Vom Martyrium und dem ersten Karfreitag

Matthew Archbold und sein Bruder Patrick entwickeln sich für mich immer mehr zu einer täglichen Pflichtlektüre, sowohl was ihren gemeinsamen Blog als auch ihre Kolumne im National Catholic Register betrifft. Aktuell befindet sich dort ein ernüchternder Artikel über die Aussichten katholischer Eltern und ihrer Kinder in der nahen Zukunft. Ein kurzer Auszug (es lohnt sich aber, den ganzen Artikel zu lesen):

I was looking at my children in Mass yesterday and a horrifying thought occurred to me. If I do my job well as a parent, my children may end up persecuted and/or in jail. That may be the best I can hope for at this point in 21st century America.

(…)

I’m not talking about troubled times ahead for my grandchildren’s children in some possible future. I’m talking about my kids. So revolutionary have been the recent changes in America that defending life, liberty, and the pursuit of holiness could very well lead to persecution in the very near future.

(Gestern schaute ich meine Kinder bei der Messe an und mir kam ein schrecklicher Gedanke. Wenn ich meine Aufgabe als Elternteil gut erfülle, könnten meine Kinder dereinst verfolgt werden oder im Gefängnis landen. Das könnte das beste sein, worauf ich im Amerika des 21. Jahrhunderts hoffen kann.

(…)

Ich spreche nicht über schwere Zeiten in irgendeiner möglichen Zukunft für die Kinder meiner Enkelkinder. Ich spreche über meine Kinder. So revolutionär waren die Veränderungen in letzter Zeit, so dass die Verteidigung des Lebens und der Freiheit und das Streben nach Heiligkeit sehr wohl in sehr naher Zukunft zur Verfolgung führen könnten.

Ernüchternd, aber wahr, nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa. Einige der Gründe, die für diese – manchen hysterisch-optimistischen Zeitgenossen allzu extrem erscheinende – These sprechen, zählt der Autor in seinem Artikel auf. Systematisch wird der Freiheit der Christen das Wasser abgegraben, auch wenn viele der unmittelbaren Handlungsträger der fraglichen Veränderungen dies nicht realisieren, und sicher aus guter Absicht handeln.

Es ist eine Tatsache, dass Kirche und Staat noch nie lange friedlich nebeneinander bestanden haben, ohne voneinander Notiz zu nehmen. Es gibt eben keine „staatliche Neutralität in Fragen der Religion“, es sei denn wir sprechen von einem völlig unrealistischen Nachtwächterstaat, der einige seiner eigentlich ihm zukommenden Aufgaben nicht mehr erfüllt. Wenn der Staat seine legitimen Aufgaben erfüllen will, dann muss er in Bereichen aktiv werden, in denen auch das ausgebildete christliche Gewissen bzw. die Kirche legitime Interessen haben.

Wenn sie dann nicht zusammenarbeiten, kommt es unweigerlich zum Machtkampf zwischen Staat und Kirche.

Die einzigen Alternativen lauten also Zusammenarbeit oder Machtkampf, und wie der Machtkampf in einer säkularisierten Gesellschaft ausgehen wird, steht außer jeder sinnvollen Diskussion. Vor allem, da die Kirche, angeführt von popularitätssüchtigen Hirten, denen es selten um Wahrheit, viel häufiger um Mehrheit zu tun ist, in diesen Machtkampf kaum einzutreten bereit ist. Aufgrund der Massendesertion der zur Verteidigung der Kirche, ihrer Freiheit und ihrer unverkürzten Lehre bestellten Hirten steht die Kirche wehrlos vor einem immer raumgreifenderen Staat, der kaum noch bereit ist, seinen traditionell katholischen Bürgern selbst liberal verstandene Freiheitsrechte einzuräumen, wenn sie nicht im Gegenzug weite Teile der antichristlichen Staatsideologie – wie das „Recht“ auf Verhütung, Homo-„Ehe“, Abtreibung, Scheidung, Gender Mainstreaming etc. – übernehmen.

Rational betrachtet gibt es nur drei Modelle für die Koexistenz von Kirche und Staat: Verfolgung, Zusammenarbeit oder ein System, das an die „Zweischwerterlehre“ erinnert, derzufolge der geistliche und der weltliche Arm letztlich nur zwei verschiedene Schwerter in der Hand der Kirche seien. Letztere ist nur in einer zutiefst christlichen Gesellschaft über längere Zeit umzusetzen, und zwar selbst in nichtdemokratischen Systemen, weil keine Staatsform dauerhaft gegen den Willen der überwältigenden Volksmasse regieren kann. Außerdem ist ihre (moralische) Zulässigkeit selbst in einer solchen Gesellschaft zweifelhaft, da eine genuine staatliche Autonomie in rein weltlichen Fragen bestehen bleiben sollte.

Sehen wir also von der unrealistischen und zweifelhaften Zweischwerterlehre ab, so bleibt nur die Alternative „Kooperation oder Verfolgung“. Doch wenn der Staat von der Kirche oder ihren Gläubigen gesetzlich den Bruch ihres Gewissens bzw. der Lehre der Kirche zu Fragen des Glaubens oder der Sittenlehre verlangt, wird die Kooperation unmöglich und der Staat verliert objektiv seine Legitimität.

Er wird in der Regel weiterhin faktisch hingenommen werden müssen – Revolutionen scheitern meistens, und selbst wenn sie erfolgreich sind, verkehren sie sich fast immer in ihr Gegenteil. Es ist daher sinnlos und in der Regel verwerflich, sich an ihnen zu beteiligen.

Verlangt der Staat solches von den Christen, so müssen sie dem imperialen Willen trotzen. Caesar bekommt, was ihm zusteht, aber es steht ihm nicht zu, auf dem Gewissen der Christen herumzutrampeln, indem er von den Christen verlangt, gegen die Sittenlehre oder den Glauben zu handeln.

Genau dies sind die westlichen, ehemals christlichen Staaten aber flächendeckend im Begriff zu verlangen. Und so mag es sein, dass, nach den Worten von Kardinal George, sein Nachfolger im Gefängnis und dessen Nachfolger als Martyrer sterben werde.

Dass Christen darauf in der Nachfolge des Herrn gefasst sein müssen, steht unbezweifelbar fest, seit dem ersten Karfreitag der Menschheitsgeschichte, als die Sklaven der Welt und ihres Fürsten ihren Schöpfer dahingeschlachtet haben.

Seit einem halben Jahrhundert verschließt die Kirche davor ihre Augen, um sich der Welt und ihrem Fürsten anzupassen. Die Quittung bekommen wir bald.

