„Christliche“ Kultur?

Angesichts dieser Daten wohl eher nicht:

Vom sozialen Umfeld lassen sich 44 Prozent der Deutschen leiten und von humanistischen Werten 24 Prozent. An den Gesetzen orientieren sich drei Prozent der Deutschen, an den Zehn Geboten vier Prozent.

Vier Prozent der Deutschen orientieren sich moralisch an den 10 Geboten? Nicht, dass es mich wundert, aber es gibt bekanntlich bis heute noch genug Menschen, auch und gerade innerhalb der katholischen Kirche und der evangelischen Gemeinschaften, die die Existenz einer tiefen Krise des Glaubens leugnen. Manche schwätzen von einer Krise der Kirchlichkeit, doch die Menschen seien immer noch gläubig. Man müsse, so wird gesagt, neue Wege finden, auf denen man die Menschen da abholen kann, wo sie seien, und dies sei eben auf religiösen Pfaden, aber abseits der „amtskirchlichen“ Wege.

Offensichtlich ist angesichts solcher Zahlen (von denen es noch sehr viele mehr zu zitieren gäbe) nicht zu leugnen, dass Deutschland – wie das ganze „christliche“ Abendland – in einer tiefen Glaubenskrise befindet, die sich nicht „bloß“ auf „amtskirchliche Strukturen“ beschränkt. 96% der Deutschen orientieren sich also nicht an den 10 Geboten. Weniger „amtskirchlich“ als „Du sollst nicht töten“ geht es wohl nicht mehr. Wenn man die 10 Gebote aufgeben muss, um sich an die „Menschen Von Heute“ anzupassen, dann müsste doch selbst dem „modernsten“ Christen, sofern er noch wirklich an Gott glaubt, ein Licht aufgehen, dass man sich an dieses implizite oder explizite Neuheidentum nicht anpassen darf, sondern dass man ihm ein Licht in der Finsternis sein muss, indem man die Wahrheit selbst, Jesus Christus, leuchten lässt.

Doch die Augen fest verschlossen vor der Realität zieht die offizielle Weltkirche vor, falsche Allerlösungslehren mindestens zu suggerieren und in Deutschland hat man den Eindruck, als ob es in der Bischofskonferenz zuweilen keine Mehrheit für den christlichen Glauben mehr gäbe, sondern nur noch für das Parteiprogramm des Merkel-Flügels der CDU.

Doch, wie Papst Franziskus auch gesagt hat, wer nicht zu Christus betet, der betet zum Teufel.

So ist es.

Vom Martyrium und dem ersten Karfreitag

Matthew Archbold und sein Bruder Patrick entwickeln sich für mich immer mehr zu einer täglichen Pflichtlektüre, sowohl was ihren gemeinsamen Blog als auch ihre Kolumne im National Catholic Register betrifft. Aktuell befindet sich dort ein ernüchternder Artikel über die Aussichten katholischer Eltern und ihrer Kinder in der nahen Zukunft. Ein kurzer Auszug (es lohnt sich aber, den ganzen Artikel zu lesen):

I was looking at my children in Mass yesterday and a horrifying thought occurred to me. If I do my job well as a parent, my children may end up persecuted and/or in jail. That may be the best I can hope for at this point in 21st century America.

(…)

I’m not talking about troubled times ahead for my grandchildren’s children in some possible future. I’m talking about my kids. So revolutionary have been the recent changes in America that defending life, liberty, and the pursuit of holiness could very well lead to persecution in the very near future.

(Gestern schaute ich meine Kinder bei der Messe an und mir kam ein schrecklicher Gedanke. Wenn ich meine Aufgabe als Elternteil gut erfülle, könnten meine Kinder dereinst verfolgt werden oder im Gefängnis landen. Das könnte das beste sein, worauf ich im Amerika des 21. Jahrhunderts hoffen kann.

(…)

Ich spreche nicht über schwere Zeiten in irgendeiner möglichen Zukunft für die Kinder meiner Enkelkinder. Ich spreche über meine Kinder. So revolutionär waren die Veränderungen in letzter Zeit, so dass die Verteidigung des Lebens und der Freiheit und das Streben nach Heiligkeit sehr wohl in sehr naher Zukunft zur Verfolgung führen könnten.

Ernüchternd, aber wahr, nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa. Einige der Gründe, die für diese – manchen hysterisch-optimistischen Zeitgenossen allzu extrem erscheinende – These sprechen, zählt der Autor in seinem Artikel auf. Systematisch wird der Freiheit der Christen das Wasser abgegraben, auch wenn viele der unmittelbaren Handlungsträger der fraglichen Veränderungen dies nicht realisieren, und sicher aus guter Absicht handeln.

Es ist eine Tatsache, dass Kirche und Staat noch nie lange friedlich nebeneinander bestanden haben, ohne voneinander Notiz zu nehmen. Es gibt eben keine „staatliche Neutralität in Fragen der Religion“, es sei denn wir sprechen von einem völlig unrealistischen Nachtwächterstaat, der einige seiner eigentlich ihm zukommenden Aufgaben nicht mehr erfüllt. Wenn der Staat seine legitimen Aufgaben erfüllen will, dann muss er in Bereichen aktiv werden, in denen auch das ausgebildete christliche Gewissen bzw. die Kirche legitime Interessen haben.

Wenn sie dann nicht zusammenarbeiten, kommt es unweigerlich zum Machtkampf zwischen Staat und Kirche.

Die einzigen Alternativen lauten also Zusammenarbeit oder Machtkampf, und wie der Machtkampf in einer säkularisierten Gesellschaft ausgehen wird, steht außer jeder sinnvollen Diskussion. Vor allem, da die Kirche, angeführt von popularitätssüchtigen Hirten, denen es selten um Wahrheit, viel häufiger um Mehrheit zu tun ist, in diesen Machtkampf kaum einzutreten bereit ist. Aufgrund der Massendesertion der zur Verteidigung der Kirche, ihrer Freiheit und ihrer unverkürzten Lehre bestellten Hirten steht die Kirche wehrlos vor einem immer raumgreifenderen Staat, der kaum noch bereit ist, seinen traditionell katholischen Bürgern selbst liberal verstandene Freiheitsrechte einzuräumen, wenn sie nicht im Gegenzug weite Teile der antichristlichen Staatsideologie – wie das „Recht“ auf Verhütung, Homo-„Ehe“, Abtreibung, Scheidung, Gender Mainstreaming etc. – übernehmen.

Rational betrachtet gibt es nur drei Modelle für die Koexistenz von Kirche und Staat: Verfolgung, Zusammenarbeit oder ein System, das an die „Zweischwerterlehre“ erinnert, derzufolge der geistliche und der weltliche Arm letztlich nur zwei verschiedene Schwerter in der Hand der Kirche seien. Letztere ist nur in einer zutiefst christlichen Gesellschaft über längere Zeit umzusetzen, und zwar selbst in nichtdemokratischen Systemen, weil keine Staatsform dauerhaft gegen den Willen der überwältigenden Volksmasse regieren kann. Außerdem ist ihre (moralische) Zulässigkeit selbst in einer solchen Gesellschaft zweifelhaft, da eine genuine staatliche Autonomie in rein weltlichen Fragen bestehen bleiben sollte.

Sehen wir also von der unrealistischen und zweifelhaften Zweischwerterlehre ab, so bleibt nur die Alternative „Kooperation oder Verfolgung“. Doch wenn der Staat von der Kirche oder ihren Gläubigen gesetzlich den Bruch ihres Gewissens bzw. der Lehre der Kirche zu Fragen des Glaubens oder der Sittenlehre verlangt, wird die Kooperation unmöglich und der Staat verliert objektiv seine Legitimität.

