Werden alle Menschen gerettet? Und worauf es wirklich ankommt:

„Der Herr hat uns alle mit dem Blut Christi erlöst, nicht nur die Katholiken. Alle! ‚Pater, und die Atheisten?’ Auch sie. Alle! Und dieses Blut macht uns zu Kindern Gottes erster Klasse! Wir sind als Kinder nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen worden und das Blut Christi hat uns alle erlöst!“

Papst Franziskus, 22. Mai 2013

Sind wir also tatsächlich alle erlöst? Egal ob wir glauben? Sind die Atheisten tatsächlich, einfach so, ohne weiteres, wie der Papst das hier darstellt, erlöst? Das kommt darauf an, was man genau meint. Ich bin natürlich kein renommierter Theologie, sondern nur ein einfacher Konvertit, der sich in den letzten vier bis fünf Jahren mit diesen Fragen ziemlich oft „herumgeschlagen“ hat. Soweit ich das verstanden habe, sagt die katholische Kirche zu der Frage, wer denn nun erlöst wird, folgendes:

1. Christus ist für alle Menschen gestorben, d.h. jedem einzelnen Menschen ist das Tor in den Himmel, der Weg der Umkehr zurück zu Gott, offen. Niemand, absolut niemand, ist von dieser Chance ausgeschlossen. Jeder kann die von Christus angebotene Erlösung annehmen. Sie ist ein Geschenk, und wie alle Geschenke erhält man es „gratis“, also aus Gnade. In diesem Sinne kann man sagen, dass Christus sein Blut für alle Menschen vergossen hat, auch für die Atheisten. [Das bedeutet auch, dass man die Worte des Heiligen Vaters nicht so heterodox auslegen muss, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, auch wenn sie mindestens unglücklich gewählt bleiben.]

2. Doch es reicht nicht, wenn Christus uns dieses „Geschenk“ macht. Wir müssen das Geschenk auch annehmen.

3. Die Taufe ist heilsnotwendig. Wer nicht getauft ist, kann nicht erlöst werden. Jemand, der unverschuldet keine Gelegenheit zu einer „normalen“ Taufe hatte, sich aber hätte taufen lassen, wenn er die Chance gehabt hätte, der kann erlöst werden (Begierdetaufe). Ebenso auch der nicht getaufte Märtyrer, dessen Martyrium eine wahre Taufe des Blutes ist.

4. Außerhalb der Kirche ist kein Heil. Mit Kirche ist hier die von Christus gestiftete Kirche gemeint, die die katholische Kirche ist, und nicht irgendeine nebelhafte, unsichtbare, faserige Gemeinschaft, die nur in den Herzen der Menschen existiert. Auch hier gilt wieder, dass es einige Menschen geben kann, die nicht Mitglied der sichtbaren katholischen Kirche sind, die aber diesen Mangel nicht verschuldet haben, und dem ihnen gegebenen göttlichen Licht gefolgt sind, so gut sie konnten. Auch diese können prinzipiell das ewige Heil erlangen.

5. Alle Menschen, die gerettet werden, werden durch Christus, und damit durch Seinen mystischen Leib, die katholische Kirche, gerettet. Auch diejenigen Erlösten, die außerhalb der sichtbaren Einheit der Kirche (Papst, Glaube, Sakramente) versterben, werden durch Christus und damit durch die Kirche erlöst.

6. Die falschen Religionen sind also keine Mittel des Heils. Allerdings finden sich in allen Religionen gewisse wahre Bruchstücke inmitten der Irrtümer. Christus selbst ist die Wahrheit. Insofern eine falsche Religion also die Wahrheit lehrt, hilft sie ihren Anhängern praktisch zur Wahrheit, und damit zu Christus zu gelangen. Doch wer durch so ein Trümmerstück der Wahrheit gerettet wird, der wird nicht durch die Irrlehren gerettet, mit denen das Trümmerstück in der falschen Religion vermengt worden ist, sondern durch Christus, und das heißt durch seinen mystischen Leib, also durch die katholische Kirche. Alle Wahrheit ist katholische Wahrheit. Niemand wird durch die falsche Religion erlöst, sondern, wenn überhaupt, trotz der falschen Religion, durch die wahre.

7. Wir wissen nicht, welche individuellen Menschen gerettet werden, abgesehen von den kanonisierten Heiligen. Einerseits reicht die sichtbare Gemeinschaft der Kirche nicht aus – man kann auch als Katholik die ewige Verdammnis erleiden, trotz aller Heilsmittel, die man hätte in Anspruch nehmen können – andererseits kann man auch außerhalb der sichtbaren Gemeinschaft der Kirche erlöst werden – man kann z.B. auch als Atheist dem göttlichen Licht so gut wie möglich folgen und dadurch implizit die Entscheidung für das universelle Heilsangebot Gottes treffen, die dann durch die Gnade Gottes zur Rettung genügt.

8. Aus den genannten Gründen ist es theoretisch kein Widerspruch in sich, wenn man annehmen würde, dass alle Menschen erlöst würden. Jedoch sagt Gott selbst in der Bibel eindeutig, dass viele nicht den schmalen Pfad in den Himmel, sondern den breiten Weg in die Hölle nehmen. Dies allein reicht schon aus, um jegliche Allerlösungslehre kategorisch auszuschließen. Zudem haben wir das konstante Zeugnis der gesamten Überlieferung bis zu dem Pastoralkonzil der 60er-Jahre, und das überwältigende Zeugnis der Heiligen. Diese Zeugnisse sagen praktisch übereinstimmend, dass die Zahl der Verdammten gewaltig und die Zahl der Auserwählen gering ist.

9. Diese Zeugnisse geben uns keine „Bevölkerungsstatistik“ von Himmel und Hölle an die Hand. Wir können nicht sagen, „90% werden verdammt und 10% werden erlöst“ (oder umgekehrt). Wir kennen die Zahlen nicht und es ist müßig, zu viel über sie zu spekulieren. Was wir jedoch wissen, ist dass nicht alle Menschen gerettet und nicht alle verdammt werden.

10. Aus dem, was man über die Heilsnotwendigkeit von Taufe, Kirche, wahrem Glauben sagen kann, folgt eindeutig, dass jemand, der ungetauft, fern der Kirche und ungläubig verstirbt, eher schlechte Chancen hat (auch wenn wir es nie genau wissen können), während ein Katholik, der nach besten Kräften der Kirche und dem wahren Glauben gefolgt ist, die besten Chancen haben wird (auch wenn man es nie mit Sicherheit wissen kann).

Zusammenfassung: Gott will alle Menschen erlösen, doch der Mensch hat Freien Willen. Er ist wirklich in der Lage, zu Gott „ja“ oder „nein“ zu sagen. In letzter Konsequenz akzeptiert Gott die freie Entscheidung des Menschen.

Jeder Mensch, und sei er noch so verdorben, kann durch das „ja“ zu Gott erlöst werden.

Jeder Mensch, und sei er noch so vortrefflich, kann durch das „nein“ zu Gott verdammt werden.

Und das ist es letztlich, worauf es wirklich ankommt: Ob wir das ewige Heil oder die ewige Verdammnis erlangen, hängt von unserer Willensentscheidung für oder gegen Gott, für oder gegen Christus, seinen Sohn, ab.

Wir werden nicht alle erlöst, weil nicht alle „ja“ zu Gott sagen.

Daraus folgt ganz klar: Sagen wir hier und heute „ja“ zu Gott, ja zu Christus, ja zu der einen, wahren von ihm eingesetzten Kirche, ja zum ganzen überlieferten Glauben, ja zu den Sakramenten, ja zum Papst, ja zu einem heiligmäßigen Leben nach den Geboten Gottes, kurzum „ja“ zu dem Erlösungsangebot, das Christus uns durch Sein Blut zum Geschenk gemacht hat.

Weise Worte von Pater Schmidberger

Laut katholisches.info nimmt Pater Schmidberger zu der Trennung eines bis dahin mit der FSSPX befreundeten Klosters im Mitteilungsblatt der Piusbruderschaft Stellung. Doch seine Worte haben eine wichtige Bedeutung nicht nur für diese „piusinterne“ Angelegenheit, sondern auch für die weitere Kirche, für traditionelle Katholiken in allen Lebenslagen, die sich dem Modernismus und Liberalismus widersetzen, um im wahren Glauben zu verbleiben. Es lohnt, diese Passage hier zu zitieren, Hervorhebungen wie immer von Catocon

Viele Seelen glauben sich (…) in Sicherheit, sonnen sich in ihren Tugenden, während der Stolz und die Selbstgerechtigkeit ihr Herz längst umstrickt haben. Eigensinn, Rechthaberei, Besserwisserei, Kritiksucht, falsche Dialektik, Spott und Häme sind nicht die sieben Gaben des Heiligen Geistes, sondern Merkmale des Widersachers Gottes. Diesem ist es ganz gleich, ob er eine Seele durch ihre bekannten Schwächen zu Fall bringt oder durch Stolz auf ihre eigenen Tugenden. Allzu oft verwandelt sich der Teufel in einen Engel des Lichtes und vollbringt sein Werk der Verführung sub specie boni – unter dem Schein des Guten. Treibt man das Recht beispielsweise auf die Spitze, so kann höchste Ungerechtigkeit geschehen. Nicht umsonst sagten die Alten: Summum jus, summa injuria.Hat man die Gefahr des falschen Gehorsams umschifft und Liberalismus und Modernismus vermieden, so ist man noch lange nicht gefeit vor einem sektiererischen Antiliberalismus. Nur die Demut des Geistes und vielleicht noch mehr jene des Herzens bewahrt vor dem Fall. „Lernet von mir“, sagt unser gebenedeiter Herr, „denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen.“

Dies sind weise Worte. Ich lese sie auch hinsichtlich der (gerechtfertigten) schweren Kritik, die an den Handlungen des neuen Papstes und früheren Erzbischofs von Buenos Aires hier und auf anderen traditionell katholischen Blogs und Webseiten geübt worden ist. Wenn es stimmt, was mir immer wahrscheinlicher erscheint, dass das Welt- und Kirchenbild von Papst Franziskus zumindest teilweise modernistisch ist, und sich nicht mit der Tradition deckt, dann ist das eine sehr schwere Situation für einen kirchentreuen Katholiken. Er ist dann gleich von zwei Seiten in Gefahr, Opfer der Verstrickungen des Teufels zu werden:

Erstens darf er die Irrtümer des Papstes etwa in Liturgie, Ökumenismus etc. nicht verteidigen und entschuldigen, sondern muss sie beim Namen nennen.