Zeichen der Zeit (Teil 2)

Gestern schrieb ich über die Zeichen der Zeit, was sie sind und was sie nicht sind, und nannte einige Beispiele für solche Zeichen, die in riesiger Leuchtschrift quer über die ganze Welt geschrieben sind, wenn man sie denn nicht zu ignorieren wünscht. Dies ist der zweite Teil des Essays über die Zeichen der Zeit.

Die Früchte der Anpassung

Wir müssen wirklich die Zeichen der Zeit erkennen – und wir sollten ihnen auch Folge leisten: Wir sehen die Früchte von einem halben Jahrhundert Anpassung an die Zeit. Wir haben, zumindest in der Praxis (die theoretische Debatte über Kontinuität des Konzils sei einmal beiseite gelassen) einen immensen Bruch erlebt. Der Glaube wird selbst in den Kirchen nicht mehr verkündigt, er wird in katholischen Familien – wo es sie noch erkennbar gibt – nicht mehr gelebt, er wird in der Praxis von Priestern, Bischöfen und Laien gleichermaßen geleugnet und in der Liturgie in vielen Fällen geradezu lächerlich gemacht. Es ist nicht nur, dass wir heute mehr sündigen als früher, sondern dass wir unsere Sünden nicht mehr als Sünden zu sehen vermögen, und sie deswegen auch nicht bereuen können. Es sieht düster aus um eine Generation, die das Beichten verlernt, beziehungsweise in geradezu vulgärer Weise säkularisiert, ins Fernsehen verlegt und zu einer journalistischen Kunstform herabgewürdigt hat.

Und dabei ist die Kirche noch fast eine Insel der Seligen. Allein im 20. Jahrhundert haben Staaten durch ungerechte Kriege und industrialisierte Völkermorde mehrere hundert Millionen Menschen ermordet. Allein in den letzten vierzig Jahren sind, belastbaren Schätzungen zufolge, mehr als eine Milliarde Menschen – tausend Millionen – zweimal die Bevölkerung der Europäischen Union, das Dreizehnfache der Bevölkerung von Deutschland – durch Abtreibung ums Leben gekommen, durch eine Praxis also, deren ungehinderte Ausübung von den Eliten weltweit und breiten Mehrheiten im „christlichen Abendland“ als unverzichtbares Frauenrecht gesehen wird (und die in Deutschland von allen Krankenkassen – und damit von den (auch katholischen) Beitragszahlern – finanziell mitgetragen wird). Währenddessen untergraben die entsprechenden Lobbys gesetzesmächtig das Fundament einer jeden menschlichen Gesellschaft, nämlich die natürliche Familie von Mann und Frau durch Scheidung, „Homo-Ehe“, Gender Mainstreaming, Feminismus (also Entwürdigung der Frau) und vieles mehr.

Martyrium

Die Zeichen der Zeit sind klar. Die Verfolgung läuft schon in manchen Regionen der Welt auf Hochtouren und nimmt weiter an Schärfe zu. Im Westen haben wir es mit einem schleichenden Tod des christlichen Glaubens zu tun, welcher irgendwann in eine Verfolgung der verbliebenen Reste ganz natürlich und per demokratischer Mehrheitsentscheidung münden wird. In einer zunehmend globalen Gesellschaft, in der nicht nur Kommunikation und Güterverkehr weltweit zugenommen haben, sondern auch der Ruf nach einer Weltregierung und einem Weltstaat – leider nicht ohne Zutun mancher kirchlicher Instanzen – immer lauter wird, droht nicht nur eine Verfolgung, sondern die erste globalisierte Verfolgung. Man stelle sich nur eine Gesellschaft vor, in der der Zahlungsverkehr elektronisch abliefe, alle Daten elektronisch gespeichert und global abgeglichen und ausgetauscht werden können, durch Satellitentechnologie eine hochauflösende Überwachung auch der entlegenen Schlupfwinkel denkbar wäre, in denen Christen während früherer Verfolgungen immer noch Zuflucht finden konnten.

Man stelle sich eine Christenverfolgung vor, die globalisiert abläuft, und modernste Technik einsetzt. Wie gründlich, wie präzise, wie industriell wäre sie – was ein Wunder des technischen Fortschritts, ein Weltwunder der Moderne.

Das sind die Zeichen der Zeit, wie ich sie sehe, wie ich sie zu erkennen glaube. Sie sind nicht unausweichlich. Doch abgesehen von einem direkten Gnadenakt Gottes sehe ich nicht, wie wir an dieser Entwicklung vorbeikommen können. Gesellschaftliche Trends entwickeln eine Eigendynamik, und die gesellschaftlichen Trends, von denen hier die Rede ist, werden systematisch durch interessierte Kreise verstärkt. Sie werden ebensowenig von selbst aufhören, wie sie in den letzten gut dreihundert Jahren von selbst aufgehört haben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich alles von selbst wieder zum Guten wenden wird, und unsere verbliebene menschliche Kraft ist zu gering, um den Kurs der Weltgeschichte auch nur um eine Bogensekunde zu beeinflussen.

Solange es keinen außerordentlichen direkten Eingriff von Ganz Oben gibt, wird es zu dieser Verfolgung kommen – vielleicht etwas früher, vielleicht etwas später. Aber sie wird kommen.

Und dann wird das Blut der Märtyrer wieder zur Saat der Kirche, und ein neuer Tag bricht an und die Krise wird vorüber sein

Zeichen der Zeit (Teil 1)

Einleitung

Eines der beliebtesten Schlagwörter unserer Tage ist wohl, die Kirche müsse endlich die Zeichen der Zeit erkennen, und sich nach ihnen richten. Gemeint ist in der Regel die Anpassung des kirchlichen Glaubens und der Moral an die herrschenden Trends der Zeit. Doch das hat nichts mit dem zu tun, was der Christ unter dem Erkennen der Zeichen der Zeit versteht, wie jedem klar sein dürfte, der sich die Mühe gemacht hat, die entsprechenden Herrenworte einmal zum Gegenstand des Gebets oder auch nur des logischen Denkens zu machen.

Erkennen der Zeichen der Zeit

Doch es gibt wirklich Zeichen der Zeit, die die Kirche wirklich erkennen muss. Zum Beispiel deuten sich große Krisen, Verfolgungen, in der Regel Jahre und Jahrzehnte vorher an. Sie sind sichtbar für denjenigen, der mit wachem Auge die Welt anschaut, sie kennt, aber ihr nicht verhaftet ist. Ich spreche nicht von Propheten, die durch göttliche Gnadengabe Dinge sehen und prophezeihen können, welche kein normaler Menschenverstand hätte erkennen können – ich meine die Zeichen, die deutlich machen, was geschehen wird, wenn sich nichts ändert, und die durch Gebrauch der Wahrnehmungsfähigkeit und des Verstandes erkannt werden können.