Er wird in der Regel weiterhin faktisch hingenommen werden müssen – Revolutionen scheitern meistens, und selbst wenn sie erfolgreich sind, verkehren sie sich fast immer in ihr Gegenteil. Es ist daher sinnlos und in der Regel verwerflich, sich an ihnen zu beteiligen.

Verlangt der Staat solches von den Christen, so müssen sie dem imperialen Willen trotzen. Caesar bekommt, was ihm zusteht, aber es steht ihm nicht zu, auf dem Gewissen der Christen herumzutrampeln, indem er von den Christen verlangt, gegen die Sittenlehre oder den Glauben zu handeln.

Genau dies sind die westlichen, ehemals christlichen Staaten aber flächendeckend im Begriff zu verlangen. Und so mag es sein, dass, nach den Worten von Kardinal George, sein Nachfolger im Gefängnis und dessen Nachfolger als Martyrer sterben werde.

Dass Christen darauf in der Nachfolge des Herrn gefasst sein müssen, steht unbezweifelbar fest, seit dem ersten Karfreitag der Menschheitsgeschichte, als die Sklaven der Welt und ihres Fürsten ihren Schöpfer dahingeschlachtet haben.

Seit einem halben Jahrhundert verschließt die Kirche davor ihre Augen, um sich der Welt und ihrem Fürsten anzupassen. Die Quittung bekommen wir bald.

Der Götzendienst der Wissenschaft (Teil 7 von 7)

7. Luzifer und das Paradies auf Erden

Es ist ein bleibendes Kennzeichen aller modernen politischen Ideologien, dass sie immer nach dem letztlich „wissenschaftlich“ zu planenden utopischen, perfekten Gemeinwesen Ausschau halten. Sie streben nach dem Paradies auf Erden. Was heißt es, nach dem Paradies auf Erden zu streben? Es bedeutet, sich entschlossen von jenem anderen Paradies loszusagen. Das Paradies, oder der Himmel, soll hier und jetzt verwirklicht werden, nicht erst im nächsten Leben, sondern in diesem Leben, mit den Mitteln der modernen Wissenschaft und der Technik. Das ist das oberste und wichtigste Ziel, das um jeden Preis erreicht werden soll. An die Stelle kindlichen Vertrauens auf Gott und seine Vorsehung tritt (bei der breiten Masse) der kindliche Glaube an den Wissenschaftler und seine Technokratie, und (beim „Wissenschaftler“) die Hybris, die den Menschen dazu verführt, sich für Gott zu halten.

Denn darum geht es in letzter Konsequenz: Der Mensch möchte das Paradies, den Himmel, die Erlösung, die ewige Seligkeit, die der Herr ihm anbietet, nicht annehmen. Er will etwas Eigenes schaffen; er will unabhängig, selbständig, frei von Gott, frei von der Ordnung seiner Schöpfung, frei von moralischen Beschränkungen sein. Er will tun was er will. Er will hier auf Erden auf ewig in Frieden leben und glaubt, das würde ihn glücklich machen. Kurzum: Er verweigert Gott die Gefolgschaft, den Gehorsam. Er rebelliert.

Damit schließt er sich faktisch dem ultimativen Rebellen an, der bereits vor langer Zeit gegen Gott und seine Schöpfungsordnung rebelliert hat, weil er den Gehorsam, den er Gott schuldig war, nicht leisten wollte. Er wollte doch nur frei, autonom, selbstbestimmt sein und sich nichts vorschreiben lassen. Er wollte sich emanzipieren. Der Name dieses Engels, der alle diese Ideale der Moderne verkörpert, ist Luzifer.

Saul Alinsky hat sein bekanntestes Buch, Rules for Radicals, genau diesem Luzifer aus genau diesem Grund gewidmet. Alinsky, dessen Ideen prägend für den „Community Organizer“ und heutigen US-Präsidenten Barack Obama waren, schrieb dort:

Lest we forget at least an over-the-shoulder acknowledgment to the very first radical: from all our legends, mythology, and history (and who is to know where mythology leaves off and history begins — or which is which), the first radical known to man who rebelled against the establishment and did it so effectively that he at least won his own kingdom — Lucifer“ („Bevor wir es vergessen zumindest eine beiläufige Anerkennung des allerersten Radikalen: Aus allen unseren Legenden, Mythen und der Geschichte (und wer weiß, wo Mythologie endet und Geschichte beginnt, oder was was ist), ist der erste dem Menschen bekannte Radikale, der gegen das Establishment rebelliert hat, und so effektiv war, dass er zumindest sein eigenes Königreich bekommen hat – Luzifer“)

Luzifer steht, wie keine zweite Gestalt der christlichen Geschichte authentisch für Emanzipation, Befreiung, Rebellion, Autonomie und Selbstbestimmung gegenüber den von Gott gesetzten Schöpfungsordnungen und gegenüber Gott selbst. Er ist damit der „Schutz-Unheilige“ der Moderne und ihrer technokratischen Planer ebenso wie der ihnen nur scheinbar entgegengesetzten selbsternannten linken Rebellen, die bloß eine andere Utopie wollen.

Da der Mensch keine natürliche Allmacht besitzt, muss er, der sich gegen Gott erhoben hat, künstliche Mittel verwenden, um seine paradiesische Utopie hier auf dieser Erde errichten zu können. Sein Hilfsmittel ist die wissenschaftlich fundierte Technik. (Bacon, einer der geistigen Gründerväter der Moderne, vertrat die Ansicht, dass der Zweck der Wissenschaft einfach Macht über die Natur sei. Der Spruch „Wissen ist Macht“ stammt aus dieser Denktradition, auch wenn er sich, soweit ich weiß, nicht wörtlich bei Bacon findet.) In diesem Sinne spielt auch die Naturwissenschaft bei dem Werk der Rebellion gegen Gott eine wichtige Rolle, nämlich als Werkzeug bei der Errichtung des Paradieses auf Erden. Sie liefert das Wissen, das Macht ist.

Mit Naturwissenschaft und Technik als Mittel geht die globale Elite mit der utopischen Agenda diverser nur scheinbar entgegengesetzter Ideologien als Zielvorstellung an die Errichtung eines irdischen Paradieses, dessen Werte sich zeitbedingt in gewissem Maße ändern können, dessen fundamentale Opposition zur Schöpfungsordnung und zum Schöpfer aber immer gleichermaßen prägend bleibt. Das Mittel der scheinbar „wissenschaftlichen“ Studien und Erkenntnisse wird dabei zur Überzeugung oder Beruhigung der breiten Mehrheit, deren mindestens widerwillige Duldung derzeit erforderlich ist, solange Demokratie noch formal existiert, verwendet.

Und die globale Elite hat Erfolg. Ich glaube nicht, dass es eine große Konspiration gibt. Das ist auch gar nicht notwendig. Die gemeinsame Ablehnung des Schöpfers und seiner Schöpfungsordnung, sowie die daraus resultierende Anhänglichkeit an denselben ersten Rebellen, von dem Alinsky sprach, garantieren, dass die Aktivitäten der Elite letztlich zusammenpassen werden, um das gewünschte Paradies auf Erden herbeizuführen. (Es wird freilich kein Paradies sein, sondern eine Hölle.) Der Erste Rebell, das erklärte oder unerklärte Vorbild der Moderne, Luzifer, versteht sich auf die Durchführung komplexer Pläne so gut wie keine zweite geschaffene Intelligenz. Es wird dafür Sorge getragen, dass allein die rationale Verfolgung ihrer ökonomischen Interessen und ein vager gesellschaftlicher Konformitätsdruck innerhalb der globalen Elite in fast allen Individuen, die der Elite angehören, dort die notwendigen Haltungen und Handlungen herbeiführen wird.

