Enthaltsamkeit

Als ich noch ein Atheist war, wurde ich in der Schule mit knapp 16 Jahren gefragt, ob ich denn noch „Jungfrau“ sei. Ich bejahte dies und wurde fast ausgelacht für diese Antwort. Ich muss wohl einer von ganz wenigen gewesen sein. Auch damals war mir intuitiv klar, dass sexueller Kontakt etwas ganz Persönliches, ganz Besonderes ist, das Intimste, das zwei Menschen miteinander teilen können. Und dass man deswegen sexuell enthaltsam leben solle, mindestens, bis man sicher sei, den richtigen Partner fürs Leben gefunden zu haben. Ich hätte dies damals sicher nicht zu einer allgemeinen Regel erhoben, und ich wusste auch nicht so recht, was eigentlich an vorehelicher Sexualität falsch war. Es mangelte auch nicht an Anpassungsversuchen an die Welt. Doch je mehr ich mich von der Richtigkeit der modernen Auffassung zu überzeugen versuchte, umso weniger gelang es mir. Dies war einer der ersten Auslöser, mich mit christlichen Positionen zu beschäftigen – sie waren die einzigen, die solche Ansichten auch vertraten. Alle anderen sahen sexuelle Enthaltsamkeit als etwas Schreckliches an. Und meine Mitschülerinnen hatten, so zumindest mein Eindruck, nichts Eiligeres zu tun, als endlich nicht mehr Jungfrau sein zu müssen. Die meisten waren es wohl mit 15 oder 16 auch nicht mehr. Bei den Mitschülern sah es nicht anders aus, allenfalls noch schlimmer.

Aus meiner heutigen Perspektive kann ich sagen, dass meine damalige Haltung richtig war. Sie hat mich nicht nur vor großem psychischen Leid bewahrt, wie es nur allzu typisch für den modernen Jugendlichen ist, sondern auch einen Grundstein für meine spätere Empfänglichkeit für christliches Gedankengut gelegt. Hier war eine Sympathie zwischen meinen Intuitionen und der Haltung der Kirche – eine kleine Ritze im Panzer der Ablehnung Gottes. Diese Ritze hat Gott für einen massiven Angriff auf meine Trutzburgen genutzt und sie alle, nacheinander, systematisch, zum Fallen gebracht.

Man könnte sagen, er habe mich erobert.

Für unverheiratete Menschen ist Enthaltsamkeit schwierig. Manche sagen sogar, sie sei unmöglich. Die Tugend der Keuschheit verlangt allerdings entweder absolute eheliche Treue oder absolute sexuelle Enthaltsamkeit. Kein Seitensprung hier und da ist in der Ehe erlaubt. Und außerhalb der Ehe ist ebenfalls kein Seitensprung erlaubt.

Wer noch nicht verheiratet ist, der ist bereits gegenüber seinem zukünftigen Ehepartner verpflichtet, diesem treu zu sein, denn Treue gilt lebenslang, und das bedeutet auch vor der Ehe.

Wer nicht verheiratet ist, weil er sich ganz Gott hingeben möchte, und eine Berufung in dieser Richtung verspürt, dem ist dieselbe absolute Treue nicht gegenüber seinem zukünftigen Ehepartner, sondern gegenüber Gott selbst geboten.

Immer ist es absolute Treue – gegenüber dem Menschen, oder gegenüber Gott. Absolute Treue ist schwer. Die Tugend der Keuschheit ist daher ein Schutzwall um die Treue, und dieser Schutzwall verlangt die Beschränkung auf höchstens einen Menschen, dem man diese Intimität schenkt.

Warum nur ein Mensch im ganzen Leben? Die Ehe ist eine Institution der Ganzhingabe, weil sie eine Institution der absoluten Treue ist. Man ist mit Leib und Seele verheiratet. Man ist „ein Fleisch“ geworden. Da sind natürlich immer noch die zwei Körper, doch sie sind zu einer Einheit verschmolzen. Nichts wird da zurückgehalten. Die Einheit steht nicht unter dem Vorbehalt der Fortexistenz emotionaler Zuneigung. Sie steht nicht unter dem Vorbehalt ökonomischer Bequemlichkeit. Sie steht nicht unter dem Vorbehalt der Pille oder des Kondoms – Kinder können ja hinderlich sein. Sie steht unter gar keinem Vorbehalt. Sie verlangt die Aufgabe aller Reserven, bis hin zur Selbstaufgabe. Sie verlangt die Bereitschaft, sich für den Ehepartner hinzugeben, ja sogar für diesen zu sterben, wie Christus am Kreuz für Seine Braut gestorben ist.

Solange wir geistliche Kondome tragen, um uns vor der unheimlichen Befruchtung durch den Opfertod Christi für uns, dir wir Glieder Seiner Braut sind, zu schützen, solange wir auch nur die kleinste Reserve vor Ihm zurückhalten, solange werden wir auch nicht fähig sein, alles unter Christus unserem Ehepartner zu geben. Solange werden wir auch körperliche Kondome tragen und die Empfängnis des neuen Lebens mit „Anti-Baby-Pillen“ verhindern. Denn es gibt eine ganz fundamentale Korrespondenz zwischen dem geistlichen und dem körperlichen Teil des Menschen. Die Sakramente beweisen es: Sie sind körperliche, materielle Zeichen für geistliche Realitäten, doch sie deuten nicht nur auf diese Realitäten hin, sondern sie bewirken sie wahrhaftig. Körperlichkeit und Geistigkeit entsprechen einander. Sie sind zwei verschiedene Ebenen, natürlich, aber zwei Ebenen derselben Realität. Und dies ist eine Realität der Inkarnation, der Fleischwerdung Gottes. Materielle und spirituelle Wirklichkeit durchdringen einander, bis sie manchmal kaum voneinander unterschieden werden können. Das Kondom ist eine Trennwand zwischen den Partnern beim Sexualakt. Es symbolisiert – und realisiert zugleich – die Trennwand in den Seelen der Partner. Es verkörpert eine seelische Realität, selbst wenn diese Realität nicht bewusst reflektiert wird. Sowohl körperliche als auch geistige Realität sind objektiv und sie haben eine Sprache, die wir sprechen, ob wir wollen, oder nicht.

Das Verhütungsmittel sagt – ob wir wollen oder nicht – „ich halte eine Reserve vor Dir. Ich gebe mich Dir nicht ganz hin. Ich will mir alle Optionen offenhalten. Wer weiß, was geschieht, wenn wir wirklich ernst machen.“ Denn dann ist alles möglich – wie immer mit Gott. Dann kann das ganze Leben aus der Bahn geworfen werden. Vielleicht können wir uns die Kinder gar nicht leisten. Wir müssten kürzer treten. Die Frau müsste ihren Beruf aufgeben, um die Kinder zu versorgen. Das wäre alles so hinderlich!

Ja, das wäre es. Ganzhingabe, absolute Treue, vollständige Selbstaufgabe, Verlust des eigenen Selbst in den Armen des Anderen unter Gott, das ist schwer, das ist hinderlich. So schwer, so hinderlich, wie das Kreuz, an dem Er sich für uns ganz hingegeben hat, an dem Er Seinem Vater absolut treu war, und sich vollständig selbst aufgegeben hat, bis zum Verlust des eigenen Selbst durch den Foltertod.

Das ist das Wesen unserer Religion.

Nein, die Ehe ist einmalig, weil man sich nur einmal verschenken kann. Deswegen ist sie übrigens auch nicht wirklich vereinbar mit der anderen Art, sich selbst zu verschenken, nämlich der geistlichen Berufung, besonders dem Priestertum. Wer sich einmal ganz verschenkt hat, der hat sich nicht mehr. Der Andere hat ihn. Er kann nicht mehr einfach so über sich verfügen.

Und weil die Ehe einmalig ist, kann man sie auch nicht vorwegnehmen, indem man sie vorher einfach simuliert oder ausprobiert. Gott vergibt alle unsere Fehler und Sünden, auch die Sünden gegen die Keuschheit, die mit vorehelicher Sexualität einhergehen, wenn wir um Vergebung bitten, und umkehren. Doch sie bleiben Fehler und Sünden, und es ist weitaus besser, wenn man sie nicht begeht.

Außerdem ist Enthaltsamkeit nicht nur sittlich richtig, sondern auch schön. Denn wer sich ganz aufbewahrt für den Anderen, der hat einfach mehr zu verschenken, wenn es dann soweit ist.

Homosexualität und Scheidung

Dieser Tage ist das Thema Homosexualität ja in aller Munde. Die Inselaffen (in gänzlich korrekter evolutionsbiologischer Ableitung) wollen eine „Homo-Ehe“ einführen. Die Franzosen haben denselben Plan gefasst, und in Deutschland sollen Homosexuelle, die in eingetragenen Partnerschaften leben, in Zukunft ein verfassungsgerichtlich erzwungenes erweitertes Adoptionsrecht haben. In der Kirche vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendjemand fordert, die Kirche müsse mit der Zeit statt mit der Bibel gehen und sich endlich für die Partnerschaften von homosexuellen Paaren „öffnen“. In der Praxis haben nicht wenige Seminaristen, Priester und womöglich Bischöfe sich der Homosexualität auch dadurch sehr weit geöffnet, dass sie sie selbst praktiziert haben. Oft genug auch mit Minderjährigen, worauf die überwiegende Mehrzahl der Missbrauchsfälle zurückzuführen ist.

Homosexualität ist also in aller Munde. Politisch wird es zunehmend schwer für diejenigen, die sich nicht dem Zeitgeist beugen, sondern die überlieferte Familie entschlossen verteidigen, und diejenigen, die am eifrigsten nach Toleranz gegenüber Homosexuellen rufen, haben meist überhaupt keine Toleranz, wenn es um die Minderheitenrechte von traditionellen Christen geht, die an der traditionellen, von Gott eingesetzten Ehe festhalten, und dafür auch öffentlich eintreten möchten.

Ich habe großen Respekt vor denen, die gegen die Homo-Ehe in der Öffentlichkeit kämpfen, und ihr Kampf ist notwendig. Doch das eigentliche Übel liegt woanders. Für die meisten Menschen ist einfach nicht einsichtig, warum zwei Homosexuelle nicht heiraten können, wenn sie es doch wollen. Lieben sie sich denn nicht ebenso aufrichtig, wie das heterosexuelle Liebespaar von nebenan? Ist denn nicht ihre Zuneigung deutlich erkennbar? Ja, natürlich, das mag durchaus alles sein. Es gibt solche homosexuellen Paare. Doch wenn zwei Männer einander wirklich aufrichtig lieben, warum sollen sie dann nicht heiraten können? Für den Menschen von heute ist das ein großes Rätsel und sein Unverständnis gegenüber der Haltung der Kirche rührt von daher.

