Wulff und die Eidbrecher

Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, zu diesem Thema nichts zu sagen und es vollständig zu ignorieren. Dieses Schweigen werde ich mit dem vorliegenden Beitrag auch nur insofern brechen, als Wulff und die ihn umgebende Affäre der Anlass für die folgenden Worte ist. Die diversen Details der Debatte um die Verfehlungen des (Ex-)Bundespräsidenten überlasse ich anderen.

Was auch immer man am Ende dem Herrn Wulff wird vorwerfen können – es gilt ja nach wie vor die Unschuldsvermutung, auch für Menschen des öffentlichen Lebens, und verurteilt ist er noch nicht – der Fall Wulff gewährt uns einige interessante Einblicke in die Seele unserer Gesellschaft, und ganz besonders der Medien- und Politikelite.

Obwohl ich mir Mühe gegeben habe, die obsessive Berichterstattung nur am Rande zu verfolgen, habe ich in den „Nachrufen“ auf seine kurze Präsidentschaft mindestens vier oder fünfmal gehört, es sei wenigstens positiv, dass er „frische Luft“ ins Schloss Bellevue habe einziehen lassen, dass er „eine moderne Patchworkfamilie“ gelebt habe, und nicht an diesen alten verstaubten Klischees festgehalten hätte, die scheinbar kaum noch jemand für wichtig hält. Was allerdings daran positiv sein soll, wenn das Staatsoberhaupt, welches ja auch unser Land repräsentiert, ein stolzer Ehebrecher ist, der sich nicht einmal schämt, seine Konkubine als seine „neue Ehefrau“ auszugeben, kann sich mir beim besten Willen nicht erschließen.

Doch bietet Herrn Wulffs Familienleben einen wichtigen Einblick in sein Verhalten. Wie kann man denn eigentlich von einem Menschen, der einem anderen Menschen ewige Treue geschworen hat, und diesen dann einfach aus Interesse an „jüngerem Fleisch“ im Stich lässt, erwarten, dass er seinen Amtseid einhalten wird? Theoretisch mag es möglich sein, dass ein Eidbrecher wirklich kehrtmacht, und seine anderen Eide nunmehr einhält. Dies ist allerdings, abgesehen von wirklichen religiösen Bekehrungen, mehr als selten. Wenn ich einem Menschen etwas schwöre, und dieser Schwur für mich nur gilt, bis mir was Attraktiveres über den Weg läuft, dann werden auch andere Schwüre für mich in aller Regel nur bindend sein, wenn niemand mir gerade ein attraktiveres Angebot macht.

Treulosigkeit, Eidbrechertum, Betrug, das sind alles Eigenschaften, die man nicht an- und ausknipsen kann, sondern den ganzen Charakter prägen und durchziehen. Wenn ich im Privatleben treulos bin, meine feierlichen, vor Gott gegebenen Versprechen breche, meinen Ehepartner und meine Familie betrüge, dann werden diese Laster nicht vergehen, wenn ich die heimische Tür hinter mir schließe und ins öffentliche Leben eintrete. Mein ganzer Charakter ist dann von ihnen geprägt. Die Trennung von „privat“ und „öffentlich“ hat ihren guten Sinn und ist sehr wichtig, doch sie kann niemals vollständig sein, weil es derselbe Mensch ist, der da im Privaten betrügt und im Öffentlichen ebenso.

Wie jemand glauben kann, ein erklärtermaßen unbußfertiger Ehebrecher wie Herr Wulff könne ein guter Bundespräsident sein, ist mir vollkommen schleierhaft. Wie gesagt, Menschen können sich wirklich ändern, wirklich umkehren. Doch wenn sie das tun, dann kehren sie ab von ihren Sünden und zeigen Reue. Dies war bei Herrn Wulff nicht der Fall. Zumindest in keiner wahrnehmbaren Weise.

Es war ein grundsätzlicher Fehler, einen unbußfertigen Ehebrecher ins Amt des Bundespräsidenten zu wählen, und dieser Fehler erweist sich nun als solcher. Auch vorbildliche Familienmenschen können korrupte Politiker sein. Ehebruch ist keine notwendige Bedingung für Bruch des Amtseides. Aber in den meisten Fällen doch ein hervorragender Indikator für die allgemeine Wichtigkeit, die Eiden zugemessen wird.