So hat der Götzendienst der „Wissenschaft“ letztlich auch wieder seine Rolle in einem größeren Ganzen, nämlich der Umsetzung des Wunschtraums der Moderne, der schon der Wunschtraum Luzifers und der Grund für den Sündenfall des Menschen war: Die Schaffung eines Paradieses, in dem der Mensch wie Gott ist, in dem er der Schöpfer ist, autonom, selbstbestimmt, absolut frei, und niemandem mehr zum Gehorsam verpflichtet.

Der Götzendienst der Wissenschaft (Teil 6 von 7)

6. „Wissenschaftler“ als Priester des modernen Götzenkultes

Die Sozialisten wollten die Gesellschaft rational planen, zentral und ganz wissenschaftlich, um das zu erreichen, was sie unter Gerechtigkeit verstanden. Auch heute gibt es diese Bestrebungen in abgewandelter Form. Durch globale Maßnahmen und eine globale Autorität mit echter politischer Macht sollen Armut und Elend, Krankheit und Hunger, Klimawandel und Katastrophen bekämpft werden. Es ist erschreckend, dass selbst weite Teile der Kirche auf diesen tausendmal versprochenen utopistischen Irrsinn hereinfallen, und selbst die Schaffung solcher Autoritäten fordern, statt sich auf das wahre Gebot christlicher Nächstenliebe zu besinnen, wie es in der traditionellen Soziallehre der Kirche zum Ausdruck kommt.

Die oben beschriebene „Wissenschaft“ nimmt bei allen zentralen Planungsversuchen immer eine entscheidende Stellung ein. Die Wissenschaftler, die technokratischen Experten, sind zugleich Avantgarde und künftige Machtelite – nur sie haben das Wissen, die diffizilen Steuerungsmechanismen in Gang zu setzen, die für den optimierten Ausgang des Weltgeschehens erforderlich sind. Wer sich ihnen entgegenstellt, ist von Gestern, irrational und steht dem Fortschritt der Wissenschaft im Wege.

Die Aufgabe der breiten Masse besteht nur darin, bedächtig oder begeistert zu nicken, um nicht rückständig oder unmodern zu wirken, während die „Wissenschaftler“ und ihre Technokraten daran gehen, die Utopie zu verwirklichen, deren Verwirklichung sie gerade anstreben. Die Masse ist nur für den Götzendienst an dieser „Wissenschaft“ da, und als Stimmvieh, solange die Technokratie noch pro forma der Legitimation durch die Überreste der Demokratie bedarf. Ansonsten ist ihre participatio actuosa an dem neuen Götzenkult nicht sonderlich gefragt. (Man sollte sich keine Illusionen über die Bedeutung „freier Wahlen“ machen. Jede Diktatur kann zehn Oppositionsparteien zulassen, solange die Opposition in allen wesentlichen Fragen dasselbe vertritt wie die Regierung. Das ist das „Blockflötenprinzip“, das die DDR ziemlich infantil umgesetzt hat, das aber seitdem im Westen hervorragend perfektioniert worden ist, ohne etwas am Prinzip zu ändern. Welcher Flügel der wissenschaftlichen Technokratie gerade regiert, hat vielleicht einen minimalen Einfluss auf den Inhalt der angestrebten Utopie, doch das ist auch alles. Vielleicht können wir mitentscheiden, ob die durchgeplante, optimierte Welt mehr im Dienst des Ökologismus oder des Sozialismus stehen soll – aber gegen die durchgeplante, optimierte Welt können wir an der Wahlurne nicht sein, weil es keine Parteien gibt, die dieser Opposition Ausdruck verleihen könnten. Und sobald solche Parteien entstehen, ist das inhaltsleere Gerede von „Freiheit“ und „Pluralismus“ und „Toleranz“ auch ganz schnell vergessen.)

Der Götzendienst der Wissenschaft (Teil 4 und 5 von 7)

4. „Credo in unam Scientiam“

In den letzten Jahrhunderten ist der Kult der Gottesanbetung durch den Kult der Wissenschaftsanbetung ersetzt worden. Vielleicht konnte man früher, so beeilt sich jeder gute, moderne Christ zu versichern, den Menschen erzählen, die Kirche lehre dies und jenes, weil Gott das offenbart habe, und die Menschen waren vielleicht zufrieden. Doch heute, so geht diese Geschichte, sei das nicht mehr möglich. Die Menschen hätten sich verändert; sie seien nicht mehr so leichtgläubig, sondern vielmehr skeptisch. Doch das ist nicht wahr. Die Menschen sind immer noch so leichtgläubig wie immer, auch wenn sie nicht mehr so leicht gläubig werden. Das Objekt ihres Glaubens ist allerdings heute nicht mehr Gott, und nicht mehr die Kirche. Der Glaube richtet sich stattdessen auf diverse Götzen, von denen einer der prominentesten die moderne Wissenschaft ist. „Das sind ja die Experten, die es wissen müssen“.

Manchmal wissen es die Experten wirklich besser, nämlich wenn es um ihr Fachgebiet geht, in dem sie ein besonderes Wissen haben. Der Atomphysiker weiß ganz gut, was physikalisch in einem Atomkraftwerk passiert. Das kann er uns vermitteln, und dabei sollten wir ihm glauben. Aber wenn er uns erklärt, ob wir Atomkraftwerke abschalten sollen, oder ob die Risiken vertretbar sind, dann sollten wir skeptisch sein. Denn die ethischen Überlegungen, die dabei eine Rolle spielen, sind nicht sein Fachgebiet, und auch nicht das Fachgebiet professioneller Ethiker, sondern das Fachgebiet eines jeden Menschen, der sein Gewissen zu gebrauchen versteht (und das bedeutet auch, dass er sich zuerst ein informiertes Gewissen verschafft, statt aus dem Bauch heraus nach Gefühl zu entscheiden).

5. Tradition statt Technokratie!

Meistens wissen es die „Experten“ aus den Elfenbeintürmen aber nicht besser. Wenn es um den Menschen und die Gesellschaft geht, dann gibt es kein privilegiertes „wissenschaftliches“ Wissen. Jeder Mensch kennt Menschen und lebt in einer Gesellschaft. Daher hat auch jeder Mensch Zugang zu den grundsätzlichen Daten, die er braucht, um sich eine fundierte Meinung zur Gesellschaft und zum Menschen zu bilden. Natürlich haben die meisten Menschen weder Zeit noch Lust, sich fundierte Gedanken zur Gesellschaft zu machen, weshalb es allein schon zur Entlastung rational ist, dass sie sich an Traditionen und der Weisheit ihrer Vorfahren orientieren. Diese mögen nicht immer richtig sein, aber sie sind mindestens erprobt, und hätten sich nicht durchgehalten, wenn sie nicht wenigstens halbwegs und in den meisten Fällen funktioniert hätten. Manchmal sind sie auch in schwerwiegendem Widerspruch zum moralischen Gesetz, das die Menschen in ihren Herzen finden; dann sollte man sie so schonend wie möglich ändern. Doch im Normalfall sind sie halbwegs brauchbar und helfen uns weitaus mehr, als die Studien von Pseudowissenschaftlern, deren Handlungsanweisungen nicht das Resultat jahrhundertelanger Erfahrung sind, sondern bloß aus einer Mischung ideologischer Vorurteile und der typischen utopistischen Naivität des Elfenbeinturms entsprungen sind.

Es ist rational, der traditionellen Weisheit unserer Väter mehr zu vertrauen als dem smarten Gesellschaftswissenschaftler aus dem Elfenbeinturm. Lassen wir noch einmal C.S. Lewis in „That Hideous Strength“ zu Wort kommen. Der Chemiker Hingest verteidigt traditionelle, gewachsene Gesellschaftsstrukturen gegen den modernen Soziologen Mark Stoddard, der für eine umfassende „wissenschaftliche“ Planung der Gesellschaft eintritt. Die folgende Passage liefert den Kontext zu der bereits früher zitierten Aussage, man können Menschen nicht studieren, sondern nur kennenlernen.