Die Antwort ist ganz einfach: Weil es in der Ehe nicht in erster Linie um Liebe geht! In Casti Connubii (unbedingt lesen!) zitiert Pius XI. den hl. Augustinus, demzufolge die drei Güter der Ehe „Nachkommenschaft, Treue, Sakrament“ seien.

Die Ehe ist für die Sicherung der Nachkommenschaft da (sowohl Zeugung als auch Aufzucht, Erziehung und Bildung der Kinder, was eine dauerhafte Bindung der Eltern aneinander und an ihre minderjährigen Kinder erfordert).

Die Ehe ist für den gegenseitigen Beistand und die Hilfe der Eheleute da. Die Eheleute stehen sich sowohl in den Fährnissen des alltäglichen Lebens, als auch (und vor allem) auf der Pilgerreise durch dieses zeitliche Leben hin zu ihrer ewigen Bestimmung im Himmel bei.

Die Ehe ist schließlich Sakrament, eine unauflösliche Verbindung zweier Menschen, die durch ihre Verbindung sichtbares Zeichen für die Vereinigung Christi und Seiner Braut, der Kirche, werden, und zwar in einer Weise, dass dieses Zeichen eines der sieben Sakramente ist. Es ist also nicht bloß ein Zeichen, sondern ein wirklich wirksames  Zeichen.

Aus diesem Eheverständnis heraus wird sofort klar, warum es nicht Hass oder Phobie ist, die den Christen zur Ablehnung homosexueller Partnerschaften führt, sondern einfach die offensichtlichen Tatsachen, dass

(1) zwei Homosexuelle durch die Nutzung ihrer natürlichen körperlichen Fähigkeiten prinzipiell niemals Nachkommen miteinander zeugen können,

(2) zwei Homosexuelle sich vielleicht auf dem Weg auf dieser Erde gegenseitig beistehen können, aber nicht auf der Pilgerreise, die in den Himmel führen soll, weil ihr Verhalten dem göttlichen Gebot widerspricht, und

(3) zwei Homosexuelle nicht in der Lage sind, die Vereinigung Christi mit Seiner Braut zu symbolisieren, weil Christus keinen Bräutigam, sondern eine Braut hat, und die Braut keine Christa, sondern den Christus.

Die „Ehe“ zwischen zwei Männern oder zwei Frauen ist daher einfach ein Widerspruch in sich. Man kann keine „Homo-Ehe“ einführen, ebenso wie man nicht per Dekret festlegen kann, dass alle Eier in Zukunft perfekte Sechsecke seien. Eier sind nun einmal eiformig, nicht sechseckig, und Ehen sind nun einmal verschiedengeschlechtlich, nicht gleichgeschlechtlich.

Doch dieses Eheverständnis sagt noch viel mehr aus als nur die Unmöglichkeit der „Homo-Ehe“. Auch die Scheidung ist damit unmöglich. Die Pilgerreise, auf der die Eheleute einander beistehen sollen, ist lebenslang. Sie endet erst mit dem Tod. Und die Ehe zwischen Christus und der Kirche ist ewig, so dass eine bloß temporäre Bindung unter Scheidungsvorbehalt aus diesen Gründen ebenfalls ein Widerspruch in sich ist.

Ebenso ist mit diesem Eheverständnis ausgesagt, dass die Ehe, selbst abgesehen von dem sakramentalen Charakter (ohne den eine Ehe ja durchaus gültig sein kann), niemals gänzlich säkular gedacht werden kann, da es nicht nur um gegenseitigen Beistand auf Erden geht, sondern eben auch um Unterstützung und Stärkung auf dem Weg in die ewige Seligkeit.

Dies ist nur eine kleine Auswahl von Implikationen des katholischen Eheverständnisses. Mit diesem gedanklichen Hintergrund kann man ganz ohne Appell an bloße „Ressentiments“ oder „Hass“ oder „Phobien“ erklären, dass eine Ehe zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts einfach ein Widerspruch in sich ist. Doch konsequent muss dann auch gegen Scheidung sein, um nur ein Beispiel zu nennen.

Wenn es bei der Ehe wirklich nur um gegenseitige Zuneigung geht, dann muss die Ehe auch Homosexuellen gestattet werden. Wenn es bei der Ehe aber in erster Linie um etwas ganz anderes als bloße Zuneigung geht, nämlich „Nachkommenschaft, Treue, Sakrament“, dann sieht die Sache ganz anders aus.

Das dominierende Eheverständnis, auch unter vielen Gegnern der „Homo-Ehe“, ist aber das moderne, säkulare Verständnis, die Ehe sei ein sichtbarer Ausdruck für die gegenseitige Liebe der Ehepartner und biete ihnen eine rechtliche Absicherung, die diesem Ausdruck eine gewisse Stabilität bietet, solange die Ehepartner einander noch lieben. Unter diesen Prämissen ist ein Beharren auf der Heterosexualität der Ehe unlogisch und kann dann selbst von gutwilligen Anhängern der „Homo-Ehe“ – von denen ich einige kenne – eigentlich nur als irrationale Ablehnung, als Hass oder Phobie, gedeutet werden. Denn einander lieben können Homosexuelle auch.

Wenn Ehe bloß Liebe + Sex ist, dann sollte Homosexuellen die Ehe geöffnet werden, und Scheidung sollte leicht möglich sein, sobald die Liebe schwindet oder der Sex nicht mehr gut genug ist.

Wenn Ehe aber Nachkommenschaft + Treue + Sakrament bedeutet, dann können zwei Homosexuelle ebensowenig heiraten wie sie die Arme ausstrecken und aus eigener Kraft fliegen können.

Doch dann darf man die moderne Ehe nicht als gegeben hinnehmen, sondern muss für ihre Rückkehr zu den wesentlichen Ehezwecken kämpfen, was dann auch die Unauflöslichkeit bedeutet.

Das ist derzeit politisch nicht durchsetzbar. Doch indem man davon schweigt, wird es nicht leichter durchsetzbar, sondern schwerer.

Zeichen der Zeit (Teil 2)

Gestern schrieb ich über die Zeichen der Zeit, was sie sind und was sie nicht sind, und nannte einige Beispiele für solche Zeichen, die in riesiger Leuchtschrift quer über die ganze Welt geschrieben sind, wenn man sie denn nicht zu ignorieren wünscht. Dies ist der zweite Teil des Essays über die Zeichen der Zeit.

Die Früchte der Anpassung

Wir müssen wirklich die Zeichen der Zeit erkennen – und wir sollten ihnen auch Folge leisten: Wir sehen die Früchte von einem halben Jahrhundert Anpassung an die Zeit. Wir haben, zumindest in der Praxis (die theoretische Debatte über Kontinuität des Konzils sei einmal beiseite gelassen) einen immensen Bruch erlebt. Der Glaube wird selbst in den Kirchen nicht mehr verkündigt, er wird in katholischen Familien – wo es sie noch erkennbar gibt – nicht mehr gelebt, er wird in der Praxis von Priestern, Bischöfen und Laien gleichermaßen geleugnet und in der Liturgie in vielen Fällen geradezu lächerlich gemacht. Es ist nicht nur, dass wir heute mehr sündigen als früher, sondern dass wir unsere Sünden nicht mehr als Sünden zu sehen vermögen, und sie deswegen auch nicht bereuen können. Es sieht düster aus um eine Generation, die das Beichten verlernt, beziehungsweise in geradezu vulgärer Weise säkularisiert, ins Fernsehen verlegt und zu einer journalistischen Kunstform herabgewürdigt hat.

Und dabei ist die Kirche noch fast eine Insel der Seligen. Allein im 20. Jahrhundert haben Staaten durch ungerechte Kriege und industrialisierte Völkermorde mehrere hundert Millionen Menschen ermordet. Allein in den letzten vierzig Jahren sind, belastbaren Schätzungen zufolge, mehr als eine Milliarde Menschen – tausend Millionen – zweimal die Bevölkerung der Europäischen Union, das Dreizehnfache der Bevölkerung von Deutschland – durch Abtreibung ums Leben gekommen, durch eine Praxis also, deren ungehinderte Ausübung von den Eliten weltweit und breiten Mehrheiten im „christlichen Abendland“ als unverzichtbares Frauenrecht gesehen wird (und die in Deutschland von allen Krankenkassen – und damit von den (auch katholischen) Beitragszahlern – finanziell mitgetragen wird). Währenddessen untergraben die entsprechenden Lobbys gesetzesmächtig das Fundament einer jeden menschlichen Gesellschaft, nämlich die natürliche Familie von Mann und Frau durch Scheidung, „Homo-Ehe“, Gender Mainstreaming, Feminismus (also Entwürdigung der Frau) und vieles mehr.

Martyrium

Die Zeichen der Zeit sind klar. Die Verfolgung läuft schon in manchen Regionen der Welt auf Hochtouren und nimmt weiter an Schärfe zu. Im Westen haben wir es mit einem schleichenden Tod des christlichen Glaubens zu tun, welcher irgendwann in eine Verfolgung der verbliebenen Reste ganz natürlich und per demokratischer Mehrheitsentscheidung münden wird. In einer zunehmend globalen Gesellschaft, in der nicht nur Kommunikation und Güterverkehr weltweit zugenommen haben, sondern auch der Ruf nach einer Weltregierung und einem Weltstaat – leider nicht ohne Zutun mancher kirchlicher Instanzen – immer lauter wird, droht nicht nur eine Verfolgung, sondern die erste globalisierte Verfolgung. Man stelle sich nur eine Gesellschaft vor, in der der Zahlungsverkehr elektronisch abliefe, alle Daten elektronisch gespeichert und global abgeglichen und ausgetauscht werden können, durch Satellitentechnologie eine hochauflösende Überwachung auch der entlegenen Schlupfwinkel denkbar wäre, in denen Christen während früherer Verfolgungen immer noch Zuflucht finden konnten.

Man stelle sich eine Christenverfolgung vor, die globalisiert abläuft, und modernste Technik einsetzt. Wie gründlich, wie präzise, wie industriell wäre sie – was ein Wunder des technischen Fortschritts, ein Weltwunder der Moderne.

Das sind die Zeichen der Zeit, wie ich sie sehe, wie ich sie zu erkennen glaube. Sie sind nicht unausweichlich. Doch abgesehen von einem direkten Gnadenakt Gottes sehe ich nicht, wie wir an dieser Entwicklung vorbeikommen können. Gesellschaftliche Trends entwickeln eine Eigendynamik, und die gesellschaftlichen Trends, von denen hier die Rede ist, werden systematisch durch interessierte Kreise verstärkt. Sie werden ebensowenig von selbst aufhören, wie sie in den letzten gut dreihundert Jahren von selbst aufgehört haben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich alles von selbst wieder zum Guten wenden wird, und unsere verbliebene menschliche Kraft ist zu gering, um den Kurs der Weltgeschichte auch nur um eine Bogensekunde zu beeinflussen.