Zweitens darf er aber auch nicht den Fehler machen, die Ablehnung der Irrtümer zur Ablehnung des Papstes werden zu lassen. Der Papst ist und bleibt das sichtbare Oberhaupt der Kirche. Als Oberhaupt der Kirche gebührt ihm Respekt und Gehorsam, sofern dieser Gehorsam nicht in Widerspruch zur unveränderlichen Lehrtradition steht.

In dieser schwierigen Situation gilt es die richtige Balance zu halten. Den Papst von jenem sicheren Fundament der Überlieferung zu kritisieren, wenn er dieses Fundament etwa durch liturgische Missbräuche oder falschen Ökumenismus verlässt, ist gerechtfertigt und notwendig. Solche Kritik ist eine Form der Loyalität. Doch sie muss sich dieser notwendigen Loyalität eben immer bewusst bleiben und fest verwurzelt sein in der Unterordnung unter den Heiligen Vater, der das legitime Oberhaupt aller Katholiken ist. Andernfalls verfällt sie wiederum den Schlingen des Teufels, indem sie ihren legitimen Oberen nicht mehr anerkennt, weil ihm eine Perfektion fehlt, die der Kritiker sich zu haben anmaßt. Diese Form der Anmaßung ist Hochmut, das Kronjuwel im Sündenareal des Teufels.

Um ein konkretes Beispiel zu geben: Die falsche Demut, die sich in Widerspruch zu liturgischer Pracht setzt, kann nur von wahrer Demut kritisiert werden, doch es besteht die Gefahr, dass der Kritiker falscher Demut so stolz auf seine eigene „wahre Demut“ wird, dass sie in Hochmut umschlägt. Ebenso ist es beim Ökumenismus. Die falsche Ökumene durch die wahre Ökumene, d.h. die Rückkehr der Irrenden ins Haus des Vaters, zu bekämpfen ist richtig und notwendig. Doch auch hier besteht die Gefahr, dass der Kritiker, der tatsächlich die Wahrheit spricht, auf jene Tatsache stolz wird, und sich so sehr in seinem „Besitz“ der Wahrheit sonnt, dass er der schlimmsten aller Todsünden verfällt, nämlich dem Hochmut, der allein nicht vergeben werden kann, weil er nicht der Vergebung zu bedürfen glaubt.

Dies ist die Gefahr, auf die Pater Schmidberger in einem etwas anderen Zusammenhang aufmerksam macht. Der traditionelle Katholik muss die modernistischen Irrtümer kritisieren. Dies zu unterlassen wäre ein Versäumnis. Doch er darf nicht in jenen sektiererischen Antiliberalismus verfallen, dessen Kennzeichen nach Pater Schmidberger „Eigensinn, Rechthaberei, Besserwisserei, Kritiksucht, falsche Dialektik, Spott und Häme“ sind. Dies sind nicht die Zeichen des Heiligen Geistes, sondern der unreinen Geister.

Irrtümer kommen immer in Paaren auf die Welt, damit die Menschen auf der Flucht vor dem einen Irrtum geradewegs im anderen Irrtum gefangen werden, so dass der Kampf gegen einen Irrtum oft in den entgegengesetzten Irrtum umschlägt.

Mögen alle Kritiker der Handlungen von Papst Franziskus, darunter an erster Stelle der Autor dieser Zeilen, diese Gefahr immer vor Augen haben, und sich entschlossen an jenen Mittelweg halten, den die weisen Worte des Paters Schmidberger so treffend umschreiben: „Lernet von mir“, sagt unser gebenedeiter Herr, „denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen.“ In dieser wahren Herzensdemut, die erkennt, dass nicht wir, sondern die Heilige Kirche Gottes im Besitz der Wahrheit ist, und das auch nicht aus eigenem Verdienst, sondern nur weil Christus, die Wahrheit selbst, sich ihr zu offenbaren geruht hat, und die auch erkennt, dass wir noch weit schlimmere Irrtümer begehen würden als die Modernisten, wenn nicht die unverdiente Gnade Gottes uns im wahren Glauben halten würde, in dieser wahren Herzensdemut allein kann Kritik an Irrtümern und Missbräuchen des Franziskus zulässig und fruchtbar sein.

Der Utilitarismus und seine Folgen

Einen sehr langen und interessanten Kommentar zu diesem Artikel habe ich erhalten, den ich der breiteren Leserschaft nicht vorenthalten möchte, da er ganz wichtige Punkte enthält, über die ich ohnehin noch schreiben wollte. Ich teile den Kommentar in einige Abschnitte, auf die ich dann eine Antwort gebe (es empfiehlt sich als Kontext den Artikel und die dazu bereits ausgetauschten Kommentare zu lesen):

Nochmal Utilitarismus vs deontologische Ethik(en): Vielleicht können wir uns ja doch evtl. darauf einigen, dass die Dinge nicht einfach, sondern komplex sind? – Zum Beispiel kann man im Rahmen einer utilitaristischen Argumentation zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Während der eine bereit ist, anderes Leben zu opfern zum Wohl eines “wertvolleren” Lebens, kann ein anderer, ebenfalls utiltaristisch Argumentierender eben gerade dieses “wertvollere Leben” als nicht so wertvoll ansehen und dann anders entscheiden.

Genau das ist beim Utilitarismus richtig. Moral wird zu einer Frage persönlicher Präferenzen. Ich persönlich finde die Folge x gerade noch akzeptabel, weil etwas weniger schlecht als Folge y, und du siehst es umgekehrt. Moral ist im Utilitarismus letztlich notwendigerweise relativ, weil es keine allgemein akzeptable Präferenzordnung geben kann. Nutzen und Folgen sind irreduzibel und komplex. Zudem kann man die Folgen einer Handlung in realen Situationen einfach nicht verlässlich absehen. Als Grundlage einer Ethik eignen sie sich damit nicht. Wie gesagt, ich möchte damit gar nicht leugnen, dass man die Folgen einer Handlung betrachten muss, um in konkreten Situationen zu richtigen ethischen Urteilen zu kommen. Doch die Folgenbetrachtung nimmt den ihr angemessenen Platz in der ethischen Reflektion erst dann ein, wenn sie sich der vorgängigen Untersuchung der Frage, welche Arten von Handlungen denn niemals zulässig sein können, unterordnet. Beim intrinsischen Übel endet die Folgenbetrachtung, weil man sonst auch Judas freisprechen müsste: Immerhin hat er durch seinen Verrat wesentlich dazu beigetragen, dass Christus gekreuzigt wurde, auferstehen konnte und die Menschen von ihren Sünden erlöst. Judas ist der Schutzpatron des Utilitarismus.

Bei solchen Fallbeispielen, die ja in der Theorie immer eine argumentative Rolle spielen, muss man bedenken, dass sie eben nicht wirklich “praktisch” sind (nicht eine reale Lebenssituation darstellen), sondern künstlich zum Zweck der Klärung einer Position aufgestellt werden. Was ich damit sagen will, ist, dass in einer realen Situation eben situationsbezogen überlegt und gehandelt werden sollte – und das kann man im vorhinein eben nicht für alle Fälle theoretisch “festklopfen”.

Selbstverständlich sind Fallbeispiele immer problematisch. Der Verzicht auf Fallbeispiele ist besonders problematisch für den Utilitaristen, der nämlich allein im theoretischen Elfenbeinturm die Folgen seines Handelns zuverlässig ermessen kann. In der Realität stützt er seine Ethik auf oft falsche, immer aber zweifelhafte Folgenerwartungen. Die reale Komplexität menschlichen Nutzens und wirklicher Folgen verunmöglicht die Findung korrekter ethischer Urteile nach utilitaristischem Maßstab. Er scheitert bereits an den immanenten Forderungen seiner eigenen Theorie. Naturrechtliche Ethik hat dieses Problem nicht in demselben Maße. In ihr ist nämlich durchaus Platz für eine gewisse Flexibilität in konkreten Handlungen (99,9% der möglichen Handlungen sind eben nicht intrinisch falsch, so dass die Umstände durchaus wichtig für ihre moralische Beurteilung sind). Deontologische Ethiken im Gefolge Kants tendieren tatsächlich zum moralischen Rigorismus, weshalb ich sie auch nicht für den richtigen Weg halte. Doch die naturrechtliche Ethik ist nicht rigoristisch – sie hält allerdings trotzdem an der Notwendigkeit absoluter moralischer Prinzipien fest, die, in ihrer christlichen Version, als Gegebenheiten der göttlichen Schöpfungsordnung angesehen werden.