Stoddard: „I think I do understand the sentiment that still attaches to the small man, but when you come to study the reality as I have to do…“

Hingest: „I should want to pull it to bits and put something else in its place. Of course. That’s what happens when you study men: you find mare’s nests. I happen to believe that you can’t study men; you can only get to know them, which is quite a different thing. Because you study them, you want to make the lower orders govern the country and listen to classical music, which is balderdash. You also want to take away from them everything which makes life worth living and not only from them but from everyone except a parcel of prigs and professors.“

Immer wieder haben sich Pseudowissenschaftler des Schlags, den Stoddard verkörpert, an der rationalen oder wissenschaftlichen Planung der Gesellschaft versucht. Vor hundert Jahren war es Mode unter den progressiven Eliten, nach der Beschränkung der Vermehrung „minderwertiger Rassen“ zu rufen. Vielerorts wurden gar Zwangssterilisierungen legalisiert, um diese „minderwertigen Rassen“ an der Vermehrung zu hindern. Das war alles wissenschaftlich belegt und untermauert. Es gab eine „reale“ Gefahr, die uns die „Wissenschaft“ präsentierte, und bequemerweise lieferten die „Wissenschaftler“ gleich die Lösung mit. Nach Hitler wurde die Idee für eine Weile aufs Eis gelegt; Eugenik verschwand in der Versenkung. Heute ist sie wieder progressiv und in Mode. Das ist nur ein Beispiel; viele weitere ließen sich nennen. Gegner der Eugenik waren hauptsächlich die Ewiggestrigen, die an ihren Traditionen festhielten, die hier im Westen größtenteils christlich geprägt waren. Sie verteidigten den Menschen gegen den technokratischen Planer.

Der Götzendienst der Wissenschaft (Teil 3 von 7)

3. Opium des Volkes

Die breite Mehrheit, die gesellschaftswissenschaftliche Studien selbst gar nicht liest, und erst recht nicht verfasst, rezipiert ihre Ergebnisse in den Medien, und glaubt an diese Studien mit einer verblüffenden Naivität. Wenn die „Wissenschaft“ das sagt, dann kann das ja nicht falsch sein. Es wäre in der Tat so vermessen wie schädlich, wenn man die Existenz der DNA leugnen würde, weil man nicht selbst beweisen kann, dass es sie wirklich gibt. Wir können uns darauf verlassen, dass die Aussagen der „Wissenschaft“ hier korrekt sind, oder zumindest die brauchbarste Hypothese darstellen, die wir haben. Doch dieses Vertrauen ist hinsichtlich gesellschaftlicher Zusammenhänge völlig unangemessen, weil besagte Gesellschaftswissenschaften gar nicht über die nötigen Methoden verfügen, um den Menschen adäquat ganzheitlich zu untersuchen.

Ein solches Vertrauen ist noch aus einem weiteren Grund vollkommen unangemessen: Die Struktur der Gesellschaft ist Gegenstand strittiger Diskussion über das Sollen, nicht nur über das Sein. Allenfalls kann die materielle Wissenschaft uns etwas über das Sein erzählen. Sie kann uns sagen, wie die Dinge sind, aber nicht, wie sie sein sollen. Doch man kann nicht rein deskriptiv über die Gesellschaft sprechen, weil selbst die Worte, in denen wir sprechen, politisch-kulturell beladen sind. Jede Aussage über die Gesellschaft trägt bereits den Keim einer Wertung in sich, so dass „wissenschaftliche“ Aussagen über den Menschen und seine Gesellschaft nicht nur ohne Kenntnis des Gegenstandes getroffen werden (weil die materielle Wissenschaft über den Menschen ihren Gegenstand überhaupt nicht zureichend erfassen kann, da der Mensch eine Leib-Seele-Ganzheit darstellt), sondern für die fehlende Kenntnis des Gegenstandes eine ideologische Wertung (bewusst oder unbewusst) substituieren.

Fassen wir zusammen: Die Wissenschaft über den Menschen, die mehr will, als diesen nur rein physikalisch zu beschreiben, ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie sich als moderne, materielle Wissenschaft versteht, da ihren Gegenstand, den Menschen, gar nicht zur Gänze, und nicht in seinem wichtigsten Teil, zu erfassen vermag. Als Ersatz für die aus diesem Grund fehlenden fundierten Kenntnisse seines Forschungsgegenstandes verwendet der Forscher, bewusst oder unbewusst, Versatzstücke aus seiner eigenen gesellschaftlichen, politischen oder religiösen Weltanschauung, durch die die unvermeidlichen Lücken geschlossen und das Ergebnis als „Wissenschaft“ verkauft werden kann.

Dieser Art „Wissenschaft“ brauchen wir keinen Glauben zu schenken, weil sie weder die beeindruckende logisch-empirische Fundierung moderner Naturwissenschaft besitzt, noch über ein solides philosophisches Fundament verfügt, das eine Reflektion über den Menschen als Menschen im Sinne des traditionellen Wissenschaftsbegriffs ermöglichen würde. Es handelt sich letztlich nur um verbrämte Ideologie, gemischt mit obsessiv gesammelten Faktenversatzstücken, die zur Rechtfertigung der Ideologie herangezogen werden. Man könnte sagen: Sie ist Opium des Volkes.

Leider können wir nicht übersehen, dass diese Art pseudowissenschaftlicher Erkenntnisse den politisch-gesellschaftlichen Diskurs in unserem Kulturkreis weitgehend dominieren. Wenn irgendein Wissenschaftler Studien zu zitieren beginnt, die seinen Standpunkt belegen, dann schenkt man ihm einen blinden, naiven, kindlichen Glauben, der, richtete er sich auf Gott und nicht auf den Wissenschaftler und seine Studien, eines Heiligen würdig wäre. Dies gilt umso mehr, je besser die Studien dem gesellschaftlichen Mainstream auf den Leib geschneidert sind, und jegliche politische Inkorrektheit mit religiöser Sorgfalt vermeiden. Im Laufe der Jahre „lernen“ die Menschen in der Gesellschaft ganz viele „neue“ Erkenntnisse, die dann jeder wie aus der Pistole geschossen abspulen kann, wenn man ihn auf das richtige Thema anspricht.

Doch auch der Verteidiger traditioneller, christlicher Gesellschaftsstrukturen argumentiert meist mit Studien, die sich auf dieselben methodischen Prinzipien stützen, und daher ebenfalls hauptsächlich seine eigenen, in diesem Falle christlichen Vorurteile stützen. Auch diesen Studien braucht man keinen Glauben schenken, wenn man nicht bereits die entsprechende Weltanschauung des Wissenschaftlers teilt, die unvermeidlich in seine Voraussetzungen einfließt, wenn er seine Forschungen durchführt.

Der Götzendienst der Wissenschaft (Teil 2 von 7)

2. „Sozialwissenschaft“ als Ideologie

Den Menschen kann man nur als Ganzheit von Leib und Seele verstehen. Wenn die modernen Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaften, Psychologie, aber auch die Ökonomie (außerhalb streng ökonometrischer Erfassung wirtschaftlicher Daten), uns die Ergebnisse ihrer Studien als „Erkenntnisse“ oder „Wissen“ verkaufen, dann können sie diesen Anspruch nur selten erfüllen. Alasdair MacIntyre schreibt darüber, geradezu am Rande, aber dennoch sehr instruktiv, in seinem hauptsächlich moralphilosophischen Werk „After Virtue“, besonders im 7. und 8. Kapitel, wobei er sich auf die empirisch feststellbare Abwesenheit verlässlicher Ergebnisse im Felde der Sozialwissenschaften konzentriert, ohne den grundsätzlicheren Einwand zu erheben, den ich hier formuliert habe.