Solange es keinen außerordentlichen direkten Eingriff von Ganz Oben gibt, wird es zu dieser Verfolgung kommen – vielleicht etwas früher, vielleicht etwas später. Aber sie wird kommen.

Und dann wird das Blut der Märtyrer wieder zur Saat der Kirche, und ein neuer Tag bricht an und die Krise wird vorüber sein

Zeichen der Zeit (Teil 1)

Einleitung

Eines der beliebtesten Schlagwörter unserer Tage ist wohl, die Kirche müsse endlich die Zeichen der Zeit erkennen, und sich nach ihnen richten. Gemeint ist in der Regel die Anpassung des kirchlichen Glaubens und der Moral an die herrschenden Trends der Zeit. Doch das hat nichts mit dem zu tun, was der Christ unter dem Erkennen der Zeichen der Zeit versteht, wie jedem klar sein dürfte, der sich die Mühe gemacht hat, die entsprechenden Herrenworte einmal zum Gegenstand des Gebets oder auch nur des logischen Denkens zu machen.

Erkennen der Zeichen der Zeit

Doch es gibt wirklich Zeichen der Zeit, die die Kirche wirklich erkennen muss. Zum Beispiel deuten sich große Krisen, Verfolgungen, in der Regel Jahre und Jahrzehnte vorher an. Sie sind sichtbar für denjenigen, der mit wachem Auge die Welt anschaut, sie kennt, aber ihr nicht verhaftet ist. Ich spreche nicht von Propheten, die durch göttliche Gnadengabe Dinge sehen und prophezeihen können, welche kein normaler Menschenverstand hätte erkennen können – ich meine die Zeichen, die deutlich machen, was geschehen wird, wenn sich nichts ändert, und die durch Gebrauch der Wahrnehmungsfähigkeit und des Verstandes erkannt werden können.

In unserer Zeit sind diese Zeichen mit Leuchtschrift quer über den ganzen Erdball geschrieben, wenn man sie sehen will.

Einige Beispiele

In den Ländern, in denen das Christentum zuerst etabliert wurde, wird es heute mehr und mehr verfolgt. Die koptischen Gemeinden in Ägypten, die irakischen Christen, die es seit der „Befreiung“ von ihrem Diktator sehr schwer haben, generell die Christen des Nahen Ostens und Nordafrikas, schwinden rapide dahin durch Vertreibungen, Verfolgungen und direkten Mord.

Und das angeblich christliche Abendland, so könnte man meinen, schaut tatenlos zu. Bis auf das eine oder andere pflichtschuldige Wörtchen über die Rechte religiöser Minderheiten allgemein, die erschreckend in ihrer Kraftlosigkeit und verstörend in ihrer Beliebigkeit daherkommen, und in ihrer Effektivität dem bekannten Tropfen auf dem heißen Stein noch um einiges nachstehen, geschieht nichts. Und wenn doch, dann begünstigen die Aktionen des „christlichen Abendlandes“ in diesen Ländern eher noch die Vertreibung und Verfolgung der Christen, die von den säkularen Diktatoren, die der achso schöne „arabische Frühling“ zu beseitigen unternimmt, in den meisten Fällen noch zähneknirschend geduldet wurden.

Und in den Ländern des christlichen Abendlandes selbst sieht es zwar aktuell noch besser aus, was die direkte körperliche Bedrohung von Christen angeht, doch im spirituellen Sinne ist dies das wahre „Schlachtfeld“ – denn das Blut der Märtyrer belebt die ganze Christenheit immer wieder neu, während das langsame Entschlafen der westlichen Christen, ihre Gleichgültigkeit und Apathie, keinen solchen Effekt hat. Der Teufel ist nicht dumm – er hat die Lektion gelernt. Direkte Verfolgungen, so gern er sie auch hat, sind für seine Sache auf lange Sicht schädlich. Viel besser ist es für ihn, wenn die Christen nicht durch den Tod als Märtyrer zur Schau des göttlichen Angesichts im Himmel kommen, sondern langsam von ihrem Glauben wegdriften, geistlichen Tod durch die besondere Mischung von fanatischem Amüsement und geisttötender Langeweile erleiden, die die westlichen Gesellschaften kennzeichnet. Denn die geistlich Sterbenden, im Unterschied zu den körperlich sterbenden Märtyrern, erlangen nicht unbedingt die ewige Seligkeit, sondern sind im Gegenteil hervorragende Anwärter für die ebenso ewige Verdammnis.

Die Fehler des Teufels

Doch auch wenn der Teufel dumm ist, er ist doch unverbesserlich. Er wird dieselben Fehler wieder machen, und auch im Westen mehren sich die Zeichen einer bevorstehenden Verfolgung. Das Wort des amerikanischen Kardinals, er werde im Bett sterben, sein Nachfolger im Gefängnis, ist keine unfehlbare Prophezeihung. Aber es scheint, angesichts der gesellschaftlichen Trends, keine allzu weit hergeholte oder unwahrscheinliche Prognose zu sein. Im Gegenteil. Bereits heute sind Christen in einer Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche unter Beschuss geraten. In den Vereinigten Staaten kämpft eine schrumpfende Kirche um den Erhalt des Rechts, keine schwerwiegenden moralischen Übel wie Verhütung und Sterilisierung mitfinanzieren zu müssen. Das ist nur eines von sehr vielen Beispielen. War es vor 100 Jahren die Kirche, die die Religionsfreiheit abgelehnt hat, um die Vorrechte des wahren Glaubens zu erhalten, so sind wir heute in der paradoxen Situation, dass der Kampf um Vorrechte, um die Förderung des wahren Glaubens, im Westen verloren ist, und selbst der Kampf um gleiche Rechte für die katholische Religion nicht gerade gut steht. Und die USA haben es weitaus besser als Westeuropa – dort gibt es wenigstens wahrnehmbare Bewegungen zur Verteidigung des Glaubens. Hier in Deutschland haben sich die offiziellen Kirchenvertreter viele Jahre lang geradezu um die Komplizenschaft bei der Abtreibung gerissen, damit sie gesellschaftlich nicht an Anerkennung verlieren, und sind bis heute – von wenigen Ausnahmen abgesehen – stumm angesichts der großen Übel geblieben, die unsere Familien in hochmütiger Verfolgung von „Emanzipation“ und „Selbstverwirklichung“ zerrissen, die Schafe durch religiösen Indifferentismus und Modernismus verstreut, und die Seelen in höchste Gefahr des ewigen Todes gebracht haben.

Was die Effektivität der kirchlichen Antwort auf die moralischen Übel unserer Zeit betrifft, die kann jeder selbst beurteilen, wenn er sich die Abtreibungszahlen, Scheidungsraten und Eheschließungen unter Katholiken anschaut, und sie mit den entsprechenden Zahlen unter den falschen Religionen anschaut. Dasselbe gilt für die religiösen Übel der Zeit – die Kirchen sind leer, und wenn man der durchschnittlichen Glaubensverkündigung tatsächlich glauben möchte, hat das auch seinen guten Grund: Warum soll man das ungünstig gelegene, nicht besonders aufregende Gemeidemahl besuchen, als das das Heilige Messopfer allzu oft dargestellt wird? Warum soll man fest dem wahren Glauben anhängen, wenn doch alle Religionen gleich gut sind, und keine für sich Wahrheit beanspruchen kann? Warum soll man sich gegen die moralischen Übel verwahren, sündhafte Handlungen unterlassen, und nach Heiligkeit streben, wenn Gottes Barmherzigkeit bedeutet, dass es ihn nicht interessiert, was wir tun, solange wir Spaß daran haben, und unser Gewissen nach sorgfältiger Vernachlässigung und Verrohung nicht mehr dagegen aufbegehrt (oder wir es zum Schweigen gebracht haben)?

Und damit lasse ich den Leser für heute allein – morgen folgt der zweite Teil dieser Betrachtung der Zeichen der Zeit

Aus dem Hirtenbrief von Bischof Huonder…

… zur Ehe. Anmerkungen in roter Schrift und Hervorhebungen von Catocon, wie immer:

Fragen an die Seelsorger

Nochmals auf die erwähnte Statistik zurückgreifend, müssen wir uns fragen, ob Traupaare genügend in die Ehe und ihren christlichen Gehalt eingeführt werden. Wird ihnen die Tragweite des Versprechens bewusst gemacht? (In der Regel nicht) Werden die Fragen bezüglich der Bereitschaft zur christlichen Ehe ehrlich beantwortet? (Nein.) Ja, wird die liturgische Form der Trauung, die in sich eine wunderbare Ehekatechese ist, überhaupt eingehalten? (Nicht, wenn die Ehepartner nicht darauf bestehen…)

Aus Gesprächen bezüglich Nichtigkeitsverfahren geht nicht selten hervor, das die Unterweisung mangelhaft war (oder gar nicht in wahrnehmbarer Form als solche zu erkennen war), oder dass absichtlich gewisse liturgische Formulierungen ausgeblendet wurden wie etwa „bis der Tod euch scheidet.“ (So etwas ist ja auch unbequem, in einer Zeit, in der Ehebruch nicht nur akzeptabel ist, sondern schon fast erwartet wird…)

Dazu stellen sich noch folgende Fragen: Werden die Traupaare auf ihre geistig-seelische Reife genügend geprüft? (Nein. Es wird grundsätzlich angenommen, dass die durchschnittliche geistig-seelische Reife der Gesellschaft zureichend ist. Und die ist nun einmal auf dem Niveau eines pubertierenden Jugendlichen.) Müsste nicht manche kirchliche Trauung abgesagt oder verschoben werden, weil die notwendigen Voraussetzungen für eine christliche Ehe fehlen? (Ja, und zwar mehr als „manche“, womöglich gar die meisten. Doch das wäre ja „unhöflich“ und nicht modern genug.) Treten Paare wirklich im Glauben an das Sakrament an den Traualtar? (Sakrament? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wir leben im 21. Jahrhundert!) Wollen sie den Ehebund wirklich mit Blick auf Christus und auf dem Fundament seiner Lehre eingehen? (Mit Blick auf Christus? Nein, mit Blick auf die Befriedigung der eigenen Wünsche und Triebe, die das einzige sind, das für uns wirklich zählt. Und Christi Lehre? Fundamente sind fundamentalistisch und reaktionär.)

Ein wichtiger, bei kath.net in Gänze lesbarer Hirtenbrief in der Fastenzeit von Bischof Vitus Huonder von Chur, einem der wenigen orthodoxen katholischen Bischöfe der Schweiz. Das Hirtenwort spricht durchweg eine klare Sprache, und dies gilt auch für die enthaltenen Fragen an die Seelsorger, die viele dieser Seelsorger vermutlich ihrem Bischof gar nicht ehrlich beantworten könnten, ohne zugleich ihr Versagen einzugestehen.

