Lichtschlag: Weniger Politik – mehr „monarchischer Geist“

Der Herausgeber von „eigentümlich frei“, einer im klassischen, besten Sinn des Wortes liberalen, also wirklich an Freiheit interessierten Monatszeitschrift, André Lichtschlag, hat einige sehr interessante und sehr treffende Worte in einem Interview mit Misesinfo.org zu verschiedenen wichtigen Themen gefunden. Ich empfehle die Lektüre des ganzen Interviews. Einige Auszüge mit rotem Kommentar von Catocon folgen.

Unter Politikern dürften Sie [Herr Lichtschlag] nicht allzu viele Abonnenten haben. Im einem der letzten Hefte findet sich eine Aussage Ihres Autors Edgar L. Gärtner „Früher wurde gelogen um des Überlebens willen. Heute lügen Politiker, um den Selbstmord Europas zu vertuschen“. Steht es so schlimm um uns?

Auch der selige Papst Johannes Paul II. sprach von der herrschenden „Kultur des Todes“. [Eigentümlich frei, ef, ist eine der wenigen nichtkatholischen Medien, in denen von solchen Begriffen überhaupt im positiven Sinne die Rede ist.] Kein Wunder, wir leben im schleichenden Sozialismus. Und am Ende ist Sozialismus immer gleichbedeutend mit Tod. [Es ist kein Zufall, dass der polnische Papst, dem zuweilen eine wichtige Rolle beim Zusammenbruch des Ostblocks zugeschrieben wird, auch das Wort von der „Kultur des Todes“ prägte. Der Zusammenhang zwischen Tod und Sozialismus ist frappierend.] Der russische Mathematiker und Philosoph Igor Schafarewitsch hat das wie kein anderer tiefgreifend analysiert in seinem Buch „Der Todestrieb in der Geschichte – Erscheinungsformen des Sozialismus“. Ein Beispiel: Paragraph 4 Absatz 4 der Tierschutz-Hundeverordnung besagt: „Ein Welpe darf erst im Alter von über acht Wochen vom Muttertier getrennt werden.“ Warum? Weil das Welpen ansonsten schwere Verhaltensstörungen – der langsame Tod – entwickelt. [Selbst im Tierreich tritt diese Mutter-Kind-Bindung sehr häufig auf. Wie viel mehr benötigt dann erst der Mensch eine solche Bindung, ist er doch in viel höherem Maße auch nachgeburtlich noch über viele Jahre abhängig von der Zuneigung, Zuwendung und Versorgung der Mutter!] Oder die Nahrungsaufnahme vollständig verweigert und stirbt – der schnelle Tod. Acht Wochen im Leben eines Hundes entsprechen nach gängiger Faustformel einem guten Menschenjahr. Und dies ist die Minimalforderung im Tierschutzgesetz. Nach dem Willen unserer Politiker dürfte Mutter dann schon wieder arbeiten und das Kind in der Verwahranstalt Krippe abliefern.[Klare Worte. Wenn die Liberalen in Deutschland alle so wären, könnte man glatt FDP wählen.] Und das ist nur ein Beispiel für den Tod als Weg der sozialistischen Gleichheit [Im Tod sind alle Menschen gleich, zumindest dem Körper nach. Und der Sozialist glaubt nicht ans ewige Leben. Gleichheit bedeutet den Tod, sofern sie nicht im christlichen Sinn als Gleichheit der Würde bzw. Gottesebenbildlichkeit verstanden wird. Leben ist ja gerade ein Spannungsverhältnis, ein geordnetes Gegeneinander von Differenzen. Wie öde und fade die weltumspannende Ursuppe, in der alle individuellen Vielfältigkeiten aufgehen müssen, damit keine „Ungleichheiten“ und „Diskriminierungen“ mehr bestehen! Jeder Schöpfungsakt in Genesis ist ein Akt der Unterscheidung, also Diskriminierung. Licht von Finsternis, Wasser oberhalb des Gewölbes vom Wasser unterhalb des Gewölbes, usw, bis schließlich auch Mann und Frau getrennt erschaffen werden – als Verschiedene, doch geeint durch ihre Gottesebenbildlichkeit. Gleichheit im sozialistischen Sinn ist Ent-Schöpfung.] , wie er sich unter anderem auch in der nordkoreanischen Grassuppe zur Volksbeköstigung präsentiert. Oder in mehr als 100 Millionen Ermordeten als Opfer der rotsozialistischen Experimente. [Die entprechende Rechnung für den hässlichen Zwilling, den nationalen Sozialismus, beginnen wir hier gar nicht. Sie ist auch so schon bekannt genug.] Oder in der Nach-uns-die-Sintflut-Einstellung des Lebens und Verzehrens im Jetzt auf Kosten von Zukunft und Vergangenheit, was Keynes bekanntlich mit dem sozialdemokratisch-programmatischen Satz umschrieb: „Auf lange Sicht sind wir alle tot.“ (Könnte man eine größere Antithese zur christlichen Hoffnung auf das ewige Leben denken?)

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Kürzlich haben Sie in „eigentümlich frei“ einen Auszug aus dem Buch „Beyond democracy“ von Frank Karsten und Karl Beckmann abgedruckt.

Das im August auf Deutsch erscheinen wird, woran ich nicht ganz unschuldig bin.

Die beiden Autoren behaupten, „Demokratie“ bedeute nicht Freiheit und lasse die Tür offen für immer weiter zunehmende Staatseingriffe. So wie die Mehrheit der Menschen „Demokratie“ interpretieren dürfte, ein Widerspruch, oder? [Eine sehr interessante Frage. Wie ist nun das Verhältnis von Demokratie und Freiheit?]

Die meisten Menschen verwechseln Demokratie mit Freiheit. Sie halten sie für Synonyme. Dabei sind es eigentlich Gegensätze. Demokratie bedeutet, dass der Nachbar über die Höhe meines Gehalts abstimmt. [So kann man das sehen…] Es bedeutet Mitbestimmung von Fremden über meine persönlichen Belange. [Kollektivismus. Und solange der Mythos der Volkssouveränität geglaubt wird, kann die regierende Elite – und schon C.S. Lewis wusste, dass jede Regierung eine Oligarchie ist – sich immer mehr in private Angelegenheiten einmischen, weil das Volk ja glaubt, die Elite sei ihm verantwortlich. Die Elite wird das sehr amüsant finden…] Freiheit bedeutet Selbsteigentum und Selbstbestimmung in eigenen Belangen. [Dieses Freiheitsverständnis zeigt, dass Lichtschlag bei aller Sympathie doch kein traditioneller Katholik ist. Freiheit bedeutet nämlich etwas mehr als dies. Die erste Freiheit ist die Freiheit von der Sünde. Doch diese Einsicht steht einem Liberalen natürlich nicht zur Verfügung. Man sollte sie von Lichtschlag daher auch nicht erwarten.] Es ist kein Zufall, dass die Sozialisten ihr Diebstahlprogramm gerne mit der Forderung nach der „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ – oder wie Willy Brandt es sagte: „Mehr Demokratie wagen!“ – schmücken. Demokratie weckt niederste Instinkte, vor allem den Neid. Demokratie ist eine Form des Kollektivismus.Und ein Mittel des schleichenden Sozialismus.Die großen alten griechischen Philosophen und die amerikanischen Gründerväter verachteten die Demokratie.[Als die Philosophen noch die Weisheit liebten, nicht bloß die Sophisterei…] Klingt verrückt? Weil die Huldigung der Demokratie in unseren Tagen zur Ersatzreligion wurde, zum Gott, der aber keiner ist, wie der Ökonom Hans-Hermann Hoppe so schön titelte.