In unserer Zeit sind diese Zeichen mit Leuchtschrift quer über den ganzen Erdball geschrieben, wenn man sie sehen will.

Einige Beispiele

In den Ländern, in denen das Christentum zuerst etabliert wurde, wird es heute mehr und mehr verfolgt. Die koptischen Gemeinden in Ägypten, die irakischen Christen, die es seit der „Befreiung“ von ihrem Diktator sehr schwer haben, generell die Christen des Nahen Ostens und Nordafrikas, schwinden rapide dahin durch Vertreibungen, Verfolgungen und direkten Mord.

Und das angeblich christliche Abendland, so könnte man meinen, schaut tatenlos zu. Bis auf das eine oder andere pflichtschuldige Wörtchen über die Rechte religiöser Minderheiten allgemein, die erschreckend in ihrer Kraftlosigkeit und verstörend in ihrer Beliebigkeit daherkommen, und in ihrer Effektivität dem bekannten Tropfen auf dem heißen Stein noch um einiges nachstehen, geschieht nichts. Und wenn doch, dann begünstigen die Aktionen des „christlichen Abendlandes“ in diesen Ländern eher noch die Vertreibung und Verfolgung der Christen, die von den säkularen Diktatoren, die der achso schöne „arabische Frühling“ zu beseitigen unternimmt, in den meisten Fällen noch zähneknirschend geduldet wurden.

Und in den Ländern des christlichen Abendlandes selbst sieht es zwar aktuell noch besser aus, was die direkte körperliche Bedrohung von Christen angeht, doch im spirituellen Sinne ist dies das wahre „Schlachtfeld“ – denn das Blut der Märtyrer belebt die ganze Christenheit immer wieder neu, während das langsame Entschlafen der westlichen Christen, ihre Gleichgültigkeit und Apathie, keinen solchen Effekt hat. Der Teufel ist nicht dumm – er hat die Lektion gelernt. Direkte Verfolgungen, so gern er sie auch hat, sind für seine Sache auf lange Sicht schädlich. Viel besser ist es für ihn, wenn die Christen nicht durch den Tod als Märtyrer zur Schau des göttlichen Angesichts im Himmel kommen, sondern langsam von ihrem Glauben wegdriften, geistlichen Tod durch die besondere Mischung von fanatischem Amüsement und geisttötender Langeweile erleiden, die die westlichen Gesellschaften kennzeichnet. Denn die geistlich Sterbenden, im Unterschied zu den körperlich sterbenden Märtyrern, erlangen nicht unbedingt die ewige Seligkeit, sondern sind im Gegenteil hervorragende Anwärter für die ebenso ewige Verdammnis.

Die Fehler des Teufels

Doch auch wenn der Teufel dumm ist, er ist doch unverbesserlich. Er wird dieselben Fehler wieder machen, und auch im Westen mehren sich die Zeichen einer bevorstehenden Verfolgung. Das Wort des amerikanischen Kardinals, er werde im Bett sterben, sein Nachfolger im Gefängnis, ist keine unfehlbare Prophezeihung. Aber es scheint, angesichts der gesellschaftlichen Trends, keine allzu weit hergeholte oder unwahrscheinliche Prognose zu sein. Im Gegenteil. Bereits heute sind Christen in einer Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche unter Beschuss geraten. In den Vereinigten Staaten kämpft eine schrumpfende Kirche um den Erhalt des Rechts, keine schwerwiegenden moralischen Übel wie Verhütung und Sterilisierung mitfinanzieren zu müssen. Das ist nur eines von sehr vielen Beispielen. War es vor 100 Jahren die Kirche, die die Religionsfreiheit abgelehnt hat, um die Vorrechte des wahren Glaubens zu erhalten, so sind wir heute in der paradoxen Situation, dass der Kampf um Vorrechte, um die Förderung des wahren Glaubens, im Westen verloren ist, und selbst der Kampf um gleiche Rechte für die katholische Religion nicht gerade gut steht. Und die USA haben es weitaus besser als Westeuropa – dort gibt es wenigstens wahrnehmbare Bewegungen zur Verteidigung des Glaubens. Hier in Deutschland haben sich die offiziellen Kirchenvertreter viele Jahre lang geradezu um die Komplizenschaft bei der Abtreibung gerissen, damit sie gesellschaftlich nicht an Anerkennung verlieren, und sind bis heute – von wenigen Ausnahmen abgesehen – stumm angesichts der großen Übel geblieben, die unsere Familien in hochmütiger Verfolgung von „Emanzipation“ und „Selbstverwirklichung“ zerrissen, die Schafe durch religiösen Indifferentismus und Modernismus verstreut, und die Seelen in höchste Gefahr des ewigen Todes gebracht haben.

Was die Effektivität der kirchlichen Antwort auf die moralischen Übel unserer Zeit betrifft, die kann jeder selbst beurteilen, wenn er sich die Abtreibungszahlen, Scheidungsraten und Eheschließungen unter Katholiken anschaut, und sie mit den entsprechenden Zahlen unter den falschen Religionen anschaut. Dasselbe gilt für die religiösen Übel der Zeit – die Kirchen sind leer, und wenn man der durchschnittlichen Glaubensverkündigung tatsächlich glauben möchte, hat das auch seinen guten Grund: Warum soll man das ungünstig gelegene, nicht besonders aufregende Gemeidemahl besuchen, als das das Heilige Messopfer allzu oft dargestellt wird? Warum soll man fest dem wahren Glauben anhängen, wenn doch alle Religionen gleich gut sind, und keine für sich Wahrheit beanspruchen kann? Warum soll man sich gegen die moralischen Übel verwahren, sündhafte Handlungen unterlassen, und nach Heiligkeit streben, wenn Gottes Barmherzigkeit bedeutet, dass es ihn nicht interessiert, was wir tun, solange wir Spaß daran haben, und unser Gewissen nach sorgfältiger Vernachlässigung und Verrohung nicht mehr dagegen aufbegehrt (oder wir es zum Schweigen gebracht haben)?

Und damit lasse ich den Leser für heute allein – morgen folgt der zweite Teil dieser Betrachtung der Zeichen der Zeit

Was können wir tun…?

