Was nützen politische Reformen?

Ich wurde kürzlich, nach meinem Blogeintrag „Die kinderfeindliche Betreuungslüge“ von einem treuen Leser und Kommentator, wk1999, darum gebeten, der Veröffentlichung des dort kurz von mir beschriebenen Familienförderungsprogramms auf dem Internetportal kathspace.com zuzustimmen. Dies tat ich, obgleich es sich bei dem „Programm“ natürlich nur um ein relativ schnell dahingeschriebenes Machwerk handelte, und keineswegs um ein sorgfältig durchdachtes, oder gar vollständiges, familienpolitisches Maßnahmenpaket.

Nun gibt es auf dem oben erwähnten Internetportal unter der Veröffentlichung des Programms derzeit eine Reaktion, die einige der notwendigen Ergänzungen und zusätzliche Anregungen aufwirft. Auf diese möchte ich kurz reagieren, und dadurch den Lesern dieses Blogs etwas mehr Kontext liefern, in dem das erwähnte Programm verstanden werden muss.

Hier zuerst noch einmal das Programm, um das es geht:

1. Abschaffung sämtlicher staatlicher Förderungen für sog. Betreuungsplätze vor dem sechsten Geburtstag des Kindes.

2. Abschaffung der diversen Scheidungsliberalisierungen der letzten 60 Jahre, idealerweise totales Scheidungsverbot.

3. Totales, ausnahmsloses Verbot der Abtreibung, Künstlicher Befruchtung und sonstiger lebensfeindlicher Praktiken. Verbot von Verhütungsmitteln mit potenziell frühabtreibender Wirkung.

4. Abschaffung aller Privilegien für homosexuelle Paarbeziehungen, so dass die Ehe wieder als einzige staatlich privilegierte Lebensform besteht.

5. Abschaffung aller sog. Gleichstellungs- oder Frauenförderungsgesetze. Abkehr vom Gender Mainstreaming – falls die EU sich dagegen wehrt, notfalls austreten.

6. Streichung aller Fördermittel und Werbekampagnen, inklusive schulischer Sexualisierungspropaganda (sog. Sexualunterricht), für Verhütung, Abtreibung und außereheliche Sexualität.

Nun beklagt sich Bernice auf kathspace.com darüber, es gehe in diesem Programm nur darum diverse Sachen abzuschaffen, zu streichen usw. Das müsse aber alles von weiteren Maßnahmen flankiert werden, die positiverer Natur seien. Ich zitiere aus ihrem Beitrag:

Ich wäre grundsätzlich dafür.
Einige Ergänzungen scheinen mir aber sehr wichtig:

Erstens dürften solche Forderungen nicht der Agression, Hass, Ablehnung und Ausgrenzung entstammen.

In der Tat. Einige der von ihr vorgeschlagenen Ergänzungen sind wirklich wichtig. Man sollte niemanden hassen, schon gar nicht seinen Feind, wie alle Christen wissen sollten. Doch wenn es um „Ablehnung“ und „Ausgrenzung“ geht, nun ja, ich fürchte, da bin ich anderer Meinung als Bernice. Wenn „Ablehnung“ und „Ausgrenzung“ per se falsch sein sollen, dann bedeutet dies, dass es kein objektiv unmoralisches Verhalten geben kann, oder dass man diesem unmoralischen Verhalten zuzustimmen verpflichtet wäre. Ist nämlich eine Handlung objektiv verwerflich, so darf man ihr nicht zustimmen, und sollte sich sogar von ihr „abgrenzen“. Man sollte sie auch „ablehnen“. Und das Böse auszugrenzen – unter Wahrung der Menschenwürde der Bösen – ist in jeder christlichen Gesellschaft praktiziert worden, und keine christliche Gesellschaft auf dieser Erde wäre denkbar, in der dies nicht der Fall wäre. Der generelle Geist der Nächstenliebe sollte in der Tat die Umsetzung des „Programms“ begleiten, doch kann dies nicht bedeuten, dass das Programm nicht automatisch gegen das Übel vorgeht, es „diskriminiert“, „ausgrenzt“ oder „ablehnt“. Wenn Abtreibung, Scheidung usw. tatsächlich Übel sind – und daran kommt man als Katholik eigentlich nicht vorbei – dann müssen wir diese Übel sogar ablehnen.

Mir scheint, Bernice hat die Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder unbeachtet gelassen. Wir lieben den Sünder, aber nicht die Sünde. Wir hassen die Sünde, gerade weil wir den Sünder lieben und ihm mit seiner Sünde helfen wollen. Und deswegen grenzen wir die Sünde aus und lehnen sie ab.

Zweitens, wenn man Scheidung verbieten will, müsste man eine gute, gründliche und religionsbezogene Ehevorbereitung fördern – also z.B. Kurse, Tagungen etc. Oder am besten gleich in der Schule damit beginnen (Schüler lernen ja Mathe, Sprache und Sport – wie steht es mit Partnerschaft, Erziehung und Umgang mit anderen Menschen…?!)

Volle Zustimmung. Solche Begleitmaßnahmen wären in der Tat notwendig.

