Weise Worte von Pater Schmidberger

Laut katholisches.info nimmt Pater Schmidberger zu der Trennung eines bis dahin mit der FSSPX befreundeten Klosters im Mitteilungsblatt der Piusbruderschaft Stellung. Doch seine Worte haben eine wichtige Bedeutung nicht nur für diese „piusinterne“ Angelegenheit, sondern auch für die weitere Kirche, für traditionelle Katholiken in allen Lebenslagen, die sich dem Modernismus und Liberalismus widersetzen, um im wahren Glauben zu verbleiben. Es lohnt, diese Passage hier zu zitieren, Hervorhebungen wie immer von Catocon

Viele Seelen glauben sich (…) in Sicherheit, sonnen sich in ihren Tugenden, während der Stolz und die Selbstgerechtigkeit ihr Herz längst umstrickt haben. Eigensinn, Rechthaberei, Besserwisserei, Kritiksucht, falsche Dialektik, Spott und Häme sind nicht die sieben Gaben des Heiligen Geistes, sondern Merkmale des Widersachers Gottes. Diesem ist es ganz gleich, ob er eine Seele durch ihre bekannten Schwächen zu Fall bringt oder durch Stolz auf ihre eigenen Tugenden. Allzu oft verwandelt sich der Teufel in einen Engel des Lichtes und vollbringt sein Werk der Verführung sub specie boni – unter dem Schein des Guten. Treibt man das Recht beispielsweise auf die Spitze, so kann höchste Ungerechtigkeit geschehen. Nicht umsonst sagten die Alten: Summum jus, summa injuria.Hat man die Gefahr des falschen Gehorsams umschifft und Liberalismus und Modernismus vermieden, so ist man noch lange nicht gefeit vor einem sektiererischen Antiliberalismus. Nur die Demut des Geistes und vielleicht noch mehr jene des Herzens bewahrt vor dem Fall. „Lernet von mir“, sagt unser gebenedeiter Herr, „denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen.“

Dies sind weise Worte. Ich lese sie auch hinsichtlich der (gerechtfertigten) schweren Kritik, die an den Handlungen des neuen Papstes und früheren Erzbischofs von Buenos Aires hier und auf anderen traditionell katholischen Blogs und Webseiten geübt worden ist. Wenn es stimmt, was mir immer wahrscheinlicher erscheint, dass das Welt- und Kirchenbild von Papst Franziskus zumindest teilweise modernistisch ist, und sich nicht mit der Tradition deckt, dann ist das eine sehr schwere Situation für einen kirchentreuen Katholiken. Er ist dann gleich von zwei Seiten in Gefahr, Opfer der Verstrickungen des Teufels zu werden:

Erstens darf er die Irrtümer des Papstes etwa in Liturgie, Ökumenismus etc. nicht verteidigen und entschuldigen, sondern muss sie beim Namen nennen.

Zweitens darf er aber auch nicht den Fehler machen, die Ablehnung der Irrtümer zur Ablehnung des Papstes werden zu lassen. Der Papst ist und bleibt das sichtbare Oberhaupt der Kirche. Als Oberhaupt der Kirche gebührt ihm Respekt und Gehorsam, sofern dieser Gehorsam nicht in Widerspruch zur unveränderlichen Lehrtradition steht.

In dieser schwierigen Situation gilt es die richtige Balance zu halten. Den Papst von jenem sicheren Fundament der Überlieferung zu kritisieren, wenn er dieses Fundament etwa durch liturgische Missbräuche oder falschen Ökumenismus verlässt, ist gerechtfertigt und notwendig. Solche Kritik ist eine Form der Loyalität. Doch sie muss sich dieser notwendigen Loyalität eben immer bewusst bleiben und fest verwurzelt sein in der Unterordnung unter den Heiligen Vater, der das legitime Oberhaupt aller Katholiken ist. Andernfalls verfällt sie wiederum den Schlingen des Teufels, indem sie ihren legitimen Oberen nicht mehr anerkennt, weil ihm eine Perfektion fehlt, die der Kritiker sich zu haben anmaßt. Diese Form der Anmaßung ist Hochmut, das Kronjuwel im Sündenareal des Teufels.

Um ein konkretes Beispiel zu geben: Die falsche Demut, die sich in Widerspruch zu liturgischer Pracht setzt, kann nur von wahrer Demut kritisiert werden, doch es besteht die Gefahr, dass der Kritiker falscher Demut so stolz auf seine eigene „wahre Demut“ wird, dass sie in Hochmut umschlägt. Ebenso ist es beim Ökumenismus. Die falsche Ökumene durch die wahre Ökumene, d.h. die Rückkehr der Irrenden ins Haus des Vaters, zu bekämpfen ist richtig und notwendig. Doch auch hier besteht die Gefahr, dass der Kritiker, der tatsächlich die Wahrheit spricht, auf jene Tatsache stolz wird, und sich so sehr in seinem „Besitz“ der Wahrheit sonnt, dass er der schlimmsten aller Todsünden verfällt, nämlich dem Hochmut, der allein nicht vergeben werden kann, weil er nicht der Vergebung zu bedürfen glaubt.

Dies ist die Gefahr, auf die Pater Schmidberger in einem etwas anderen Zusammenhang aufmerksam macht. Der traditionelle Katholik muss die modernistischen Irrtümer kritisieren. Dies zu unterlassen wäre ein Versäumnis. Doch er darf nicht in jenen sektiererischen Antiliberalismus verfallen, dessen Kennzeichen nach Pater Schmidberger „Eigensinn, Rechthaberei, Besserwisserei, Kritiksucht, falsche Dialektik, Spott und Häme“ sind. Dies sind nicht die Zeichen des Heiligen Geistes, sondern der unreinen Geister.

Irrtümer kommen immer in Paaren auf die Welt, damit die Menschen auf der Flucht vor dem einen Irrtum geradewegs im anderen Irrtum gefangen werden, so dass der Kampf gegen einen Irrtum oft in den entgegengesetzten Irrtum umschlägt.

Mögen alle Kritiker der Handlungen von Papst Franziskus, darunter an erster Stelle der Autor dieser Zeilen, diese Gefahr immer vor Augen haben, und sich entschlossen an jenen Mittelweg halten, den die weisen Worte des Paters Schmidberger so treffend umschreiben: „Lernet von mir“, sagt unser gebenedeiter Herr, „denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen.“ In dieser wahren Herzensdemut, die erkennt, dass nicht wir, sondern die Heilige Kirche Gottes im Besitz der Wahrheit ist, und das auch nicht aus eigenem Verdienst, sondern nur weil Christus, die Wahrheit selbst, sich ihr zu offenbaren geruht hat, und die auch erkennt, dass wir noch weit schlimmere Irrtümer begehen würden als die Modernisten, wenn nicht die unverdiente Gnade Gottes uns im wahren Glauben halten würde, in dieser wahren Herzensdemut allein kann Kritik an Irrtümern und Missbräuchen des Franziskus zulässig und fruchtbar sein.