Ein regelmäßiger Leser und Kommentator schrieb kürzlich im Kommentarbereich dieses Blogs folgende Wortmeldung:

„Was ich nur generell bemängele ist, ob wir in unserer gegenseitigen Zustimmung hier nur im eigenen Saft schmoren. Wir klopfen uns in der Blogozese gegenseitig auf die Schultern aber die Außenwirkung ist äußerst beschränkt. Ich frage mich, was können wir tun um unseren Missionsauftrag wirklich zu erfüllen? Eine Junge Freiheit wagt es dem Establishment auf politischer Ebene mit einer wahren konservativen Weltanschauung die Stirn zu bieten und wird dafür als “rechts” oder “ultrakonservativ” (wie Santorum!) geächtet. Ähnlcih geht es einem römischen Katholiken (im Gegensatz zu einem Deutschkatholiken) wenn er zum Beispiel versucht, sich für die Messe im a.o. Ritus zu engagieren. Man wird geächtet und wird implizit in die Nähe von Neonazis gerückt (man beachte die Perversion des Denkens), ich habe es am eigenen Leibe erlebt. Was können wir tun um diesem Denken entgegenzutreten, über die Diskussion in Internetforen und -blogs hinaus?“

Ich antwortete:

Was können wir also über die Diskussion in Blogs und Foren hinaus tun, um diesem Denken entgegenzutreten? Das ist eine sehr interessante und wichtige Frage, über die ich schon häufiger nachgedacht habe:
Direkt – nicht allzu viel. Wir haben keine politische, wirtschaftliche oder mediale Macht, die an die weltlichen Mächte heranreichen könnte. Wir sind David und haben nur eine kleine Schleuder und ein paar Steine. Wir sind zwölf kleine Fischersleute in einem heidnischen Weltreich. Indirekt, über unser alltägliches Handeln, einiges. Lassen Sie mich Anthony Esolen zitieren:
“You can engage a culture, but you cannot engage a corpse. When people are living in a cemetery, you do not join them. You establish a real village, and invite them over. You first become the sorts of people who sing, who love men and women for what they are, who love children (and actually have a few), who admire innocence, and who kneel before the holy. Then you will have something of a culture – and you will find those who are weary of the alternative trying to engage you. ”
Seht nur, wie die Christen einander lieben, wie sie füreinander da sind, wie sie ihren Glauben furchtlos bekennen, zu Märtyrern werden, wenn es von ihnen verlangt ist. Das hat einmal funktioniert – es wird wieder funktionieren. Wir müssen eigentlich nur immer wieder im alltäglichen praktischen Leben die Alternative aufzeigen. Immer predigen – wenn nötig auch mit Worten, besser aber durch stillschweigende Taten. Vielleicht wird jemand, der liest, wie freundschaftlich wir hier in der Blogozese miteinander diskutieren, diesen Eindruck haben und innehalten.
Ich glaube, eine wirkliche christliche Familie, eine einzige heilige Familie, ist wie ein Licht in der Finsternis, und wird die Menschen ganz ohne Worte überzeugen, allein durch ihr Sein. Dasselbe gilt für heilige Priester, die in der Welt leben, aber nicht von ihr erstickt werden.
Zehntausend Evangelisierungsinitiativen bekehren einen Menschen. Ein Heiliger bekehrt zehntausend.
Wir können nicht mehr tun als Heilige werden und in jedem Tag unseres Lebens dazu stehen. Egal in welchem Lebensstand wir sind. Wenn wir dann verfolgt werden, dann werden wir eben verfolgt. Wenn wir beleidigt werden, dann werden wir beleidigt. Wenn wir niedergeschlagen werden, stehen wir wieder auf. Keine Strategie, kein Aktionsplan wird uns in dieser Sache helfen können. Nur absolute Treue zu Gott in der Gegenwart. Für die Zukunft wird Er dann sorgen.
Was das an konkreten Handlungen bedeutet – jeder muss das tun, wozu er in seinem Stand berufen ist. Wenn sich die Chance bietet, Positionen zu klären, Missverständnisse auszuräumen, und Irrtümer aufzuzeigen, dann sollten wir das tun. Wenn nicht, dann nicht.
Ich werde dazu bald wohl etwas mehr schreiben, jetzt wo Sie dieses Thema angeschnitten haben.

Ich möchte nun zu dieser Antwort noch einige Gedanken hinzufügen, die das Thema in einen etwas anderen Zusammenhang stellen und von einer anderen Warte beleuchten, als dies in den beiden zitierten Kommentaren geschehen ist:

Sein und Machen

Die Frage „Was können wir tun…?“ fordert ihrer ganzen sprachlichen Struktur nach als Antwort eine Liste konkreter Handlungen ein. Was können wir tun? Wir können Streitschriften verfassen, Protestaktionen starten, gegen Ausgrenzung und Verfolgung von Christen eintreten. Wir können Unterschriften sammeln, über den Glauben sprechen, Vorurteile abbauen und vieles, vieles mehr. Zudem können wir, was schon weitaus näher am Ziel liegt, beten, uns direkt an Gott wenden, die Heiligen um Hilfe bitten, und ganz besonders Zuflucht bei der Mutter Gottes suchen. Das alles ist enorm wichtig. Besonders die zweite Hälfte der Liste.

Wir haben keine politische Macht, keine mediale Macht, keine ökonomische Macht, um die Meinungen in der Gesellschaft zu ändern. Wir sind wie David nur mit einer Schleuder ausgestattet und treten einer technologisch hochgerüsteten medialen und gesellschaftlichen Propagandamaschinerie entgegen, die über die Schulhoheit, die Universitätshoheit, die Medienhoheit, die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft und jeden anderen denkbaren Vorteil verfügt. Die Kräfte dieser Welt und ihres (wie immer) scheinbar triumphierenden Fürsten haben ungehinderten Zugriff auf jeden Menschen in der westlichen Welt spätestens ab dem fünften oder sechsten Geburtstag, in vielen Ländern durch immer früher einsetzende Verstaatlichung der Kindererziehung bereits eher. Und diese Kräfte lassen weder uns noch unsere Kinder jemals wieder los. Wenn wir heute ein Kind in die Welt setzen, wird es in zwanzig Jahren ein überzeugter Anhänger dieser Welt sein und den wahren Glauben zurückgelassen haben. Darauf können wir praktisch wetten.

Die Panzer des Goliath sind größer als die Schleuder des David. Dies ist ein Kampf, den wir nach menschlichem Ermessen nur verlieren können. Und wir verlieren auch die meisten Schlachten. In unserem Land dürfen unschuldige Kinder von Ärzten auf Kosten der Krankenkassen und im Auftrag ihrer Mütter dahingeschlachtet werden. Ähnliches gilt mehr und mehr auch für nicht mehr gesellschaftlich nutzbare Subjekte am anderen Ende des Lebens. Eine totale Umwertung der Werte hat stattgefunden, und selbst die meisten Würdenträger in der Kirche haben sie mitgemacht. Sie denken und handeln in rein weltlichen Kategorien. Der ehemals so große Christliche Westen ist eine spirituelle Ruine, die durch Verbrennung aller wahren Güter kurzfristig materiellen Reichtum auf Kosten ihrer Seele erworben hat.