Weil es an einer Methode mangelt, mit der der Mensch als Leib-Seele-Ganzheit auch nur wahrgenommen wird, sind die Ergebnisse dieser Wissenschaften notwendigerweise nicht allzu ergiebig. So wie jemand, der versucht, mit einer Gabel Suppe zu essen, sich nicht zu wundern braucht, wenn das nicht richtig funktioniert. Es landet vielleicht etwas Suppe auf der Gabel, so wie auch der Sozialwissenschaftlicher manchmal auf richtige Ergebnisse stößt. Doch zumeist findet er entweder triviale Wahrheiten (wie dass Mann und Frau verschieden sind), für deren Erkenntnis man seine Studien nicht gebraucht hätte, oder absurde Unwahrheiten (wie dass Mann und Frau gleich wären), die auch durch seine Studien nicht wahrer werden.

Die wichtige Einsicht ist, dass man diesen Studien überhaupt kein Vertrauen zu schenken braucht, weil dahinter zwar ausgefeilte Methoden stehen, die jedoch, so ausgefeilt sie auch sein mögen, schon prinzipiell nicht geeignet sind, den Menschen als Leib-Seele-Ganzheit auch nur wahrzunehmen. Wer Mikroorganismen mit bloßem Auge untersucht, wird keine finden. Er braucht ein Mikroskop. Wenn besagter Biologe uns nun erklärte, seine Untersuchungen hätten gezeigt, es gäbe keine Mikroorganismen, wäre ein Lachanfall gerechtfertigt, wenn auch vielleicht nicht gerade höflich. Wir würden niemandem glauben, der uns erklärt, er habe tausend Menschen angeschaut und viele erbauliche Gespräche mit ihnen geführt, und nie eine Lunge gesehen, und dies als Indiz dafür anführte, dass Menschen keine Lunge hätten. So ist es auch mit den Studien der Sozialwissenschaftler. Sie untersuchen den Menschen und die Gesellschaft (also viele Menschen, die strukturiert zusammenleben) mit einem Instrumentarium, das den Menschen in seinem wesentlichen Merkmal gar nicht erfassen kann. Da sie den Untersuchungsgegenstand nicht wirklich untersuchen können, hängen die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Studien hauptsächlich von den Vorurteilen der Wissenschaftler ab, die sie produzieren, und von den Geldgebern, die sie bezahlen.

„Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“, lautet ein etwas plumper Satz, der eine verwandte Aussage macht, nämlich dass man die meisten sozialen Tatbestände statistisch so darstellen kann, dass sie beim Leser ideologisch richtig gefiltert ankommen. Meist handelt es sich dabei gar nicht um bewusste Fälschungen; es geschieht ganz unbewusst, aufgrund der natürlichen Tendenz von Menschen, zu sehen was sie sehen wollen.

Ein feministischer Soziologe wird also „herausfinden“, dass Mann und Frau gleich sind, und die linksliberalen Medien werden sich über die Ergebnisse stürzen als „Beweis“ für die Richtigkeit ihres Egalitarismus. Er wird auch „wissenschaftlich“ bestätigen können, dass Frauen glücklicher sind, wenn sie sich in Lohnsklaverei verdingen, und dass es Kindern in Krippen weit besser geht als bei ihren eigenen Eltern. Er kann ein langes Lied davon singen, alles „wissenschaftlich“ untermauert, mit mehr als 834 unabhängigen Studien, dass Kinder in homosexuellen Lebensgemeinschaften genauso gut aufwachsen wie in traditionellen Familien. Sein ebenso feministischer Kollege aus der Psychologie wird bestätigen, dass die traditionelle Familie für den autoritären Charakter verantwortlich ist, und deshalb zu Hitler und Ausschwitz geführt habe, und dass, wie Freud das ausdrückte, das Christentum eine Art Geisteskrankheit ist. Und alle diese Aussagen sind „wissenschaftlich oftmals bestätigt“.

Ein christlicher Soziologe und sein ebenso christlicher Psychologenkollege können sich ebenfalls „wissenschaftlich“ mit den genannten Themen auseinandersetzen. Sie werden herausfinden, dass Kinder am besten bei ihren Eltern aufwachsen, dass Frauen eigentlich doch ziemlich traditionelle Ansichten haben, dass Kinder, die in homosexuellen Beziehungen, bei Alleinerziehenden oder in vergleichbaren Verhältnissen aufwachsen, überdurchschnittlich oft Opfer sexuellen und anderen Missbrauchs werden, weitaus schlechtere Bildungschancen haben und vieles mehr, als vergleichbare Kinder aus traditionellen Familien. Sie können feststellen, dass christliche Menschen länger leben, einen ausgeglicheneren Charakter und viele andere Vorzüge haben, die ganz sicher das nächste Ausschwitz verhindern würden, so wie sie das letzte nicht verhindert haben.

Soziologen, Psychologen, Erziehungswissenschaftler mit noch anderen Ansichten werden zu noch anderen Ergebnissen kommen. Das funktioniert ja sogar in der noch relativ empirisch-naturwissenschaftlichen Klimatologie (wo die Studien der Umweltschützer und an globaler Macht interessierten Regierungen behaupten, der Klimawandel sei vom Menschen gemacht, während die Interessengruppen der anderen Seite ebenso wissenschaftlich herauszufinden glauben, der Klimawandel sei auf natürliche Faktoren zurückzufügen und in der Summe gar kein großes Problem). Es funktioniert erst recht in den „weichen“ Wissenschaften vom Menschen.

Aufgrund der Studienschwemme kann man nicht sagen, welche Position richtig ist. Der Feminist wird sich durch einen riesigen Haufen Studien und Untersuchungen aller Fachrichtungen bestätigt fühlen; der traditionelle Christ wird auch genug Studien finden, an denen er sich hochziehen kann, wenn ihm danach ist. Es gibt mehr pro-feministische Studien, weil es mehr pro-feministische Wissenschaftler an der säkularen Hochschule gibt, und weil sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberverbände ebenso wie die Regierung und alle wesentlichen Oppositionsgruppen die feministische Position unterstützen – manche aus Ideologie, andere aus einfacher ökonomischer Kalkulation. Doch Wahrheit und Mehrheit sind, das sagt schon der Untertitel des Blogs Kreuzfährten, von dem ausnahmslos alle Leser dieser Zeilen schon mindestens einmal gehört haben dürften, zwei völlig verschiedene und oft entgegengesetzte Dinge.

Der Götzendienst der Wissenschaft (Teil 1 von 7)

1. Von den verschiedenen Wissenschaften

Oft wird gesagt, man müsse dieses oder jenes ändern oder abschaffen, weil die Wissenschaft dies so empfehle. Wir sollen unsere Kinder jetzt anders erziehen, weil irgendwelche meist kinderlosen Sozialpädagogen bedeutungsschwangere Studien durchgeführt haben, nach denen Kinder angeblich besser aufwachsen, wenn die Erziehung sich zufälligerweise am gerade herrschenden Paradigma orientiert. Welches Paradigma das ist, hängt von der Zeit ab, in der die Studie verfasst wird, und dem gesellschaftlichen Klima, in dem der die Studie verfassende „Wissenschaftler“ lebt.

Ebenso funktioniert das in jeder „Sozialwissenschaft“, oder, genauer gesagt, in jeder Wissenschaft, die als Gegenstand den Menschen als Menschen (nicht als bloßes materielles Ding, sondern in seiner Eigenschaft als Mensch) hat. Sobald man nicht mehr nur betrachtet, wie bestimmte physikalische Teilchen miteinander interagieren, sondern die Betrachtung auf Menschen ausdehnt, hat man es nicht mehr mit Wissenschaft im strengen Sinne zu tun. Physikalische Experimente können wiederholt werden. Sie laufen unter streng kontrollierten Bedingungen ab, die jederzeit in entsprechenden Laboren reproduziert werden können. Es gelten bestimmte mathematische Gesetze bei der Bildung physikalischer Theorien. Wissenschaften, die nach diesem Paradigma funktionieren, können uns Erkenntnisse liefern, die nicht (oder nur in sehr geringem Maße) von den Vorurteilen des Wissenschaftlers abhängen. (Obwohl die Neutralität selbst der Naturwissenschaften wissenschaftstheoretisch sehr umstritten ist.)