Ein beeindruckendes und erschreckendes Testament eines halben Jahrhunderts Dialog- und Partizipationskirche. Frage an die Seelsorger: Wäre es nicht an der Zeit, zur Verkündigung der wahren und klaren Lehre der katholischen Kirche zurückzukehren?

Es bleibt dabei: Katechese statt Dialog. Leitung durch Hirten statt Partizipation durch Schafe.

Und wen kann es noch verwundern, dass Bischof Huonder der erste deutschsprachige Bischof war, der von der in Summorum Pontificum enthaltenen Option der Einrichtung von Personalpfarreien für die Anhänger der traditionellen Messe Gebrauch gemacht hat?

Über eine Sonntagspredigt

In der kurzen Zeit seit meinem Übertritt zur katholischen Kirche und unmittelbar davor habe ich sehr viel Negatives über den Zustand der katholischen Kirche und besonders ihrer Liturgie gelesen und gehört. Ein Punkt, der neben den anderen oft thematisierten Fragen dabei oft auftauchte war die fade und inhaltsleere Qualität vieler Predigten.

Gestern hatte ich das Glück einem eindrucksvollen Gegenbeispiel beizuwohnen. Es war eine Predigt über das Sakrament der Ehe. Dieses Thema liegt mir besonders am Herzen, weil es gerade diese Fragen waren, durch die ich erstmals positiv mit der katholischen Kirche in Berührung kam, lange bevor ich den Glauben der Kirche für etwas anderes als frömmlerische Erfindung hielt.

Die Predigt dauerte etwa zwanzig Minuten, war von vorne bis hinten klar und nachvollziehbar logisch strukturiert, erklärte auf allgemeinverständlichem Niveau und doch mit theologischer und spiritueller Tiefenschärfe sehr viele wesentliche Punkte der Lehre zum Ehesakrament und kontrastierte diese eindrucksvoll mit der ehelichen Ruinenlandschaft, die das Resultat der Säkularisierung des Eheverständnisses ist. Sie ging auch schweren und womöglich unpopulären Themen nicht aus dem Weg, vermittelte diese jedoch mit der nötigen Klarheit und dogmatischen Deutlichkeit, allerdings sanft und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl.

In diesen zwanzig Minuten lernte der Zuhörer unter anderem:

– Warum die Ehe unauflöslich ist

– Warum die künstliche Geburtenregelung verwerflich ist,

– Welche Ehezwecke es gibt und warum sie existieren,

– Wie die innere Ordnung der Ehe hinsichtlich der Aufgaben von Ehemann und Ehefrau aussieht,

– In welchem Zusammenhang das Sakrament der Ehe mit dem Verhältnis von Christus zu seiner Kirche steht,

– Wieso die Ehe kein „weltlich Ding“ sein kann,

– Dass die Ehe eine hohe Würde besitzt, und worin sie besteht,

– Dass jedes Kind ein unverzichtbares Geschenk Gottes ist,

und einiges mehr.

Eine wirklich beeindruckende Predigt, wie ich Vergleichbares seit meinem Übertritt zur Kirche noch nicht gehört hatte.

Das einzige Problem: Es war ein Pater der Piusbruderschaft, der diese vortreffliche Predigt hielt.

Sicher gibt es viele gute katholische Priester außerhalb der Piusbruderschaft in ganz normalen Gemeinden (oft haben sie allerdings mit Widerständen aus den Gemeinderäten und teilweise auch „von oben“ aus den Diözesen zu kämpfen, wodurch sie an der Ausübung ihres Amtes gehindert werden).

Doch die Predigt vom Sonntag ist aus meiner Sicht ein weiteres Indiz für die immer deutlicher hervortretende Tatsache, dass die Kirche in den westlichen Ländern die geistige und geistliche Kraft der Piusbruderschaft dringend braucht, und jeder Katholik den Tag mit Freunden erwarten sollte, an dem es gelingt, die Piusbruderschaft wieder in volle Einheit mit Rom zu bringen und ihr oft hervorragendes Wirken breiteren Kreisen der Gläubigen zugänglich zu machen als bisher.

Etwas ironisch könnte ich schließen: Die Piusbruderschaft erkennt nachkonziliares Lehramt offenbar doch an – zumindest bei Humanae Vitae scheint es in Deutschland machmal, als seien sie die einzigen, die das täten…

Bischof Tebartz-van Elst zu Ehe und Familie (Teil 2 von 2)

Wir hatten gestern den ersten Teil eines Interviews der WELT mit dem Bischof von Limburg Franz-Peter Tebartz-van Elst kommentiert. Hier folgt nun der zweite Teil, in dem es unter anderem um das Lebensrecht, künstliche Befruchtung, PID, die „Homo-Ehe“, und den Begriff der „christlichen Leitkultur“ geht.

Welt Online: Was die Weitergabe des Lebens betrifft, so will die Bundesfamilienministerin die künstliche Befruchtung wieder stärker bezuschussen. (Kinder für die Rente, wie schon beim Krippenwahn)

Tebartz-van Elst: Es ist schon erstaunlich, dass Formen des medizinisch-technischen Eingriffs in die Weitergabe des Lebens relativ schnell und unbedenklich seitens des Staates unterstützt werden sollen. (Erstaunlich? Eigentlich ist es, gegeben die derzeit mit stillschweigender Unterstützung der Bischöfe herrschende Ideologie der Kultur des Todes, ganz logisch.)  Statt den vielen Familien zu helfen, im Alltag Familie zu leben und ihre Kinder zu verantwortlichen und selbstständigen Menschen zu erziehen, werden spektakuläre Einzelmaßnahmen (keine moralische Bewertung dieser spektakulären Einzelmaßnahmen?) als Familienförderung angepriesen.

Bei der Initiative wird allerdings nur von den Kosten der medizinischen Durchführung gesprochen und nicht von der medizinisch-psychologischen Betreuung von Familien, die den seelisch und körperlich belastenden Weg einer künstlichen Befruchtung einschlagen. Die Schwere des Eingriffs wird bagatellisiert. (Der Einwand gegen die regelmäßig Menschen im embryonalen Lebensstadium tötende künstliche Befruchtung ist also mal wieder einer angeblich fehlender „psychologischer Betreuung“. Auch auf diese Art von „Unterstützung“ der Kultur des Lebens kann man gern verzichten. Wer solche Freunde hat….)

Wie bei der Entscheidung für die Präimplantationsdiagnostik, die PID, wird eines deutlich: Es geht nicht um den absoluten Wert des Lebens (richtig. Darum ging es Ihnen die ganze Zeit auch nicht gerade, Exzellenz. Immerhin kommen Sie am Ende noch kurz auf diesen absolut zentralen Punkt.) oder um einen würdevollen Umgang auch mit den eigenen Grenzen, sondern um Interessen und Präferenzen. Der Gesamtzusammenhang des menschlichen Lebens, die, wie Papst Benedikt XVI. es ausdrückt, „Ökologie des Menschen“, gerät dabei aus dem Blick. (Ja, das tut er. Selbst bei Bischöfen.)

Welt Online: Wie bewerten Sie die Bundestagsabstimmung über die PID? (Vermutlich war sie irgendwie psychologisch belastend für irgendjemanden oder so…)

Tebartz-van Elst: Ich bin erschrocken (erschrocken!) darüber, wie sie ausgegangen ist. Leben ist immer ein absoluter Wert. (Jetzt plötzlich? Schön zu hören. Wo sind die Taten?) Wenn man anfängt, diesen zu relativieren, gerät man in Widersprüche – das haben wir bei der Abtreibungsproblematik bitter erkennen müssen. (Haben wir? Hat sich die Kirche je wirklich gegen den oft staatlich finanzierten Mord an Millionen unschuldiger Kinder gewehrt? Hat sie ihn nicht durch die schändliche Ausstellung von Darf-Scheinen über viele Jahre praktisch gefördert?)

Welt Online: Apropos Abtreibung. Das Bundesverfassungsgericht trug Mitte der 90er-Jahre dem Gesetzgeber auf, die Praxis des Paragrafen 218 nach einiger Zeit zu überprüfen. Das ist bis heute nicht geschehen – warum? (Jetzt kommt einmal eine schöne Antwort:)

Tebartz-van Elst: Dass das Gericht sein Urteil bisher nicht wieder in Erinnerung gebracht hat und es politisch bislang nicht wieder aufgegriffen wurde, ist ein Indikator. Es zeigt sich, und das sehen wir nicht nur in diesem Zusammenhang, dass sich auch in der Rechtsprechung gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln. (Genau. Es ist eine Illusion zu glauben, das Recht sei das Recht. Gesetze werden immer so angewendet und ausgelegt, wie es den Machthabern gefällt. Es gibt keine wirklichen „unveräußerlichen“ Grundrechte im Grundgesetz, weil Texte eben geduldig sind. Sie ertragen jede Auslegung. Was übrigens den Protestantismus mit seiner sola scriptura-Lehre restlos widerlegt, aber das nur am Rande…)

Wo es noch vor wenigen Jahren einen offensichtlichen Wertekonsens gab (wo war er? Blicken wir zurück, so sehen wir im 20. Jahrhundert bis 1945 eine massenmörderische Gesellschaft und spätestens ab 1970 wieder. Die Zeit dazwischen käme womöglich in Frage, war aber nur eine kurze Übergangsphase zwischen zwei mörderischen Generationen, die in Gänze den Sinn der Moderne verstanden haben), stellt sich die Situation heute disparater dar . Das bereitet mir Sorge. Gerade, wenn es um den Lebensschutz geht. (nein, sie ist heute uniform, nicht disparat. Es gibt keine gesellschaftlich wahrnehmbaren Lebensschützer mehr.)

Welt Online: Ist das nicht ein Indiz für eine nachlassende Prägekraft des Christlichen? (Ja, das ist es. Die deutsche Gesellschaft als christlich zu bezeichnen ist Etikettenschwindel. Wir haben eine stark von okkulten und esoterischen Praktiken geprägte neuheidnische, selbstvergötternde Gesellschaft, kurz eine moderne Gesellschaft)

Tebartz-van Elst: Dass manches kontrastierend zu dieser Welt erscheint, hat stets zur Verkündigung des Glaubens gehört. (Hat es? Bisher war eher die haltlose Anpassung an die Welt und ihren Fürsten charakteristisch für die Arbeit der Bischöfe. Es wäre schön, wenn sich das mit Ihnen änderte, Exzellenz!) Es ist meine Aufgabe als Familienbischof, dafür Sorge zu tragen, dass wir unser Verständnis von Ehe und Familie deutlicher herausstellen. (Da können wir ja vielleicht noch einige klare Worte in Zukunft erwarten. Aber bitte klarer als dieses Interview, sonst ist das alles ziemlich sinnlos.)

Unsere Aufgabe besteht darin, all jenen eine größere Unterstützung und Lobby zu geben, die sich für dieses Verständnis entscheiden und damit die ausdrückliche Bereitschaft, Kindern das Leben zu schenken, leben. (Werden wir ja sehen.)