Die falschen Spielregeln

Warum verlieren wir diese Schlachten? Warum sind wir so marginalisiert? Warum scheitern wir? Weil wir nach den Regeln der Welt spielen. Wir fragen, welche Möglichkeiten wir haben, was wir tun können. Wir planen, starten Initiativen, wollen eine „Neu-Evangelisierung“. Nichts gegen alle diese nützlichen Handlungen. Soweit wir uns an ihnen beteiligen können, sollten wir das auch tun. Doch so werden wir keine Umkehr schaffen. Nicht solange wir an morgen denken. Nicht solange wir eine Strategie haben. Nicht solange wir auch nur die kleinste Reserve vor Gott halten. Nicht solange wir nicht alles was wir haben, alles was wir tun, alles was wir sind, ohne jede Zurückhaltung und ohne jeden Hintergedanken, Gott zur Verfügung stellen. Nicht solange wir nicht unser Kreuz aufnehmen und Christus nachfolgen, koste es was es wolle. Wenn wir dafür verfolgt werden, dann werden wir eben dafür verfolgt. Wenn wir dafür sterben müssen, dann müssen wir eben sterben (das müssen wir ohnehin alle).

Wir werden die Umkehr nur dann schaffen, wenn wir unserer Berufung zur Heiligkeit nachkommen. Wir sind von Gott an diesen Ort gesetzt worden, an dem wir jetzt sind. Gott weiß was Er tut. Gott weiß was Er will. Wir müssen nur kapitulieren, wir müssen uns nur ausliefern, alles in unserem Leben, einschließlich unserer selbst, dem Herrn als Opfergabe darbringen. So wie Christus. Worin dieses konkrete Opfer, dieses konkrete Kreuz bestehen mag? Wer kann es wissen, außer Gott? Wir brauchen es auch erst zu wissen, wenn es soweit ist, und dann werden wir es früh genug erfahren.

Was passiert, wenn wir uns Gott ausliefern und nichts zurückhalten? Wir verfügen über ganz solides Erfahrungswissen zu dem Thema. Wenn ein Dutzend Menschen sich Gott ausliefert, werden Weltreiche bekehrt. Den Statistiken zufolge lesen vielleicht dreißig, vielleicht fünfzig, wenn es hoch kommt hundert Menschen diesen Artikel. Was wäre wenn wir uns einfach Gott auslieferten? Gott nimmt jeden, der sich freiwillig meldet. Wenn zwölf Menschen ein Weltreich bekehren können, was vermögen wir dann, wenn wir einfach nur das sind, wozu wir berufen sind?

Und wozu sind wir berufen? Allgemein lautet die Antwort: Zur Heiligkeit. Doch es gibt so viele Heilige, und so viele Wege zur Heiligkeit, obwohl natürlich alle diese Wege einiges gemeinsam haben. Sie alle haben die Sakramente, die Kirche, Christus, das Gebet, Marie usw. gemeinsam. Das ist ungeheuer wichtig. Doch auf der menschlichen Seite gibt es so viele Unterschiede. Menschen aus allen Lebenslagen können heilig sein. Die meisten werden nicht einmal als solche erkannt. Sie spielen sich nicht nach vorn. Sie stehen nicht in der Öffentlichkeit. Sie haben keine Macht. Wie viele heilige Mütter hat es gegeben, von deren Heiligkeit nur die eigene Familie wusste? Wie viele einfache Bauern und Arbeiter und Handwerker, die gerecht waren und Gott und den Nächsten liebten? Aus jeder Lebenslage erwachsen Heilige, weil jede Lebenslage, jedes Schicksal, jeder Umstand, Gott aufgeopfert werden kann, und Ihm zu Ehren gelebt werden kann.

Heiligkeit ist kein Austreten aus der Welt, sondern das genaue Gegenteil. Es ist die Kapitulation vor Gott, das Niederlegen der Waffen des sündigen Rebellen. Das kann jeder Mensch, egal wo er herkommt, egal welche Bildung, welche Intelligenz, wie viel oder wenig Geld, welche Krankheiten er hat. Absolut jeder Mensch kann das. Er muss es nur wirklich wollen. Er muss die schon vollbrachte Erlösung nur noch annehmen. Es ist ein Geschenk – sonst nehmen wir Geschenke doch gern an? Oder haben wir selbst das schon verlernt?

Wenn die Heiligen so vielfältig sind, sind auch die Berufungen so vielfältig. Wenn wir eine Familie haben, sollten wir in der Familie bleiben und mit dieser Familie ein Licht in die Finsternis werfen. Dasselbe gilt für alle Menschen aller Berufungen – Väter und Mütter in den Familien, geistliche Väter und Mütter aller Art, besonders natürlich die Priester, aber nicht nur sie.

Wir müssen nur kapitulieren, unsere Waffen vor Gott niederlegen. Und wenn wir das wirklich tun, dann werden wir ein strahlendes Licht sein, das die Menschen fast magisch anzieht, das in ihnen den Wunsch weckt, auch ein solches strahlendes Licht zu werden. Aber wir sind keine strahlenden Lichter, die die Menschen in ihren Bann schlagen, sie faszinieren können allein mit ihrem Sein, wir sind keine Spiegel, die blank poliert sind, damit sie das Licht der göttlichen Liebe reflektieren können. Wir, und dies schließt den Autor dieser Zeilen an allererster Stelle mit ein, sind schmutzig, sündhaft, verschmiert, nicht blank und strahlend. Das ist das Problem.

Je dunkler die Dunkelheit, desto heller das Licht. Doch unser Licht ist nicht hell, weil wir die Dunkelheit als unseren Mantel angenommen haben.

Seht nur wie sehr sie einander lieben, und wie sehr sie dem Herrn Jesus Christus bis in den Tod nachfolgen. Aus dem Blut der Märtyrer geht die Christenheit immer wieder neu hervor. Das ist der einzige Weg, weil Christus er einzige Weg ist, und weil der Weg des Martyriums, der Weg des Kreuzes, der Weg Christi ist. Solange wir dieses Mittel nicht verwenden, werden wir wirklich nur „im eigenen Saft schmoren“. Egal ob wir uns nur in der Blogozese gegenseitig auf die Schulter klopfen, oder tausend gutgemeinte Evangelisierungsinitiativen starten und vor Geschäftigkeit nicht mehr zum Schlafen kommen. Wir alle, und an erster Stelle der Autor dieser Zeilen, sind vom Geist dieser Zeit angesteckt – wir sind unverbesserliche Macher.