Ein Interview mit Pater Schmidberger

Ein sehr gutes, neutral und mit Sachverstand von Paul Badde geführtes Interview kann man auf der Homepage der WELT lesen. Es folgen einige Auszüge aus dem Interview mit Kommentaren von Catocon in feuerroter Färbung.

Die Welt: In Rom mehren sich die Signale, dass es endlich zu einer vollständigen Aussöhnung mit der Priesterbruderschaft Pius X. kommen könnte und dass sie bald schon eine eigene Personalprälatur haben dürften, die dem Status des Opus Dei nicht nachsteht.  (Das wäre wunderbar. Aber es scheint etwas zu optimistisch, es sei denn es hat dogmatische Annäherungen und Klärungen gegeben, die mich noch nicht erreicht haben, was nicht verwunderlich wäre, erfahre ich doch traditionell alles immer zuletzt.) Es heißt aber auch, die Verhandlungen des Vatikans mit der Pius-Bruderschaft seien gescheitert. (Diese Meldung, soll man sie als Ente, als Wunschdenken oder als Fehlinterpretation einer zweifelhaften Predigt bezeichnen, ist dementiert worden mit einer Schärfe, dass man davon ausgehen kann, dass zumindest noch kein Scheitern feststeht.) Können Sie Klarheit schaffen?

Pater Franz Schmidberger: Nichts lieber als das. Am 14. September 2011 hat Kardinal Levada Bischof Fellay, unserem Generaloberen, eine „lehrmäßige Präambel“ überreicht, deren Annahme die Bedingung sei für eine kirchenrechtliche Anerkennung der Pius-Bruderschaft. Wir haben über den Text eingehend beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass er so nicht annehmbar ist. Schließlich habe ich selbst am 1. Dezember die Antwort des Generaloberen nach Rom gebracht, und auf die römische Bitte hin hat er diese Antwort dann noch einmal präzisiert. Jetzt warten wir mit Spannung auf das Ergebnis der Beratungen der Glaubenskongregation. (Gute, knappe Zusammenfassung der Lage, soweit sie öffentlich zugänglich ist.)

(…)

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Die Welt: Erzbischof Lefevbre, der Gründer der Priesterbruderschaft, wird der Satz zugeschrieben, dass er „mit ganzem Herzen am Ewigen Rom“ hänge? Hätte er sich nicht schon längst mit dem Papst versöhnt, bei dessen ausgestreckter Hand? (Mir gefällt, wie Badde hier und an anderer Stelle den Erzbischof Lefebvre als Maßstab der FSSPX anerkennt und sein Verhalten mit dem der jetzigen Anführer der Bruderschaft kontrastiert. Auf diese Weise kommt er mit den Piusbrüdern ins Gespräch auf der Basis einer Autorität, die beide Seiten für relevant halten und nicht von vornherein ablehnen. Das ist geschickte Interviewführung und ermöglicht eine inhaltliche Auseinandersetzung.)

Pater Franz Schmidberger: So einfach sind die Dinge nicht. Während der Visitation unseres Werkes durch Kardinal Gagnon im Jahre 1987 schrieb Erzbischof Lefebvre dem Kardinal einen Brief und machte Vorschläge für eine kirchenrechtliche Struktur unserer Bruderschaft. Dabei machte er sehr deutlich, dass der heutige Ökumenismus unter dem Zeichen des religiösen Relativismus, die Religionsfreiheit, deren Frucht der heutige Säkularismus ist, und die Kollegialität, die das gesamte kirchliche Leben lähmt, für uns unannehmbar sind. Leider gibt es auch hier heute noch Differenzen mit dem regierenden Papst. (Das sind die bekannten Streitfragen. Die Struktur wird von selbst folgen, sobald diese Streitfragen zufriedenstellend gelöst sind.)

Die Welt: Welche vernünftigen Argumente hat die Bruderschaft eigentlich noch gegen die Religionsfreiheit, deren Durchsetzung heute geradezu eine Schlüsselrolle für den Weltfrieden zukommt?

Pater Franz Schmidberger:(Es folgt eine klare Darstellung der traditionellen Lehre der Kirche zum Thema, ohne Polemik und ohne Übertreibungen. So muss Kritik am Konzil sein, wenn man sie üben möchte.) Die Religionsfreiheit ist nicht in erster Linie eine praktische Frage, sondern eine Frage der Lehre: Die Verurteilung der Religionsfreiheit durch die Päpste hat nie besagt, dass man andere Menschen zur katholischen Religion zwingen will, sondern dass ein Staat mit katholischer Bevölkerungsmehrheit die katholische Religion als die von Gott geoffenbarte anerkennen soll. Dabei kann er anderen Religionen und Bekenntnissen sehr wohl im öffentlichen Bereich eine Duldung einräumen und diese sogar durch bürgerliche Gesetze festschreiben.Selbstverständlich müsste in der heutigen Zeit des Pluralismus diese Toleranz eine breite Anwendung finden. Andererseits hat der Irrtum nie ein (Natur-)Recht. Wenn es aber darum geht, dass der Mensch kraft des Lichtes der Vernunft Gott erkennen und um die wahre Religion wissen kann, dann gilt dies auch für den Staatsmann; und genau dies haben die Päpste bis einschließlich Pius XII. festgehalten, indem sie die Religionsfreiheit verurteilt haben. Alles andere ist eben letztendlich Agnostizismus. (Also der Versuch religiöser Neutralität seitens der Staatsmänner)

Die Welt: Die letzten Päpste haben sich alle der -kumene verschrieben, sogar der Vereinigung der Konfessionen – nach dem Wort Christi, „dass sie doch alle eins sein mögen“, wie Jesus betete (Joh. 17,21). Was wollen Sie dagegen vorbringen?

Pater Franz Schmidberger:(Auch hier wieder eine klare, polemikfreie Darstellung der traditionellen Position zur Ökumene. Vorbildlich, wie Pater Schmidberger die traditionalistische Position artikuliert, sie durchaus auch mit modernen Vorstellungen kontrastiert, aber dabei immer sachlich bleibt. Wie gesagt, solche Kritik am Konzil muss zulässig sein.) Jeden Sonntag singen die Gläubigen: „Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“; das Gebet Christi bezieht sich nicht darauf, dass sie erst eins werden müsste. Allerdings sind im Laufe der Geschichte immer wieder Gruppen von dieser einen Kirche weggebrochen, so im 11. Jahrhundert die Griechen, im 16. Jahrhundert Luther mit seinen Gefolgsleuten. Für jeden aufrechten Christenmenschen ist dies ein großer Schmerz, und so beten wir täglich um die Rückkehr der von der Kirche Getrennten ins eine Vaterhaus.