Wenn es die Demokratie ist, die diese Fehlentwicklungen hervorbringt, was ist dann die Alternative? Wie sehen Sie die Privatrechtsgesellschaft, die Professor Hoppe u.a. in seinem neuen Buch “Wettbewerb der Gauner” beschreibt?

Hoppe entlarvt wie kaum ein anderer die Fehler und Probleme der Demokratie. Und er stellt heraus, warum im Zweifel eine traditionelle Erbmonarchie weniger schädlich ist. [!!] Hoppe steht in der Tradition der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und erkennt mit deren Methoden, warum ein Staat immer die Tendenz hat, seine Kompetenzen Schritt für Schritt auf Kosten der Freiheit auszuweiten, auch und gerade in einer Demokratie. Insofern zeigt er, warum der Glaube an einen liberalen Minimal- oder Nachtwächterstaat naiv sein muss. [In der Tat. Denn aus einem solchen Staat ist etwa in den angelsächsischen Ländern seit dem 19. Jahrhundert der heutige Maximalstaat geworden, der sich in jede Ritze des privaten Lebens schiebt, um seine ideologischen Verirrungen über den Bürger zu stülpen.] Denn auch dieser wird sich ausweiten. Andererseits erscheint mir bei allem Erkenntnisgewinn auch die Hoffnung auf eine natürliche, staatsfreie Ordnung in gewisser Weise naiv zu sein. [Das ist generell das Problem mit radikalliberalen Staatsdenkern. Sie fordern eine anarchische Selbstorganisation, doch „Anarchie“ ist nur ein anderes Wort für „zukünftige Herrschaft des Stärksten!] Denn jedes Kind in einer Spielgruppe weiß, dass dort, wo ein Machtvakuum entsteht, es sich unweigerlich wieder füllt. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass einige nach Macht und Gewalt streben, sobald sich die Möglichkeit ergibt. Und andere, noch mehr an der Zahl, wollen beherrscht werden und fürchten Eigenverantwortung. [Und jetzt kommen die hervorragenden Schlussfolgerungen, die meiner Ansicht nach die einzige prakikable Möglichkeit des Umgangs mit der pluralistischen, modernen Gesellschaft darstellt] Wenn das alles eine menschliche Konstante ist, wovon ich ausgehe, dann sollten wir in Demut nach den kleinen Lösungen suchen. Eine Rückkehr zum Monarchen von Gottes Gnaden – immerhin eine Ordnung, die über die Jahrtausende funktionierte [!!]– wird es nach 1789 und den vielschichtigen Folgen so ohne weiteres auch nicht geben. [„In Demut“ nach kleinen, lokalen Lösungen suchen, durch die Menschen mit ähnlichen Weltanschauungen, die ähnliche Ziele und Vorstellungen haben, zusammenfinden, und ihr jeweiliges Lebensmodell unbehelligt ausleben können. Das hieße radikale Dezentralisierung, Abbau internationaler Verpflichtungen, Rückkehr zum Regionalismus oder Lokalismus, Ende aller Weltregierungs- und Weltverbesserungsideologien usw. Natürlich ist das auch nicht umsetzbar. Doch eine andere Lösung gibt es nicht, sofern wir einigermaßen friedlich beisammen leben wollen. Der Multikulturalismus bzw. Pluralismus, wie er heute geradezu fanatisch gefordert wird, ist jedenfalls eine Illusion, weil er alle beteiligten Kulturen verstümmelt bzw. zu bloßen künstlichen Karikaturen herabwürdigt, in denen kein Volk mehr leben kann.] Insofern ist vielleicht am Ende die Demokratie dann doch wieder – wie Churchill einwarf – „die schlechteste aller Regierungsformen, ausgenommen alle anderen“. Und in ihrem Rahmen sollten wir so gut es geht nach kleineren, überschaubaren politischen und wirtschaftlichen Einheiten streben und „weniger Politik wagen“. [Das ist überhaupt die wichtigste Einsicht Lichtschlags. Viel zu viel ist „politisch“. Manche sagen gar, „alles ist politisch“. Doch Politik ist Kunst der Leitung der Polis, der Stadt, und sollte soweit wie möglich auf dieser kleinen Ebene bleiben.] Das fängt bei uns selbst, beim Einzelnen an. Ein wenig anarchische Ideen, republikanische Praxis und monarchischer Geist könnten dabei helfen. [Ein ganz schmackhaftes Gemisch, wie ich finde. Ich würde noch einen ganz kräftigen Schuss traditionellen Katholizismus dazutun, doch das kann Herr Lichtschlag in seinem kleinen lokalen Staatsgebilde auch anders halten, wenn er möchte. So sähe echte religiöse Toleranz aus – statt Indifferentismus.]

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Zum Sozialismus empfehle ich Divini Redemptoris von Pius XI.

Dávila über Demokratie, Individualismus und Moderne

Zu den Werten und Folgen von Demokratie und Revolution:

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Das demokratische Programm wird in drei Etappen eingelöst: die liberale Etappe, welche die bürgerliche Gesellschaft begründet, deren Wesen uns die Sozialisten vermitteln; die egalitäre Etappe, die die sowjetische Gesellschaft begründet und über deren Wesen wir von der Neuen Linken erfahren; die brüderliche Etappe, deren Vorspiel die Drogensüchtigen liefern, die in kollektiven Haufen kopulieren.

Zum Verhältnis des modernen Menschen zur Freiheit:

Dem modernen Menschen ist es gleichgültig, in seinem Leben keine Freiheit zu finden, wenn er sie in den Reden jener verherrlicht findet, die ihn unterdrücken.

Zum modernen Individualismus:

Der doktrinäre Individualismus stellt keine Gefahr dar, weil er Individuen schafft, sondern weil er sie abschafft.