Natürlich fände ich es auch absolut unangebracht, wenn ein Seelsorger aus “Barmherzigkeit” einer vergewaltigten Frau empfehlen würde, ihr Kind abzutreiben. Aber ebenso unangebracht wäre es (das sagst Du ja selbst!), ihr in dieser Situation die “kalten” Prinzipien der Moral an den Kopf zu werfen – das wäre ziemlich lieblos. Ich plädiere dafür, in diesen Situationen mit Verständnis nach einem gangbaren Weg zu suchen – wie immer er aussehen sollte. Und Falls die Frau sich für eine Abtreibung entscheiden sollte, dann steht es uns eben nicht zu, sie moralisch zu verurteilen; denn Du kennst ja das Diktum Jesu aus der Bergpredigt: “Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!” – Wer weiß schon, in welche Situation e r s e l b s t geraten kann und wie er dann evtl. den Moralgesetzen zuwiderhandelt …?

 Die wahren Prinzipien müssen der betroffenen Frau sanft beigebracht werden. Ihr muss jegliche Hilfe, jegliche Unterstützung angeboten werden, zu der man überhaupt fähig ist. Doch es wäre falsch, so zu tun, als ob die Abtreibung nicht immer noch ein intrinsisches Übel bliebe. Aus „Barmherzigkeit“ von der Verurteilung vorsätzlicher Tötungshandlungen gegen Unschuldige abzusehen, ist genauso absurd, wie aus „Barmherzigkeit“ eine solche Tötung zu empfehlen oder sie selbst durchzuführen. Nein, wahre Barmherzigkeit geht nicht auf Kosten des Lebens der Unschuldigen. Wahre Barmherzigkeit rettet an erster Stelle das Leben der Unschuldigen. Und wenn man Jesus zitiert, dann sollte man auch bedenken, dass das Gericht, von dem Jesus spricht, nicht die Jury der Moralphilosophen ist, sondern das göttliche Gericht, vor dem alle Menschen sich verantworten müssen. Jesus hat es mit der Ehebrecherin vorbildlich vorgemacht: Die Leute wollten sie steinigen. Er hat praktisch gesagt, man solle nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt. Aber er hat der Frau auch klar gesagt, sie solle nicht nur einfach gehen, sondern gehen und nicht mehr sündigen. Barmherzigkeit bedeutet nicht das Leugnen der Sünden, und „nicht richten“ hat nichts mit moralischer Blindheit oder Schweigen im Angesicht des Bösen zu tun, auch dann nicht, wenn die böse Handlung von einer Vergewaltigten ausgeht, die ihr Kind töten will.

Ich selbst würde dringend wollen, dass mir jemand mitteilt, wenn ich gegen das moralische Gesetz handle. Wie sollte ich sonst meine Sünden bereuen, wenn man sie mir aus „Barmherzigkeit“ verschwiege? Wahrheit und Barmherzigkeit können nicht getrennt werden. Wenn Abtreibung wirklich vorsätzliche Tötung eines Unschuldigen ist, dann ist es nicht angemessen, aus „Barmherzigkeit“ diese Tatsache zu ignorieren.

 Also eine Empfehlung an Dich (wenn ich mir das mal so erlauben darf …): Konsequente Moral als Richtschnur und Orientierung für das Leben ist unverzichtbar – und zugleich gehört in ein gelingendes Leben auch eine Herzensmilde, die Menschen in ihrer Schwachheit wahrnimmt und sie dennoch auch liebevoll annimmt. Wie das dann im einzelnen aussieht, das kann man eben nicht im vorhinein festlegen (s.o.)!

Selbstverständlichkeit gehört die Annahme der Menschen in ihrer Schwachheit dazu. Doch das bedeutet nicht, die Schwachheit nicht mehr zu benennen oder zu verschweigen. Wenn eine Frau aus Schwäche ihr Kind töten will, muss man zwei Dinge tun: Erstens, vermeiden, dass die Frau die Tötung wirklich begeht, und zweitens, die Gründe ihrer Schwachheit (in diesem Fall, die Vergewaltigung) so sanft und liebevoll wie möglich mit ihr zu besprechen und ihr bei der Überwindung ihres psychischen Notzustandes zu helfen. Wie man das konkret anstellt, kann man tatsächlich nicht im Vorhinein festlegen. Doch man kann durchaus sagen, dass es eine Weise gibt, auf die man es niemals konkret anstellen kann, nämlich, indem man die Tötung einfach zulässt und so tut, als ob sie gar keine vorsätzliche Tötung gewesen wäre. Eine Frau, die nach Vergewaltigung abtreibt, hat sicherlich eine geringere Schuld, als eine Frau, die aus nichtigen Gründen der Bequemlichkeit abtreibt. Doch die Schuld, wenn auch verringert, bleibt bestehen, und die Sünde ist objektiv dieselbe.

Zum Utilitarismus noch ein Wort und ein Denk-Beispiel: Wenn es absolut verboten ist, menschliches Leben zu töten, dann ist es auch klar verboten, ein entführtes Passiergierflugzeug abzuschießen, wenn es ganz offensichtlich auf ein Atomkraftwerd zufliegt – so ist ja auch die Rechtsprechung des BVG. Und nun: Wenn die Entführer klar gesagt haben, sie würden das Flugzeug in das AKW stürzen und wenn ebenso klar ist, dass damit hunderttausende Menschen in der nahe gelegenen Großstadt dadurch ums Leben kommen, und wenn dann genau das passiert, weil das Flugzeug (moralisch korrekt!) n i c h t abgeschossen wurde – glaubst Du, der Verantwortliche (Innen- oder Verteidigungsminister, Bundeskanzler, General oder wer auch immer) kann dann noch ruhig schlafen, weil er ja ein prima Gewissen haben müsste: “Ich habe moralisch einwandfrei gehandelt, mir kann keiner was vorwerfen!” Glaubst Du wirklich, dass er nicht denken würde: “ich hätte diese grausame Katstrophe verhindern können, wenn ich dieses Flugzeug hätte abschießen lassen, auch wenn dadurch einige hundert unschuldige Menschen geopfert worden wären”. Glaubst Du nicht, dass diese Bürde ihn sein Leben lang verfolgen würde? – Ich sage dies nur aus einem einzigen Grund: Das “wirkliche Leben” kann uns tatsächlich in äußerste moralische Bedrängnis bringen – und ich jedenfalls würde diesen Verteidigungsminister sehr gut verstehen, wenn er das Flugzeug hätte abschießen lassen, auch wenn er im vorhinein natürlich nicht hätte wissen können, ob es nicht doch auch eine andere Lösung gegeben hätte, die Katastrophe zu verhindern (vielleicht hätten ja einige Passagiere die Entführer noch im letzten Moment überwältigt, wie damals bei dem einen Flugzeug in USA 2001).

Ach ja, da ist es wieder, das Fallbeispiel! Ja, ich stimme dem Gericht zu, dass es unzulässig wäre, ein Gesetz zu verabschieden, nach dem die Tötung von Menschen gerechtfertigt werden könnte, um ein (angeblich) größeres Übel zu verhindern. Menschenleben dürfen nicht gegen Menschenleben aufgerechnet werden. Wenn ein konkreter Entscheidungsträger vor diese Situation gestellt wird, dann wird er eine Entscheidung treffen müssen, mit der er leben kann. Entschließt er sich zum Abschuss des Passagierflugzeugs, so muss er damit leben, dass er viele Menschen getötet hat, um viele Menschen zu retten. Er könnte sich strafrechtlich auf etwas berufen, was man übergesetzlichen Notstand nennt. Es gibt Fälle, für die das Gesetz nicht gemacht ist, und für die kein Gesetz gemacht werden kann. Der Entscheidungsträger muss die Verantwortung selbst übernehmen, und zwar nicht nur die politische, sondern auch die moralische. Ich weiß nicht, ob ich selbst noch schlafen könnte, egal wie ich mich entscheiden würde. Aber in letzter Konsequenz, wenn Leben gegen Leben steht – und nicht, wie bei der Vergewaltigung, Leben gegen psychischen Schmerz – haben wir eine andere Situation. So hat die Kirche Abtreibung immer grundsätzlich und ohne Ausnahme abgelehnt, auch bei Lebensgefahr für die Mutter. Und dennoch ist es nach ihrer Lehre zulässig, eine Operation zur Lebensrettung der Mutter zu unternehmen, bei der als Nebenfolge (nicht als beabsichtige Folge) das Kind stirbt. Die Tötung des Kindes darf nicht intendiert sein, aber wenn sie bei der Lebensrettung als Nebenfolge passiert, ist das durchaus zulässig. Ähnlich würde ich den Fall mit dem Flugzeug sehen, das auf ein AKW zusteuert. Wenn der Entscheidungsträger die Rettung des AKW befiehlt, und als Nebenfolge dieser Rettung das Flugzeug abgeschossen wird, dann wäre es zulässig, wenn es auch immer noch schlaflose Nächte bereiten würde. Hier haben wir einen Fall der Anwendung moralischer Prinzipien. Man darf und muss in der Anwendung flexibel sein, aber nicht, wenn dies den Bruch mit dem moralischen Gesetz bedeutet. In letzter Konsequenz darf man nicht Böses intendieren, um Gutes damit zu erreichen.

Drei einfache Beobachtungen

1. Abtreibung ist nach katholischer Lehre grundsätzlich verwerflich, auch wenn sie in den ersten Stunden oder Tagen nach der Befruchtung stattfindet. Da es sich bei Abtreibung um die Tötung eines unschuldigen Menschen handelt, reicht selbst ein geringer Verdacht, es könne zur Abtreibung kommen, bereits aus, um die Einnahme der „Pille danach“ kategorisch abzulehnen. Auch wenn es einige Studien gibt (auf die sich die deutschen Bischöfe jetzt berufen wollen), nach denen die „Pille danach“ womöglich ohne nidationshemmende (=frühabtreibende) Wirkung funktioniert, gibt es ebenso Studien, die das genaue Gegenteil behaupten. Die Wirkweise ist nicht endgültig geklärt. Es ist also keinesfalls auszuschließen, dass es durch die „Pille danach“ zu Frühabtreibungen kommt.