Welt Online: Bedrückt es Sie, dass heute offener als noch vor zehn Jahren von Homo-Ehe gesprochen wird? (Mich nicht. So wird die Absicht der Ideologen besser sichtbar für die extrem wenigen, die es sehen wollen.)

Tebartz-van Elst: Der Begriff ist sehr problematisch. Als katholische Kirche (wieder eine Sonderlehre? Oder wieder der Versuch, sich vor dem barbarischen Wutanfall der Homo-Ideologen zu schützen, der immer kommt, wenn jemand einen Wahrheitsanspruch in dieser Frage erhebt, wie Bischof Overbeck zu seinem Leidwesen vor einigen Jahren hat erfahren müssen?) können wir nicht teilen, was damit gemeint ist. Gott hat Mann und Frau füreinander geschaffen, aus ihrer lebenslangen Verbindung in Liebe und Treue erwächst Nachkommenschaft. An dieser Schöpfungswirklichkeit können und dürfen wir nicht vorbeigehen. (Richtig. Aber wer ist mit „wir“ gemeint? Die katholische Kirche? Die deutsche Gesellschaft vertreten durch die staatliche Rechtsordnung? Etwas mehr Klarheit wäre hier vonnöten.)

So sehr jedem homosexuell veranlagten Menschen persönlicher Respekt gebührt, so wenig darf das christliche Verständnis von Ehe und Familie dadurch relativiert werden. (Korrekt. Aber es bleibt dabei: Ehe und Familie sind keine christlichen Sonderlehren. Es sind aus der natürlichen Vernunft ableitbare ethische Wahrheiten, die hinter dem christlichen Verständnis von Ehe und Familie stehen.)

Welt Online: Damit finden Sie wenig Gehör.

Tebartz-van Elst: Es entspricht der Schöpfungswirklichkeit, dass Kinder ihre Eltern als Mutter und Vater erleben. Für eine gesunde psychische Entwicklung und Orientierung brauchen Kinder die Begegnung mit Frau und Mann als Mutter und Vater. (Das Wesen der Frau ist Mutterschaft; das Wesen des Mannes Vaterschaft. Mutter und Vater sind nicht „Rollen“, die manche Menschen eben annehmen, und manche nicht, sondern sie sind das, was Frau und Mann ausmacht, was sie zu einem erforderlichen Teil der Schöpfungsordnung macht. Natürlich gibt es auch zu geistlicher Mutter- oder Vaterschaft berufene Menschen, etwa Priester, Ordensleute, aber auch Menschen, die geistliche Mutter- oder Vaterschaft außerhalb dieser Stände leben. Beides ist möglich, legitim und sogar großartig. Aber Mutterschaft gehört zu jeder Frau und ist keine Option. Vaterschaft gehört zu jedem Mann und ist keine Option. Auflehnung gegen Mutterschaft als solche oder Vaterschaft als solche ist zugleich Auflehnung gegen die natürliche Schöpfungsordnung und das natürliche moralische Gesetz, das aus ihr entspringt – und damit Auflehnung gegen den Herrn und Schöpfer selbst, sprich das Bekenntnis „non serviam“.) Wenn diese natürliche Verbindung nicht mehr erlebt, garantiert und akzeptiert wird, hat dies gravierende Auswirkungen auf die seelische Entwicklung eines Menschen. (Seelische Entwicklung? Geht es hier wieder um psychologische Betreuung, wie weiter oben, oder hat der Bischof einen christlichen Seelenbegriff im Kopf, und spricht hier durch die Hintertür von der ewigen Verdammnis, die ja in gewissem Sinn auch eine „seelische“ Entwicklung ist.)

Welt Online: Hat die Kirche in der Auseinandersetzung über die Homo-Ehe einen Kampf verloren? (Nein. Sie hat ihn nicht geführt.)

Tebartz-van Elst: Ich bin überzeugt, dass die Gesellschaft unser Zeugnis braucht, weil wir darauf aufmerksam machen, was verloren geht, wenn Ehe und Familie nicht mehr so geschützt werden, wie es die Mütter und Väter des Grundgesetzes festgelegt haben. (Man gewinnt den Eindruck, der Bischof von Limburg sei Jurist und kein Theologe. Seine ständigen Berufungen auf das Grundgesetz sind schön und gut – aus den genannten Gründen praktisch nostalgischer Natur, aber immerhin war das Grundgesetz, solange es noch praktische Bedeutung besaß, ein gutes Verfassungswerk.) Mit großem Erfolg für unser Gemeinwesen sahen sie die Familie als Keimzelle der Gesellschaft.

Deshalb (nein, nicht deshalb – das wäre auch so, wenn es nicht im Grundgesetz stünde…) ist der Ehe von Mann und Frau eine unverwechselbare Priorität zu geben, um es noch deutlicher zu sagen: ihr Alleinstellungsmerkmal zu stärken. (So weit, so gut. Wie wollen wir das „Alleinstellungsmerkmal stärken“? Ist das eine Forderung nach der Abschaffung der ebenso eheähnlichen wie unmoralischen „Eingetragenen Partnerschaft“? Es wäre an der Zeit.)

Welt Online: Vor einem Jahr zeigten Sie sich skeptisch gegenüber der Einschätzung des Bundespräsidenten, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Sehen Sie aber in ethischen Fragen nicht Übereinstimmungen zwischen Christen und Muslimen?

Tebartz-van Elst: Durchaus. Denken Sie an die Stellung von Ehe und Familie (etwa bei der Polygamie, bei der Verstoßung der Frau durch den Mann usw. Eindeutige Gemeinsamkeiten…) , die Bewahrung der Schöpfung, den Schutz des Lebens (etwa Ehrenmorde, Selbstmordattentate…) . Da sind wir nahe beieinander. (Eindeutig. Das haben wir gesehen.) Das hat sich beispielsweise in der Diskussion um die PID gezeigt. (Ja, es gibt wirklich Gemeinsamkeiten. Man verstehe mich nicht falsch. Ich bin auch der Meinung, die Gemeinsamkeiten sollten herausgestellt werden – aber nicht ohne auch auf die Unterschiede in ethischer Hinsicht zu verweisen.)

Welt Online: Wo sind die Differenzen?

Tebartz-van Elst: Eindeutig dort, wo es um Glaubensfragen geht. Wo wir als Christen in Jesus Christus die unüberbietbare Selbstmitteilung Gottes (ich hatte gedacht, er sei „der Sohn Gottes“, nicht die „unüberbietbare Selbstmitteilung“ – ich habe jedenfalls bei meinem Übertritt das Credo bekannt und dort war vom Sohn und nicht von der Selbstmitteilung die Rede. Ich kann mich aber auch verhört haben…) begreifen und bekennen, kommen der Zuspruch und der Anspruch des Evangeliums zur Geltung. Europa ist ein Kontinent, der wesentlich geprägt ist von der Botschaft des Evangeliums. (Jetzt muss der Bischof noch die Vergangenheitsform meistern. Der Kontinent WAR geprägt vom Christentum. Diese längst verblichene Religion hat heute keinen wahrnehmbaren Einfluss mehr auf den Kontinent, zumal ihre offiziellen Vertreter sich mehrheitlich nicht mehr offen und klar zu ihren Lehren bekennen, sondern sich hinter Zeitgeistfloskeln verstecken – von Ausnahmen wie dem Bischof von Limburg mal abgesehen.)

Welt Online: Sie haben von einer christlichen Leitkultur gesprochen …

Tebartz-van Elst: …was nicht heißen soll, dass andere Kulturen bei uns keinen Platz haben. (Natürlich nicht. Der Multikulturalismus ist schließlich Teil der Ersatzreligion, die wir alle angenommen haben! Das bloß noch als kulturelles Bindemittel verstandene Christentum, das Breivik-Christentum, ist eher Problem als Lösung. Das weiß der Bischof auch – für ihn ist das Christentum nicht bloß ein kulturelles Phänomen. Aber es wird trotzdem reflexartig suggeriert.) Es geht mir um etwas anderes. Ich möchte daran erinnern, was in unserer Gesellschaft vom Geist des Christentums geprägt worden ist. (Hier ist die Vergangenheitsform. Sie IST GEPRÄGT WORDEN. Sie wird es nicht mehr.) Werte und Haltungen kommen aus dem Gottes- und Menschenbild des Evangeliums und sind durch die christliche Prägung des Kontinents so sehr zum Allgemeingut unseres Denkens geworden, dass wir sie nicht mehr ausdrücklich als christlich identifizieren. (Wenn der Bischof sich auf Konzepte bezieht, die durch die protestantische Häresie und die selbsternannte „Aufklärung“ aus ihrem angemessenen Kontext gerissen und dadurch pervertiert wurden, dann hat er zwar Recht, aber an solchen ideologisierten und aus ihrem Kontext gerissenen Ideen ist wenig Bewahrenswertes zu finden. Was für Ideen meint er also?)

Welt Online: Zum Beispiel?

Tebartz-van Elst: Rechtsprechung, Rechtsstaatlichkeit und Rechtsauffassung verdanken sich dem christlichen Menschenbild. Unser Grundgesetz beruft sich ausdrücklich auf dieses Fundament und lässt sich nicht anders verstehen. (Ja, das ist ganz schön. Vermutlich werden Konzepte wie Rechtsstaatlichkeit auch wieder verschwinden, wenn noch einige Generationen aggressiver Entchristlichung durch Wirtschaft, Politik, Medien und Bildungsestablishment vergangen sind. Oder wenn man, um etwas scherzhaft zu schließen, im allumfassenden „Kampf gegen Rechts“ auch diese drei „Rechts“-Konzepte bald als Gefahr für die Demokratie ansieht.)

Zusammenfassend ist nicht zu leugnen, dass es zuweilen eine Wohltat sein kann, einen Bischof zu hören, der tatsächlich nicht vor der Lehre der Kirche wegläuft. Nirgendwo leugnet Bischof Tebartz-van Elst ein Dogma oder agitiert gegen Rom und den Heiligen Vater. Dafür ist ihm zu danken. Doch was er sagt, ist dermaßen vorsichtig und brav im gemäßigt-konservativen Bürgertum zu verorten, es ist so zögerlich, so zaudernd. Es ist alles weitgehend richtig, aber es fehlt die Konsequenz, die Klarheit und Deutlichkeit, die die Päpste in den unten Enzykliken immer an den Tag gelegt haben, weshalb ich nicht umhin kann, sie dem Leser erneut anzuempfehlen.