Es gibt keine erfolgreichen Missionare, die nicht zugleich weit auf dem Weg der Christusnachfolge vorangekommen waren. Unseren Missionauftrag können wir nur erfüllen, wenn wir heiliggemäß leben. Die Gesellschaft können wir nur verändern, wenn wir heiliggemäß leben. Die Neu-Evangelisierung ist nur möglich, wenn wir heiliggemäß leben.

.Doch Heiligkeit kann man nicht machen. Und ohne sie ist alles andere vergebens.

Antikatholizismus: Eine Zukunftsperspektive (Teil 2)

(Dies ist der zweite Teil der Artikelserie zum Antikatholizismus anlässlich der diversen Vorfälle beim Weltjugendtag und um ihn herum. Der erste Teil findet sich hier)

Mögliche Gegenmaßnahmen

Wie sollte man als Katholik, besonders als junger Katholik, mit dieser Lage umgehen? Ein Abfall vom Glauben aus politischer Korrektheit sollte überhaupt nicht in Erwägung gezogen werden. Man wird also entschlossen die Wahrheit sagen müssen, sich zugleich auf eine Verschlechterung der Lage einrichten, vorbereiten, so dass man seinen Glauben so gut kennt, dass man ihn auch in einer sehr feindseligen Umgebung entschlossen vortragen und verteidigen kann, und die nötige moralische Festigkeit entwickeln („fortitudo“), auch schwerwiegenden Bedrohungen und selbst einer möglichen neuen Christenverfolgung in Treue zum Glauben und zur Kirche gegenübertreten zu können.

Mit dieser inneren Stärke und Überzeugung sowie dem soliden Glaubenswissen (und den besten Argumenten für den Glauben) ausgerüstet, kann dem Katholiken eigentlich nicht so viel passieren. Historisch haben viele Menschen ihr Leben verloren, sind brutal ermordet worden, nicht weil sie ein Verbrechen begangen hätten, sondern einfach nur, weil sie offen ihren christlichen Glauben bekannt haben. Diese Märtyrer haben die schlimmsten Dinge bereits durchgemacht, die einem Christen auf dieser Erde drohen können – und sie haben in Festigkeit und Treue zum Glauben und zur Wahrheit gestanden. Mehr wird von uns auch nicht verlangt werden können – wahrscheinlich viel weniger. Das sollten wir doch schaffen können.

Der kommende Bruch

Ein Einwand könnte vorgebracht werden: Man könnte sagen, es sei doch viel eher unsere Aufgabe, das gesellschaftliche Klima zu beeinflussen wo wir können, um das Abgleiten der Gesellschaft in offenen Hass und vielleicht gar Verfolgung abwenden zu können, und ihr sogar wieder auf einen besseren Weg zu verhelfen. Das zu tun ist sicher richtig, soweit man dazu in der Lage ist. Doch der faktische Einfluss des Katholizismus auf das Denken und Handeln der breiten Bevölkerungsmehrheit tendiert gegen Null. Ähnliches gilt inzwischen auch für den Einfluss des Glaubens auf die Politik, selbst innerhalb von CDU und CSU. Daher kann man sicher sein Möglichstes tun, und sollte es sogar. Doch ich fürchte, das wird nicht ausreichen – haben denn nicht die gläubigen Katholiken schon bisher in dieser Hinsicht alles versucht und sind glatt gescheitert? Die Kraft der heutigen winzigen Minderheit gläubiger, junger Katholiken wird nicht in erster Linie in der Bekehrung der Gesellschaft durch Argumente und ein gutes Beispiel liegen, sondern in der Bewahrung des Schatzes der Wahrheit für zukünftige Generationen, die wieder ein Interesse daran entwickeln werden, wenn das derzeitige Gesellschaftssystem an seinen schweren Konstruktionsfehlern zerbrochen ist. Böckenförde und andere wussten schon lange, dass die moderne Gesellschaft von Grundvoraussetzungen und Werten lebt, die sie selbst nicht bereitstellen, sondern von denen sie nur zehren kann. Schon heute sehen wir das Modell der relativistischen Wohlfahrtsgesellschaft überall knirschen und knarren – wirtschaftlich, kulturell, ethnisch, in allen Bereichen driftet die europäische Gesellschaft auf einen Bruch- oder Wendepunkt zu. Vor diesem Bruchpunkt wird es keine kulturelle Umkehr geben, keine Abkehr von einem sittlichen Standpunkt der zunehmenden Verrohung, in dem aufgrund seiner moralischen Verwerflichkeit schon latent die Abneigung gegen das gediegene, ausgeglichene Wertesystem des traditionellen Katholizismus steckt, allein schon um seiner Selbstrechtfertigung Willen.

Doch nach diesem Bruchpunkt, nachdem die illusorische Sicherheit nicht mehr existiert, die uns der weitgehend auf Pump und auf Kosten der gesellschaftlichen und familiären Substanz angehäufte Wohlstand oberflächlich zu bieten vermag, werden die Menschen allein schon um der Sicherung ihres physischen Überlebens Willen von ihren derzeitigen Ideologien Abstand nehmen müssen. Wer dann die traditionellen Tugenden noch beherrscht, in einer traditionellen christlichen Gemeinde seine Heimat findet, und sich auf die Unterstützung einer traditionellen Familie verlassen kann, der hat Glück gehabt. Die anderen werden dann, nach dem Wegfall großzügiger Wohlfahrtssysteme, schon eher in Schwierigkeiten geraten.

Das heutige Gesellschaftsmodell ist nicht überlebensfähig. Es basiert auf Voraussetzungen, die es nicht selbst bereitstellen kann. Es kann nur von ihnen zehren – und das tut die gesellschaftliche Moderne schon seit 200 Jahren. Die Reserven sind immer weiter geschrumpft, und mit dem Zerfall der Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kindern in den letzten 50 Jahren, sowie der damit einhergehenden Auslagerung elementarer Funktionen aus diesem Familienverbund hin zum Staat (z.B. Kindererziehung, Altenpflege) ist eine weitere Reserve aufgebraucht. Die Substanz, von der die moderne Gesellschaft noch zehren kann, ist, jenseits oberflächlicher Wohlstandsillusionen, die verschwinden, sobald das Finanzsystem endgültig sein Vertrauen in Papiergeld und Papieraktien verliert, die nur so viel wert sind wie das Vertrauen, das „der Markt“ in sie setzen möchte, extrem dünn geworden. Alles ist „vermarktet“, alle sind abhängig von diesem weltweiten Markt – keiner könnte mehr lokal leben. Zugleich sind die ökonomischen Ansprüche so überzogen hoch, dass schon ein kleiner Wohlstandsverlust zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen und massiven bürgerkriegsähnlichen Gewaltexzessen führen kann. Alles das sind Symptome der Substanzlosigkeit einer Gesellschaft, zusammen mit der moralischen Verrohung, und nicht unabhängig von ihr.