Im Zweifelsfall daher für das Leben und gegen die „Pille danach“.

2. Die Tötung unschuldiger Menschen ist auch dann nicht erlaubt, wenn eine Vergewaltigung vorhergegangen ist. Die Tatsache, dass die Mutter vergewaltigt wurde, entschuldigt nicht, dass sie ihr Kind (durch die Einnahme einer möglicherweise frühabtreibenden Medikation) womöglich tötet. Selbstverständlich kann durch die Situation extremer psychischer Belastung, der eine Frau infolge einer Vergewaltigung oft ausgesetzt ist, im Einzelfall die Schuldfähigkeit der Frau mindern, doch Abtreibung bleibt eine Todsünde und eine Abtreibung billigend in Kauf zu nehmen, indem man die „Pille danach“ nimmt (oder sie einer Frau anbietet, verabreicht, verschreibt etc.) ist nicht viel besser. Übrigens kann das Kind am allerwenigsten für seinen Vater. Wer gegen die Todesstrafe für Vergewaltiger ist, der sollte die Todesstrafe für das Kind des Vergewaltigers erst recht ablehnen.

Vergewaltigung rechtfertigt also keinesfalls, die Tötung des unschuldigen Kindes billigend in Kauf zu nehmen, wie dies bei der Einnahme der „Pille danach“ geschieht.

3. Verhütung ist nach der Lehre der Kirche ein intrinsisches Übel, d.h. sie kann nicht durch die Umstände gerechtfertigt werden. Sie ist an sich moralisch falsch. Es gibt einige orthodoxe katholische Theologen, die die Einnahme eines (nicht-frühabtreibenden) Verhütungsmittels in Extremsituationen rechtfertigen wollen, um ein größeres Übel zu verhindern. Wie auch immer es damit bestellt sein mag – im Falle einer bereits geschehenen Vergewaltigung wird durch die „Pille danach“, selbst wenn sie nicht frühabtreibend wirkt, kein „größeres Übel“ verhindert, sondern die Entstehung eines von Gott selbst geschaffenen Menschenlebens! Das ist kein Übel, sondern ein Segen, wie schrecklich die Umstände seiner Entstehung auch gewesen sein mögen.

Das geschehene große Übel, die Vergewaltigung, kann durch eine nachträgliche Verhütung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Sie ist unwiderruflich geschehen. Die Frage bleibt nur, was man dann aus der Situation macht. Wie gesagt, das Kind kann nichts für seinen Vater. Ich verstehe, dass Frauen nach Vergewaltigungen oft das in ihnen wachsende Leben hassen. Sie müssen es auch, wenn sie sich dazu nicht in der Lage fühlen, nicht großziehen.

Aber sie dürfen es nicht töten und sie dürfen auch keine schweren Sünden (wie Verhütung) begehen, damit sich ihr belasteter psychischer Zustand dadurch bessere.

Zusammenfassung:

1. Abtreibung ist ein intrinsisches Übel, eine schwere Sünde, die niemals zulässig ist, auch nicht zur Verhinderung eines anderen Übels. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

2. Da Abtreibung nicht durch die Umstände gerechtfertigt werden kann, gilt dies auch für Kinder, die von Gott infolge dieses großen Übels Vergewaltigung geschaffen worden sind.

3. Was für Abtreibung gilt, trifft auch für Verhütung zu.

Die Einnahme der „Pille danach“ ist aus diesen drei Gründen auch in Fällen von Vergewaltigung grundsätzlich und generell abzulehnen.

Sie zu empfehlen, zu verschreiben oder zu verabreichen stellt eine Form der Kooperation oder Beihilfe zur Begehung dieser Sünde dar und ist daher ebenfalls auch in Fällen von Vergewaltigung generell und grundsätzlich abzulehnen.

Dies ändert sich auch durch die falsche Meinung der Zeitgeistbischöfe, befeuert von falsch verstandenem Mitleid mit dem tatsächlich schrecklichen Schicksal vergewaltigter Frauen, nicht. Selbst wenn ein Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben der stehenden Haltung seiner eigenen Behörde im Interesse des Zeitgeists widerspricht. Mit dem Bauch zu denken und auf Meinungsumfragen zu hören führt gerade im Feld der Sittenlehre nur allzuoft zu schrecklichen Fehlschlüssen.

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Einige Verweise zum Thema:

Offizielle Stellungnahme der Päpstlichen Akademie für das Leben zur „Pille danach“ (2000) – dürfte wohl höher zu bewerten sein als die persönliche Meinung des Präsidenten… Hier ist keine Spur von moralischem Sentimentalismus bzw. Populismus. Die Wahre Lehre wird klar und deutlich vermittelt.

German Bishops give qualified approval of morning after pill (Life Site News)

World’s Top Authority on morning-after-pill says women must be told it may cause abortions (Life Site News) – Die Studienlage ist eben unklar. Im Zweifel für das Leben.

Vatican versus Vatican (Rorate Caeli) – Verschiedene widersprüchliche Aussagen aus dem Vatikan zum Thema „Pille danach“

Vatican II at 50: German bishops OK abortifacient morning-after-pill (Rorate Caeli)

Pope Benedict: Inaction to the end? (Mundabor)

Wo stehen wir?

Getreu der Aufforderung des Chefökumenisten der katholischen Kirche, Kardinal Koch, möchte ich hier genau diese Frage stellen: Wo stehen wir, die wir uns traditionelle Katholiken nennen? Der Kontext dieser eigenartigen Frage ist natürlich das Konzil (was sonst?). Kardinal Koch wünscht sich die totale Anerkennung. In einem Interview sagt er zur Verbindlichkeit des Konzils:

„Das Zweite Vatikanum hat vier große Konstitutionen erlassen, zudem neun Dekrete und drei Erklärungen. Rein formal kann man natürlich einen Unterschied zwischen diesen drei Gattungen machen. Allerdings stellt sich dann insofern ein Problem, als das Konzil von Trient (1545-1563) nur Dekrete erlassen hat und keine Konstitutionen. Und man wird hier sicher nicht von einem Konzil minderen Grades reden wollen. Also: Rein formal kann man Unterschiede finden, aber man kann kaum Unterschiede in der Verbindlichkeit in inhaltlicher Hinsicht machen. Das Ökumenismus-Dekret beispielsweise hat seine dogmatischen Grundlagen in der Kirchen-Konstitution. (…) Dass Konzile auch irren können, ist allerdings eine Behauptung, die auf Martin Luther zurückgeht. Von daher müssen sich die Traditionalisten schon fragen, wo sie denn eigentlich stehen.

Kardinal Koch vetritt also die Haltung, dass jeder Katholik das Konzil zur Gänze in all seinen Texten vorbehaltlos und vollständig annehmen muss, dass es nicht statthaft ist, manchen Konzilstexten einen höheren Grad an Verbindlichkeit zuzumessen, sondern dass alle Texte gleichermaßen „verbindlich“ sind. Zudem unterstellt er Konzilskritikern eine quasilutheranische Gesinnung. Ob der geschätzte Kardinal mit seinen Freunden aus den „getrennten Gemeinschaften“ auch so diplomatisch umspringt?

Der Kardinal fordert „Traditionalisten“, verstanden als Personen, die das Konzil kritisch sehen, und daher an „vorkonziliaren“ Positionen festhalten, dazu auf, zu überdenken, wo sie eigentlich stehen. Die Frage lautet eigentlich: Seid ihr Traditionalisten überhaupt katholisch?

Man merke: Die feste Überzeugung von der unbezweifelbaren Richtigkeit aller Konzilsaussagen – alles soll gleichermaßen verbindlich sein – wird hier zum Markstein der Glaubenstreue bzw. Orthodoxie. Wer das anders sieht, ist eine Art zweiter Luther. Dies ist ein geradezu lehrbuchmäßiges Beispiel für die Stilisierung eines Pastoralkonzils zum „Superdogma“. Das Konzil selbst hat natürlich, ebenso wie auch die nachkonziliaren Päpste, immer wieder festgestellt, dass gar keine neuen Dogmen definiert worden sind.

Nun, der Kardinal möchte, dass die Traditionalisten sich fragen, wo sie denn eigentlich stehen. Sind sie überhaupt Katholiken? Ich kann natürlich nicht für alle Traditionalisten sprechen, aber soweit ich weiß, sehen die allermeisten sich durchaus als Katholiken. Ich zumindest habe meine oftmals eingestandenen Schwierigkeiten mit dem Konzil, und wäre niemandem böse, wenn es einfach in der Versenkung verschwände, doch ich halte mich durchaus für katholisch.

Vielleicht irre ich mich, und ich bin in Wahrheit ein Schüler Luthers, wie der Kardinal zu insinuieren wünscht. Ich bin – im Gegensatz zum Größten Konzil Aller Zeiten – schließlich nicht unfehlbar. Vielleicht sind die Traditionalisten in Wahrheit gar keine Katholiken, sondern Protestanten. Immerhin würden sie dann in Zukunft vom Ökumenefanclub hofiert, statt verketzert.

Doch die Frage des Kardinals ist ernstzunehmen. Wo stehen die Traditionalisten? Wie gesagt, ich kann nicht für alle Traditionalisten sprechen, sondern nur für mich selbst: Aber hier ist meine Antwort:

Der Zweck des Konzils war erklärtermaßen, den Glauben pastoral zeitgemäß darzustellen, um die Kirche zu stärken, und den Glauben zu verbreiten. Hat das Konzil seinen Zweck erfüllt? Ist die Kirche heute stärker als 1965?