Doch die Sozialwissenschaften sind in diesem strengen Sinn keine Wissenschaften. Ihr Gegenstand ist der Mensch oder der Mensch in Gesellschaft, was aufgrund der Sozialnatur des Menschen letztlich dasselbe ist, nur unter einem anderen Gesichtspunkt.  Doch der Mensch hat freien Willen. Er trifft Entscheidungen, die weder physikalisch determiniert sind, noch ausschließlich ansozialisiert wurden. In ihm gibt es komplexe Wechselwirkungen zwischen natürlichen Voraussetzungen, gesellschaftlichen Erwartungen, internalisierten Vorstellungen und dem letztlich freien Willen. Diese Wechselwirkungen sind sozialwissenschaftlicher Erkenntnis prinzipiell nicht zugänglich. In „That Hideous Strength“ lässt C.S. Lewis den Chemiker Hingest sagen: „You can’t study men; you can only get to know them, which is quite a different thing.“ („Man kann Menschen nicht studieren, man kann sie nur kennenlernen, was etwas völlig anderes ist.“)

Lewis hat hier, wie meistens, eine tiefe Einsicht auf den Punkt gebracht. Das, was im modernen Sinn des Wortes als Wissenschaft gelten kann, vermag den Menschen als Menschen nicht zu studieren, weil ihr das Wesentliche entgeht. Materielle Wissenschaft kann den Menschen nicht erfassen, weil der Mensch nicht nur Materie ist, sondern auch Geist; weil im Menschen Materie und Geist eng und untrennbar zusammenwirken. Der Mensch ist beseelt, anders als das Elementarteilchen. Die Seele, aristotelisch gesprochen die Form des Körpers, kann nicht vom Menschen getrennt werden (außer durch den Tod). Doch die materielle Wissenschaft kann die Seele nicht sehen, weil sie nur Materie untersuchen kann.

Um den Menschen mit wissenschaftlichem Anspruch zu untersuchen, benötigt man ein anderes, nämlich ein geistiges Instrumentarium. Und damit kommen wir zu den sogenannten Geisteswissenschaften. Im Kontext der säkularen Hochschule sind sie weitgehend deformiert und kaum noch als solche zu erkennen, weil sie sich dem modernen wissenschaftlichen Paradigma ihren Wesensgehalt aufgebend auf der Jagd nach wirtschaftlichem Nutzwert angepasst haben, um überhaupt überleben zu können. Sie führen ein erbärmliches Schattendasein. Die faktische Apostasie eines guten Teils der universitären Theologie ist nur Teil eines breiteren Phänomens, das den Niedergang aller Geisteswissenschaften umfasst. Diese Wissenschaften haben das Instrumentarium, nämlich vornehmlich den menschlichen Geist, um etwas über den Menschen als beseeltes Lebewesen herausfinden zu können. Doch sie sind im modernen Sinn keine Wissenschaften, da sie weder empirisch noch formal mathematisch oder formal logisch vorgehen. Sie sind „nur“ in einem älteren Sinne „Wissenschaft“. Sie stellen einen geordneten Korpus von Wissen dar, doch er wurde nicht nach der modernen wissenschaftlichen Methode gewonnen, sondern durch die Verwendung des menschlichen Geistes etwa in Form philosophischer Reflektion.

Von der „relativen“ Armut Deutschlands

Als ich mir am vergangenen Sonntag eine SPD-Parteitagsrede Predigt zum Thema Caritas und Soziale Gerechtigkeit anhören durfte, ertappte ich mich dabei, wie mir die Melodie der „Internationalen“ durch den Kopf ging. Irgendwie passte die Melodie ganz gut zur Predigt.

Soziale Gerechtigkeit, so nahm der Laie an diesem Sonntag mit nach Hause, ist hauptsächlich über real existierende statistische Gleichheit hinsichtlich ökonomischer Maßzahlen zu definieren. Diese statistische, ökonomische Gleichheit soll durch staatliche Umverteilung erreicht werden, und wer dagegen aufbegehrt, ist unsozial und unchristlich. Natürlich kann und soll auch nach Auffassung des Diakons, der die Predigt gehalten hat, zusätzlich zur staatlichen Umverteilung noch so etwas wie nachbarschaftliche Hilfe stattfinden, aber selbst diese wurde nahezu ausschließlich im Kontext institutionalisierter katholischer Sozialverbände gesehen.

Von einem einzigen Satz abgesehen wurde nicht-institutionelle, unbürokratische Hilfe überhaupt nicht angesprochen.

Das Problem „soziale Gerechtigkeit“ kam im Kontext der Armutsdiskussion auf. Ein schrecklich hoher Prozentsatz der Deutschen gilt ja bekanntlich als arm. Und Armut macht krank, Armut tötet, reduziert die Partizipation am Bildungswesen usw. Die Armut, so die Aussage der Predigt, müsse unbedingt bekämpft werden. Der Diakon schilderte freundlicherweise, wie schrecklich Armut sein kann. Wenn die Menschen nicht genug zu essen haben, wenn sie kein Obdach haben und im Winter erfrieren müssen, und wenn der Zugang zu ganz elementarer medizinischer Versorgung fehlt.

Dass diesen Menschen unbedingt geholfen werden muss, und dass dies in einer weitgehend heidnischen Gesellschaft wohl nur durch staatliche Hilfe funktionieren wird, dürfte unstrittig sein.

Nur sollte man nicht vergessen – wie es in der Predigt leider geschah – dass diese Form existenzieller Armut etwas ganz anderes ist, als die „Armut“, von der in Deutschland über 15% der Menschen betroffen sind.

Das ist der Unterschied zwischen „absoluter“ und „relativer“ Armut. Absolute Armut liegt vor, wenn jemand nicht satt wird, kein Obdach hat oder an einfach heilbaren Krankheiten stirbt, weil er sich die Behandlung nicht leisten kann. Solche absolute Armut ist in der Welt extrem verbreitet, aber in Deutschland, dieser Insel des ökonomischen Reichtums, ist sie glücklicherweise sehr selten. Relative Armut ist eine statistische Maßzahl, die am Durchschnittseinkommen gemessen wird. Wer weniger als z.B. 60% des Durchschnittseinkommens (Medianeinkommens) verdient, der gilt als arm. Und zwar unabhängig davon, ob das Durchschnittseinkommen in einem Land bei 50 oder 5000 Euro im Monat liegt.

Wer in Deutschland in den Armutsstatistiken auftaucht, der hat weniger als einen bestimmten Prozentsatz des Durchschnittseinkommens. Die Armut, die von den Armutsstatistiken gemessen wird, wäre in fast allen nicht-westlichen Ländern gar keine Armut, sondern Reichtum (und zwar auch hinsichtlich der realen Kaufkraft), weil in diesen Ländern das Durchschnittseinkommen weitaus niedriger ist.

Es gebe in Deutschland immer mehr Armut, hört man ständig in den Medien. Immer mehr Menschen seien arm. Doch wenn der normale Mensch das Wort „Armut“ hört, dann hat er existenzielle Armut vor Augen, dann sieht er hungernde Kinder vor sich.