Das Produkt des doktrinären Individualismus des 19. Jahrhunderts ist der Massen-Mensch des 20.

Staatskirche, Christlicher Staat und Religionsfreiheit (2/2)

Bewertung

Im ersten Teil des Artikels habe ich den Versuch einer Typologie oder Systematisierung einiger grundsätzlicher Optionen in der Debatte um das richtige Verhältnis von Kirche und Staat unternommen. Es folgt eine kurze Bewertung der dargestellten Ideen.

Staatskirchensysteme sind mit dem wohlverstandenen wahren katholischen Glauben in keiner Form zu vereinbaren. Schon der Hl. Augustinus bestand, angesichts der beginnenden Christianisierung der weltlichen Autorität, vehement auf einer prinzipiellen Trennung zwischen weltlicher und religiöser Sphäre. Ebenso ist jedoch die gegenteilige Abirrung zu verurteilen, nach welcher eine absolute religiöse Neutralität des Staates anzustreben sei (wie dies durch die Verurteilungen liberalistischer und sozialistischer Irrlehren im 19. und frühen 20. Jahrhundert lehramtlich deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist).

Mit dem christlichen Glauben unvereinbar sind damit also die Fälle (1) bis (3) sowie (8) und (9). Zu der derzeitigen Kontroverse um die Vereinbarkeit der Konzilslehre von der Religionsfreiheit mit dem traditionellen katholischen Glauben möchte ich mich im Rahmen des Artikels nicht äußern. Diese Frage muss ich besser informierten Zeitgenossen überlassen. Dass die Zweischwerterlehre zumindest ebenso zweifelhaft ist, wie die „gemäßigte Form“ der Religionsfreiheit am entgegengesetzten Ende des Spektrums christlicher Gesellschaftslehre, ist eindeutig, weil eine reale Autonomie der weltlichen Sphäre berechtigt und notwendig ist.

Übrig bleiben damit die Konzeptionen des klassischen Bekenntnisstaates und die Minimalversion. Ersterer setzt jedoch eine weitgehend christliche Gesellschaft voraus, da kein Staat langfristig gegen sein eigenes Volk regieren kann ohne zur Tyrannei zu werden. Er ist daher, wenn auch theoretisch sehr ansprechend, praktisch keine Option in der modernen, multikonfessionellen, säkularistisch geprägten westlichen Demokratie, ebenso wie er auch im Rom des frühen 2. Jahrhunderts nicht denkbar war.

Die Minimalversion eines christlichen Staates, in der Typologie mit (6) gekennzeichnet, setzte weitgehende Inaktivität der staatlichen Macht in einer Reihe sehr wichtiger Themengebiete, darunter Bildungs- und Sozialpolitik, voraus, was ebenfalls kaum durchsetzbar erscheint.

Eine einfache, klare und durchsetzbare Lösung des Problems der Rollenverteilung zwischen Kirche und Staat scheint es nicht zu geben. Praktisch sieht sich die Kirche heute einem Feind gegenüber, der ihr selbst die religiöse Neutralität noch streitig machen will – wie man an der Kontroverse um das Krankenversicherungsgesetz in den USA sieht, wo die Kirche sich mittels der Idee der Religionsfreiheit gegen den Versuch zur Wehr setzt, katholische Institutionen und Individuen zur finanziellen Unterstützung von Verhütung, Sterilisierung und frühabtreibenden Mitteln zu zwingen. Die Verteidigung der religiösen Neutralität des Staates wird daher heute zu einem wichtigen Anliegen der Kirche, wodurch sich das „Pastoralkonzil“ des 20. Jahrhunderts ausnahmsweise einmal tatsächlich als pastoral wegweisend zeigt. Wie auch immer die theologische Debatte um die Religionsfreiheit ausgehen mag, muss die Kirche heute nicht ihre Privilegien verteidigen, sondern ihre Grundrechte, und diese Grundrechte lassen sich mit der konziliaren Religionsfreiheit ganz vortrefflich und auf eine für moderne Ohren nicht extremistisch klingende Weise verteidigen.

Wie schon öfters begibt sich der Autor damit zwischen alle Stühle und Stuhlkreise. „Pastoral“ halte ich die Lösung des Konzils sogar für ziemlich günstig, obwohl ich mit ihr theologisch große Schwierigkeiten habe, so dass ich sie nicht für eine Dauerlösung und schon gar nicht für ideal halten kann, selbst wenn es eine Möglichkeit geben sollte, wie man diese Konzeption mit der traditionellen Idee eines christlichen Staates in Einklang bringen kann.

Ich bin davon überzeugt, dass wir drei verschiedene Dinge unterscheiden müssen:

(1) Eine derzeit nützliche Konzeption, die sich mit der kirchlichen Lehre vereinbaren lässt, und eine gute strategische Verteidigungsposition für die kommenden Angriffe auf die Freiheit der Kirche darstellt. Dafür scheint sich mir die Lehre des letzten Konzils zu eignen, so denn die dogmatischen Schwierigkeiten sich als überwindbar herausstellen, was ich für sehr wahrscheinlich halte.

(2) Eine ideale Konzeption, also das, was wir als Ziel anstreben; die bestmögliche Gesellschaftsordnung, die sich unter den Bedingungen dieser Welt (Erbsünde usw.) erreichen lässt. Dies ist meiner Ansicht nach in jedem Fall ein christlicher Bekenntnisstaat wie die vorkonziliaren Päpste ihn gefordert haben, in dem die wahre Religion die Förderung des Staates erhält, soweit dies je nach den spezifischen Zeitumständen möglich und sinnvoll erscheint, und die Ausübung der verbreiteten falschen Religionen toleriert, aber nicht gefördert wird. Ein solcher Staat müsste ferner strikt begrenzte Kompetenzen und Aufgabengebiete haben, damit er weder in die den Familien und Einzelpersonen zustehenden Freiheiten eingreift, noch die Kirche in ihrem heilbringenden Werk in irgendeiner Form beschränken kann.

(3) Einen Mittelweg zwischen beiden, also eine Konzeption, die anzustreben als Zwischenziel sinnvoll erscheint, das modifiziert wird, wenn ein Zwischen- oder Etappenziel erreicht worden ist. Wie dieser aussehen könnte, muss in jedem Land einzeln untersucht werden, da dies von der Ausgangsposition, der rechtlichen Stellung der Kirche in diesem Land, den historisch-kulturell gewachsenen Traditionen, der Rechtsordnung usw. abhängt. Ein solches Zwischenziel könnte heute zum Beispiel darin bestehen, dass islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen abgeschafft wird, um eine Sonderstellung des christlichen Glaubens zu bewahren, doch das ist nur ein Beispiel. Gemeint sind hier Zwischenschritte, pragmatische Reformvorschläge, die praktisch umsetzbar sind, und die Gesamtlage der Kirche und ihrer Rechte verbessern.