Nur jeder zehnte Katholik besucht regelmäßig die Messe. Wenn er die Messe besucht, dann erlebt er meist eine krampfhaft kreative Gemeindefeier mit Empfang eines nicht besonders schmackhaften Brotplättchens im Gänsemarsch am Ende der Messe. Das ist sein subjektiver Eindruck. Wenn er das Glück hat, noch eine Messe in seiner Gemeinde vorzufinden, und keine „Wort-Gottes-Feier“ mit freundlicher Unterstützung der lokalen Häretikerinnen aus dem Gemeinderat.

90% der Katholiken sind kirchenfern. Die allermeisten nach 1965 geborenen Katholiken haben nicht die geringste Ahnung von ihrem Glauben. Weder ihre Eltern noch die Gemeinden legen besonderen Wert auf die Ausbildung der jungen Menschen in ihrem Glauben. Nur lustig muss es sein, und fröhlich und modern, alles andere ist egal. Zunehmend werden Kinder christlicher Eltern gar nicht mehr getauft. Wenn kann es wundern?

Wenn ein Nichtgläubiger einmal den Weg zur Kirche findet, und einen Priester nach den Inhalten des Glaubens fragt, dann hat er sehr gute Chancen, dass man ihm erklärt, es gehe darum, lieb und nett zu sein, weil alles andere sowieso nur später hinzugedichtet worden sei. Fragt er einen Theologieprofessor, so sind seine Chancen in dieser Hinsicht noch besser. Fragt er einen einfachen katholischen Laien, so wird er vermutlich gar keine zusammenhängende Antwort erhalten. Von den zentralen Gehalten des christlichen Glaubens erfährt er so jedenfalls nichts. Er wird nicht wiederkommen. Warum auch?

Katholische Familien unterscheiden sich nicht vom Rest der Gesellschaft. Diesseitiges Streben nach Geld, Prestige und materiellem Besitz überstrahlt das Streben nach Heiligkeit, sofern letzteres überhaupt noch eine Rolle spielt. Die wenigen nicht verhüteten, nicht abgetriebenen Kinder sind wie in der Mehrheitsgesellschaft eher im Weg, weil sie Mutter und Vater an ihrer Selbstverwirklichung hindern. Katholische Verbände fordern die Einweisung möglichst aller Kinder ab dem ersten Lebensjahr in staatlich finanzierte Verwahranstalten. Sie haben keine Skrupel, mit Abtreibungslobbyisten gemeinsame Sache zu machen. Die meisten Bischöfe und Priester schweigen dazu vornehm. Man fürchtet sich vor dem, was sie sagen würden.

Katholische Familien leben den Glauben nicht. Das Tischgebet ist kaum noch verbreitet, und ähnliches gilt für das gemeinsame Gebet überhaupt. Die Existenz Gottes ist zweifelhaft, außer als gelegentlich gebrauchte Redensart, die Heilsnotwendigkeit der Kirche unbekannt oder Gegenstand von Spott. Nach einigen Jahren ist die Chance nicht schlecht, dass die katholische Familie auseinanderbricht, weil die Ehepartner sich auseinandergelebt haben, und einer der beiden oder beide jüngeres Fleisch erblickt haben.

In der Ökumene geht es vor allem um den Ausverkauf katholischer Substanz zwecks Vorspiegelung real inexistenter Einheit. Das Ziel der Bekehrung der Irrgläubigen zum Kirche Gottes ist praktisch aufgegeben worden, und jeder, der die Juden auffordert, sich zu Jesus Christus zu bekehren, wird als Antisemit angefeindet, bloß weil ihm das Seelenheil des jüdischen Volkes am Herzen liegt.

Das Konzil hat den Glauben in einer schweren Zeit nicht gestärkt, sondern durch seine Schwammigkeit und seine Schwurbelprosa selbst unter Annahme vollständiger Kontinuität mit der Glaubensüberlieferung massiv geschwächt. Der Konzilskaiser hat keine Kleider.

Die Kirche steht heute vor einem Scherbenhaufen. Ganz Gallien befindet sich in einer tiefen Glaubenskrise. Ganz Gallien? Nein, in einigen kleinen verstreuten Dörfern sieht es deutlich besser aus. Was zeichnet diese kleinen gallischen Dörfer aus, die sich alleingelassen durch die Mainstreamkirche mit bescheidenen Mitteln durch die Glaubenskrise kämpfen? Ist es extreme Treue zu der unerschöpflichen Weisheit des Konzils? Ist es die feste Überzeugung, dass man alle Beschlüsse des Konzils unterschiedslos als richtig und wunderbar annehmen muss?

Oder ist es nicht vielmehr das Festhalten an der traditionellen katholischen Religion, ihrer Frömmigkeit, ihrer dogmatischen Klarheit, ihrer überlieferten Theologie, und nicht zuletzt, ihrer theologisch unmissverständlichen traditionellen Messe, bei der niemand den Eindruck gewinnen kann, er wohnte einer lutheranischen Gedächtnisfeier bei?

Schwere, inhaltliche Kritik oder absolute Anhänglichkeit an jede Konzilsformulierung als verbindliches Glaubensgut: Welche Haltung zum Konzil bringt die richtigen, katholischen Früchte? Kardinal Koch mag dies nach seinen eigenen Kriterien beurteilen.

Doch ich kann das Konzil nur an seinen Früchten messen. Und wenn ich sehe, wie zwei Zwillinge von zwei Bäumen essen, und der eine Zwilling danach schwer erkrankt, während der andere weitgehend gesund bleibt, dann weiß ich, dass die Früchte des einen Baumes vergiftet waren.

Und also esse ich nicht von diesem Baum.

Ich halte an dem überlieferten Baum des wahren Glaubens fest. Von dem weiß ich wenigstens, dass er unbedenklich, verträglich und gesund ist.

Und wenn die Laborergebnisse irgendwann einmal vorliegen, wenn der Konzilsbaum genau untersucht worden ist, und man genau herausgefunden hat, von welchen Früchten des Konzilsbaums man unbedenklich essen kann, dann werde ich von diesen Früchten essen. Bis dahin halte ich an dem Glauben fest, der 1961 wahr war, in der sicheren Zuversicht, dass er heute nicht plötzlich falsch sein kann.

Beantwortet das – zumindest was meinen Fall betrifft – Ihre Frage, Herr Kardinal?

Erziehung als Kulturkampf (Teil 4/4)

Es folgt der vierte und letzte Teil des Essays „Erziehung als Kulturkampf“. Hier geht es zum ersten, zweiten und dritten Teil.

10. Bildung als Formung der Person

Erziehung ist mehr als Betreuung, und jetzt, in einem nächsten Schritt, sehen wir, dass Bildung wiederum noch mehr ist als Erziehung. Bildung basiert auf Erziehung. Erziehung initiiert das Kind in eine kulturell-kultische Ganzheit; Bildung „bildet“, also „formt“ den Menschen, und ganz besonders seinen Geist. Natürlich gehört dazu auch das Lernen von „Kompetenzen“ und „Wissen“, doch liegt hier nicht der eigentliche Mittelpunkt von Bildung. Bildung ist die Formung der vom Erzieher geführten Persönlichkeit. Der Erzieher führt das Kind zu dem gewünschten geistigen Ort, und dabei wird dieses Kind durch Bildung geformt. Erziehung und Bildung lassen sich also überhaupt nicht trennen. Jeder Akt der Bildung ist immer auch ein Akt der Erziehung. Und weil Erziehung niemals moralisch und religiös neutral ist, ist auch Bildung niemals moralisch und religiös neutral. Deswegen kann es auch keine staatliche Bildung in der pluralistischen Gesellschaft geben, ohne dass dadurch wieder der erwähnte Kulturkampf aufbricht.

11. Folgerungen

Damit sehen wir, dass die pluralistische Gesellschaft, die nach den jungen Kindern greift, die noch nicht in die Schule gehen, die Initiation dieser Kinder in eine relativistische Situation durchführt, die mit der katholischen Situation inkompatibel ist. Der Katholik kann daher seine Kinder keiner staatlichen oder staatlich kontrollierten „Betreuung“ anvertrauen, weil besagte Betreuung immer Erziehung ist, und speziell relativistische Erziehung.

Doch wir sehen ferner, dass dasselbe auch für staatliche Bildung, wie sind an Schulen angeboten wird, gilt. Der Katholik kann aus denselben Gründen auch nicht akzeptieren, dass seine Kinder an staatlichen Schulen gebildet werden, also eine Formung von Geist und Charakter erhalten, die selbst wieder relativistische Züge trägt, weil sie nicht anders kann, als auch erzieherisch wirksam zu sein.

Als Katholiken müssen wir daher prinzipiell staatliche Bildung, die sich „wertneutral“ oder „religiös neutral“ darstellt, ablehnen, weil sie Initiation in eine falsche Kult-Kultur-Ganzheit ist, damit einer Apostasie vom wahren Glauben Vorschub leistet, und dadurch die Seelen unserer Kinder in die ernstliche Gefahr des ewigen Todes bringt.

Als Alternativen bleiben kirchliche und private Schulen, sofern ihre erzieherische Initiationsrichtung zumindest weitgehend kompatibel mit der Katholischen ist, und, in dem freien Teil der Erde, selbstverständlich auch der Heimunterricht, der in unfreien Staaten wie Deutschland selbstredend verfolgt wird, weil der Staat keine „Parallelgesellschaften“, also keine nicht-relativistischen Kulturganzheiten neben sich dulden kann – was für Totalitarismen aller politischen Richtungen sehr typisch ist. Der Katholik muss versuchen, eine schulische Nische zu finden, in der die Initiationsrichtung nicht zu weit vom Katholizismus entfernt ist. In einem Land, in dem die natürlichen elterlichen Freiheiten so stark beschnitten worden sind, wie in Deutschland, stellt schon das eine schwere Aufgabe dar, doch sie ist noch nicht unlösbar. Es gibt immer noch gute Schulen, wenn sie auch selten sind.

