Hölle fahre, heiße das ja noch längst nicht, dass man selbst mitfahren müsse. So ist es. Die christliche Kirche ist nicht an bloß menschliche Hoffnungen gebunden. Ihr hat Gott selbst versprochen, dass sie am Ende siegreich aus den Kämpfen hervorgehen wird, weil der eigentliche Kampf, der einzige Kampf, auf den es wirklich ankommt, bereits gewonnen ist – Christus hat den Tod besiegt und uns das ewige Leben trotz unserer Unwürdigkeiten zum Geschenk gemacht.

Jetzt müssen wir es nur noch annehmen, dieses Geschenk, indem wir ihm nachfolgen, als Pilger durch diese Welt, was auch immer in dieser Welt geschehen mag, und das Kreuz auf uns nehmen, wie er vor uns.

Und dann brauchen wir keine bloß „natürliche Hoffnung“ nach „menschlichen Maßstäben“, weil es eine viel größere wahre Hoffnung gibt, nämlich die Hoffnung auf die ewige Schau Gottes, auf die ewige Seligkeit.