Die Welt: Bisher hat noch jede Sekte der Dünkel ausgezeichnet, auf der richtigen Seite zu stehen – mit einer guten Portion Überheblichkeit für die große Mehrheit. Bei Erzbischof Lefevbre war es nicht so. (Wieder dieser geschickte Bezug auf Erzbischof Lefebvre…) Er hat noch sehr gelitten unter der drohenden Spaltung und dem Notstand des ungeklärten Status der Bruderschaft. Hat sich die Priesterbruderschaft inzwischen an diesen Notstand gewöhnt – oder ist das Bewusstsein für die Gefahr einer bleibenden Abspaltung hier immer noch als Not verbreitet?

Pater Franz Schmidberger: Ein Notstand ist ein Notstand, er ist abnormal und strebt zur Normalisierung hin. Wie aber sollen wir mit Assisi-Treffen, die implizit (nicht explizit!) behaupten, alle Religionen seien Heilswege, zu einem Ausgleich kommen? (eine GANZ wichtige Unterscheidung zwischen implizit und explizit. Diese Assisi-Treffen suggerieren unterschwellig bestimmte Haltungen, selbst wenn man ihnen angestrengt mit Worten widerspricht. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das ist die eigentliche traditionalistische Kritik, nicht das, was man von mancherlei Traditionalisten gehört hat, etwa dass der Papst selbst an die Gleichwertigkeit aller Religionen glauben würde oder so. Es ist einfach, dass solche Treffen keinen anderen Eindruck vermitteln können, selbst wenn das nicht beabsichtigt sein sollte. Der Indifferentismus ist implizit, nicht explizit. Auch hier wieder hervorragende, sachliche Kritik ohne Polemik) Gewiss leiden wir unter der heutigen Situation; aber wir leiden noch tausendmal mehr darunter, dass dieser religiöse Relativismus schließlich zu Indifferenz und Atheismus führt und unzählige Seelen ins Verderben stürzt. (Ein wahres Wort.)

(…)

Die Welt: Sogar die Anglikaner finden nun in der katholischen Kirche eine Heimat. Was hat denn eigentlich verhindert, dass Sie sich seit Jahrzehnten in der Kirche nicht mehr so zu Hause fühlen durften?

Pater Franz Schmidberger: Im Grunde haben sich die gleichen Tendenzen, die die Anglikaner zur katholischen Kirche fliehen lassen, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch innerhalb der katholischen Kirche breitgemacht und zu einem verheerenden Glaubensverlust, zu einem sittlichen Niedergang und zu einer Verwüstung in der Liturgie geführt. (Es ist eine gesamtgesellschaftliche Krise. Deswegen kann man die Schuld nicht nur dem Konzil geben. Die Schuld des Konzils besteht darin, diesen Strömungen nicht entschlossen genug entgegengetreten zu sein, und dies ist auch die Schuld der Kirche nach dem Konzil.) Wenn Sie nur jetzt während der Faschingszeit an die Narrenmessen denken (daran möchte ich gar nicht denken…), die überall in die Kirchen eindringen. Sehen Sie, ich habe hier die Ansprache des Papstes an die Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 24. September 2011 vor mir. (Piusbruderschaft zitiert den „nachkonziliaren“ Papst. Bischofskonferenz spielt ihn herunter…) Darin sagt er: „Die eigentliche Krise der Kirche in der katholischen Welt ist eine Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens finden, werden alle strukturellen Reformen wirkungslos bleiben.“ (Problem der Zweideutigkeit: Erneuerung hat eben in der modernen Sprache immer die Bedeutung von „Altes durch Neues ersetzen“, und darum geht es bei der Erneuerung der Kirche eben nicht. Es geht darum, den Wahren Glauben wieder im Vollmaß anzunehmen.) Durch das Konzil hat eben nicht der Geist der Kirche die Welt durchdrungen, sondern umgekehrt ist der Geist der Welt in die Kirche eingedrungen. (Treffende Diagnose. Der Rauch Satans usw. Das wusste schon Paul VI.)

Die Welt: Ich sage Ihnen nichts Neues, wenn ich auf den Rest in Ihrer Mitte (oder am Rand) hindeute, der keine Einigung mit dem Papst mitmachen wird. Sind Sie bereit, um dieses Restes willen die Versöhnung scheitern zu lassen, oder sind Sie bereit, sich von ihm zu trennen?

Pater Franz Schmidberger: Wenn die römischen Autoritäten für eine kirchenrechtliche Anerkennung der Bruderschaft nicht etwas fordern, was der traditionellen Lehre und Praxis der Kirche widerspricht, so wird es kein allzu großes Problem für eine Regularisierung geben. Wenn dagegen Rom fordern sollte, wir müssten das ganze zweite Vatikanum ohne Wenn und Aber anerkennen, dann sehe ich keine Möglichkeit für eine Lösung. (Das gibt Hoffnung für eine Einigung. Denn „ohne Wenn und Aber“ muss das Konzil niemand anerkennen. Er kann eine Menge „wenns“ und „abers“ vortragen, und immer noch ein Katholik in voller Einheit mit dem Papst sein.)

(…)

Pater Schmidberger versteht es auch in diesem Interview wieder, die Position der Piusbruderschaft deutlich und unmissverständlich klarzustellen, ohne sich in wilden Polemiken, Verschwörungstheorien und Anschuldigungen zu ergehen, wie es dem leider nicht immer völlig unbegründeten Zerrbild des Traditionalisten oder Piusbruders entspricht. Ich denke, dass eine Einigung auf dieser Basis möglich sein müsste, solange sichergestellt wird, dass inhaltliche Kritik auch an den Texten des Konzils, in der Form wie Pater Schmidberger sie hier vorbringt, jederzeit gestattet ist, und die Praxis der Piusbrüder hinsichtlich Lehre und Liturgie nicht angetastet wird.

Jetzt gilt es weiterhin abzuwarten, auf eine positive Antwort aus Rom zu hoffen und für sie und alle Beteiligten auf beiden Seiten der Verhandlungen zu beten.

Ein interessantes Interview mit Norbert Bolz

In Christ und Welt befindet sich ein interessantes Interview mit dem Religionswissenschaftlers und Medientheoretiker Norbert Bolz über die „neue Macht des Unzeitgemäßen“, wie es der Untertitel des Interviews ausdrückt.

Hier der Artikel und mein Kommentar in rot dazu.