Für die vorschulische Zeit ist jedoch, von genuinen Notsituationen abgesehen (und einmal keinen Urlaub machen zu können, zählt nicht als Notsituation!), von einer „Betreuung“ außerhalb des Elternhauses generell abzuraten. Die Schaffung des tiefen Vertrauens, die, wie wir gesehen haben, eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Erziehung und Bildung ist, hat in den ersten Lebensjahren unbedingten Vorrang. Dies muss geleistet sein, bevor das Kind ins Schulalter kommt, und dies können nur die Eltern des Kindes leisten, besonders die Mutter, die das Kind eben nicht der Selbstverwirklichung wegen verlassen sollte.

Die hier für den Katholiken dargelegten Erwägungen treffen natürlich auch für den Anhänger einer anderen wahrheitsfähigen Religion zu, also für alle ernsthaften Christen, Moslems und (orthodoxen) Juden.

12. Schlussbemerkung: Erziehung zum Seelenheil

Die aktuelle Debatte um die Erziehung von Kindern in Kitas ist daher ein weiterer schwerwiegender Angriff auf die katholische Religion der Kinder katholischer Eltern, und aller anderen, die von ihrer Religion ernsthaft überzeugt sind, und daher ein weiterer widerwärtiger Akt im Kulturkampf, den die relativistischen Eliten gegen die westliche Kultur von Athen, Rom und Jerusalem führen.

Die Forderung nach einer Kitapflicht oder einer Kindergartenpflicht ist als Angriff auf die wahre Religion katholischer Kinder zugleich auch ein schwerwiegender Angriff auf das Seelenheil katholischer Kinder. Und wir wissen, woher Angriffe dieser Art in letzter Konsequenz kommen, und wie wir ihnen begegnen können.

Sancte Michael Archangele,
defende nos in proelio;
contra nequitiam et insidias diaboli esto praesidium.
Imperet illi Deus, supplices deprecamur:
tuque, Princeps militiae Caelestis,
satanam aliosque spiritus malignos,
qui ad perditionem animarum pervagantur in mundo,
divina virtute in infernum detrude.
Amen.

Erziehung als Kulturkampf (Teil 3/4)

Es folgt der dritte Teil des Essays „Erziehung als Kulturkampf“. Hier geht es zum ersten und zweiten Teil.

7. Folgen staatlicher Kindererziehung

Was passiert nun, wenn ein Staat nach den Kindern greift? Da es keine religiöse und moralische Neutralität gibt, wird der Staat – bewusst oder unbewusst – eine ganz bestimmte religiöse und moralische Initiation, ein tief im Menschen sitzendes Grundverständnis von Kult, Kultur und Moral erschaffen und in den Kindern, die ihm anvertraut sind, verankern. Dasselbe gilt auch für den Erziehenden, der formal privat ist, aber der staatlichen Lizenz bedarf und staatliche Regulierung des Inhalts seiner Erziehungstätigkeit zu befolgen hat.

In der DDR hat der Staat das absichtlich getan, um die Kinder zu guten Sozialisten zu erziehen. Doch selbst wenn er gar keine Indoktrination beabsichtigt, kann er nicht anders als zu erziehen, bewusst oder unbewusst, wenn ihm die Kinder anvertraut sind.

Nehmen wir den pluralistischen Staat an, der es wirklich nur gut meint, und keine Indoktrination beabsichtigt; nehmen wir also den bestmöglichen Fall an. Seine Erziehung im Geiste der religiösen und moralischen Neutralität ist eine Fiktion, weil es keine wahre Neutralität gibt, wie wir gesehen haben. „Alle Religionen sind gleichermaßen privat“ und „Moral ist Privatsache“ sind nicht neutral, sondern indifferentistisch. Sie sind ebenfalls Teil einer ganz bestimmten Kult-Kultur-Ganzheit, nämlich einer Kultur des Pluralismus und Indifferentismus, die sich in Abgrenzung zu anderen Ganzheiten derselben Art definiert. Man könnte diese Ganzheit als „Relativismus“ bezeichnen.

8. Sieg staatlicher Initiation – Entrechtung der Eltern

Die Initiation in den Relativismus schließt eine gleichzeitige konfliktfreie Initiation in eine andere Kult-Kultur-Ganzheit aus. Man kann nicht zugleich zum Relativisten und zum Katholiken erzogen werden. Es kommt hier zu unauflöslichen Konflikten, zu Widersprüchen. Wer wird sich durchsetzen? Der, der den stärksten Einfluss auf das Kind hat. Wer ist das? Der Erzieher, dessen Initiationsrichtung identisch mit derjenigen der Massenmedien, der meisten Gleichaltrigen und der meisten sonstigen Einflüsse ist, die auf das Kind einwirken. Die Eltern, die das Kind an so manchem Abend sehen, werden da wenig gegen tun können. Sie sind damit faktisch entmachtet und entrechtet worden.

Die staatliche Kindererziehung ist also immer gleichbedeutend mit Initiation in die herrschende Kultur, die immer auch zugleich Initiation in den herrschenden Kult und die herrschende Moral ist. In der heutigen Gesellschaft sind dies die relativistische Kultur, die Religion subjektiver, scheinbar moralfreier Spiritualität, und die Moral, die den höchsten Wert in subjektiver Zufriedenheit sieht. Die Initiation in die durch diese Merkmale beschriebene gesellschaftliche Situation ist notwendige Folge staatlicher Kindererziehung in der heutigen Gesellschaft.

Die gesellschaftliche Situation, d.h. der geistige Ort, an dem die Person sich nach erfolgter Initiation befinden wird (sich situiert haben wird), ist je nach Kult-Kultur-Ganzheit dramatisch verschieden. Im Fall der Opposition zwischen modernem Relativismus und Katholizismus ist dieser Gegensatz besonders eklatant, da die Gegensätzlichkeit in allen drei Dimensionen der Initiation – Kultur, Kult und Moral – äußert.

Erziehung ist, wie schon gesagt, Initiation in eine Kulturganzheit, und daher in einer Gesellschaft, in der mehrere Kulturen koexistieren müssen, immer entweder privat oder Gegenstand eines Kulturkampfes.

9. Erziehung als Kulturkampf

Staatliche Kindererziehung ist also in der pluralistischen Gesellschaft immer ein Kulturkampf, weil der Staat nur in eine Kulturganzheit initiieren und nur eine Situiertheit anstreben kann. Dieser Kulturkampf ist nicht von den Katholiken begonnen worden, weil die Katholiken nicht nach der Verstaatlichung der Kindererziehung gerufen haben. Aber die Katholiken müssen ihn kämpfen, weil es hier nicht nur um Kultur, sondern auch um Moral; nicht nur um Moral, sondern auch um den Kult, d.h. den wahren Glauben, die wahre Religion, geht. Und weil ohne diese wahre Religion das ewige Seelenheil der Kinder in Gefahr ist.

Wir sehen heute, wie man von „Betreuung“ spricht, die die Kinder in Kitas erhalten sollen. Der Erziehungsbegriff, den die progressivistischen Eliten uns aufzwingen wollen, ist ein auf Betreuung beschränkter Begriff, weil die Initiation in eine materialistische Kultur erfolgen soll, in der die höchsten Werte selbst wieder materiell sind. Materielle Dinge können Betreuer leisten. Da die gewünschte Erziehung einen materialistischen Menschen hervorbringen soll, braucht der Erzieher nicht mehr zu tun, als zu betreuen. Doch für uns ist Erziehung mehr als Betreuung, weil der Mensch kein Materiehaufen ist, sondern eine Person, ein einzigartiges Geschöpf aus Körper und Seele, Materie und Geist, in dem beide Aspekte fest miteinander verwoben sind, so dass sie sich nur durch den Tod trennen lassen.

Der Betreuer ist schon seinem Namen nach immer ein Materialist. Er kann nicht anders, es sei denn, er wollte mehr tun als einem Betreuer zusteht, und zu einem sich selbst als ein solcher verstehenden Erzieher werden.

Soweit der dritte Teil des Essays „Erziehung als Kulturkampf“. Der vierte und letzte Teil wird voraussichtlich morgen veröffentlicht.

Erziehung als Kulturkampf (Teil 2/4)

Es folgt der zweite Teil des Essays „Erziehung als Kulturkampf“. Der erste Teil findet sich hier.

3. Zweitrangigkeit materieller Faktoren

Noch weniger heißt das, dass die Bildungsergebnisse nach den Maßstäben der schulischen Tests und beruflichen Leistungen nicht womöglich durch die Kita verbessert werden können. Vielleicht kann man durch systematische Abrichtung der Kinder auf die Aneignung karrierenützlicher Kenntnisse tatsächlich erreichen, dass die Kinder nach dem Maßstab der Welt im Durchschnitt besser sind, als daheim erzogene Kinder. Ich bezweifle es, aber ausschließen kann ich es nicht.

Doch darauf kommt es auch gar nicht in erster Linie an. Der Zweck von Bildung besteht nicht in erster Linie in der Erlangung möglichst hohen ökonomischen oder schulischen Erfolgs. Bildung ist nicht für den Arbeitsmarkt, sondern für den Menschen da. Wenn Kinder, die bei ihren Eltern aufgewachsen und von ihnen erzogen worden sind, tatsächlich schlechter in der Schule und später auf dem Arbeitsmarkt zurecht kommen sollten, dann wäre das ein notwendiger Preis für die Rettung der ganzheitlichen, wahren Bildung, die den ganzen Charakter, die ganze Person erfasst, und die in der Kita im Normalfall einfach nicht möglich ist.