Doch das ist nicht das reale Bild der Armut in Deutschland. Arme Kinder leiden überdurchschnittlich häufig an Überernährung, nicht Unterernährung, haben in der Regel ein Telefon, einen Fernseher, und mehrheitlich auch einen Computer zu Hause. Die Eltern haben ein Auto, wenn auch vielleicht ein älteres. Sie haben eine Wohnung, die ihren Großeltern luxuriös vorgekommen wäre. Diese Menschen gelten in Deutschland aber als arm, weil der Rest der Gesellschaft eben noch reicher ist. Sie sind „relativ“ zu ihren Mitbürgern arm, aber absolut gesehen, sowohl im geographischen als auch historischen Vergleich, sind sie eher wohlhabend. (Aus christlicher Perspektive könnte man auch kritisieren, dass die Gesellschaft einen solchen Zustand materieller Überversorgung noch als Armut begreift, und dadurch ihre eigene Anhänglichkeit an den Mammon-Kult offenbart.)

Diese Art „relativer“ Armut, auch das sollte nicht unterschlagen werden, ist tatsächlich eher die Folge des Wohlfahrtsstaates. Wenn er halbwegs funktioniert, wird der Wohlfahrtsstaat in einem reichen Land existenzielle Armut so weit reduzieren, dass sie zu einem Randphänomen wird, das nur wenige Menschen betrifft, und statistisch gar nicht mehr erfasst werden kann. Was übrigbleibt, sind die Menschen, die zwar absolut gesehen nicht arm sind, die aber vergleichen mit ihren Mitbürgern einen unterdurchschnittlichen Verdienst aufweisen.

Diese Art Armut kann man nur bekämpfen, indem man dafür sorgt, dass sich reale Leistungsunterschiede nicht mehr in realen Einkommensunterschieden niederschlagen dürfen. Denn ansonsten wird es immer Menschen geben, die vergleichen mit ihren Mitmenschen schlechter abschneiden und daher einfach nicht so viel Geld verdienen. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Menschen nicht gleich sind, sondern äußerst verschieden, und das gilt auch hinsichtlich aller Faktoren, die für ökonomischen Erfolg entscheidend sind: Glück, Fleiß, Talent, Leistungsbereitschaft, die richtigen Kontakte… Alle diese Güter sind unterschiedlich verteilt, und kein noch so „sozial gerechter“ Staat kann das ändern, weil er die Menschen nicht ändern kann. (Und was passiert, wenn der Staat den Menschen doch zu verändern versucht, kann man in allen totalitären Diktaturen sehen. Ich hoffe, dass unsere wohlmeinenden „sozial gerechten“ Umverteilungsapostel in Staat und Kirche vor der Aufrichtung eines solchen Systems zurückschrecken werden, selbst wenn das die Aufgabe ihres Gleichmachungsziels bedeutet.)

„Relative Armut“ ist in jeder Gesellschaft gegeben. Und es kann sogar sein, dass relative Armut steigt, wenn alle Menschen reicher werden. Wenn nämlich das Durchschnittseinkommen um 10% steigt, und sich zugleich das Einkommen in unteren sozialen Schichten nur um 5% erhöht, dann sind zwar alle „absolut“ reicher geworden, aber „relativ“ hat sich die Armut erhöht, und die Druckerpressen können wieder anlaufen und apodiktisch verkündigen, dass „die Armen ärmer und die Reichen reicher“ werden und die „Schere zwischen Arm und Reich“ immer weiter anwächst.

Ja, natürlich. Aber trotzdem sind alle reicher geworden, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Das, was der heutige Hartz-IV-Empfänger (kaufkraftäquivalent) zur Verfügung hat, kann sich verglichen mit dem Lohn eines einfachen kleinbürgerlichen Arbeitnehmers aus den 50er und 60er-Jahren durchaus sehen lassen. Der kleinbürgerliche, abgesicherte Arbeitnehmer aus der Generation meines Großvaters hatte nicht mehr als der heutige Hartz-IV-Empfänger.

Der entscheidende Unterschied ist: Er wusste damit besser umzugehen.

Worin bestehen diese Unterschiede? Er wusste sparsam zu wirtschaften. Er hatte in der Regel eine Ehefrau (und nur eine!) zu versorgen, und im Schnitt drei Kinder. Er hat fünf Personen von diesem einen Einkommen ernährt, weil er sparsam war. Er hatte keine unrealistischen Erwartungen; er wusste, dass jemand, der einen einfachen Job hatte, keine großen Sprünge erwarten durfte. Er versagte sich und seiner Familie daher jeglichen überflüssigen Luxus, nicht als Asket, sondern als rationaler Hedonist. Er war sparsam, um sich dann später, kalkuliert, wenn es Sinn machte, etwas leisten zu können.

Wenn unsere heutigen Deutschen nach einem Krieg alles wieder aufbauen müssten, würde ihnen nichts besseres einfallen, als Transparente zu greifen und für mehr staatliche Hilfen zu demonstrieren. Und in vollkommener Frustration irgendetwas von der „Schere zwischen Arm und Reich“ zu schwafeln, wenn der Staat ihnen ihre zerbombten Häuser  nicht innerhalb von sechs Monaten größer und besser wieder aufbaut.

Die „relative Armut“ in Deutschland mag größer sein als vor 50 Jahren. Doch das bedeutet nur, dass das Durchschnittseinkommen, an dem „relative Armut“ gemessen wird, gestiegen ist.

Wenn diese Armut für viele Betroffene heute stärker fühlbar ist, als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war, dann hat das nichts mit ökonomischen Maßzahlen zu tun, sondern damit, dass die Stützpfeiler einer Gesellschaft (Familie, Nachbarschaftlichkeit, Gemeindesolidarität, freiwillige „mittlere“ Institutionen aller Art usw.) durch eine gezielte, als „Fortschritt“ verkaufte politisch-kulturelle Revolution, systematisch gesprengt worden sind; mit allen Auswirkungen auf die soziale Sicherheit, aber auch die Charakterbildung, die so eine Revolution hat.

Als Folge davon haben wir heute eine wachsende Anzahl Bürger, die ganz einfach unfähig sind, ein sparsames, kleinbürgerliches Leben an dem sozialen Ort, den manche Sozialforscher untere Mittelschicht nennen möchten, zu führen, weil ihnen schlicht die Tugenden – ja, Tugenden! – fehlen, um aus wenigen Ressourcen und einer nicht idealen sozialen Position das beste zu machen.

Es sind die bekannten, viel kritisierten bürgerlichen Tugenden wie Disziplin, Sparsamkeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Bescheidenheit und Aufrichtigkeit, die aus „bitterer, relativer Armut“ eine anständige, respektable Existenz zu machen fähig sind. Und diese Tugenden lernt man eben nur durch Übung, indem man sie immer wieder nachahmt. Normalerweise geschieht dies in der Familie.

So kann es nicht verwundern, dass selbst die „relative“ Kinderarmut unter Kindern, die einen Vater und eine Mutter haben, die verheiratet sind, und von denen mindestens einer berufstätig ist, etwa bei 2% liegt, während fast die Hälfte der Kinder von „Alleinerziehenden“ unterhalb der ominösen „Armutsschwelle“ liegen.

Doch darüber herrscht auf den Kanzeln das große Schweigen, denn man will ja niemandem auf die Füße treten. Am Ende tritt so jemand noch aus der Kirche aus und verkleinert dadurch die steuerlichen Pfründe, auf denen sich die säkularisierte, modernistische Schattenkirche ausruht.

Dabei hat die Kirche doch eine so große Soziallehre, die leider immer mehr in Vergessenheit gerät, weil die offiziellen Vertreter der Kirche sie durch weichgespülten Sozialismus ersetzen.

Vom Dialog der Schattenkirche

Es folgt: „Catocon sah Tiere – Ernsthaftigkeit voller Ernst“

Erzbischof Zollitsch – der Leser weiß, was kommt, wenn auf diesem Blog der Name des freundlichen, liebenswürdigen, schwäbischen Märchenonkels aus dem heutigen Serbien genannt wird – kündet, wie kath.net zu berichten weiß, derzeit von den gar erbaulichen Ergebnissen des deutsch-katholischen Dialogprozesses, in dem hauptsächlich verbandskatholische Neo-Reformatoren über die weitere Protestantisierung der geschundenen Mutter Kirche zu beraten unternehmen.