Christ & Welt: Sind die Piusbrüder die Vergangenheit oder die Zukunft der katholischen Kirche?
Norbert Bolz: Sie sind beides. In ihrem Dogmatismus und Traditionalismus wird der Urtext des Christentums (Ja, dies ist der „Urtext“, nicht ein angeblich dogmenloses, von Wahrheitsansprüchen und „intoleranter Exklusivität“ freies Urchristentum, wie heute immer gern behauptet wird) sichtbar, von dem sich die Kirche mit den Jahrhunderten immer weiter entfernt hat. Oft wird heute vergessen, dass das Dogma ein identitätsstiftender Teil des Katholizismus ist. Der Papst will daran erinnern und ihn stärken.

C & W: Indem er die Piusbrüder umschmeichelt und liberale Katholiken wie Hans Küng oder die südamerikanischen Befreiungstheologen mit Nichtachtung straft? (Wie nicht anders zu erwarten ist man bei Christ und Welt so fanatisch und ideologisiert, dass man nicht einmal halbwegs neutrale Fragen stellen kann. Dieser Trend wird sich im Verlauf des Interviews noch fortsetzen. Glücklicherweise steht Bolz über der primitiven Stimmungsmache des für das Interview Verantwortlichen)
Bolz: Indem er zwischen den beiden Extremen vermittelt, das ist die große dialektische Aufgabe, die sich dieser Papst gestellt hat: einerseits eine in einer modernen Gesellschaft überlebensfähige Kirche zu gestalten und andererseits das zu stärken, was das Christentum dogmatisch zum Christentum macht. („Hermeneutik der Kontinuität“?)

C & W: Warum redet er mit den Piusbrüdern, mit den Küngs dieser Welt aber nicht?
Bolz: Warum sollte er? (Volltreffer!) Diese Seite des Katholizismus ist nicht kontrovers, sondern Mainstream. Küng ist der Liebling von Massen und Medien. Der Liberalismus hat kein Imageproblem. Die andere, die reaktionäre Seite ist die problematischere. Sie zurückzuholen in die offizielle Welt der katholischen Kirche ist schwieriger. Aber das ist das Wesen des Katholizismus, so wie ihn Benedikt versteht, eine Einheit im Angesicht der Widersprüche zu schaffen. (Damit könnte Bolz zwar im Recht sein – vermutlich ist das das Anliegen des Heiligen Vaters, doch eine Einheit zwischen Liberalisten und traditionellen Katholiken kann es langfristig nicht geben, ohne dass die Liberalisten ihre oft von der Kirche verurteilten Irrlehren ablegen und sich bekehren. Eine Kirche mit Hans Küng und Bischof Fellay in einem Boot ist undenkbar. Vielleicht als temporäre Allianz, aber nicht als erstrebenswerter Normalzustand.)

C & W: Küng mag Mainstream sein mittlerweile, aber die Befreiungstheologie ist es nicht. Nach ihrer großen Zeit in den Siebzigern führt sie ein Schattendasein. Grund genug, sie heim in den Schoß der Kirche zu holen? (Christ und Welt ist anempfohlen, mit dem Gequengel aufzuhören und Fragen zu stellen. Die Befreiungstheologie ist häretisch. Doch Bolz versenkt auch diese Steilvorlage:)
Bolz: Die Befreiungstheologie hat ihre besten Tage hinter sich. Eine politische Kirche in ihrem Sinne ist heute genauso wenig ernst zu nehmen wie ihre Protagonisten. (Noch ein Volltreffer!) Sie ergeht sich im Revolutionspathos, das im Angesicht einer Diktatur sinnvoll sein mag, aber heute, wo es kaum mehr Diktaturen gibt (noch nicht wieder? Zumindest Europa driftet rapide auf eine Diktatur der Bürokraten unter einer dünnen Decke scheindemokratischer Legitimität zu.), doch sentimental und naiv wirkt. Das katholische Integrationsinteresse des Papstes liegt deshalb mehr auf der Reaktion als auf der Revolution. Dumm ist das nicht. (Selbst seine Gegner gestehen dem Heiligen Vater generell zu, dass er nicht dumm ist. Das ist mehr, als man über Küng und andere Modernisten sagen kann.)

C & W: Es ist also besser, ein Reaktionär zu sein als ein Gutmensch? (Man hört die Frustration des Interviewführers richtig heraus!)

Bolz: Sagen wir mal so: Der Papst wäre schlecht beraten, auf einmal zum Gutmenschen zu werden. Aber da sehe ich auch keine Gefahr.

C & W: Mit der Hinwendung zum Dogma frustriert der Papst aber viele Laien. Mit Ansprachen wie der von der Entweltlichung der Kirche predigt er langfristig die Kirchen leer. (Noch eine Steilvorlage von C&W, noch ein Tor von Bolz. 3:0!)
Bolz: Das muss nicht so sein. Die Frustration der Laien ist nur die eine Seite der Medaille. (Man sollte hinzufügen: Die Frustration eines Teils der westeuropäischen und nordamerikanischen Laien) Auf der anderen steht eine wachsende Sehnsucht vieler Menschen nach Strenge, Tradition, Liturgie und dogmatischer Festigkeit. (Genau so ist es!) Benedikts Hinwendung zum Dogma ist nicht unbedingt ein Weg ins gesellschaftliche Abseits (die Fußballanalogien…), vielmehr gibt er seiner Kirche durch die Macht der Unzeitgemäßheit möglicherweise eine neue Relevanz. (Man kann, wie ich gebetsmühlenartig auf diesem Blog wiederhole, eben nur relevant werden, wenn man zuvor irrelevant war. Wer krampfhaft versucht relevant zu sein, für den interessiert sich niemand – er ist und bleibt Mitläufer. Nur wer sich dem Zeitgeist entgegen stellt kann, wenn er Erfolg hat, den Zeitgeist ändern und als Stifter eines neuen Zeitgeists relevant sein.)

C & W: Ob dadurch die Kirchen voller werden, ist aber doch eher fraglich. (Ja, das ist es. Und das ist vollkommen irrelevant. Die Kirche kann mit elf Priestern und einem Teil der Stadtbevölkerung Jerusalems überleben, wie wir wissen, solange ihre Mitglieder heiliggemäß leben und ihren Missionsauftrag ernst nehmen.)
Bolz: Die evangelischen Kirchen sind aber auch leer. (Nebenbei: Tor! Toooooor! Jetzt schon 4:0. Kantersieg für BOOOOOOLLLLZZZZZ!!!!) Im Falle des Protestantismus sieht man, in welche Sackgasse der Weg einer radikalen Anpassung an den Zeitgeist führt. Die katholische Kirche dagegen spielt bewusst mit der Dialektik des Unzeitgemäßen. Diese Halsstarrigkeit im Namen Gottes(Bolz versteht etwas von des Formulierens Kunst) hat einen auratischen Effekt, den man nicht unterschätzen sollte.