Um es noch einmal zu wiederholen: Ich bin davon überzeugt, dass daheim erzogene Kinder auch auf dem Arbeitsmarkt besser prosperieren werden, als die gezüchteten Ameisenmenschen aus der Kita-Legebatterie. Aber selbst wenn nicht, selbst wenn alle daheim erzogenen Kinder zu einem Leben in bitterer Armut verdammt wären, wäre dies kein Argument für die Kita, sondern ein Argument für den Wert der Armut.

Ein ganz armer Mensch mit einem reichen Charakter ist tausendmal besser als ein ganz reicher Mensch mit einem armen Charakter.

Und ein reicher Charakter kommt meistens dann zustande, wenn das Kind erzogen, und nicht nur betreut wird. Worin besteht der Unterschied?

4. Erziehung als teleologischer Begriff

Betreuung ist, wie oben beschrieben, der Vorgang, durch den das Kind alles bekommt, was es materiell braucht. Es wird versorgt. Alle seine messbaren Bedürfnisse werden erfüllt.

Erziehung ist vollkommen anders gelagert. Ein Kind zu erziehen (educare) bedeutet, das Kind zu führen. Doch wenn man jemanden führen will, muss man zuerst sein Vertrauen erlangen, sonst wird er nicht mitkommen. Und mehr noch: Wenn man jemanden führen will, muss man wissen, woher man kommt, und vor allem wohin man will. Erziehung ist immer Weg zu einem Ziel. Erziehung ist wesentlich teleologisch, auf einen bestimmten Zweck gerichtet. Daher gibt es auch keine wertneutrale Erziehung. Jede Erziehung ist Werteerziehung. Jede Erziehung ist moralische Erziehung.

Man muss sich ferner darüber klar werden, dass man nicht nicht erziehen kann. Jeder Kontakt mit dem Kind ist Erziehung. Wenn man nicht weiß, wohin man das Kind führen möchte, führt man es ziellos. Man ist dann ein schlechter Erzieher.

5. Erziehung als ganzheitliche Initiation

Gehen wir jetzt einen Schritt weiter: Erziehung ist nicht nur Führung, sondern Führung zu einem ganz bestimmten Ziel. Doch Erziehung ist mehr als dies. Sie ist immer Initiation. Wer ein Kind erzieht, führt es ein, und zwar in eine Kultur. So wie moralische Überzeugungen niemals bloß individuell, sondern immer kulturell verwurzelt sind, und wie ein Glaube in Abwesenheit einer religiösen Gemeinschaft meist nicht lange fortbestehen kann, so gibt es auch keine Erziehung ohne Initiation in eine Gemeinschaft. Das erzogene Kind ist initiiert in die Geheimnisse der Kultur, in der es leben soll.

Das, wodurch ein Mensch initiiert wird, nennt man einen Ritus, nämlich einen Initiationsritus. Es ist sehr treffend, dass Kultur und Kult so eng verbunden sind – beide sind rituell. So wie man durch kultische Riten in eine religiöse Gemeinschaft aufgenommen wird, so wird man durch kulturelle Riten in die weltliche Gemeinschaft aufgenommen. Es gibt keine totale Trennung von Kultur und Kult, weil es derselbe Mensch ist, der sowohl kulturell als auch kultisch agiert. Es gibt daher auch keine totale Trennung von kultischer Initiation und kultureller Initiation. Deswegen ist jede Erziehung zumindest teilweise Erziehung zum Kult, also religiös. Es gibt also auch keine religiös neutrale Erziehung.

Unter Erziehung verstehen wir also einen Prozess, durch den der Mensch in die Gesamtheit aus Kult und Kultur seiner Gesellschaft initiiert wird, indem er die Geheimnisse (Mysterien) seiner Kult-Kultur-Ganzheit lernt. Dieser Prozess ist immer zugleich moralisch und religiös.

6. Problem des Pluralismus

Daraus folgt sofort, dass in einer pluralistischen Gesellschaft (der Gesellschaft, in der viele Kulte und Kulturen nebeneinander bestehen) niemals Einigkeit über die Erziehung der Kinder herrschen kann, weil keine Einigkeit über die Natur der notwendigen kulturellen, moralischen und kultischen Initiation vorliegt. Diese Fragen ausklammern zu wollen, indem man sie zur Privatsache erklärt, ist die Lösung der Liberalismus. Doch damit verunmöglicht man Erziehung grundsätzlich. Es gibt keine liberale Erziehung, weil es keine religiös und moralisch neutrale Erziehung gibt. Entweder das Kind wird durch die Erziehung in Kult und Kultur des Liberalismus initiiert – wobei der Liberalismus auch eine ganz bestimmte Weltanschauung ist, die Agnostizismus und eine ganz spezifische Kultur in sich fasst – oder es wird gar nicht bewusst erzogen, was wieder die Situation bloßer Betreuung schafft (also unbewusste Erziehung in rein materieller Weise)

Kinder staatlich zu erziehen ist daher nur in einer kultisch und kulturell homogenen Umgebung möglich. Es ist auch nicht praktikabel, die kultischen Aspekte von der sonstigen Erziehung zu separieren und in einen „Religionsunterricht“ auszulagern, weil Kult und Kultur eben nicht zwei unabhängige Aspekte sind, sondern sich gegenseitig durchdringen. Das eine geht nicht ohne das andere. Die Initiation des Kindes in die eine Welt ist nicht denkbar, solange sie nicht die korrespondierende andere Welt ebenfalls in sich fasst, weil eine andere Kultur zu einem anderen Kult und ein anderer Kult zu einer anderen Kultur führt. Erziehung kann also nur „ganzheitlich“ sein, also alle „Subsysteme“ des Menschen gleichzeitig betreffen. Entweder der ganze Mensch wird initiiert, oder der Mensch wird gar nicht initiiert.

Soweit der zweite Teil des Essays „Erziehung als Kulturkampf“. Der dritte Teil wird voraussichtlich am Montag veröffentlicht.

Erziehung als Kulturkampf (Teil 1/4)

Einleitung: Eine unheilige Kraft

Immer wieder hört man von den Anhängern der Fremdbetreuung von Kindern, man wolle den Kindern bereits frühzeitig Bildung vermitteln. Die Ministerprasidentin von NRW, Hannelore Kraft (SPD) bekannte sich gegenüber der Frankfurter Allgemeinen eindeutig zu der Absicht, langfristig alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr zu „verkrippen“.

Kraft sagte der F.A.S., die SPD sei sich mit der CDU bisher darin einig gewesen, dass Bildung in der Kita beginnen müsse. „Dann müssen wir auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind.“

Das Ziel ist also klar: Alle Kinder sollen ab dem ersten Lebensjahr in der Kindertagesstätte „betreut“ werden. Zuerst wird man es mit freiwilligen Angeboten versuchen. Doch inzwischen wird auch offen über einen Krippenzwang diskutiert, und zwar „sachlich“, wie Cem Özdemir demselben Artikel zufolge forderte.

Was steckt dahinter? Einerseits natürlich der übliche radikale Feminismus, der die Mobilisierung aller Frauen für den Arbeitsmarkt als Hauptziel der „Emanzipation“ sieht. Mit anderen Worten: Erst wenn die Frau wie der Mann geworden ist und ihre Mutterrolle als veralteten kulturellen Ballast abgestreift hat, kann sie wirklich frei sein. Diesen Feminismus, der den Mann ganz chauvinistisch als von Natur aus überlegen sieht, und möchte, dass Frauen ihrer Weiblichkeit und Mütterlichkeit entsagen, um sich zu vermännlichen, findet man in allen relevanten politischen Parteien der Bundesrepublik. Doch um ihn soll es in diesem Artikel auch gar nicht gehen.

1. Die Möglichkeiten der Betreuung

Es steckt nämlich noch einiges mehr hinter dem Kitawahn der progressivistischen Eliten. Bildung sollen die Kinder erlangen, die man in die Kita einweist. Es ist seltsam, wie verformt ein Bildungsbegriff sein muss, bevor man ernsthaft glauben kann, man könne in einer Kita, einem Kindergarten oder einer staatlichen Schule „Bildung“ erlangen. Tatsächliche Bildung ist nämlich immer ganzheitlich, das heißt es geht nicht um die Vermittlung von „Kompetenzen“ oder „Kenntnissen“ für sich genommen, sondern um die Bildung der ganzen Persönlichkeit, des ganzen Charakters, des ganzen Menschen.

Der oft verwendete Begriff „Betreuung“ ist gänzlich unzureichend, um das zu beschreiben, was die Eltern mit dem Kind tun, wenn sie sich selbst darum kümmern. „Betreuen“ können Kitas die Kinder jederzeit. Dazu sind keine besonderen Voraussetzungen notwendig. Ein „betreutes“ Kind erhält alles, was es zum Leben wissenschaftlich gesehen braucht. Es bekommt Nahrung, Wasser, falls sinnvoll ein Bett, pädagogisch und psychologisch wohl ausgewählte Spielsachen, Kontakt mit anderen Personen, darunter Betreuerinnen, die wissenschaftlich verantwortete Zuneigungsplacebos absondern, um dem Kind die benötigte Zuneigung wenigstens vorspiegeln zu können; ferner Kompetenzen und Fähigkeiten, und später, wenn es älter ist, schulisches Wissen. Das Kind erhält, klinisch rein, alles, was es „objektiv“ betrachtet braucht. Das ist der Idealfall einer außerfamiliären „Betreuung“. Im Regelfall liegen die Dinge natürlich nicht so gut. Die Betreuer sind unzufrieden, manche unfähig, die Gruppen zu groß, die Umgebung nicht so wunderbar pädagogisch wertvoll, wie sich die kinderlosen Pädagoginnen ausgedacht haben usw.