Wir Katholiken sind heute die Gegenkultur, wir sind heute die Rebellen gegen das Establishment – die Lage ist dieselbe wie in den 50er-Jahren, nur genau umgekehrt. Damals gab es eine Rebellion gegen eine zumindest teilweise noch christlich geprägte Gesellschaft. Heute kann es nur noch eine Rebellion geben: Und das ist die Rebellion des wahren Glaubens. Alles andere ist langweilig, abgestanden, öde. Das sollte sich auch an unserem Verhalten zeigen. Wir stehen aktiv gegen die heutige Mehrheitskultur der Moderne, wir stehen gegen alle ihre Verirrungen und Verwirrungen. Eine Verständigung wünschen wir dringend – in Form einer Kapitulation der Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft vor ihrem Erlöser Jesus Christus.Nicht aber in Form eines faulen Kompromisses.

Was sagen die Päpste zu dem Thema? Eine Auswahl wesentlicher Enzykliken zu den Themen Ehe, Familie, Sexualität, Kinder und Jugend, sowie zum grundlegenden Gedankengut der katholischen Soziallehre:

Rerum Novarum (Soziallehre allgemein, Leo XIII.) – Generell zur Lektüre zu empfehlen, besonders jenen, die sich öffentlich zu Äußerungen zur katholischen Soziallehre berufen fühlen, darunter Kardinal Marx.

Arcanum Divinum Sapientiae (Christliche Ehe, Leo XIII.)

Divini Illius Magistri (Erziehung der Jugend, Pius XI.)

Casti Connubii (Christliche Ehe, Pius XI. – Absolut wesentliche Grundlagenenzyklika, die jeder Katholik kennen und verinnerlichen sollte, bevor er sich zu diesem Thema öffentlich vorwagt!)

Humanae Vitae (Sexualität und Fortpflanzung, Paul VI. – Ebenfalls wesentlich und grundlegend.)

Bischof Tebartz-van Elst zu Ehe und Familie (Teil 1 von 2)

Die katholische Kirche in Deutschland hat in den letzten gut 40 Jahren gesellschaftspolitisch weitgehend stillgehalten. Ob Verhütung, Abtreibung, Zerstörung der traditionellen Familie, Feminismus und Gender Mainstreaming, Homo-Ehe, Künstliche Befruchtung, PID und zunehmend auch Euthanasie – die Revolution der letzten gut 40 Jahre ist selten anders als mit Schulterzucken, Gleichgültigkeit und einzelne, selbst innerhalb der Kirche marginalisierte unerschrockene Wortmeldungen begleitet worden. Durch die stillschweigende Duldung, die mit der Reaktion auf Humanae Vitae und in der Frage der zur Tötung der Unschuldigen berechtigenden Beratungsscheine teilweise gar in direkte Unterstützung der vom Seligen Papst Johannes Paul II. so benannten „Kultur des Todes“ ausgeartet ist, war hierzulande die einzige ernstzunehmende Opposition verstummt. In Deutschland wurde die Kirche wie in den meisten anderen westlichen Ländern natürlich immer noch diffus als Hüterin des Lebensrechts, der natürlichen Familie und des natürlichen Todes wahrgenommen und entsprechend diffamiert – doch die Bischöfe taten sehr wenig, um diesen diffusen Ruf mit Leben, Inhalt und vor allem Argumenten zu füllen. Eine Situation, die auf Gemeindeebene, von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, wenn überhaupt noch schlimmer aussah.

Und mehr noch, eine Situation, die sich bis heute nicht geändert hat, auch wenn mit Bischof Tebartz-van Elst aus Limburg als Familienbischof mal wieder ein Hirte den Mund zu solchen Fragen öffnet, und vor der Lehre der Kirche nicht davonläuft. Im Folgenden das WELT-Interview mit dem Bischof von Limburg vom 5. Dezember präsentiert und wie üblich in rot kommentiert.

Welt Online: Der Streit über das Betreuungsgeld für Eltern gleicht einem Glaubenskampf. Wie steht der katholische Familienbischof dazu? (Schon dass man diese Frage überhaupt stellen muss, sagt uns viel über das angstvolle Schweigen seitens des deutschen Episkopats.)

Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst: Aus Sicht der Kirche begrüße ich alle Initiativen, die den Erziehungsauftrag der Eltern unterstützen. Wo Eltern in der Lage sind, ihren Kindern in den ersten drei Lebensjahren (warum nur in den ersten drei Jahren? Warum die Anpassung an die Kindergartenmentalität? Ist die „Selbstverwirklichung“ der Eltern danach erste Priorität für den „Familienbischof“? Warum nutzt man nicht die Gelegenheit zu deutlichen Aussagen über Grundsatzfragen?) all das zu geben, was der seelischen und leiblichen Entwicklung des Kindes dient, sollte der Staat dies unbedingt fördern – auch um das Bewusstsein wachzuhalten, dass eine verlässliche Mutter-Kind- und Eltern-Kind-Beziehung nicht adäquat durch andere Einrichtungen ersetzt werden kann. (Das ist soweit richtig. Aber das trifft auf das vierte, fünfte, sechste… Lebensjahr genauso zu. Auch dass Eltern ihre Kinder in Kindergärten abladen, um nicht mehr von ihnen behindert zu werden, während sie ihren erlauchten Selbstverwirklichungsträumen nachhechten, ist nicht gerade eine löbliche Entwicklung. Zumal Kinder in Kindergärten heutzutage generell nicht gerade im christlichen Geiste erzogen werden, selbst in sogenannten katholischen Kindergärten.)

Welt Online: Daraus spricht Skepsis gegenüber Kinderkrippen. (Maria hätte ihren Sohn niemals weggegeben, und Joseph auch nicht. Die heutigen Ablagehalden für Kinder sollten nicht denselben Namen tragen, wie die Krippe, in der das Jesuskind liegt… Ich schlage vor: Kind-Zentralisationslager)

Tebartz-van Elst: Der Erziehungsauftrag der Eltern hat auch nach unserem Grundgesetz unbedingte Priorität. (Ja, nach unserem Grundgesetz ist das so. Welche kindliche Naivität veranlasst den Bischof zu glauben, das Grundgesetz spiele in der heutigen Republik noch irgendeine nicht-antiquarische Rolle? Im Grundgesetz steht auch das Recht auf Leben, das seit Jahrzehnten von allen relevanten politischen Kräften rituell mit Füßen getreten wird. Und spätestens seit dem Knebelvertrag von Lissabon ist die Bundesrepublik ohnehin nur noch von historischem Interesse und faktisch längst eine Sowjetrepublik der EU)

Welt Online: Und wenn Eltern nicht in der Lage sind, diesen Auftrag zu erfüllen?

//

Tebartz-van Elst: Wo Eltern dieser Verantwortung nicht angemessen nachkommen können, sind Kinderkrippen immer die zweitbeste Lösung. (Nein. Das wären Großeltern und andere Verwandte. Alternativ könnte ein solches Kind auch per Adoption Eltern gegeben werden, welche tatsächlich ein Interesse an dem Kind entwickeln, und es nicht bloß als Konsumgut sehen. Ein Kind in eine so genannte „Krippe“ zu geben, gerade wenn man bedenkt, was das vorherrschende ideologische Gedankengut ist, das hinter der Krippenidee steht, ist nichts als eine besonders subtile und daher besonders perfide Form der Kindesmisshandlung. Ja, es mag Ausnahmen geben. Doch Krippen apodiktisch als „zweitbeste Lösung“ darzustellen, ist schlicht falsch.)  Zielrichtung aller Bemühungen um das Wohl des Kindes muss deshalb für die Politik die Stärkung der Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung sein.

Welt Online: Was „Familie“ ist, darüber scheint es heute in der Gesellschaft keinen Konsens mehr zu geben. Hat es der Bischof und Theologe leichter mit einer Definition?

Tebartz-van Elst: Theologisch gesehen ist Familie „Kirche im Kleinen“, ecclesiola, Abbild des Bildes Gottes mit den Menschen und Zeichen seiner unwiderruflichen Treue. (Schöne Worte. Teilt das noch ein anderer Bischof so?) Gesellschaftspolitisch betrachtet ist Familie das, was das Grundgesetz definiert: die Keimzelle unseres Gemeinwesens. Beides beschreibt, was Familie bedeutet. (Ja, doch da gibt es noch die Soziallehre der Kirche, die ebenfalls etwas zur Familie sagt, was Bischof Marx, der sich scheinbar zum obersten Soziallehrer der Bischofskonferenz berufen fühlt, gern verschweigt. Ich empfehle die Enzykliken der Päpste zu diesem Thema – Links siehe auf der Seite „Lehre der Kirche“ auf diesem Blog, oder am Ende dieses Artikels.)

Welt Online: Das Begriffspaar Ehe und Familie ist für die Kirche nicht aufzulösen, aber offensichtlich für die Gesellschaft … (Die Säure des Modernismus zerfrisst alles. Sie löst alles auf, selbst die grundlegenden Bausteine der Gesellschaft. Doch damit sägt sich die Gesellschaft den Ast ab, auf dem sie sitzt, solange es ihr nicht gelingt, den fortpflanzungsprozess in Laboratorien zu synthetisieren und damit auch praktisch von der Sexualität zu trennen. Welche Folgen das haben wird, werden wir, falls das System lange genug durchhält, womöglich noch sehen. Ich empfehle Huxleys Brave New World zu dem Thema. Er war zwar Atheist, aber dennoch zuweilen prophetisch.)

Tebartz-van Elst: …und das halte ich für äußerst problematisch. (Problematisch ist eine schwache Formulierung für „absolut katastrophal“) Denn wo, wenn nicht in der Familie, lassen sich die Ausprägung von Personalität, das Erlernen von Solidarität und das Praktizieren von Subsidiarität besser erfahren? (Solidarität und Subsidiarität: Zwei wesentliche Grundsätze der Soziallehre) Zu diesem unverwechselbaren Lebensentwurf von Ehe und Familie kann es deshalb aus christlicher Sicht keine Alternative geben. (Aus christlicher Sicht? Handelt es sich bei Ehe und Familie also um eine Art christliche Sonderlehre, die sich speziell aus der christlichen Offenbarung ergibt? Seltsam, ergibt sich doch nach der naturrechtlichen Ethik das Verständnis von Ehe und Familie, welches auch die Kirche teilt, bereits durch die natürliche Vernunft.)

Welt Online: Sie meinen, mit ihrem Familienbild sei die Kirche up to date. In politischen Debatten sieht sie eher alt aus. (Welche politischen Debatten? Die Kirche schweigt sich weitgehend aus.)