C & W: Die Kirchen müssen also erst mal richtig leer werden, damit sie irgendwann wieder voll werden können? (Unvorstellbar, liebe Relevanzapostel?)
Bolz: So sieht es der Papst, und ich halte dieses Kalkül nicht für unrealistisch. Benedikt ist der erste Pontifex, der den Mut hat auszusprechen, was alle wissen: Die Kirche muss mit ihrem Schrumpfen leben. (Noch ein Treffer. Aus spitzem Winkel ins Eck gezwirbelt. 5:0!) Deshalb sagt er, dass kleiner zu werden auch heißen kann, wendiger und lebendiger zu werden. (Das weiß jeder Gärtner.) Im Prozess des Gesundschrumpfens verschwindet, so die Theorie, die Langeweile, die mit dem Entstehen einer Orthodoxie automatisch in eine Organisation sickert. Zum Vorschein kommt die Lehre selbst. (Stellt Bolz hier Orthodoxie und Lehre der Kirche gegeneinander? Nicht die Orthodoxie ist das Problem, sondern die bürokratische Starre eines festen Apparats, der kein Interesse mehr am wahren Glauben, an der Orthodoxie hat. Leider ein krasser Abwehrfehler – eine riesige Chance für Christ und Welt auf 1:5 zu verkürzen. Mal sehen, was sie daraus machen:)

C & W: Und damit der Urtext und die Piusbrüder. (Sie vergeigen das Ding! Außennetz! Es bleibt beim 5:0. Schneller Abschlag vom FC Bolz, Bolz läuft frei aufs Tor zu….)
Bolz: So ist es. (Toooooorrrr!!!! 6:0)

C & W: Die Piusbrüder stehen aber, vom Holocaust-Leugner Williamson einmal ganz abgesehen, auch für eine jahrhundertealte Tradition des Antisemitismus in der katholischen Kirche. (Ein taktisches Foul vom FC Christ und Welt 1968. Wissen die überhaupt, was Antisemitismus bedeutet? Wenn man von Williamson absieht, lehrt die Piusbruderschaft, dass die Juden sich bekehren sollen. Der Papst schwächt diese These derzeit gern etwas ab. In diese Debatte möchte ich hier gar nicht einsteigen. Unabhängig davon ist aber der Aufruf sich zu bekehren, definitiv kein Antisemitismus, sondern entstammt aus tiefer Freundschaft gegenüber den Juden: Außerhalb der Kirche ist kein Heil – wenn wir also die Juden wirklich lieben, dann werden wir sie zurück in die Kirche holen wollen, ihnen also den wahren Glauben an den Messias und Gottessohn Jesus Christus bringen. Was ist daran antisemitisch, außerhalb der fiebrigen Vorstellungskraft dogmatischer Katholikenhasser?)
Bolz: Und da darf es auch für den Papst keine Zugeständnisse geben. (Wenn es um wirklichen Antisemitismus geht, hat Bolz Recht. Wir sind keine Antisemiten und wollen auch keine haben. Das heißt: Williamsons Äußerungen sind unsinnig, historisch falsch und eine Distanzierung von ihnen ist erforderlich. Sie hat aber auch stattgefunden. Wo ist das Problem?) Auch in der katholischen Kirche muss ein Minimum an Pragmatismus und Realitätsgerechtigkeit gelten. Gerade beim Thema Antisemitismus dürfen rein dogmatische und theologische Überlegungen nicht ausschlaggebend sein. (Doch, das müssen sie sogar. Denn dogmatische und theologische Erwägungen sind es, die uns die besten Argumente gegen den wahren Antisemitismus in die Hand geben. Gegen Ende der 2. Halbzeit scheint Bolz zu schwächeln…)  Man kann hier die Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht ausklammern. (Der Historizismus, dass also der Glaube zeitabhängig sei, ist ein Kernelement der modernistischen Irrlehre. Der Glaube verändert sich nicht durch das eine oder andere historische Ereignis. Im Gegenteil: Auschwitz hat uns mehr als deutlich gezeigt, dass alle Menschen der Bekehrung bedürfen und sowohl die Erbsünde als auch die Existenz des übernatürlichen Bösen, des Satans, Erfahrungstatsachen sind. Den Glauben an die „historischen Ereignisse“ anzupassen kann nicht statthaft sein. Glücklicherweise ist die Forderung nach der Bekehrung der Juden genausowenig antisemitisch wie die Forderung nach der Bekehrung der Deutschen deutschenfeindlich, oder nach der Bekehrung der Japaner japanerfeindlich wäre. ) Insoweit war es notwendig, wenn auch etwas spät, dass sich der Papst wie die Piusbrüder von den Holocaust-Leugnungen des Pater Williamson öffentlich distanziert haben. (Spät? Die Kirche hat nie den Holocaust geleugnet. Niemand, der nicht mit einer hinterhältigen Boshaftigkeit an die ganze Affäre herangegangen ist, kann ernsthaft geglaubt haben, die Kirche leugne den Holocaust. Christ und Welt war unfähig ein Tor zu schießen, doch jetzt haut Bolz sich die Dinger schon selber rein.) Andernfalls hätte gerade für einen deutschen und dazu noch traditionalistischen Papst (Papst Benedikt mag viel sein, aber er ist kein Traditionalist. Er sympathisiert sicher mit vielen ihrer Anliegen, aber er ist kein Traditionalist.) die Gefahr bestanden, mit den Ansichten Williamsons identifiziert zu werden. (Natürlich doch! So ein gutes Interview – und jetzt das! Klar, jeder gerecht denkende Mensch hätte Benedikt für einen Holocaustleugner gehalten, weil er deutsch, katholisch, und nicht feindlich genug gegenüber der Piusbruderschaft ist. Diese widerliche Sippenhaft, von den Nazis eingeführt und von den Aposteln der Politischen Korrektheit wie so vieles direkt aus dieser dunklen Zeit übernommen, vergiftet jedes sinnvolle Gespräch.)

C & W: Aber er wurde es anfänglich durch sein Schweigen. Johannes Paul II. wäre dieser Fehler nicht passiert. (Nein. Er hätte sich einfach an den Zeitgeist angeschmiegt und die Piusbrüder wie einst die Leprakranken behandelt. Nie hätte er eine Exkommunikation aufgehoben oder die Tridentinische Messe freigegeben. Lieber sah er leicht bekleideten liturgischen Tänzerinnen bei ihrem Treiben zu und lächelte huldvoll. Er war nach allen Berichten ein Mann von großer persönlicher Heiligkeit, nicht mehr und nicht weniger. Aber sicher nicht der größte Papst des 20. Jahrhunderts.)
Bolz: Nein, Johannes Paul hatte ein glücklicheres, weil spielerisches Händchen im Umgang mit den Medien – vielleicht ein Nebeneffekt der Ausbildung zum Schauspieler in der Jugend. (In den Medien wird man auf jede klare Aussage im Widerspruch gegen den Zeitgeist sofort festgenagelt. Die wichtige Frage des Lebensrechts einmal ausgenommen, hat sich das Pontifikat Johannes Pauls II. nicht gerade durch eine energische Verkündigung der kontroversen Aspekte des Glaubens ausgzeichnet. Ein Medienpapst eben.) Wobei sich generell die Frage stellt, ob die katholische Kirche sich überhaupt den medialen Imperativen der Moderne anpassen muss. (Bolz hat sich wieder gefangen und einen Konter gesetzt. FC Christ und Welt 1968 liegt nun schon 1:6 zurück, siebenfacher Torschütze ist Norbert Bolz.)