Sowohl der klassische Bekenntnisstaat und seine traditionellen und traditionalistischen Verteidiger (etwa in der Piusbruderschaft), als auch diejenigen, die sich, unbeschadet der theologischen Schwierigkeiten der Konzeption, ganz praktisch für die Verteidigung wenigstens gleicher Rechte der Kirche gegenüber Staat und den falschen Religionen einsetzen, haben damit ihre legitime, sinnvolle Berechtigung in der heutigen Gesellschaft. Wir brauchen sie beide, und ich möchte beide dazu aufrufen, dass sie das Gute anerkennen, das die jeweils andere Seite zu verteidigen versucht, ohne dabei das Gute aufzugeben, für das sie sich selbst einsetzen, und dass Kritik, wo notwendig, sachlich und in christlicher Nächstenliebe vorgebracht wird, statt mit Polemik, wie es leider oft der Fall zu sein scheint, wenn „Anhänger“ und „Gegner“ der „konziliaren Religionsfreiheit“ aufeinander prallen.

Staatskirche, Christlicher Staat und Religionsfreiheit (1/2)

Angespornt durch einen Artikel auf dem neuen Blog des geschätzten Johannes habe ich dort kommentiert und mich dann dazu entschlossen, die dort im Kommentar angedeuteten Gedanken etwas weiter auszuformulieren. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist der vorliegende Artikel. Als Vorbemerkung möchte ich darauf hinweisen, dass die folgenden Gedanken in keiner Weise die offizielle Lehre der Kirche darstellen. Die Darstellung ist nicht katechetischer Natur, auch wenn sie in keinem Punkt absichtlich von der Lehrtradition der Kirche abweicht. Für versehentliche Abweichungen kann ich nichts – ich bitte dann um brüderliche Korrektur bei diesem schwierigen Thema.

Doch genug der Vorrede, kommen wir zum Thema. Die Absicht des Artikels ist eine Systematisierung verschiedener Vorstellungen des Verhältnisses von Kirche, Religion und Staat.

Staatskirche

In einer staatskirchlich verfassten Gesellschaft sind Staat und Kirche in keiner Form getrennt. Das Oberhaupt des Staates ist zugleich das Oberhaupt der Kirche oder zumindest ist einer von beiden gegenüber dem anderen weisungsbefugt. Generell gibt es nun drei mögliche Grundformen einer Staatskirche, die sich danach unterscheiden, welche Macht – weltliche oder religiöse – nun dominant ist.

(1) Theokratie: In einer Theokratie ist die Kirche oder sonstige Religionsgemeinschaft dominant. Der Staat ist bloß das ausführende Organ der religiösen Führer. Das beste Beispiel dürfte das Regime der Ayatollahs im Iran sein.

(2) Echte Staatskirche: Der Staat und die Kirche sind absolut identisch. Ein Unterschied zwischen weltlicher und religiöser Sphäre wird nicht gemacht. Das Staatsoberhaupt ist identisch mit dem religiösen Oberhaupt und wird entweder als Gott angebetet und anderweitig religiös verehrt. Ein Beispiel wäre die Herrschaft der ägyptischen Pharaonen.

(3) Säkularismus: Der Staat dominiert die Kirche und bestimmt, was die Kirche tun und lassen darf. Die Ausübung der Religion ist nur insoweit zulässig, wie sie den Gesetzen und Ideologien der im Staat herrschenden säkularen Eliten nicht zuwiderläuft. Diese Form der Staatskirche befindet sich derzeit in Westeuropa im Vormarsch. Eine bekannte Vertreterin dieser Thesen ist etwa Claudia Roth, wobei sie sich jedoch auch gut unter Punkt (9) weiter unten einordnen ließe.

Christlicher Staat

Unter einem christlichen Staat ist ein jeglicher Staat zu verstehen, zu dessen Fundamenten das Bekenntnis zum christlichen Glauben gehört. Dies kann prinzipiell sowohl in Demokratien als auch in Monarchien geschehen – der Monarch kann sich natürlich zum christlichen Glauben bekennen, aber es kann auch nicht änderbare Verfassungsprinzipien geben, die ein solches Bekenntnis voraussetzen bzw. für die Staatsführung vorschreiben. Weltliche und religiöse Gewalt sind in einem christlichen Staat grundsätzlich voneinander getrennt, arbeiten aber in allen Bereichen zusammen, in denen sowohl weltliche als auch religiöse Aspekte bedeutsam sind. Eine vollständige Trennung von Kirche und Staat ist nicht möglich, da das Gemeinwohl – die genuine Staatsaufgabe – eben in der Realität auch religiöse Anteile hat. Auch hier möchte ich drei Grundtypen beschreiben, deren Unterscheidungsmerkmal diesmal der Grad der Zusammenarbeit zwischen weltlicher und religiöser Gewalt ist.

(4) Zweischwerterlehre: Diese Auffassung kommt, soweit ich sie verstanden habe, der Staatskirchenidee recht nahe. Die weltliche Gewalt bleibt zwar prinzipiell von der Kirche getrennt, ist jedoch nur das zweite Schwert der kirchlichen Gewalt, besitzt also keine reale, religionsunabhängige Autonomie.

(5) Bekenntnisstaat: In einem Bekenntnisstaat, wie die vorkonziliaren Päpste ihn in diversen Enzykliken beschrieben haben, bekennt sich der Staat zum christlichen Glauben und fördert die Ausübung der wahren Religion nach Kräften. Die Unterscheidung zwischen kirchlicher und staatlicher Gewalt bleibt davon jedoch unangetastet, und der Staat besitzt eine reale Autonomie, eine Kernkompetenz in rein weltlichen Fragen. Seine Aufgabe ist das Gemeinwohl, und er muss mit der Kirche zusammenarbeiten, wo das Gemeinwohl religiöse Fragen berührt. Die klassische christliche Monarchie ist das Paradebeispiel für einen Bekenntnisstaat.