Tebartz-van Elst: Wir sind mit unserem Verständnis von Ehe und Familie up to date, weil junge Menschen sie nach wie vor in ihrer Lebensplanung als erstrebenswert erachten und sie an die erste Stelle setzen. (Sachlich falsch. Sie mögen das in Umfragen behaupten – kostet ja nichts. Aber praktisch haben Ehe und Familie keine normative Bedeutung mehr in der heutigen Gesellschaft der jungen Leute. Klar sagen sie, „Familie“ sei ihnen wichtig – doch Familie ist dann das unverbindliche Zusammenleben einiger Sexualpartner und vielleicht noch die Zeugung von Kindern mit sofortiger Weitergabe an die Krippe, den Kindergarten usw., also ohne Verantwortung und Bindung.) Zahlreiche Umfragen bestätigen diesen Wert. Wer in den persönlichen Beziehungen Zuverlässigkeit und Treue erlebt, der geht mit Veränderung und Brüchen in unserer Gesellschaft zuversichtlicher um. (Ach so, jetzt reduziert der Bischof den Wert der Familie auf das subjektive Erleben von Zuverlässigkeit und Treue, die den Menschen dazu befähigten, mit „Brüchen“ besser umzugehen. Traurig, aber wahr. An solchen Äußerungen, die ja nicht falsch sind, aber unvollständig, sieht man wie sehr selbst die besseren unter den deutschen Hirten dem Zeitgeist des Modernismus anheim gefallen sind. Die natürliche Vernunft wird gar nicht bemüht, religiöse Argumente fehlen ebenfalls, es bleibt ein psychologischer Appell, die Familie sei nötig, um die Brüche der Moderne verarbeiten zu helfen. Sorry, auf ein solches klinisch von christlichen Elementen gereinigtes Familienbild kann ich verzichten.)

Wer sich persönlich gehalten weiß, kann Fragilität im Leben besser ertragen.

Welt Online: Dennoch beginnt sich ein anderes Bild durchzusetzen: Familie ist da, wo Kinder sind. (Ja, zum Beispiel in der Schule, auf Kinderfriedhöfen oder in Krippen…)

Tebartz-van Elst: Dieser Vorstellung von Familie muss ich widersprechen. (Und warum?) Diese Umschreibung bringt nicht zum Ausdruck, was wir als Christen (wieder eine christliche Sonderlehre? Oder versucht der Bischof nur den vielen gleichberechtigten Alternativreligionen nicht auf die Füße zu treten?) unter Ehe und Familie verstehen. Denn mit Ehe und Familie ist wesenhaft (ist das als Äußerung eines Wesensbegriffs im Geiste der traditionellen Philosophie zu verstehen? Wenn ja, sollte man das dann nicht erläutern, um auch die 99,999% der Leser mit einzubeziehen, die den Hl. Thomas nicht gelesen haben? Und wenn nicht, dann ist es bloß eine Leerfloskel.) die Bereitschaft verbunden, Nachkommen das Leben zu schenken und sie auf dem Fundament lebenslanger Treue (wann hat sich die Kirche in Deutschland zuletzt ernsthaft gegen die Scheidung ausgesprochen? Vermag mich nicht daran zu erinnern.) ins Leben zu begleiten. Im christlichen Verständnis sind Kinder ein Geschenk, denn in ihnen nimmt die Liebe der Partner neue Gestalt an.

Die Weitergabe des Lebens gehört für Christen existenziell zum Schöpfungsverständnis. (Für die Bischofskonferenz nach dem Verrat an Humanae Vitae durch die Königssteiner Erklärung gehört die Weitergabe des Lebens wohl eher ins Museum überalterter, fundamentalistischer Irrwege. Wenn Sie das anders sehen, Exzellenz, wo ist dann ihr Einsatz gegen die widernatürliche Verhütungsmentalität?) Ich halte es für außerordentlich problematisch (nur problematisch? Dann ist’s ja nicht so schlimm. Probleme haben wir viele, braucht man sich ja nicht gleich darüber aufzuregen, oder?), wenn sich immer stärker Vorbehalte gegenüber der Weitergabe des Lebens zeigen. (Seit Jahrzehnten dominieren diese Vorbehalte, genährt von wohlwollender Neutralität seitens der deutschen Bischöfe. Es grenzt an Volksverdummung, davon zu sprechen, derartige Vorbehalte „zeigten“ sich derzeit „immer stärker“. Sie sind längst seit Jahrzehnten dominant.)

Wie sehr das christliche Verständnis von Ehe und Familie und die demografische Entwicklung zusammenhängen, macht schon eine Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2004 deutlich: Menschen gaben hier an, deshalb keine Kinder zu bekommen, weil ihnen der richtige, verlässliche Partner fehle, obwohl sie es prinzipiell wollen. (Menschen wollen prinzipiell Kinder – als Konsumgüter. Sie denken an sich und erkennen, dass sie gern Nachwuchs hätten. Das ist der Unterschied zwischen haben und sein. Sie wollen Kinder HABEN, aber nicht Eltern SEIN. Denn Verantwortung? Abstriche von der besinnungslosen Akkumulation lebloser Konsumgegenstände zur Betäubung der inneren seelischen Leere? Nein, danke.)

Soweit der erste Teil des Interviews, samt Kommentar. Der zweite Teil folgt wahrscheinlich morgen.

Kardinal Marx wird seinem Namen gerecht

Via kath.net, aber auch über das Domradio bin ich mal wieder auf Äußerungen von Kardinal Marx gestoßen. Ich möchte diese etwas ausführlicher kommentieren, indem ich mich auf Auszüge des Artikels auf kath.net im gewohnten Stil beziehe (Kommentare in rot, obwohl diese Farbe des Kardinals Ansichten eigentlich ganz gut widerspiegeln könnte):

München (kath.net/pem) In einem Beitrag für die Freitagsausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 11. November befürwortet Reinhard Kardinal Marx die Einführung einer Lohnuntergrenze (Die Bischöfe haben ein Lehramt in Fragen des Glaubens und der Sittenlehre. Sie können daher die ethische Richtung der Wirtschaftspolitik angeben. Doch die konkrete Umsetzung dieser ethischen Richtlinien erfordert einen ökonomischen Sachverstand, über den Bischöfe nicht unbedingt verfügen. Kardinal Marx könnte daher einen fairen Lohn fordern, durch den die Existenzsicherung einer Familie sichergestellt werden kann, wie es die Soziallehre der Kirche fordert. Stattdessen pocht er auch eine ganz bestimmte planwirtschaftliche Strategie der Preiskontrollen für Arbeit, was zumindest hochkontrovers ist.), fordert aber zugleich weitere Schritte in der Familien- und Bildungspolitik, „um allen Menschen gemäß ihren Möglichkeiten und Begabungen Teilhabe zu eröffnen“ („Teilhabe“ ist wieder so ein Wischi-Waschi-Wort, das heute nur allzu populär ist. Solange der Kardinal nicht sagt, was er genau damit meint, ist nicht einmal ungefähr zu beurteilen, ob er im Recht ist, oder nicht.) . Einer christlich inspirierten Politik müsse es um „Armutsüberwindung (einer christlichen Politik geht es um „Armutsüberwindung“? Sind nicht die Armen immer unter uns, wie es ein nicht ganz unbedeutender Wanderprediger aus Nahost einmal ausgedrückt hat? Seit wann versteht sich das Christentum als sozialrevolutionäre Bewegung zur Errichtung des Paradieses auf Erden?)  und Chancengerechtigkeit (Noch ein Wischi-Waschi-Wort. Man hört das Beamtentum richtig heraus. Natürlich sollen Chancen gerecht verteilt werden. Aber worin besteht diese gerechte Chancenverteilung? Man kann damit durchaus etwas Christliches meinen – aber im heutigen politischen Diskurs wird Chancengerechtigkeit als Kampfbegriff für eine sozialistische Gleichmacherei verstanden, die der katholischen Soziallehre unendlich fern liegt.) gehen“, schreibt Marx mit Blick auf den am Sonntag beginnenden CDU-Bundesparteitag in Leipzig, bei dem die Einführung einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze diskutiert wird. (Dass die CDU sich dem Sozialismus anschließen möchte, den die Päpste immer verurteilt haben, ist seit längerer Zeit keine Neuigkeit mehr. Muss Kardinal Marx diese Hinwendung auch noch als Triumph der katholischen Soziallehre darstellen?)

Eine Lohnuntergrenze sei „zu begrüßen, weil sie dazu beitragen kann, prekäre Arbeitsverhältnisse zu verhindern und die Würde der menschlichen Arbeit deutlich zu machen“ (oder sie führt zu mehr Arbeitslosen, mehr Armut, Abwanderung von Beschäftigungsverhältnissen und bürokratischer Verkrustung, wie planwirtschaftliche Preiskontrollen es regelmäßig tun.), erklärt der Erzbischof von München und Freising und Vorsitzende der Kommission für Gesellschaftliche und Soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz in dem Zeitungsbeitrag (Allein der Titel sagt schon alles. Bürokratie fördert Bürokratie). Sollte in Leipzig in diesem Sinn ein politisches Signal gesetzt werden, sei das „aus der Sicht der Katholischen Soziallehre zu befürworten“. Im Sinne der Tarifautonomie solle eine staatliche Festsetzung wie in den bisherigen branchenspezifischen Mindestlöhnen „nur dort erfolgen, wo die Tarifpartner nicht in der Lage sind, Entgelte zu finden, die das Existenzminimum garantieren“.(Hier finden sich Spurenelemente christlicher Soziallehre. Der Staat wird in seinem Eingriff auf Bereiche beschränkt, in denen das Gemeinwohl nicht von selbst erreicht wird. Hört sich ganz gesund an. Das Problem ist aber auch hier, dass spezifische politisch-ökonomische Maßnahmen gefordert werden, über die ein Bischof keinerlei privilegiertes Wissen hat. Ob Mindestlöhne in der Realität wirklich die erwünschten Wirkungen haben, ist zumindest fraglich.)