Das gleiche gilt für ein Verbot von Abtreibung. Den Jugendlichen sollte man nahebringen wie wertvoll und unersetzlich ein menschliches Leben ist und – das betrifft dann ebenfalls die Sexualerziehung – was es bedeutet eine Beziehung verantwortungsvoll einzugehen, was Treue, echte Liebe, Gemeinschaft etc. bedeuten.

Ja, auch ein Abtreibungsverbot muss flankiert werden von derartigem Neulernen elementarer moralischer Wahrheiten. Doch jetzt kommt das „dicke Ende“:

Also, alles mögliche abschaffen geht nicht, ohne dass die Menschen den Sinn des Lebens, die Ehe, die Sexualität und die Menschenwürde wieder neu von der positiven Seite kennenlernen.

Was soll das bedeuten? Bedeutet das, dass man mit diesen Gesetzesänderungen warten soll, bis die Menschen ein Licht aufgegangen ist? Es ist im Gegenteil sogar die Pflicht eines jeden Menschen, das Übel auch dann abzuschaffen, wenn seine Mitbürger nicht verstanden haben, warum es ein Übel ist. Wenn Abtreibung die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschenlebens darstellt, dann fällt es unter die elementarste Pflicht eines jeden Staates, der überhaupt so etwas wie Legitimität besitzen will, dieses intrinsische Übel zu verbieten, und zwar nicht erst dann, wenn diverse Tugenden bereits wieder verankert sind, sondern gerade in ihrer Abwesenheit. Legalisierte Abtreibung wäre in einem Staat, in dem die Menschen den Wert des Lebens erkannt haben, noch zu tolerieren (niemand würde abtreiben) – aber keinesfalls in einem Staat, in dem der Wert des Lebens in Vergessenheit geraten ist. Gerade die verirrten Schäfchen brauchen jede, auch staatliche, Hilfe, um wieder auf den richtigen Weg zurückzukehren – besonders wenn es um das Lebensrecht aller Menschen geht.

Wenn Bernice hingegen nur meint, dass ein solches Verständnis zusätzlich zu den Verboten angestrebt werden soll, oder dass es nützlich wäre, jetzt, wo solche Gesetzesänderungen nicht in Sicht sind, daran zu arbeiten, die Bürger von der Wichtigkeit der genannten Werte zu überzeugen, dann hat sie natürlich Recht.

Doch das bringt mich zu meinem allgemeinen Punkt, der vielleicht in der detaillierten Behandlung von Bernices Kommentar und überhaupt meinem „Programm“ untergehen könnte. Ich zitiere aus meinem ursprünglichen Artikel zum Thema (oben verlinkt):

Doch diese Vorschläge [das „Programm“] könnten in Deutschland niemals umgesetzt werden, niemals auch nur diskutiert werden, und fänden sicher auch nicht die Zustimmung der Mehrzahl der deutschen Katholiken, oder auch nur Bischöfe. Warum nicht? Eben weil sie alle die Mentalität der Welt übernommen haben, weil sie alle sich selbst säkularisiert haben, weil sie alle eine generelle Abkehr von traditioneller katholischer Sittenlehre vollzogen haben, um damit den Reichen und Mächtigen zu gefallen.

Das ist das eigentliche Problem. Es ist meine feste Überzeugung, dass jede Gesetzesänderung, die jetzt durchgedrückt würde (wie auch immer das funktionieren sollte), nicht nur unwirksam wäre, sondern zu einer Verschlimmerung der Lage führte. Im aktuellen Gesellschaftlichen Klima der Bundesrepublik ist die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle eher am „konservativen“ Ende des akzeptablen Spektrums angesiedelt. Und im Felde der Abtreibung ist faktisch die CDU die Verteidigerin der Fristenregelung, während die anderen Parteien, vor allem Grüne und Linke, aber auch wichtige Teile der SPD und der FDP, den §218 am liebsten ganz abschaffen würden. Und selbst die aktuelle schwarz-gelbe Koalition fördert international Abtreibungsorganisationen und Lobbys dieser Richtung. Ähnliches gilt auch in allen anderen diskutierten Politikbereichen.

Jede positive Veränderung der Gesetzeslage ist wertlos, wenn sie nicht zugleich in den Köpfen der Gesellschaft verankert ist. Und dies wird nur geschehen, wenn die Meinungsführer gezwungen sind, von ihren modernistischen Ideologien abzukehren, umzudenken. Doch das wird sicher nicht passieren, solange es auch nur im Entferntesten danach aussieht, dass das heutige egalitaristische, lebensfeindliche Gesellschaftssystem irgendwie bewahrt werden kann. Ich fürchte, dass eine gesellschaftliche Umkehr – wie meistens – erst nach dem gesellschaftlichen Zusammenbruch geschehen wird. Und dann könnte es für viele von uns zu spät sein.

Doch eines sollten wir nie vergessen: Alles, was auf dieser Erde geschieht, Gutes wie Böses, ist nur ein Vorspiel, eine Bewährungsprobe, ein Tal der Tränen. Worauf es wirklich ankommt, ist nicht die Gesellschaft, und schon gar nicht die Politik.