(6) Minimalversion: Ein christlicher Staat, in dem religiöse und staatliche Gewalt eine maximale Trennung erhalten sollen, müsste zumindest ein implizites verfassungsmäßiges Bekenntnis zur christlichen Religion enthalten, der Kirche volle Handlungsfreiheit in allen Dingen gewähren, die die religiöse Sphäre berühren, und dürfte die falschen Religionen nicht fördern (er dürfte ihnen aber neutral gegenüberstehen, indem er sie im Namen der Freiheit einfach „leben lässt“, ohne von ihnen weiter Notiz zu nehmen) und der wahren Religion nicht schaden. Ein solcher Staat wäre sehr minimalistisch, d.h. er müsste sich aus der Regelung aller Fragen zurückziehen, die in die religiöse Sphäre hineinreichen – da er sonst zur Parteinahme für die Wahrheit und gegen die falschen Religionen verpflichtet wäre. Damit wäre, um ein wichtiges Beispiel zu nennen, ein staatliches Bildungssystem nicht möglich, da in staatlichen Schulen entweder die wahre Religion (was eine Förderung der wahren Religion bedeutete), oder alle Religionen (was einer Förderung der falschen Religionen gleichkäme), oder gar keine Religion (was eine Förderung des Atheismus bedeutete, und damit der wahren Religion schadete) unterrichtet werden müsste. Eine gewisse „religiöse Neutralität“ wäre auf diese Weise in einem christlichen Staat durchaus umsetzbar, ob diese Minimalversion wünschenswert wäre, möchte ich nicht beurteilen. Sie scheint mir jedoch den Punkt maximalen christlichen Entgegenkommens gegenüber den falschen Religionen darzustellen.

Religionsfreiheit

Unter Religionsfreiheit kann man wiederum verschiedene Dinge verstehen. Generell soll aber in einem nach dem Prinzip der Religionsfreiheit organisierten Staat keine Religion gefördert werden. In irgendeinem Sinne soll der Staat „religiös neutral“ sein. Auch hier möchte ich wieder drei verschiedene Ausprägungen unterscheiden, diesmal nach dem Kriterium, inwieweit der Staat im Rahmen der religiösen Neutralität die Ausübung der wahren Religion als gut, neutral oder schlecht begreift.

(7) Konziliare Religionsfreiheit: Ich nenne diesen Typus so, weil er mir das zu sein scheint, was etwa Papst Benedikt, das II. Vatikanische Konzil und das nachkonziliare Lehramt anzudeuten scheinen. Darunter ist eine Religionsfreiheit zu verstehen, die ein freiwilliges, starkes und kämpferisches Bekenntnis zum wahren Glaubens seitens der Staatsführer durchaus nicht ablehnt, sondern sogar begrüßt. Ein religiös neutraler Staat dürfte nach dieser Auffassung  jederzeit von christlichen moralischen Prinzipien geleitet sein, und sogar die christliche Religion fördern (etwa durch christlichen Religionsunterricht oder Schulgebete). Er bleibt dem Naturrecht uneingeschränkt verpflichtet, da dies nicht auf einer religiösen Offenbarung, sondern auf der allgemeinen Menschenvernunft aufsetzt.

(8) Liberale Religionsfreiheit: Im Liberalismus ist Religion Privatsache. Für das Verhältnis von Kirche und Staat bedeutet dies eine strikte Trennung. Ausübung der Religion (egal welcher Religion) ist zulässig (und der individuelle Liberale mag sehr fromm sein) doch kann niemals staatliche Förderung erhalten, oder wenn doch, dann müssten alle Religionen gleichermaßen gefördert werden. Dieses Verständnis ist von der Kirche immer klar und eindeutig verurteilt worden.

(9) Atheistische Religionsfreiheit: Ein auf einer so verstandenen Religionsfreiheit basierender Staat müsste die Ausübung der Religion aktiv bekämpfen.  Er wäre „religiös neutral“, weil er diese Bekämpfung auf alle Religionen ausdehnt. Faktisch fördert er dadurch natürlich den Atheismus, selbst wieder ein bestimmtes Glaubensbekenntnis, und ist dadurch in die Nähe einer atheistischen Staatskirche – wie in (3) beschrieben – zu rücken. Beispiele für diese Art Religionsfreiheit bieten die kommunistischen Regime in großer Zahl, und der moderne Westen entfernt sich rapide von der liberalen Religionsfreiheit und schreitet zu ihrer radikalisierten atheistischen Version voran. Dass die Kirche sie lehramtlich verurteilt, ist sowohl vor wie nach dem Konzil vollkommen klar.

Soweit die Typologie. Es folgt morgen im zweiten Teil des Artikels eine Zusammenfassung samt kritischer Bewertung der dargestellten Inhalte unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach dem Verhältnis von Christlichem Staat und Religionsfreiheit. Dem Autor ist bewusst, dass eine solche Typologie keine Konzeption erschöpfend darstellen, oder ihr auch nur gerecht werden kann, und dass im Interesse der Übersichtlichkeit wichtige Punkte der Darstellungsweise zum Opfer fallen müssen, doch er glaubt, dass auch für solche Übersichtsdarstellungen Platz sein muss, da sie allein Orientierung in der Komplexität solcher sozialethischer und theologischer Debatten bieten können.

Freiheit oder Sozialismus?

Die Ausspruch der Grünenpolitikerin Claudia Roth, zu dem ich hier bereits geschrieben habe, hat auch auf anderen Blogs Resonanz und Diskussion gefunden. In einer dieser Diskussionen wurde die recht grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob und inwiefern Demokratie überhaupt etwas Gutes sei, oder ob ihre Auswirkungen nicht auch sehr negativ interpretiert werden könnten.

Es ist wichtig, hierbei einige Unterscheidungen zu treffen, die bei einer flüchtigen Debatte nur allzu gern unberücksichtigt bleiben, um die Teilnehmer wechselnd als „Faschisten“, „Totalitaristen“, „Reaktionäre“, „Monarchisten“, „Demokratisten“ usw. zu bezeichnen, oder eigentlich eher zu beschimpfen. Wir müssen erst einmal klären, was wir mit dem Wort „Demokratie“ überhaupt meinen. Grob gesagt lassen sich mindestens drei verschiedene Bedeutungen unterscheiden.

1. Demokratie bedeutet Herrschaft des Volkes und besteht darin, dass das Volk entweder direkt oder durch seine gewählten Vertreter die der politischen Sphäre zugehörigen Entscheidungen trifft. In diesem Sinn ist Demokratie einfach eine von vielen Möglichkeiten, zu solchen politischen Entscheidungen zu kommen, und ebenso legitim wie andere Formen der Entscheidungsfindung, etwa durch einen König, oder eine ungewählte Ratsversammlung. Schon Aristoteles und Platon wussten aber, dass eine so verstandene Demokratie dazu tendiert, unweise, von der Leidenschaft der Massen beeinflusste Entscheidungen zu treffen, die nur selten mit dem tatsächlichen Gemeinwohl übereinstimmen. Direkte Demokratien tendieren zusätzlich noch zur Instabilität, repräsentative Demokratien sind generell etwas stabiler, und haben durch die Wahl von Repräsentanten auch eine weitere Sicherung gegen die Ochlokratie. Demokratien dieser Art möchte ich Demokratien im eigentlichen Sinne oder einfach nur Demokratien nennen.