Natürlich braucht man weder den Artikel auf kath.net noch irgendeinen anderen Bericht zum Thema zu lesen. Man weiß ohnehin schon, worin die angepriesenen Ergebnisse bestehen. Natürlich soll weiter beraten werden. Dialog ist ein Instrument zur Schaffung von Dialog, und jede Institution tendiert dazu, sich selbst immer neue Aufgabenfelder zu schaffen, um Fortbestand, Expansion und Finanzmittel zu sichern.

Doch es gibt immerhin eine atemberaubende neue Entwicklung im Gleichklang der revolutionären Graubärtinnen und Graubärte, die im Stuhlkreis tanzend das immergleiche Lied vom Aufbruch verkrusteter Strukturen in eine Neue Zukunft von Kirche singen. Es soll nun nicht mehr nur geredet und verhandelt und gesprochen und diskutiert – offen und ehrlich und ohne Denkverbote, versteht sich – sondern endlich auch gehandelt werden. Die verbandskatholische Armada bereitet sich vor, in See zu stechen. Der Stapellauf der neuen Reformagenda ist in vollem Gange. Bald wird das Schiff der Kirchenreform in gewohnter Manier den starren, überholten, mittelalterlichen, feudalistischen Strukturen den Kampf ansagen, die (durch ihr Festhalten an Zölibat und Sündhaftigkeit der Homosexualität) männliche Priester im Alleingang dazu gebracht haben, sich an vorwiegend männlichen Jugendlichen zu vergehen, indem sie ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen frei und ohne falsche Hemmungen und Schuldgefühle ausleben. Und dann werden die Gewohnheitsreformatoren aller Geschlechter die längst überfällige Reform der verkrusteten Strukturen anpacken. Gehhilfen für alle! Sie werden die Flotte der Reaktionäre aufbringen und ihre Schiffe entern. Mit ihren Gehstöcken werden sie den Widerstand der dunklen Krustenkatholiken brechen und die offenen Türen der hinterwäldlerischen Kirchenhierarchie einreißen, und Licht von Freiheit wird in Kirche neue Funken schlagen, und ein Neuer Frühling des Aufbruchs bricht an und bricht aus und bricht mit Rom.

Die Dialoggespräche im verfahrenen Dialogprozess haben, wie gesagt, im immerwährenden Gleichklang des Fortschritts eine neue Dimension erreicht. Wie der Erzbischof Zollitsch verkündet, soll nun, wie schon angedeutet, nicht mehr nur gesprochen und geredet werden, sondern es soll einen Studientag geben, auf dem, wie der Name schon sagt, studiert werden soll. Gehhilfen für alle! Dies ist der Aufbruch des Aufbruchs, der Anfang vom Ende der muffigen Kirchenhierarchie, die sich unter seit Jahrzehnten nicht mehr getragenen Soutanen nicht länger verstecken kann.

Denn jetzt werden die Bleistifte gespitzt und es wird studiert. Was wird studiert? Die Rolle der Frauen in Kirche. Es soll auch mehr „Frauen in Führungspositionen“ in Kirche geben. So spricht und verspricht es zumindest der freundliche Erzbischof von Freiburg. Da „Führungspositionen“ in der katholischen Kirche priesterlicher Natur sind, ist wohl von der Befreiung des Diakonats und/oder Priestertums vom patriarchalischen Dunkelkatholizismus die Rede.

Ob Kristina Schröder und Ursula von der Leyen bereits damit beauftragt worden sind, für diese aufregende neue Idee die passende Frauenquote festzulegen? Gehhilfen für alle!

Immerhin kann wieder einmal konstatiert werden, dass der mutige Schritt der deutschen Schattenkirche unter Papst Dialogos I. so unerhört mutig und revolutionär und aufbrecherisch ist, dass er in seiner ganzen Unerhörtheit ungehört zu bleiben gezwungen ist, weil heimtückische Dunkelkatholiken, wie der radikale ultra-traditionalistische, beton-konservative Patriarchenpapst Pius XIII. Johannes Paul II., im Mittelalter, im vergangenen Jahrtausend, sich in ihrem längst veralteten Dogmatismus angemaßt haben, für alle Zeiten zu bestimmen, dass die Frau in demütigender Abhängigkeit und Minderwertigkeit zu halten ist, indem man ihr die gleiche Teilhabe am Priesteramt in derselben Form verwehrt, in der es schon der unverbesserliche Sexist Jesus von Nazareth zur dauerhaften Unterjochung der Frau bestimmt haben soll (wenn man einmal den nachträglich erfundenen Geschichten über Jesus glauben will, die eine patriarchalische Kirche in tyrannischer Weise diesem Wanderprediger in den Mund gelegt hat).

Diese Gesamtthematik soll nun, hoffentlich aus aufklärerisch-feministischer Sicht, studiert werden. Glücklicherweise steht das Ergebnis schon vorher fest und ist sicher in ideologische Worthülsen verpackt, so dass keine „rationale“ Beschäftigung mit dem Thema droht. Gehhilfen für alle! Diese wäre auch in hohem Maße desaströs, weil in dem treibhausartigen Klima der ängstlichen Unterdrückung, das besonders der bissige Schäferhund Ratzinger in Kirche wieder erzeugt hat, nur die übliche, sozial-konstruierte phallozentrische Perspektive zu Wort kommen könnte, bloß weil alle anderen Perspektiven sich von logozentrischen Betrachtungsweisen abgrenzen, um alternativen Stimmen Gehör zu verschaffen und der Kontamination durch fremdartige Partikel zu trotzen, die von traditionalistischen Hinterwäldlern als „Argumente“ bezeichnet werden.

Die Ergebnisse des Dialogprozesses werden in die Geschichte als der Tag eingehen, an dem der Aufbruch endlich angebrochen und die Kirche endlich abgebrochen wurde, wenn das energische Signal, das seit Jahren und Jahrzehnten um die Stühle kreist, nicht als Ende, sondern als Anfang einer beständigen Diskontinuität der Reform gesehen wird. Das ist an diesem historischen Wendepunkt, in dieser denkunwürdigen historischen Stunde, besonders bedeutsam. Gehhilfen für alle! Wir müssen im Geist des Konzils den Geist des Dialogprozesses suchen und finden, auf dass eine Neue Kirche werde, und das alte Modell, das nicht von aufgeklärten, modernen, emanzipierten Frauen aller Geschlechter, sondern von einem hinterwäldlerischen Zimmermann aus einem winzigen, rückständigen Dörfchen irgendwo in Palästina gegründet worden ist, und daher nicht mehr in unsere Zeit passt, endlich zu Grabe getragen wird, und seine verdiente ewige Ruhe auf dem Müllhaufen der Geschichte findet, nachdem es auf dem Altar der Politischen Korrektheit ohne Weihrauch (nach Empfehlung des Liturgieprofessors) geopfert worden ist.

Fühlt ihr auch den frischen Atem, den unsere Kirche ausströmt, wenn sie alles mutig nachbetet, was der Rest der Welt seit Jahrzehnten fordert, und dadurch ganz neue Akzente setzt, die allein den wahren Aufbruch verbürgen können? Und Gehhilfen für alle natürlich! Öffnet die Fenster und lasst die Frische Luft des Neuen Frühlings in unsere Kirche hinein und unterstützt enthusiastisch die neuen Ergebnisse und Forderungen des sechshundertsechsundsechzigsten Aufgusses des guten alten Dialogs und seiner Unheiligkeit, Papst Dialogos I. und seiner derzeitigen Lebensgefährtin und Mitpäpstin Julia I.

Ahoi, Genossinnen und Genossaußen!