Woelki und der unheilige Zeitgeist

Kardinal Woelki, von manchen naiven Zeitgenossen gar als Hoffnung für den am Rande des Schismas taumelnden deutschen Episkopat gehandelt, beginnt nun langsam Flagge zu zeigen. Die Abkehr von der überlieferten, auf Jesus zurückgehenden Lehre der Kirche im Bereich der Ehe, die inzwischen zum Markenzeichen des Vorsitzenden der Bischofskonferenz geworden ist, findet nämlich nun auch mindestens zum großen Teil die Unterstützung des anfangs als „konservativ“ bezeichneten Erzbischofs von Berlin. So liest man bei kath.net:

Grundsätzlich ist die Ehe nach katholischer Lehre unauflöslich. Deshalb sind Geschiedene nach einer zweiten zivilen Eheschließung vom Empfang der Kommunion und auch von der Beichte ausgeschlossen, da sie laut gängiger Lehre der Kirche dauerhaft in einem Zustand schwerer Sünde leben.

Der Berliner Kardinal plädierte [im Gegensatz dazu] dafür, dass sich die katholische Kirche ntensiver [sic!] mit dem Weg der orthodoxen Kirche in dieser Frage auseinandersetzt. Auch die orthodoxe Kirche halte an der Unauflöslichkeit der Ehe fest; eine Scheidung und eine zweite Eheschließung würden dort allerdings toleriert. «Das erlaubt unter bestimmten Bedingungen die Zulassung zu den Sakramenten.»

In dem Interview warnte der Berliner Erzbischof zugleich vor einer Verurteilung von Homosexuellen. Auch der katholische Katechismus mahne, dass homosexuelle Menschen nicht «in ungerechter Weise zurückgesetzt» werden dürften. «Wenn ich das ernst nehme, darf ich in homosexuellen Beziehungen nicht ausschließlich den Verstoß gegen das natürliche Gesetz sehen», fügte der Kardinal hinzu. «Ich versuche auch wahrzunehmen, dass da Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, sich Treue versprochen haben und füreinander sorgen wollen, auch wenn ich einen solchen Lebensentwurf nicht teilen kann.» Die katholische Kirche stehe ein für die sakramentale Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die offen ist für die Weitergabe des Lebens.

Nun, da haben wir so gut wie alle Zutaten, die auch sonst die Einlassungen deutscher Bischöfe ausmachen. Unklar in der Sache, undeutlich in der Form und entschieden in der Anpassung an den herrschenden Zeitgeist. Woelki spricht zwei Themen an, die natürlich eng miteinander verwandt sind: Die Zulassung von unbußfertigen Ehebrechern zur Kommunion und die Haltung der Kirche zu Homosexuellen. Die leidige Ehebrecherfrage zuerst:

Das Argument ist zu oft ausgeführt worden, als dass es noch eine Wiederholung vertrüge. Doch anscheinend geht es nicht anders. Die Kirche kann Menschen, die es vorziehen in schwerer Sünde zu verharren, nicht zur Kommunion zulassen, allein schon um zu verhindern, dass sie sich noch mehr schwere Sünden auf die Seele laden. Wenn die Kirche am Seelenheil der Menschen interessiert ist, und das muss doch das oberste Ziel aller Aktivitäten der Kirche, einschließlich ihrer „pastoralen“ Seelsorge sein, dann ist die Zulassung von Menschen, die in schwerer Sünde zu persistieren wünschen, einfach nicht richtig, weil die Seele der betroffenen Menschen dadurch weiteren Schaden erlitte. Doch da die Ehe unauflöslich ist, sind auch Menschen, die zivilrechtlich als „geschieden“ gelten, in Wahrheit vor Gott – und damit für die Kirche relevant – noch verheiratet. Gehen sie nun eine sexuelle Beziehung zu einer anderen Person ein, so handelt es sich offensichtlich um Ehebruch. Und Ehebruch ist, wenn er wissentlich und willentlich geschieht, offenbar eine schwere Sünde.

Damit ist die Frage eigentlich schon ganz klar. Natürlich muss man dann in der Seelsorge noch den richtigen Ton finden, und die richtigen Worte, wie man das möglichst schonend sagen kann. Doch inhaltlich die Sache klar. Jeder Katholik kann zur Kommunion gehen, es sei denn, er befindet sich im Stande der schweren Sünde. Die schwere Sünde kann durch die sakramentale Beichte vergeben werden. Doch dazu gehört die Reue. Wer aber gar keine Anstalten macht, sich von der Sünde abzuwenden, der zeigt keinerlei Reue. Der „wiederverheiratete“ Ehebrecher, um den es in der Debatte immer wieder geht, hat ja gar nicht die Absicht seinen Ehebruch einzustellen. Er hat nicht die Absicht, fortan „wie Bruder und Schwester“ mit seinem zivilrechtlichen Ehepartner zu leben. Er will nicht seine Sünden bekennen und bereuen; er will nicht umkehren. Er wünscht in seiner Sünde zu verharren. Eine Beichte wäre also ungültig. Der Empfang des Sakramentes der Beichte ist also nicht möglich, eine Zulassung zur Kommunion also auch nicht.

Wie windet sich der Kardinal nun aus dieser kirchlichen Lehre? Er spricht ganz klare Worte: Die Kirche soll zwar pro forma an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten, sie aber, nach Vorbild der Orthodoxen praktisch ignorieren. Man soll einfach so tun, als ob die Ehe nicht unauflöslich wäre. Und dann, wenn man die Ehe faktisch nicht mehr als unauflöslich sieht, dann kann man eine zweite Eheschließung auch nur als persönliche subjektive Option einstufen, die moralisch gar nicht mehr falsch wäre. Dem Empfang des Sakramentes stünde dann nichts mehr im Wege.