Eine Lohnuntergrenze dürfe aber nicht dazu führen, „dass ganze soziale Schichten mit einem Mindestlohn ,abgespeist‘“ (Achtung, Klassenkampf. Wir lassen uns nicht mehr abspeisen! Wir gehen jetzt gegen die Unterdrücker vor! Der Kardinal möge nicht vergessen, dass Armut auch segensreich sein kann und die Kamele durch Nadelöhre marschieren, bevor Reiche in den Himmel kommen. Was sagt uns dieser Spruch über die Erlösungschancen einer Gesellschaft, in der das Ziel des Kardinals, die Abschaffung von Armut, erfolgreich umgesetzt worden ist?) werden: „Die Verwirklichung von Armutsüberwindung sowie Beteiligungs- und Chancengerechtigkeit braucht weitere Anstrengungen“ (reines Soziologendeutsch ohne Substanz. Es stellt sich abermals die Frage, ob der Kardinal die mit derartig schön klingenden Floskeln regelmäßig bedeckten sozialrevolutionären Absichten teilt, oder einfach zu naiv ist um sie zu durchschauen.), betont Marx. Der Mindestlohn sei schließlich „kein Allheilmittel, das eine weitergehende sozial- und arbeitsmarktpolitische Diskussion überflüssig macht“. Zugleich warnt Kardinal Marx vor möglichen „negativen Folgen“ einer Lohnuntergrenze: „Wird der Mindestlohn zu hoch festgelegt, verdrängt er bestehende Arbeitsverhältnisse. Denn dann kosten die Beschäftigten das Unternehmen mehr als sie erwirtschaften. Ist er zu niedrig, dann verfehlt er sein Ziel. Entscheidendes Kriterium für einen Mindestlohn ist also seine Höhe.“  (Und die Effektivität planwirtschaftlicher Preiskontrollen, was der Kardinal aber nicht wahrnimmt, da er sein notwendiges ethisches Lehramt arg überstrapaziert, um spezifische ökonomische Theorien mit der Autorität des Hirten zu verbrämen)

Kardinal Marx gibt zu bedenken, „dass ein Mindestlohn nur das Auskommen eines Arbeitnehmers, aber unter den heute gegebenen Umständen nicht einer gesamten Familie sicherstellen kann“. (Das ist richtig. Zumindest wenn man die Vorstellungen der „Welt“ von „Auskommen“ anlegt. Da die Kirche seit 40 Jahren in Deutschland passiven Widerstand gegen die katholische Sexualmoral leistet, gibt es allerdings nur wenige Familien, die durch viele Kinder „behindert“ sind, weshalb die vollständige Erwerbsmobilisierung der Männer und Frauen mehr und mehr gelingt. Die Entsorgung von Kindern in Krippen ist ja bald auch kostenlos, so dass man sich um diesen Punkt keine Sorgen mehr machen muss. Der Kardinal schweigt wie immer beharrlich zu allen zeitgeistwidrigen Fragen. Kein Wunder, wenn man sieht, wie die deutschen Hirten, nicht zuletzt auch der Kardinal Marx, Bischof Mixa behandelt haben.) Deshalb müsse zur Vermeidung von Armut „der Blick auf ein Mindesteinkommen gerichtet werden, das auch soziale Transferleistungen beinhaltet, die insbesondere die Situation von Familien berücksichtigen“. („Mindesteinkommen“? Der Staat stellt allen ein bedingungsloses Grundeinkommen zur Verfügung? Habe ich richtig gehört?) Vordringliches Ziel müsse bleiben, „die Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnisses zu ermöglichen“ (Antwort: Vordringliches Ziel müsse bleiben, die katholische Soziallehre zu vertreten, was leider etwas zu kurz gekommen ist in diesem Interview.). Für gering Qualifizierte oder vielfältig Beeinträchtige „kann es dabei zielführend sein, durch Zuschüsse zu den Lohnkosten, also durch Kombilöhne, Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“. (Jetzt haben wir alles durch. Mindestlohn, Mindesteinkommen, Kombilöhne. Vielleicht kommen wir jetzt mal zu einem Vorschlag aus der katholischen Soziallehre? Zu ethischen Grundlagen, die darzulegen die genuine Amtspflicht des Kardinals wäre?)

Gleichzeitig müssten Staat und Gesellschaft allen Menschen „Chancen zum Ein- und Aufstieg eröffnen“. (Chancen? Noch so ein Wischi-Waschi-Wort. Chancen zum Ein- und Aufstieg wohin, wozu, wofür? Wir bekommen keine Antworten. Der totale Fokus auf rein diesseitige Wohlstandsvermehrung lässt auch nicht gerade auf einen katholischen Geist schließen.) Die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik müsse „heute bei der Familien- und Bildungspolitik ansetzen“. (Volle Zustimmung. Doch was tun? Welche ethischen Bedingungen und Grundvoraussetzungen gibt es für eine christliche Familien- und Bildungspolitik?) Die Verwirklichung von Armutsüberwindung (= es kommen soviele Menschen in den Himmel wie Kamele durchs Nadelöhr) wie Chancengerechtigkeit (was soll das noch einmal sein?) beginne früh. (Die ideologisierte „frühkindliche Betreuung“ also. Kardinal von der Leyen am Werk.) Wer „Kinder zur Selbständigkeit und zur Übernahme von Verantwortung befähigen“ wolle, müsse ihre Erziehung und Bildung frühzeitig gewährleisten (ja, und wer tut das? Der Staat? Die Kirche? Die Eltern?): „Dies ist zwar zuerst die Aufgabe der Eltern; und die meisten Eltern meistern diese Aufgabe mit Bravour. (Tun sie das? Die meisten Eltern haben sich dieser Aufgabe weitgehend durch Abschieben der Kinder an Zentrallager wie Krippen und Kindergärten spätestens seit dem Dritten Reich entledigt.) Die Politik darf aber nicht die Augen davor verschließen, dass zu viele Eltern die Bedeutung von früher Förderung nicht erkennen. (Ja. Nicht alle Eltern sind der Meinung, ihre Kinder sollten in das heutige modernistische Gesellschaftssystem schon im Alter zarter Unschuld indoktriniert werden. Und das soll etwas schlechtes sein, Eminenz?) Daher ist sie gefragt, tatsächlich hilfreiche Unterstützungsangebote zu machen.“ (Ja, da ist die Kaderpartei der Verbandskatholiken, die CDU, wohl genau auf dem richtigen Weg. Ob allerdings die „frühkindliche Bildung“, die sich die totalitären Bildungspolitiker auf ihre Fahnen geschrieben haben, und denen der Kardinal mit keinem Wort widerspricht, und sogar verklausuliert selbst propagiert, etwas anderes ist als eine besonders perfide Form von Kindesmisshandlung, steht auf einem anderen Blatt.)

Zusammenfassung: Kardinal Marx befasst sich mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit ausschließlich aus der Perspektive rein weltlicher Wohlstandsvermehrung, und kommt, diesen Ansatz logisch ans Ende denkend, zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die heutige politische Elite aller Parteien. Kinder müssen so früh wie möglich zu guten Wohlstands- und Wachstumsrobotern verbildet werden, die zentrale Aufgaben des Staates sind die Beseitigung der Armut, die Gewährleistung von „Chancengerechtigkeit“ (was immer das sein soll) und „Beteiligungsgerechtigkeit“ (was immer das sein soll) durch Preiskontrollen und ein radikales Programm der enteignenden Umverteilung. Alles normale Thesen in der heutigen politischen Elite, um deren Anerkennung der Kardinal bei seinem Weg die Karriereleiter hoch zu buhlen scheint.

Was aber sagt die katholische Soziallehre dazu? Nun, zuerst einmal ist alles bei ihr auf das Heil der Seelen, nicht den Kontostand, hingeordnet. Armut ist für sie nicht notwendigerweise schlecht, sondern kann den Menschen viele Tugenden lehren, weswegen viele Menschen in der Geschichte der Kirche freiwillig den Weg der Armut gegangen sind, was sich natürlich ein moderner Kirchenbeamter nicht mehr vorstellen kann.

Eine weitere Voraussetzung der Soziallehre ist nun die Ansicht von der Zentralität der Familie, und nicht nur irgendeiner Familie, sondern der natürlichen, von Gott geschaffenen Familie, auf der Grundlage der natürlichen, dauerhaften Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, mit je spezifischen von Gott gegebenen natürlichen Stärken und Schwächen, die sich gegenseitig zu einem Ganzen ergänzen. Papst Leo XIII. spricht in seiner Enzyklika Rerum Novarum hinsichtlich des Verhältnisses von Familie und Staat einige Worte, die ihn in den Augen der heutigen katholischen Bischöfe wohl als Anarchisten brandmarken würden:

Wie der Staat, so ist auch die Familie, wie schon gesagt, im eigentlichen Sinne eine Gesellschaft, und es regiert selbständige Gewalt in ihr, nämlich die väterliche. Innerhalb der von ihrem nächsten Zwecke bestimmten Grenzen besitzt demgemäß die Familie zum wenigstendie gleichen Rechte wie der Staat in Wahl und Anwendung jener Mittel, die zu ihrer Erhaltung und ihrer berechtigten freien Bewegung unerläßlich sind. Wir sagen, zum wenigsten die gleichen Rechte. Denn da das häusliche Zusammenleben sowohl der Idee als der Sache nach früher ist als die bürgerliche Gemeinschaft, so haben auch seine Rechte und seine Pflichten den Vortritt, weil sie der Natur nahestehen. Wenn Individuum und Familie, nachdem sie im Verbande der staatlichen Gesellschaft sind, seitens der letzteren nur Schädigung fänden statt Nutzen, nur Verletzung des ureigenen Rechtes statt Schutz, so würde der Staatsverband eher als Gegenstand der Abneigung und des Hasses erscheinen müssen denn als ein begehrenswertes Gut.

(Hervorhebungen von Catocon)

Täusche ich mich, oder ist die zentrale Dimension Gottes, und direkt dahinter, die zentrale Dimension der natürlichen Familie, in Kardinal Marxens Stellungsnahme zum Thema Mindestlohn völlig untergegangen?

Schließlich noch die zwei zentralen Leitsätze der Soziallehre, Solidarität und Subsidiarität. Jeder gesellschaftlichen Ebene kommen bestimmte Aufgaben zu, die von den anderen gesellschaftlichen Ebenen nicht übernommen werden dürfen. Es soll auf einer möglichst niedrigen Ebene entschieden werden, was sehr viele Gründe hat, nicht zuletzt eine Nähe zu den realen Gegebenheiten, deren Abwesenheit aus dem Soziologen- und Politikerjargon des Kardinals hervorscheint. Die Starken sollen den Schwachen helfen, soviel ist in jedem Falle richtig. Doch inwieweit kann eine entpersönlichte, bürokratisierte, zentral gelenkte „Hilfe“ noch mit dem Helfen des guten Samariters verglichen werden? Reduziert der moderne Wohlfahrtsstaat, der letztlich nun auch noch für die Regelung der Löhne verantwortlich sein soll, die menschliche Person nicht auf eine Aktennummer, eine Ziffer, einen Gegenstand möglichst effizienter materieller Hilfeleistung? Diese Fragen kommen im sozialen Horizont des Kardinals nicht vor, oder haben zumindest keine praktischen Auswirkungen.

Stattdessen präsentiert er eine weitere Version der üblichen politischen Stellungnahmen, die zwar an manchen Stellen einen entfernten Anklang an die Soziallehre findet, aber nirgendwo wirklich auf ihr beruht.

Ein aus Erfahrung nicht mehr enttäuschendes Interview von Kardinal Marx, der mit diesem Interview wie eine Mischung aus Karl Marx, Ursula von der Leyen und Papst Leo XIII. wirkt, wobei die spezifisch katholischen Teile sorgfältig abgeschliffen und weichgespült sind, um dem modernen Menschen nicht mit grundsätzlichen theologischen und ethischen Überlegungen zu kommen, durch die die Frage nach dem rechten Umfang staatlicher Preiskontrollen auf dem Arbeitsmarkt vielleicht besser beleuchtet werden könnte, die aber zu unpopulär sind, als dass ein auf sein Ansehen achtender Kirchenmann sie eingehend diskutieren könnte.

Der Versuch, die Politik der sozialdemokratisierten Kaderpartei CDU als christlich darstehen zu lassen, ist jedenfalls gescheitert.