2. Demokratie bedeutet eine Herrschaft des Volkes im obigen Sinne, bei der das Volk jedoch durch eine sorgfältig formulierte (und selbst nicht wieder vom Volk veränderbare) Verfassung in der Ausübung seiner Macht begrenzt ist, indem legislative, exekutive und judikative Gewalt getrennt und auf unterschiedlichen Wegen legitimiert werden, um die vorhandene Macht auf möglichst viele Teilnehmer zu verteilen, und dadurch die Gefahr der Regierung durch Leidenschaften zu vermeiden. Zudem stellt eine so verstandene Demokratie durch die Verfassung bestimmte Grundrechte für ihre Bürger fest, durch die der Bürger vor dem Zugriff durch das Kollektiv / den Staat geschützt werden soll. Und schließlich wird die Machtbefugnis des so begründeten demokratischen Staates auf eine streng begrenzte Kompetenzsphäre beschränkt, so dass totalitäre Gesamtzugriffe auf das Volk, auf Minderheiten usw. nicht möglich sind. Eine Demokratie in diesem Sinne nenne ich in Anlehnung an die amerikanischen Gründerväter eine „Republik“.

3. Demokratie kann aber auch noch in einem dritten Sinn verstanden werden, nämlich dass das Volk als Ganzes, als Kollektiv, alle Entscheidungen selbst trifft. Dann stünde Demokratie nicht mehr im Gegensatz zur Monarchie, sondern im Gegensatz zur individuellen Freiheit – Herrschaft des Volkes, soweit es als Kollektiv Volk ist, gegen Herrschaft des Einzelnen. Die eigentliche Macht liegt beim Kollektiv, nicht beim Individuum oder irgendeiner kleineren Gruppe innerhalb des Volkes (wie Familie, Kirche, Unternehmen…) Diese Form der Demokratie ist generell unverträglich mit Beschränkungen der Macht des Kollektivs, weil das Kollektiv diese jederzeit zurücknehmen würde. Es handelt sich um die „totale Demokratie“, um eine radikale, ideologische Übersteigerung der Demokratie im eigentlichen Sinne. Eine solche Demokratie könnte man treffend Kollektivismus nennen, entspricht aber auch dem Demokratieverständnis der Sozialisten und Kommunisten.

Die Demokratie im eigentlichen Sinn ist moralisch neutral – ihre Bewertung hängt von den Ergebnissen, den Resultaten ab. Macht eine solche Demokratie gute Politik, ist sie gut, macht sie schlechte Politik, ist sie schlecht. Meist machen Demokratien dieses Typs aufgrund der erwähnten Probleme jedoch schlechte Politik, bringen Instabilität, Chaos und Korruption hervor, und führen entweder zum Sturz der Demokratie, oder zu ihrer faktischem Umwandlung zur Ochlokratie.

Die Republik vermeidet die Schwierigkeiten der Demokratie und ist generell sehr stabil. Machtwechsel finden durch Wahlen statt, aber es gibt auch nicht aus dem Volk stammende Legitimationen, wie etwa die Verfassung, die generell sogar über dem Willen des Volkes steht. Das Volk wird an einer totalen Herrschaft gehindert. Das beste Beispiel für eine Republik waren die frühen USA, jedoch zeigt die Geschichte auch hier, dass die Republik auf lange Sicht zu einer Demokratie im eigentlichen Sinn wird, weil Verfassungen letztlich nur Worte auf Papier sind, und Papier geduldig ist. Der Damm gegen die ochlokratischen Leidenschaften kann nicht dauerhaft halten. Somit ist die Republik, so positiv sie auch sonst zu bewerten ist, nicht ohne Schwierigkeiten und auch keine endgültige Staatsform für die Ewigkeit, wie manche zu glauben scheinen.

Der Kollektivismus oder Sozialismus ist als Staatsform vollkommen ungeeignet, weil er unfähig ist, individuelle Freiheiten und die Rechte gewachsener vermittelnder Körperschaften wie Familie, Privatunternehmen und alle anderen freiwilligen Zusammenschlüsse und ganz besonders der Kirche zu respektieren. Alle Macht geht vom Volke aus. Und zwar vom Volk als Volk, als Kollektiv. Dies ist das Demokratieverständnis einer Person, die sich zu der Aussage versteigt, es dürfe keine demokratiefreien Räume geben, wie Frau Roth dies gegenüber Bischof Zdarsa im speziellen und gegen die Kirche im allgemeinen getan hat. Wo immer noch etwas ist, das nicht nach dem Willen des Kollektivs, vertreten durch seine intellektuelle Avantgarde, geregelt und geordnet ist, kann der Kollektivist nicht ruhen, er muss kämpfen, unterwandern, zerstören, bis alles eine Wüste gleich großer, staatlich zertifizierter Käfige für alle ist.

In diesem kollektivistischen Sinn ist die Demokratie sogar der Inbegriff des Totalitarismus. Totalitarismus bedeutet totale Staatsherrschaft und ist daher durchaus kein Sondermerkmal der „rechten“ Nationalsozialisten. Das Wörtchen „Sozialisten“ ist übrigens auch hier verräterisch, denn es sagt aus, wofür diese Bewegung hinsichtlich der Demokratie stand. Für ein kollektivistisches System, in dem das Volk, vertreten durch seinen per Akklamation bestätigten Führer, alles regulierte und alles gleichschaltete. Dass ein solches System meist zu schrecklichen Verbrechen wie dem Holocaust, oder auf der anderen Seite des politischen Spektrums zu den Massenmorden Stalins und Maos führt, ist bekannt. Doch selbst wenn solche Mordtaten in dem einen oder anderen totalitaristischen System ausbleiben, ändert dies nichts an der fundamentalen Verwerflichkeit dieses Systems.

Die Soziallehre der Kirche hat immer daran festgehalten, dass die Freiheit der vermittelnden Gemeinschaften, besonders der Kirche, und direkt danach der Familie, aber auch die Freiheit von Eigentümern und Unternehmern, ganz wichtig für eine gerechte Ordnung der staatlichen Gemeinschaft ist. Diese Ordnung war in der Vergangenheit in christlichen Staaten meist monarchistisch, wobei das Wort irreführend ist, denn es herrscht im Staate zwar nur einer, aber dieser eine muss sich trotzdem mit einem oft widerspenstigen Adel auseinandersetzen, und seine Machtmittel waren historisch gesehen meist so gering, dass er wenig bewirken konnte. Ein Totalitarismus ist das jedenfalls nicht.