Das funktioniert natürlich nicht. Denn das Verbot der Ehescheidung ist kein menschliches, sondern ein göttliches Gesetz. Es ist nicht, dass die Kirche es nicht ändern wollte. Sie kann es nicht ändern. Gott hat die Ehe so geschaffen, dass sie ihrer Natur nach nicht aufgelöst werden kann. Selbst wenn irgendein Kirchenfürst – und sei es der von Rom – also dekretierte, in Zukunft sei in seinem Zuständigkeitsbereich die „Zweitehe“ zu „tolerieren“, änderte dies nicht einen Hauch an dem göttlichen Verbot der Ehescheidung. Die Ehe bleibt unauflöslich, und daher bleibt der Vollzug der „Zweitehe“ Ehebruch. Und damit bleibt der Kommunionempfang der unbußfertigen Ehebrecher schwere Sünde. Sie essen und trinken sich dann weiter das Gericht, nur diesmal mit dem Segen des Kardinals. Das kann die Kirche nicht ändern. Sie kann es nur ignorieren, worauf sich gerade die deutschen Bischöfe in ihrer Mehrzahl ja sehr trefflich verstehen.

Solange die Ehe unauflöslich bleibt, ist der Kommunionempfang der „Wiederverheirateten“ schwere Sünde. Eine Änderung der kirchlichen Lehre zum Thema Kommunionempfang wäre damit auch eine Abkehr von der Unauflöslichkeit der Ehe.

Und damit, Eminenz, eine Abkehr von Jesus Christus.

Ähnlich verhält es sich auch bei den politisch korrekten Floskeln zur Homosexualität, die der Kardinal in vorauseilender Kapitulation vor Zeitgeist und Homolobby äußert. Wenn Kardinal Woelki sagt, der Katechismus verbiete ungerechte Zurücksetzung von Homosexuellen, dann ist das natürlich richtig. Das bestreitet niemand. Doch es impliziert auch die Existenz gerechtfertigter Zurücksetzung. Nämlich immer dann, wenn es für die Ungleichbehandlung einen ausreichenden Sachgrund gibt. Dies ignoriert Woelki vollkommen. Er will stattdessen lieber „wahrnehmen“ wie achso wunderbar Homosexuelle einander treu sind. Für die Seelen der Betroffenen wäre es freilich besser, von ihren schweren Sünden abzulassen, statt ihnen weiter – mit kirchenfürstlichem Beifall, versteht sich – „treu“ anzuhängen.

Man stelle sich vor, Jesus hätte zu der Ehebrecherin nicht gesagt, sie solle gehen und nicht mehr sündigen, sondern sie solle ihrem ehebrecherischen Partner nur ja weiter „treu“ bleiben! Nein, Umkehr heißt immer Abkehr von der Sünde. Gerade auch von „himmelscheienden“ Sünden. Und wenn homosexuelle Akte, wie die Kirche lehrt, sündhaft sind, dann muss der Homosexuelle deutlich dazu aufgefordert werden – in wie pastoral freundlicher Form auch immer – von seiner Sünde abzukehren, umzukehren, um Vergebung zu bitten.

Doch davon spricht der Kardinal natürlich nicht. Wie käme er auch dazu, die Sünder zur Umkehr zu rufen! Was ist er denn? Ein Hirte? Nein, liebe Sünder, verbleibt ganz treu in euren Sünden. Übernehmt „Verantwortung“ für andere, die auch in ihren Sünden zu verharren wünschen – freilich keine Verantwortung für das Heil ihrer Seelen, denn dann müsstet ihr sie ja wieder zur Umkehr auffordern, und dass geht in Kirche von Heute bekanntlich nicht. Nein, übernehmt Verantwortung dafür, dass auch sie weiter „treu“ in ihren Sünden verharren. Und zwar, wie der Kardinal sagt, „dauerhaft“. Zumindest bis zum Ende des Lebens. Dann übernimmt nämlich der, für den ihr so sorgsam, treu und verantwortlich Seelen gewonnen habt. Umkehr ist für Reaktionäre. Die Neue Moderne Quirche Ist Nicht Mehr So.

Natürlich, verschwommen, unklar, kann man, wenn man es krampfhaft wünscht, in den Worten des Kardinals auch ein Bekenntnis zur kirchlichen Lehre finden. Er gesteht durchaus ein, dass die Kirche für die sakramentale Ehe zwischen Mann und Frau steht. Wie er ja auch pro forma – wen will er damit eigentlich täuschen? Gott? – an der „Unauflöslichkeit“ der Ehe festhalten und faktisch die „Aufgelöstheit“ von Ehen anerkennen will. Doch was bleibt von seinen Worten? Dass dieser Hirte kein Interesse an der Verteidigung der katholischen Wahrheit hat. Dass er nicht für die Umkehr der Sünder eintritt, sondern für die Aufweichung der Wahrheit, damit die Sünder sich wohlfühlen und die Kirche nicht mehr als Stein des Anstoßes sehen. Dass der Verführer der Seelen im Erzbistum Berlin freie Fahrt hat, damit sein Oberhirte nicht wieder von den Homo-Verbänden kritisiert wird.

Dass der Kardinal sich in die Reihe der entchristlichenden Neo-Reformatoren des Zeitgeists einzureihen wünscht.

Schade.

Die Krise der Kirche ist eine Krise der Bischöfe.