2. Keine Bildung ohne Vertrauen

Es fehlt aber alles, was man als wahre Bildung bezeichnen kann, als Bildung im oben erwähnten ganzheitlichen Sinn. Eine solche Bildung beginnt immer mit dem, was man „Vertrauen“ nennt. Es handelt sich dabei nicht um die Art rationalen Vertrauens, den ein Erwachsener, oder ein älteres Kind, einer anderen Person entgegenbringt, weil man sich darauf verlassen kann, dass der andere sich auch an die Spielregeln halten wird. Es ist ein „Urvertrauen“. Kinder können ohne dieses Urvertrauen überhaupt gar keine ganzheitliche Bildung bekommen. Doch dieses tiefe Vertrauen kann man durch keine noch so professionelle, universitätsgebildete Betreuerin simulieren. Sie macht ihren Job; wenn sie sehr gut ist, macht sie ihren Job sehr gut. Doch sie liebt die Kinder nicht wie eine Mutter sie liebt – sie ist nämlich nicht die Mutter. Sie ist bloß eine Fremde. Das tiefe Vertrauen fehlt also selbst in der idealen Kita. Da sie ganztägig ist, erlebt das Kind seine Eltern nur als beiläufige Charaktere, die irgendwie auch manchmal da sind, ohne aber zu der Mutter eine ebensolche tiefe Vertrautheit aufbauen zu können, wie es für wahre Bildung bräuchte.

Damit fehlt selbst in der idealen Kita jegliche Voraussetzung für ganzheitliche Bildung. Natürlich heißt das nicht, dass es nicht Fälle geben könnte, in denen Kinder mit der Lage ganz gut klarkommen und keine Schäden davontragen. Ausnahmen bestätigen im Umgang mit Menschen immer die Regel – es gibt keine exakte Wissenschaft vom Menschen.

Soweit der erste Teil des Essays „Erziehung als Kulturkampf“. Der zweite Teil wird voraussichtlich morgen veröffentlicht.

Staatskirche, Christlicher Staat und Religionsfreiheit (2/2)

Bewertung

Im ersten Teil des Artikels habe ich den Versuch einer Typologie oder Systematisierung einiger grundsätzlicher Optionen in der Debatte um das richtige Verhältnis von Kirche und Staat unternommen. Es folgt eine kurze Bewertung der dargestellten Ideen.

Staatskirchensysteme sind mit dem wohlverstandenen wahren katholischen Glauben in keiner Form zu vereinbaren. Schon der Hl. Augustinus bestand, angesichts der beginnenden Christianisierung der weltlichen Autorität, vehement auf einer prinzipiellen Trennung zwischen weltlicher und religiöser Sphäre. Ebenso ist jedoch die gegenteilige Abirrung zu verurteilen, nach welcher eine absolute religiöse Neutralität des Staates anzustreben sei (wie dies durch die Verurteilungen liberalistischer und sozialistischer Irrlehren im 19. und frühen 20. Jahrhundert lehramtlich deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist).

Mit dem christlichen Glauben unvereinbar sind damit also die Fälle (1) bis (3) sowie (8) und (9). Zu der derzeitigen Kontroverse um die Vereinbarkeit der Konzilslehre von der Religionsfreiheit mit dem traditionellen katholischen Glauben möchte ich mich im Rahmen des Artikels nicht äußern. Diese Frage muss ich besser informierten Zeitgenossen überlassen. Dass die Zweischwerterlehre zumindest ebenso zweifelhaft ist, wie die „gemäßigte Form“ der Religionsfreiheit am entgegengesetzten Ende des Spektrums christlicher Gesellschaftslehre, ist eindeutig, weil eine reale Autonomie der weltlichen Sphäre berechtigt und notwendig ist.

Übrig bleiben damit die Konzeptionen des klassischen Bekenntnisstaates und die Minimalversion. Ersterer setzt jedoch eine weitgehend christliche Gesellschaft voraus, da kein Staat langfristig gegen sein eigenes Volk regieren kann ohne zur Tyrannei zu werden. Er ist daher, wenn auch theoretisch sehr ansprechend, praktisch keine Option in der modernen, multikonfessionellen, säkularistisch geprägten westlichen Demokratie, ebenso wie er auch im Rom des frühen 2. Jahrhunderts nicht denkbar war.

Die Minimalversion eines christlichen Staates, in der Typologie mit (6) gekennzeichnet, setzte weitgehende Inaktivität der staatlichen Macht in einer Reihe sehr wichtiger Themengebiete, darunter Bildungs- und Sozialpolitik, voraus, was ebenfalls kaum durchsetzbar erscheint.

Eine einfache, klare und durchsetzbare Lösung des Problems der Rollenverteilung zwischen Kirche und Staat scheint es nicht zu geben. Praktisch sieht sich die Kirche heute einem Feind gegenüber, der ihr selbst die religiöse Neutralität noch streitig machen will – wie man an der Kontroverse um das Krankenversicherungsgesetz in den USA sieht, wo die Kirche sich mittels der Idee der Religionsfreiheit gegen den Versuch zur Wehr setzt, katholische Institutionen und Individuen zur finanziellen Unterstützung von Verhütung, Sterilisierung und frühabtreibenden Mitteln zu zwingen. Die Verteidigung der religiösen Neutralität des Staates wird daher heute zu einem wichtigen Anliegen der Kirche, wodurch sich das „Pastoralkonzil“ des 20. Jahrhunderts ausnahmsweise einmal tatsächlich als pastoral wegweisend zeigt. Wie auch immer die theologische Debatte um die Religionsfreiheit ausgehen mag, muss die Kirche heute nicht ihre Privilegien verteidigen, sondern ihre Grundrechte, und diese Grundrechte lassen sich mit der konziliaren Religionsfreiheit ganz vortrefflich und auf eine für moderne Ohren nicht extremistisch klingende Weise verteidigen.

Wie schon öfters begibt sich der Autor damit zwischen alle Stühle und Stuhlkreise. „Pastoral“ halte ich die Lösung des Konzils sogar für ziemlich günstig, obwohl ich mit ihr theologisch große Schwierigkeiten habe, so dass ich sie nicht für eine Dauerlösung und schon gar nicht für ideal halten kann, selbst wenn es eine Möglichkeit geben sollte, wie man diese Konzeption mit der traditionellen Idee eines christlichen Staates in Einklang bringen kann.

Ich bin davon überzeugt, dass wir drei verschiedene Dinge unterscheiden müssen:

(1) Eine derzeit nützliche Konzeption, die sich mit der kirchlichen Lehre vereinbaren lässt, und eine gute strategische Verteidigungsposition für die kommenden Angriffe auf die Freiheit der Kirche darstellt. Dafür scheint sich mir die Lehre des letzten Konzils zu eignen, so denn die dogmatischen Schwierigkeiten sich als überwindbar herausstellen, was ich für sehr wahrscheinlich halte.

(2) Eine ideale Konzeption, also das, was wir als Ziel anstreben; die bestmögliche Gesellschaftsordnung, die sich unter den Bedingungen dieser Welt (Erbsünde usw.) erreichen lässt. Dies ist meiner Ansicht nach in jedem Fall ein christlicher Bekenntnisstaat wie die vorkonziliaren Päpste ihn gefordert haben, in dem die wahre Religion die Förderung des Staates erhält, soweit dies je nach den spezifischen Zeitumständen möglich und sinnvoll erscheint, und die Ausübung der verbreiteten falschen Religionen toleriert, aber nicht gefördert wird. Ein solcher Staat müsste ferner strikt begrenzte Kompetenzen und Aufgabengebiete haben, damit er weder in die den Familien und Einzelpersonen zustehenden Freiheiten eingreift, noch die Kirche in ihrem heilbringenden Werk in irgendeiner Form beschränken kann.

(3) Einen Mittelweg zwischen beiden, also eine Konzeption, die anzustreben als Zwischenziel sinnvoll erscheint, das modifiziert wird, wenn ein Zwischen- oder Etappenziel erreicht worden ist. Wie dieser aussehen könnte, muss in jedem Land einzeln untersucht werden, da dies von der Ausgangsposition, der rechtlichen Stellung der Kirche in diesem Land, den historisch-kulturell gewachsenen Traditionen, der Rechtsordnung usw. abhängt. Ein solches Zwischenziel könnte heute zum Beispiel darin bestehen, dass islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen abgeschafft wird, um eine Sonderstellung des christlichen Glaubens zu bewahren, doch das ist nur ein Beispiel. Gemeint sind hier Zwischenschritte, pragmatische Reformvorschläge, die praktisch umsetzbar sind, und die Gesamtlage der Kirche und ihrer Rechte verbessern.

Sowohl der klassische Bekenntnisstaat und seine traditionellen und traditionalistischen Verteidiger (etwa in der Piusbruderschaft), als auch diejenigen, die sich, unbeschadet der theologischen Schwierigkeiten der Konzeption, ganz praktisch für die Verteidigung wenigstens gleicher Rechte der Kirche gegenüber Staat und den falschen Religionen einsetzen, haben damit ihre legitime, sinnvolle Berechtigung in der heutigen Gesellschaft. Wir brauchen sie beide, und ich möchte beide dazu aufrufen, dass sie das Gute anerkennen, das die jeweils andere Seite zu verteidigen versucht, ohne dabei das Gute aufzugeben, für das sie sich selbst einsetzen, und dass Kritik, wo notwendig, sachlich und in christlicher Nächstenliebe vorgebracht wird, statt mit Polemik, wie es leider oft der Fall zu sein scheint, wenn „Anhänger“ und „Gegner“ der „konziliaren Religionsfreiheit“ aufeinander prallen.