Wulff überhaupt zu wählen, war daher ein Fehler, und seinen Rücktritt vermag ich deswegen nicht zu bedauern.

Doch dieser Fehler ermöglicht eine weitere Feststellung. In keiner vernünftigen, christlichen Gesellschaft wäre es denkbar, dass man einen unbußfertigen Ehebrecher nicht nur in das höchste Amt im Staate wählt, sondern noch weiter geht, und dieses unbußfertige Ehebrechertum auch noch zu einer Hauptqualifikation für dieses Amt erhebt. Herr Wulff hat doch im Schloss Bellevue die Neue Normalität, die Moderne Familie, die Patchworkfamilie vorgelebt, und man wurde bis zum Schluss nicht müde, dies als zentrales Verdienst seiner kurzen Amtszeit herauszuheben, selbst nachdem bereits als sehr wahrscheinlich gelten konnte, dass er nicht nur privat seine Schwüre bricht, sondern ihm dies logischerweise dann auch in der Öffentlichkeit nicht mehr viel ausmacht.

Keine christliche Gesellschaft würde einen Menschen von einem politischen Amt ausschließen, weil er einmal Ehebruch begangen hat. Menschen können bereuen und sie können sich ändern. Doch darum geht es hier gar nicht, denn Herr Wulff wurde nicht TROTZ seines Ehebruchs, sondern WEGEN seines Ehebruchs so hochgeschätzt. Es ist die Patchworkfamilie, die Deutschland repräsentieren sollte. Deswegen hat die Partei der Familienzerstörung (CDU) diesen so unbedeutenden wie uncharismatischen und inhaltsleeren Politiker vor sich her getragen wie die sprichwörtliche Monstranz, was diesem Zusammenhang fast schon eine unheilige Brisanz gibt.

(Nebenbei bemerkt könnte man Herrn Wulff fragen, ob er vielleicht wegen der islamischen Polygamievorschriften den Islam so gern anstelle des Christentums als religiöses Fundament dieses Landes etablieren möchte, aber das wäre eine andere Debatte.)

Schließlich ist selbst von Erzbischof Zollitsch immer wieder das Signal ausgesandt worden, Herr Wulff sei doch ein achso guter Christ. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat seinen inoffiziellen Segen für den Ehebruch des Herrn Wulff gegeben, was ich vor einigen Monaten kommentierte. Wie kann man unter diesen Umständen noch gegen Ehebruch sein? Oder, um die naheliegende Analogie einmal zu erwähnen, gegen den Bruch des Zölibats? Beide Kirchen* haben in Deutschland zumindest seit drei oder vier Jahrzehnten nicht gerade die Heiligkeit von Ehe und Familie verteidigt, sondern an ihrer Zersetzung nach Kräften mitgewirkt, um weiter in den Genuss staatlicher, zwangsweise von den Gläubigen eingetriebener Kichensteuermilliarden zu kommen. Macht korrumpiert, Entweltlichung heiligt – doch das nur am Rande.

In dieser Gesellschaft ist Ehebrecher zu sein ein Gütesiegel, durch das sich ein Politiker besonders gut als Repräsentant des neuen, modernen Deutschlands und seiner politisch korrekten, mundtoten, aufgeklärten, modernen, gottlosen, fortschrittlichen Untertanen und ihrer Brot-und-Spiele-Mentalität eignet.

Und so wie jedes Volk die Regierung bekommt, die es verdient, so bekommt auch jedes Volk den Bundespräsidenten, den es verdient.

Und nun bekommt es einen neuen Bundespräsidenten, den das Volk auch verdient haben wird.

Ich schließe mit einem Davila-Wort, welches so ziemlich das Problem der heutigen Gesellschaft und ihrer politischen Auffassungen zusammenfasst:

„Der Progressive vergißt, daß die Sünde jedes Ideal, das er verehrt, zum Scheitern verurteilt, der Konservative vergißt, daß sie jede Realität verdirbt, die er verteidigt.“

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Anmerkung: „Beide Kirchen“ ist eine sprachliche Kurzform. Selbstverständlich ist die Katholische Kirche die einzige Kirche in Deutschland, und bei der „evangelischen Kirche“ handelt es sich im strengen Sinne nicht um eine Kirche. Dies nur, um Missverständnisse, wie in einem Kommentar aufgekommen, auszuschließen.