C & W: Das wird so manchem Bistumspressesprecher aber die Schweißperlen auf die Stirn treiben.
Bolz: Es wird den Umgang mit Skandal in der katholischen Kirche jedenfalls nicht leichter machen. Aber eine Hoffnung gibt es für den schwitzenden Pressesprecher.

C & W: Und die wäre?
Bolz: Unter dem nächsten Papst könnte alles wieder ganz anders sein. (Ja, das wäre theoretisch möglich. Aber noch ein Pontifikat des Stillstands und des huldvoll in Kameras Lächelns bei gleichzeitigem systematischen Kampf gegen den Katholizismus auf Gemeindeebene würde die Kirche in Europa nicht überleben. Sehen wir es positiv: Der nächste Papst, Pius XIII., wird endlich systematisch gegen Häresien und Liturgiemissbräuche vorgehen, und am Tag nach seiner Inthronisierung die Tridentinische Messe im Petersdom zelebrieren. Auch dann wäre unter dem nächsten Papst alles anders als unter dem vorigen. Doch der Schweiß auf der Stirn der Verbandskatholiken würde sich wundersam vermehren.)

Norbert Bolz, ein Mann der Einsichten in die Strategie des Heiligen Vaters, ist relativ fair zu allen Seiten, was man wie erwartet von den Zeitgeistgläubigen bei Christ und Welt nicht sagen kann. Dennoch entpuppt Bolz sich in einigen seiner Antworten eher als Relativist – immerhin ist er als Religionswissenschaftler nach dem Selbstverständnis dieser Disziplin auch zur Neutralität gegenüber allen Religionen verpflichtet. An manchen Stellen, wie etwa dem Antisemitismus, erkennt man aber, dass selbst Bolz nicht fähig ist, sich von allen Zeitgeistklischees („Bekehrung der Juden“ = „Antisemitismus“) zu lösen.

Trotzdem: Ein sehr schönes Interview, und ein Kantersieg des FC Bolz gegen den FC Christ und Welt 1968.

Nachtrag: Eine Stellungnahme des Distriktoberen der Piusbruderschaft in Deutschland, Pater Schmidberger, zu der Antisemitismuskontroverse findet sich hier.

FSSPX und der Zentralrat der Juden – Reaktion von Pater Schmidberger

Zum Thema Antisemitismus, Kritik seitens des Zentralrats der deutschen Juden am Kurs der Aussöhnung Roms mit der Piusbruderschaft und ähnlichen Fragen bezieht der Distriktobere der Piusbruderschaft, Pater Franz Schmidberger, nun ausführlich in einem Brief an Dieter Graumann, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Stellung. Unabhängig von den derzeitigen innerkirchlichen Verhältnissen hinsichtlich der Bruderschaft, und wie man zu ihnen stehen mag, ist es ein schönes, klares, eindeutiges Schreiben, das den Ausgleich zwischen dem Bekenntnis zur christlichen Wahrheit und dem nötigen Respekt vor den Differenzen und dem Mitgefühl mit dem schrecklichen Schicksal des jüdischen Volkes unter dem Nationalsozialismus ohne Weiteres schafft.

Weil es die durch Graumanns Auftreten während des Papstbesuchs aufgeworfenen Fragen so hervorragend beantwortet, werde ich es hier im Volltext wiedergeben:

Stuttgart, 11. 10. 2011
Sehr geehrter Herr Dr. Graumann,

Anlässlich Ihrer Begegnung mit Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch brachten Sie die Sprache auch auf die Piusbruderschaft. Wörtlich sagten Sie:

„Das Thema Piusbrüder, die (nach) unserer Meinung nach wie vor für Fanatismus, Fundamentalismus, Rassismus, Antisemitismus, ja schlicht für finsterstes Mittelalter und für Unversöhnlichkeit pur stehen, schmerzt uns nach wie vor.
Lassen Sie mich hierzu einige Anmerkungen machen“.

Am 17. 9. 2011 stellte Ihnen die F.A.Z. nach Ablauf des ersten Jahres Ihrer neu angetretenen Aufgabe als Vorsitzender des Zentralrates einige Fragen. Unter anderem auch, ob es ihnen gelungen sei, eine neues „frisches, fröhliches Judentum“ zu zeigen, wie sie dies vor Ihrer Amtsübernahme angekündigt hatten.

Ihre Antwort war:

„Aber ja – und wie sogar! Denn wenn ich sehe, wie unglaublich positiv und kraftvoll sich das neue plurale Judentum in Deutschland entwickelt, ist meine Begeisterung nur ganz schwer zu bremsen.“

Was verstehen Sie, so lautet meine erste Frage, unter „pluralem Judentum“? Pluralismus steht im westlichen Wertekatalog für eine Vielfalt der Meinungen. Ist dieses plurale Judentum nur vielfältig nach innen? Heißt das, es gibt in ihrer Amtsführung eine Vielfalt, aber sie erstreckt sich allein auf die unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Judentums?

Sie wissen so gut wie ich, Herr Dr. Graumann, dass Ihre Gemeinschaft nicht homogen ist. Am 10. März 2009 verbrannten orthodoxe Juden in Brooklyn (New York) die israelische Flagge. Ein orthodoxer Jude verlas dazu eine Erklärung:

„By burning the Israeli-Flag we are symbolically declaring that the Israeli State is not representative of the jewish people.“

In der Tat, Herr Dr. Graumann, hier ist ihr Pluralismus gefordert. Aber ist das neue Judentum, das sie verkünden, auch bereit, einen Pluralismus innerhalb der nichtjüdischen Welt anzuerkennen?

„Natürlich“, werden Sie sagen, oder mehr noch: Sie werden diese Frage mit Entrüstung zurückweisen. Der Zentralrat steht für Toleranz und Weltoffenheit, ja für freundschaftliche Beziehungen zu allen Menschen.

Anscheinend findet Ihr Pluralismus in Bezug auf die Piusbruderschaft eine Grenze. Mit der oben zitierten massierten Aufzählung von negativ konnotierten Schlagworten haben Sie klar und unmissverständlich die Grenzen Ihrer eigenen Toleranz abgesteckt.