Doch auch wenn in der Vergangenheit meist monarchisch regiert wurde, ist eine demokratische Staatsform jederzeit legitim und akzeptabel, solange es sich um eine Republik im oben definierten Sinne handelt. Auch eine eigentliche Demokratie wäre akzeptabel, aber aufgrund ihrer Instabilität meist nicht wünschenswert. Grundsätzlich muss die kirchliche Soziallehre aber den Kollektivismus ablehnen, und hat dies immer wieder ausdrücklich getan. Diese Ablehnung ist eine Ablehnung aus Prinzip, eine Ablehnung, die völlig unabhängig von den Umständen ist. Dass das Volk durch Wahlen einige Dinge selbst entscheidet, ist akzeptabel und durchaus sinnvoll. Dass das Volk als Kollektiv alle Macht haben soll, oder doch zumindest alle Macht ohne Beschränkungen von ihm ausgehen soll, ist nicht nur sinnlos, sondern auch inakzeptabel.

Das Problem an Frau Roths Äußerung ist nicht ihr Einsatz für Demokratie, sondern ihr Einsatz für eine kollektivistische oder sozialistische Demokratie, in der das Volk, vertreten durch seine Führer, über alle Macht verfügt, und daher individuelle Personen, kleinere Gebietskörperschaften wie Städte, Landkreise, Bundesstaaten, und gebietslose unabhängige Körperschaften wie Kirche, Familien, Privatunternehmen, letztlich auch Gewerkschaften, vollkommen entmachtet und unter die Knute des Kollektivs gezwungen werden. Eine solche Demokratie ist nicht nur antichristlich, antikatholisch und antikirchlich, sondern auch noch antiliberal und antifreiheitlich.

Es lohnt sich daher, einen alten Slogan wieder hervorzukramen. Wir wissen, dass Frau Roth kein Interesse am Wohlergehen der Kirche hat und mit christlichen Argumenten hinsichtlich der monarchischen Führung der Kirche nicht wird überzeugen lassen. Doch sie bekennt sich immer wieder zur Freiheit. Frau Roth muss sich fragen lassen, was sie denn nun will: Freiheit oder Sozialismus.

Die totale Demokratie als grüner Antiliberalismus

Bischof Zdarsa, der nach wie vor den Maulkorb gegen den kirchentreuen Pfarrer Oblinger  (hier seine Kolumnen bei der Jungen Freiheit) nicht aufgehoben hat, erfährt gerade, wie weit es mit der Loyalität der Säkularisten her ist, selbst wenn man ihnen in manchem durchaus entgegenkommt. Selbst wenn man katholische Pfarrer mundtot macht, die nur den Glauben der Kirche und scharfsinnige Analysen in einem konservativen Wochenblatt veröffentlicht haben, ist man noch längst kein angesehenes Mitglied der modernden Modernen.

Wenn man aus der Reihe tanzt, beginnt der Spießrutenlauf. Vielleicht wird der Bischof in Zukunft wissen, wer auf seine Seite ist, und wer eben nicht. Zu wünschen wäre es dem ganzen Bistum Augsburg.

Wie kath.net berichtet, ist nämlich der hochwürdige Bischof Zdarsa des Verrats an der totalen Demokratie schuldig, die im Moment alle zeitgeistigen Menschen dringend herbeizwingen wollen. Dort wird der Bischof zitiert:

„Kirche ist keine Demokratie. Das ist leider ein Missverständnis. Sondern wir sind ausgerichtet auf Christus. Jeder hat seine Aufgabe, seinen Dienst, und den darf er nicht durchführen aus Selbstherrlichkeit oder Machtbewusstsein, sondern im Dienst an Christus und den Gläubigen.“

An diesen Worten ist nichts auszusetzen – weder vom Standpunkt eines Katholiken noch vom Standpunkt eines liberalen Demokraten, der die selbst propagierte „Religionsfreiheit“ ernst nimmt. Die Kirche kann sich aus dieser Sicht so organisieren wie sie will, und da ja Kirche und Staat im Liberalismus strikt getrennt sein sollen, hat der Staat der Kirche nicht in ihre inneren Strukturen hereinzureden. Wenn die Kirche und der Staat getrennt sind, dann gehört der Staat nicht zur Kirche – aber die Kirche auch nicht zum Staat. Und also kann man eine demokratische Staatsordnung durchaus für wünschenswert halten – und trotzdem für die Kirche eine andere Struktur befürworten.

Genau das tut Bischof Zdarsa. Er ist kein Antidemokrat im Staate, aber gegen Demokratie in der Kirche. Denn die Kirche hat einen König, und den abzusetzen sind wir nicht befugt. Jesus Christus ist das Haupt der Kirche, und er hat einen irdischen Stellvertreter, den Papst, eingesetzt, dem damit die Vollmacht der Herrschaft zukommt. Die Unterordnung unter den König Christus ist damit fundamental für die Kirche, und ein Staat, der sich Religionsfreiheit und Liberalismus auf die Fahnen schreibt, sollte die Fähigkeit besitzen, dies zu respektieren.

Doch das ist immer weniger der Fall. Denn Claudia Roth möchte keine Religionsfreiheit und keine Trennung von Staat und Kirche, sondern eine Staatskirche. Sie kritisiert laut kath.net den Bischof:

„Wir wollen keine demokratiefreien Räume in unserer Gesellschaft.“ Als Teil einer demokratischen Gesellschaft müsse die Kirche deren Kern widerspiegeln.

Man lasse sich dieses antiliberale, freiheitsfeindliche, geradezu inquisitorisch-mittelalterliche Staatsverständnis nur einmal auf der gespaltenen Zunge zergehen. „Wir“, Königin Claudia I:, „wollen keine demokratiefreien Räume“. Alles hat sich nach „unserer“ Präferenz zu richten, weil „wir“, Königin Claudia I. ganz demokratisch der Staat sind. Die Sonnenkönigin gesteht der Kirche gnädig – dank sei ihrer durchlauchtigsten Majestät – zu noch ein „Teil einer demokratischen Gesellschaft“ zu sein, aber nur, wenn sie „deren Kern“ widerspiegelt. Also wenn sie sich nicht von der breiteren Gesellschaft unterscheidet.

Solange alle Institutionen nach dem Bilde der totalen Demokratie erschaffene Abziehbilder des demokratischen Staates, also Klone der Krone ihrer durchlauchtigsten Majestät sind, dürfen sie weiterexistieren.

Ungesagt bleibt, was geschieht, wenn sich die Gallier gegen diesen Gleichschaltungsimpuls wehren sollten.