Abschluss: Saat und Ernte

Die Abneigung gegen den traditionellen katholischen Glauben ist dem modernen Gesellschaftssystem in der einen oder anderen Form schon seit seiner Erfindung durch die Aufklärer des 18. und frühen 19. Jahrhunderts inhärent. Nicht immer kam es zu virulenten Ausbrüchen, aber latent fehlte sie nie. Vielleicht wird sie noch einmal zu voller Blüte erwachen, wenn die Schwierigkeiten, die sich vor der Moderne auftürmen, immer höher, immer unübersteigbarer, immer unlösbarer werden, wenn sich wieder einmal die Chance ergibt, die Schuld einem Sündenbock zuzuschieben, ob es die „Reaktionären“, die „Juden“, die „Kapitalisten“, die „Banker“ oder wer auch immer sind. Und dass es sehr schwer ist, solchen Versuchungen zu widerstehen, wenn man kein solides Wertefundament hat – und das hat der moderne Westen nicht – ist aus der Geschichte nur zu gut bekannt.

Sollte dieser latente Antikatholizismus noch einmal größte Virulenz erreichen, so wird man in späteren Generationen auf diese unsere Zeit, die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, als die Zeit zurückblicken, in der die Saat ausgebracht worden ist, deren Ernte die Verfolgung gewesen sein wird.

Antikatholizismus: Eine Zukunftsperspektive (Teil 1)

Einleitung: Anlässe

Die offizielle Internetseite des Weltjugendtages in Madrid ist offenbar Opfer eines Hackerangriffs beworden, wie kath.net unter Berufung auf die spanische Zeitung „El Mundó“ berichtet. Die Täter sind derzeit noch unbekannt, niemand weiß also, ob ein speziell antikatholischer Hintergrund oder die übliche allgemeine Zerstörungswut breiter (und breiter werdender) Bevölkerungsschichten hinter dem Cyberanschlag steckt.

Doch der Internetangriff auf die Seite des Weltjugendtages ist, ebenso wie die teils gewalttätigen Proteste radikaler Antikatholiken gegen den Besuch des Papstes und den Weltjugendtag allgemein, nicht die Ursache für diesen Artikel, sondern nur der Anlass. Denn mehr und mehr setzt sich ein gesellschaftliches Klima der Bigotterie und des scharfen Antagonismus gegen den ernsthaften katholischen Glauben in Europa durch. Dies äußert sich in der Art und Weise wie über katholische Themen berichtet wird – oder auch nicht berichtet wird – in den Medienorganen der herrschenden Elite („Mainstream-Medien“). Es äußert sich auch in wütenden Protesten, teils gewalttätiger Natur und in sinnlos destruktiven Internetangriffen. Doch das alles ist nur die Spitze des Eisbergs.

Tiefgreifende Differenzen

Was sich unter dieser Spitze verbirgt, ist wesentlich größer und tiefgreifender als alles, was durch bloße mediale Desinformation und Ausschreitungen einzelner Minderheitengruppen beschreiben ließe. Einen Einblick in die Volksstimmung bekommt man oft in den Kommentarspalten der Internetausgaben diverser Zeitungen. Es herrscht bei den meisten Europäern, und in besonderem Maße unter den Deutschen, eine fundamentale, fast schon fundamentalistische Abneigung gegen alles, was nur nach katholischem Glauben riechen könnte – solange es sich nicht „modern“ geriert und dadurch jegliche Bedeutung und potenzielle Strahlkraft einbüßt. (Denn eines hat der modernisierte „Reform-Katholizismus“ nicht: Strahlkraft, mögliche Anziehungskraft für eine neue Generation. Daher ist er tolerabel für den heutigen Anti-Katholizismus – er birgt keine Gefahr).

Wann immer vom Papst die Rede ist, fällt das Urteil negativ aus. Der Papst ist gegen Verhütung, gegen die „Entscheidungsfreiheit“ oder „Wahlfreiheit“ der Frau, wenn es um die Tötung ungeborener Menschen geht, gegen die „Errungenschaften“ der modernen Bioethik, darunter die Tötung von Menschen im embryonalen Entwicklungsstadium zu Forschungszwecken sowie die ebenfalls lebensvernichtende Künstliche Befruchtung und vieles, vieles mehr.

Allenfalls zu ökonomischen und umweltpolitischen Themen stimmt der Deutsche mit dem Papst überein – und das auch nur, weil er nicht allzu genau hinhört.

Und was auf den Deutschen zutrifft, das trifft, zumindest in der Tendenz, auch auf den Engländer, den Niederländer, den Franzosen, den Spanier und die anderen Westeuropäer zu. Das ist es, womit Katholiken es in Zukunft zu tun bekommen werden, wenn sich die derzeitigen Entwicklungslinien inicht umkehren.

Es sind nicht bloß „die Mainstream-Medien“ – die mögen an der Entstehung dieser Stimmung mitgewirkt haben, konnten dies aber nur, weil entsprechende Propaganda auf fruchtbaren Boden fiel. Wie die Mainstream-Medien heute über den ernsthaften Katholiken und seine Ansichten berichten, ist natürlich ungerecht – aber es entspricht den Vorurteilen und Wünschen der breiten Bevölkerungsmehrheit. Die Menschen werden durch die unausgeglichene, tendenziöse Berichterstattung getäuscht, sagt der Katholik. Doch das ist nur zum Teil wahr. Denn was wir als Täuschung ansehen, als ungerechtes Foulspiel des Journalismus, das verkauft sich einfach gut. Die Leute wollen den Priester als Bösewicht, den Papst als rückwärtsgewandten Fanatiker sehen, es bestätigt ihre eigenen Vorurteile.

Und langfristig werden die Medien sich immer nach dem Willen der Zuschauer und Leser richten, da die Medien sonst auf dem Markt nicht bestehen könnten – und dasselbe gilt auch für die Politik.

Was derzeit beim Weltjugendtag geschieht, wird nicht oder nur sehr unzureichend berichtet. Die Beschwerden diverser, verglichen mit der großen Zahl anwesender junger Katholiken, winziger Protestgrüppchen stehen im Vordergrund, nicht die Katholiken und ihr Ereignis selbst. Sympathische Berichterstattung gibt es kaum, und selbst die neutrale Variante ist rar gesät. Der Angriff auf die Webseite des Weltjugendtages und die teils gewalttätigen Proteste selbst stoßen in dieselbe Richtung. Die Feindseligkeit, die dem Katholiken außerhalb seines Milieus – und oft genug von Verbandsfunktionären der Kirche auch innerhalb desselben – entgegenschlägt, ist ein weiteres Indiz für den Eisberg, auf den unsere Gesellschaft mit großem Tempo zuzudriften begonnen hat.