In diesem Augenblick machen Sie sich zum Gegenpol des Papstes, der 2009 mehr Entgegenkommen gegenüber der Priesterbruderschaft St. Pius X. gefordert hat:

„Mit väterlichem Empfinden gegenüber den Betroffenen hat Papst Benedikt XVI. beschlossen, die kirchenrechtliche Situation der Bischöfe [der Piusbruderschaft] zu überdenken. Mit dieser Maßnahme möchte man die gegenseitigen vertrauensvollen Beziehungen stärken und die Verbindung zwischen der Bruderschaft St. Pius X. und dem Heiligen Stuhl festigen.“

Wer ist in diesem Augenblick der von Ihnen geforderten Pluralität der Meinungen näher: Papst Benedikt XVI. oder Sie, Herr Dr. Graumann?

Man könnte jetzt eingehen auf den Schlagwort-Katalog, mit dem Sie den Papst unpassender Weise konfrontierten. Man könnte beispielsweise fragen: Wie „fanatisch“, „fundamentalistisch“ und „antisemitisch“ es ist, wenn orthodoxe Juden – wie eingangs erwähnt – eine Israel-Flagge öffentlich verbrennen?

Doch das wäre zu einfach. Dann würden ich dort enden, wo Sie angefangen haben: Bei den inhaltsleeren Hülsen von Schlagworten, die deswegen so medienwirksam sind, weil sie ohne Reflexion nachgeplappert werden können. Sie haben in dem vorhin erwähnten Interview selber angekündigt, als neuer Vorsitzender des Zentralrates gerade nicht auf diesem Niveau verweilen zu wollen. Ihre Worte waren:

„Das Judentum darf nicht verengt werden auf Formeln wie Schoa plus Antisemitismus. Niemand muss mir sagen, dass diese Themen wichtig sind. Aber wir Juden dürfen uns doch von ihnen nicht dominieren lassen. Wir können nicht in der Vergangenheit und nicht in den uns widerfahrenen Katastrophen leben. Schon gar nicht dürfen diese unsere Identität ausmachen. Wir dürfen uns nicht auf den Status einer Opfergemeinschaft, die wir schon lange nicht mehr sind, reduzieren lassen und schon gar nicht immerzu chronisch melancholisch Trauer zelebrieren.“

Was sind Ihre Worte in der Gegenwart des Papstes anderes, als das gebetsmühlenartig Wiederholen der „Formeln wie Schoah plus Antisemitismus“, wie Sie es selbst ausdrücken? An jenem 22. September im Bundestag sind Sie Ihrem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht geworden.

Um also dieser „Formeln“ endgültig zu überwinden frage ich Sie offen: Wie kommen Sie dazu, der Priesterbruderschaft St. Pius X. „Antisemitsmus“ vorzuwerfen?

Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. sich längst klar und unmissverständlich von den Verirrungen des Bischof Williamsons distanziert hat. Sie wissen so gut wie ich, dass Bischof Williamson wegen seiner verletzenden Äußerungen von seinem Amt als Leiter des Priesterseminars in La Reja (Argentinien) abberufen wurde, nicht zuletzt wegen des Schmerzes, den solche Worte all jenen zufügen, welche die sinnlose Verfolgung der Schoah selbst erlebet haben, ihre Nachkommen mit eingeschlossen.

Es ist also nicht glaubwürdig, wenn Sie ob der Äußerungen von Bischof Williamson die Piusbruderschaft als „antisemitisch“ bezeichnen wollten. Dann könnte man, um es in einem Vergleich zu sagen, auch die SPD als „Kinderschänderpartei“ bezeichnen, weil der ehemalige SPD- Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Material rechtskräftig verurteilt wurde.

Nein, das ist es nicht. Wir wollen offen sprechen, Herr Dr. Graumann: Der Stein des Anstoßes ist nicht Williamson; auch nicht der Islam, oder eine an den Haaren herbeigezogene „Frauenfeindlichkeit“, wie Sie dies im Anschluss an Ihr Treffen in der ARD äußerten. Der Stein des Anstoßes ist einzig und allein die Frage: Ist Jesus Christus, der Sohn Mariens, der dem Judenvolk verheißene Erlöser oder nicht.

Schon Ihre Vorgängerin, Charlotte Knobloch, hat versucht, die Diskussion auf diesen Punkt zu bringen:

„Insbesondere die Karfreitagsfürbitte der tridentinischen Liturgie mit der Bitte um die Missionierung und Erleuchtung der Juden stellt für mich eine noch größere Diskriminierung dar als die Äußerungen des Herrn [Bischof ] Williamson.“

Sie wissen so gut wie ich, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. hier nicht den Vorgaben einer nachkonziliaren „political correctness“ folgt.

Die stillschweigende, nachkonziliare Übereinkunft besteht darin, Jesus Christus wohl als den Erlöser für die Heiden, nicht jedoch für die Juden gelten zu lassen. Für das jüdische Volk gebe es, so lautet die neue Formel, einen „separaten Heilsweg“. Daher sei es nicht statthaft, für die „Bekehrung des jüdischen Volkes“ zu beten, wie dies die katholische Kirche 2000 Jahre lang getan hat, und Papst Benedikt in seiner erneuerten Karfreitagsfürbitte wieder betont.
Dieser selbstauferlegten Umdeutung des Heilsgeschehens können wir aus Gewissensgründen nicht folgen. Im Gegenteil: Wir weisen sie entschieden zurück.

Die Begründung ist klar und besonders für Sie als Juden evident: Es gibt keinen unterschiedlichen Heilsweg für Juden und Nichtjuden, weil Jesus Christus selber seiner Herkunft nach Jude ist.

Der Erlöser, an den wir glauben, ist geboren von einer jüdischen Mutter (Lk 1,26), ist aufgewachsen in einer jüdischen Familie (Mt 2,23), war einem jüdischen Stamme zugehörig (Haus David; Lk 2,4), hat sich an die jüdischen Gesetze gehalten (Lk 2,39), seine Jünger waren Juden (Lk 10,1), seine Kirche wurde zu allererst auferbaut auf Juden, nämlich den zwölf Aposteln (Mt 10,2). Ja, die Verwurzelung war so tief, dass zunächst nur jene Christen als „Vollchristen“ bezeichnet wurden, die zugleich jüdischer Abstammung waren (u.U. sogar beschnitten, vgl. Timotheus) und die Taufe empfangen hatten.

Die Spaltung kam allerdings schon zur Zeit Jesu. Die Oberpriester und Pharisäer waren nicht bereit, das Evangelium des Messias anzunehmen. Es erfüllte sich das Wort des Psalmisten: „Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden“ (Ps. 117,22). Baruch Rabinowitz fasst es in einem Satz zusammen: „Aus dem biblischen Judentum entstand das rabbinische Judentum“.