Kardinal George hatte recht: Er wird im Bett sterben, sein Nachfolger im Gefängnis. Wenn die deutschen Katholiken nicht bald die Kurve kriegen, wird es Bischof Zdarsa ähnlich ergehen, und da kann er noch so viele Besänftigungsgesten an die Modernisierer schicken. Denn es geht ums Ganze, um den ganzen, zusammenhängenden Glauben, der per Salamitaktik amputiert werden soll. Und wer nicht für den Glauben ist, der ist gegen ihn. Und wer nicht für die totale Demokratie ist, der ist gegen sie.

Am Ende wird man sich entscheiden müssen. Der Liberalismus ist nur eine Übergangsphase. Kirche und Staat sind nun einmal ihrer Natur nach verschieden, haben unterschiedliche Aufgabenbereiche, die aber nicht vollkommen getrennt werden können. Und wenn es zum unausweichlihen Konfikt kommt, muss man entweder zusammenarbeiten, oder einander bekämpfen. Wenn der Staat bei einer Zusammenarbeit unter den Vorzeichen der liberalen Trennung von Kirche und Staat aber nicht die Autonomie der Kirche ebenso respektiert wie er es umgekehrt von der Kirche verlangt, greift der Staat einfach nach der Macht über die Kirche.

Bischof Zdarsa sollte mal privat mit den Anglikanern reden, die jetzt gerade zur Kirche zurückkehren, und aus dem brennenden Haus des Anglikanismus dank Anglicanorum Coetibus zu entkommen versuchen. Die werden ihm schon sagen, wie wunderbar die Eingliederung der Kirche in den totalen Staat ist.

Und sich dann überlegen, wie er handeln würde, wenn die Avantgarde der antikatholischen Revolution den logischen nächsten Schritt tut und ihre Rhetorik umzusetzen versucht.

Über Demokratie und Fortschritt

Zwei Zitate zum Thema „Demokratie und Fortschritt“:

Democracies are the blossoming of the aloe, the sudden squandering of the vital force which has accumulated in the long years when it was contented to be healthy and did not aspire after a vain display. The aloe is glorious for a single season. It progresses as it never progressed before. It admires its own excellence, looks back with pity on its earlier and humbler condition, which it attributes only to the unjust restraints in which it was held. It conceives that it has discovered the true secret of being ‚beautiful for ever,‘ and in the midst of the discovery it dies.

— James Anthony Froude

[Demokratien sind das Erblühen der Aloe, das plötzliche Verschleudern der Lebenskraft, die sich in den langen Jahren angesammelt hat, in denen sie zufrieden damit war, gesund zu sein und sich nicht eitel zur Schau zur stellen. Die Aloe ist prächtig für eine Jahreszeit. Sie schreitet voran, wie sie nie zuvor vorangeschritten ist. Sie bewundert ihre eigene Vortrefflichkeit, schaut mitleidig auf ihren früheren und demütigeren Zustand zurück, für den sie einzig die ungerechten Einschränkungen verantwortlich macht, in denen sie gehalten wurde. Sie stellt sich vor, dass sie das wahre Geheimnis der „ewigen Schönheit“ entdeckt hat – und mitten in dieser Entdeckung stirbt sie.]

Und noch eines meiner Lieblingszitate von C.S.Lewis

We all want progress. But progress means getting nearer to the place where you want to be. And if you have taken a wrong turning, then to go forward does not get you any nearer. If you are on the wrong road, progress means doing an about-turn and walking back to the right road; and in that case the man who turns back soonest is the most progressive man.

— C.S. Lewis

[Wie alle wollen Fortschritt. Doch Fortschritt bedeutet, dem Ort näher zu kommen, an dem man sein will. Und wenn man falsch abgebogen ist, dann kommt man nicht näher heran, indem man weiter vorwärts geht. Wenn man auf dem falschen Weg ist, bedeutet Fortschritt, umzukehren und auf den rechten Weg zurückzugehen; und in diesem Fall ist der Mensch, der zuerst umkehrt der fortschrittlichste Mensch.]

Droht ein dritter Weltkrieg?

Normalerweise beschäftige ich mich auf diesem Blog mit dem Katholizismus. Doch aus aktuellem Anlass empfehle ich den folgenden Artikel aus einer kanadischen Zeitung, dem „Ottawa Citizen“.

Es geht um die Lage im Nahen Osten, die in den letzten Wochen dramatisch eskaliert ist, was nicht zuletzt an den Bemühungen der türkischen Staatsführung zu liegen scheint. Der Artikel ist eine klare und deutliche Meinungsäußerung, der man zustimmen kann oder nicht. Aber die möglichen Implikationen sind erschreckend. Hier nur zwei kurze Auszüge aus dem Artikel, der es verdient in Gänze gelesen zu werden:

Erdogan is also a „democrat,“ who has no reason not to be, because he enjoys tremendous and abiding domestic popularity. The party he founded came to power by a landslide, and has been twice re-elected. (He had a stand-in for prime minister at first, for he was still banned from public office.) There are demographic reasons, too, why Turkish secularism has been overwhelmed by Turkish Islamism. The Muslim faithful have babies; modern secularists don’t.

(…)

Turkey’s military was the guarantor of pro-western Turkish secularism, under the Ataturk constitution. With characteristic incomprehension of the consequences, western statesmen supported Erdogan’s efforts to establish civilian control over the generals – our old NATO friends. By imprisoning several senior officers on (probably imaginative) charges of plotting a coup, Erdogan was able to induce the entire Turkish senior staff to resign, last month.

They did this because they had run out of allies. Hillary Clinton and company hung the only effective domestic opposition to Erdogan out to dry. Turkey’s powerful, western-equipped military is now entirely Erdogan’s baby, and the country’s secularist constitution is a dead letter. Erdogan, the Islamist, now has absolute power.

Der ganze Artikel findet sich, erneut, hier.

Nur eine kurze Anmerkung inhaltlicher Natur zum Thema: Man lasse sich die, man kann sie nicht anders bezeichnen, sträfliche Dummheit der westlichen Mächte einmal im Mund zergehen, die allen Ernstes die „Demokratisierung“ der Türkei gefördert hat, während man doch um die demographische und religiöse Struktur des Landes wusste, die zugleich den „arabischen Frühling“ enthusiastisch, und in Libyen sogar militärisch, unterstützt hat, die damit in den betroffenen Ländern die anti-israelische Volksmehrheit mit deutlich größerem Einfluss ausgestattet hat, und sich jetzt wundert, warum die mit freundlicher Unterstützung der westlichen Außenpolitiker erstarkten anti-israelischen Kräfte auf einmal anders als in den vielen Jahren zuvor die direkte Konfrontation mit Israel herbeizuführen versuchen.

Manchmal fragt man sich, ob die westliche Außenpolitik wirklich ihre eigene „Pro-Demokratie“-Propaganda glaubt. Das ist der größte Fehler: Seine eigene Propaganda für bare Münze zu nehmen.