Droht die neue Verfolgung?

Doch diese verschiedenen Einzelereignisse treffen nicht den Kern der Sache. Hinter den Eruptionen der Abneigung, die von kleinen Minderheiten der Gesellschaft ausgehen, steht im Großen und Ganzen mit nickendem Haupt die Mehrheit. Die schweigende Mehrheit in Deutschland sympathisiert keinesfalls mit dem Katholizismus, und nicht einmal mit einem allgemeinen „Christentum“. Zwar bezeichnen sich immer noch fast 60% der Deutschen als „Christen“, doch die allermeisten von ihnen haben keine Ahnung, was dieser Begriff überhaupt bedeutet. Immerhin leben wir in einem Land, in dem die Hälfte der Menschen nicht weiß, was an Ostern eigentlich gefeiert wird – und darunter sind auch sehr viele getaufte Christen. Eine andere Umfrage von Infratest dimap zeigt, dass 30% der evangelischen und 15% der katholischen Christen nach eigener Aussage nicht an Gott glauben – also dem Wortsinne nach als Atheisten zu gelten hätten.

In einer derart glaubensfernen Gesellschaft ist die instinktive Sympathie, die man mit dem verspürt, was man kannt, die intuitive Vertrautheit, die das Christentum in Europa lange genossen hat, nahezu vollständig verschwunden. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass selbst die Nichtchristen doch im Wesentlichen ein christliches Wertesystem durch das allgemeine gesellschaftliche Klima und ihr Umfeld aufsaugen werden. Im Gegenteil: Heute kann man sich selbst bei Christen dessen nicht mehr sicher sein. Doch ohne diese instinktive Vertrautheit fehlt ein ganz wesentlicher Stützpfeiler, der Christen bislang vor den Auswirkungen der schon lange anhaltenden Glaubenskrise noch weitgehend geschützt hat. Es ist, ob uns das gefällt oder nicht, nun einmal so, dass Menschen mit dem Vertrauten, dem Bekannten, anders umgehen als mit dem Fremden. Viel Ablehnung von Schwarzen oder Ausländern kommt sicher daher. Doch es ist eine kaum zu leugnende Tatsache, dass der überzeugte Katholik heute als Fremdling in dieser europäischen Gesellschaft zu gelten hat – ihm wird also die gleiche Art gesellschaftlicher Exklusion zuteil wie dem Ausländer historisch oft zuteil geworden ist, sofern man ihn als solchen identifizieren kann.

Vielleicht ist dieses Niveau noch nicht erreicht – und ganz sicher noch nicht überall in Europa oder auch nur in Deutschland gleichmäßig. Doch die Trendlinie ist eindeutig. Es ist nicht nur so, dass immer weniger Menschen in diesem Land an Gott glauben, und nicht einmal nur, dass die offiziellen Christen faktisch leben, als ob es Gott nicht gäbe, sondern dass aufgrund dieser Ablösung der christlichen durch eine latent spiritualistisch-heidnische Kultur mit einem kräftigen Schuss zur Schau getragener Gottlosigkeit, selbst unter den Gegnern des Christentums mehr und mehr die eben erwähnte instinktive Sympathie fehlt – es ist nicht mehr selbstverständlich, die christlichen Denkkategorien überhaupt zu kennen.

Doch wenn der Katholizismus (in Treue zum Papst und dem überlieferten Glauben) faktisch als Fremdkörper wahrgenommen wird, dann kann es dem Gläubigen passieren, dass er genau so behandelt wird, wie andere unzivilisierte Völker (nicht zuletzt die Deutschen selbst zuweilen in der Vergangenheit) fremde Völker und Einwanderer behandelt haben – mit Verachtung und Ausgrenzung im besten Fall, mit offenem Hass bis hin zu Pogromen im schlimmsten Fall.

Wird es mit Sicherheit dazu kommen? Nein, Sicherheiten gibt es keine. Eine Trendwende ist immer möglich. Aber wie der Versuch, das Beichtgeheimnis in Irland auszuhebeln, zeigt, sind selbst katholische Stammländer nicht mehr sicher vor kruden Versuchen der Unterdrückung katholischer Menschen. Der katholische Priester der Zukunft wird, wenn er sich denn der Öffentlichkeit als solcher zu erkennen gibt, womöglich wieder einmal Märtyrer werden – vielleicht anfangs noch im übertragenen Sinne durch aggressive Ausgrenzung seitens der Mehrheit, doch das muss nicht so bleiben.

Eine Gesellschaft, die sich so weit vom Glauben entfernt hat, dass der Antikatholizismus sich fast so gut verkauft wie Sex, hat auch schlicht nicht mehr die moralischen Ressourcen eine solche neue Christenverfolgung als eindeutig moralisch falsch zu bewerten. Wer sich bereit findet, die Tötung unschuldiger Kinder im Mutterleib nicht nur zu legalisieren, sondern als Frauenrecht zu verteidigen und durch die Krankenkassen zu finanzieren, der wird vor dem wesentlich kleineren Unrecht der Unterdrückung einer katholischen Minderheit ebenfalls nicht zurückschrecken. Und da die Tötungshemmschwelle bereits gefallen ist – siehe Abtreibung – wird man auch vor dem letzten Schritt nicht unbedingt zurückschrecken.

Wir dürfen hoffen, dass sich die Lage in der Zukunft durch eine neue Generation junger Katholiken bessert, doch selbst wenn es stimmt, dass die jungen Katholiken zurück zum wahren Glauben wollen, so bleibt es doch ebenso wahr, dass die kirchentreuen Katholiken unter der nachwachsenden Generation eine verschwindend kleine Minderheit ausmachen – die breiteste Mehrheit ist völlig kirchenfern und eine größere Minderheit islamisch. In dem dadurch entstehenden Klima wird die kleine glaubenstreue Minderheit eher noch stärker als Fremdkörper erscheinen als selbst von heute aus absehbar, besonders dann, wenn sie wieder katholisches Profil zeigt, mit der nötigen Schärfe das wachsende Unrecht anprangert und den mehrheitsfähigen Irrlehren argumentativ entschlossen entgegentritt.

(Hier endet der erste Teil der Artikelserie zum Thema Antikatholizismus im Zusammenhang mit diversen Ereignissen beim Weltjugendtag und in seinem Umfeld. Der zweite Teil wird voraussichtlich am Montag veröffentlicht.)