Wie kann man widerspruchsfrei behaupten: Es gibt einen jüdischen Messias – Jesus Christus – für die ganze Welt, nur für sein eigenes Volk, das Volk der Juden, sei er ohne jede Bedeutung? Wenn Jesus der Messias ist, dann ist er es gerade und besonders für das jüdische Volk, denn das ist das Volk seiner Herkunft.

Trotz ihrer, unserer Meinung nach, gehässigen Äußerungen anlässlich des Papstbesuches, steht die Priesterbruderschaft St. Pius X. nach wie vor voll und ganz zu den Worten des heiligen Paulus, der selber Jude war:

„Liebe Brüder, meines Herzens Wunsch ist und ich flehe auch zu Gott für sie [die Juden], dass sie gerettet werden.“ (Röm 10,1)

Ja, Herr Graumann, die Bischöfe und Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. haben eine Sehnsucht danach, dass auch das jüdische Volk Christus anerkennt als den „baruch ha ba’a b’schem haschem“ (Ps 117,26), den „Gepriesenen, der kommt im Namen des Herrn“. Diese Worte werden im lateinischen Messopfer nach dem dreimaligen Sanctus gebetet.

Im Namen Jesu gibt es keine Gewalt, wie dies Kirchenhasser unserer modernen Gesellschaft immer wieder zu behaupten suchen. Die ersten Christen haben ihren Glauben ausgebreitet, nicht weil sie Gewalt angewendet, sondern weil sie Gewalt in Liebe ertragen haben. Zu hunderttausenden wurden sie in den Arenen des römischen Imperiums getötet, während ein vom Blutrausch angestacheltes Volk grölte. Sie haben es ertragen, weil unser Messias ein gekreuzigter Messias ist.

Vielleicht lächeln sie über diesen gekreuzigten Messias, wie der bekannte jüdische Schriftsteller Heinrich Heine in seiner Dichtung „Deutschland. Ein Wintermärchen“, als er bei Paderborn ein Kreuz erblickt:

„Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal Dein Anblick, mein armer Vetter, der Du die Welt erlösen gewollt, Du Narr, du Menschheitsretter!“

Was Heine an dieser Stelle – vielleicht ungewollt – bestätigt, ist heute aufs Neue die Stärke unserer Religion. In einer Zeit, da falsche Religionen weltweiten Terror verbreiten, da man sich erdreistet, Terror und Gewalt sogar in den christlichen Glauben zu projizieren, wie unlängst bei den Anschlägen in Norwegen, steht diese Aussage wie ein leuchtender Stern am Himmel: Christus hat im Gegensatz zu allen anderen Weltanschauungen die gewaltlose Bereitschaft gefordert, für die Wahrheit einzustehen. Also nicht „töten um des Glaubens willen“, sondern leiden um des Glaubens willen, wenn es sein muss unter Hingabe des eigenen Lebens. Das ist die eigentliche Symbolik des Kreuzes und die Lehre des Christentums.

Der Sohn Gottes mag am Kreuz machtlos erscheinen, seine Wahrheit aber ist voller Kraft und gleichzeitig Vorraussetzung für das Wirken des Heiligen Geistes. Das bringt den wahren Frieden auf Erden, nicht eine sich ewig wiederholende Gewaltspirale von „heiligem Krieg“ und „Vergeltungsschlag“, wie dies heute im Land Ihrer Väter praktiziert wird.

So will ich angesichts der von Ihnen öffentlich zitierten Schlagworte nicht aufs Neue Gräben des Hasses ausheben, sondern die Lösung zum Frieden auch und gerade für das Land der Verheißung zitieren, die aus dem Lukas-Evangelium stammt:

„Als Jesus die Stadt [Jeruschalaim] sah, weinte er und sprach: ‚Wenn doch auch du erkannt hättest, was dir zum Frieden dient“ (Lk 19,41).

Ich möchte schließen mit der Reminiszenz an die heilige, jüdische Ordensschwester, Dr. Edith Stein – Sr. Theresia Benedicta a Cruce. Das Schicksal dieser Frau ist zudem die Antwort auf Ihre völlig falsche Beurteilung von Pius XII, dessen Seligsprechung Sie in Ihrer Rede ablehnen.
Ihr Tod in Auschwitz ist der schmerzliche Beweis dafür, dass das Schweigen von Papst Pius XII. vielen Hundertausenden von Juden das Leben gerettet hat. Edith Stein wurde am 2. August 1942 aus dem Karmel von Echt (NL) deportiert als Racheakt auf ein offizielles Hirtenschreiben der holländischen Bischöfe. Pius XII. wusste, dass die Klöster in und um Rom zum Bersten gefüllt waren mit Juden, die man dort versteckte, um sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Was die holländischen Bischöfe durch ihr unkluges Schreiben verursacht haben, hat Pius XII. durch seine Klugheit verhindert: Jede Provokation hätte die Deportation aller „nichtarischen“ Klosterinsassen und damit den sicheren Tod für tausender Ihrer Vorfahren bedeutet. Die Kirche hat – das zu Ihrem geschichtsverfälschenden Vorwurf des „Schweigens“– bereits in der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ unter Pius XI. den Nationalsozialismus verurteilt, zu einer Zeit also, da England und andere europäische Länder noch mit Hitler paktierten.

Es war am letzten Tag vor ihrem Ordenseintritt in den Karmel. Es war Ediths Geburtstag und zugleich jüdischer Festtag, der Abschluss de Laubhüttenfestes. Auf dem fast einstündigen Heimweg von der Synagoge versucht die Mutter vergeblich, Edith Stein von ihrer Berufung als Ordensschwester zurückzuhalten. Die Worte dieser alten Frau bringen die gesamte theologische Auseinandersetzung auf einen Punkt:

„Warum hast du es [den katholischen Glauben] kennengelernt. Ich will nichts gegen ihn [Jesus Christus] sagen, er mag ein sehr guter Mensch gewesen sein. Aber warum hat er sich zu Gott gemacht?“

Wegen ihrer jüdischen Herkunft wird Sr. Maria Benedicta neun Jahre später von der Gestapo verhaftet. In einem Brief an ihre Ordensoberin schreibt sie:

„Bitte erlauben [Sie] mir, mich dem Herzen Jesu als Sühnopfer für den wahren Frieden anzubieten: Dass die Herrschaft des Antichristen wenn möglich ohne einen neuen Weltkrieg zusammenbricht und eine neue Ordnung aufgerichtet werden kann“.

Mögen die Worte dieser heiligen Ordensfrau in Erfüllung gehen.

Pater Franz Schmidberger, Stuttgart

Quelle: kath.net