Können Frauen, die abgetrieben haben, heiliggesprochen werden? Aus christlich-katholischer Perspektive ist diese Frage sehr leicht: Natürlich können sie, aber nur wenn sie die schwere Sünde der vorgeburtlichen Kindstötung ehrlich bereuen und das Bußsakrament empfangen. Gott vergibt in Seiner unendlichen Barmherzigkeit jede Sünde, wenn der Sünder es nur zulässt, wenn er die Barmherzigkeit nicht durch Unbußfertigkeit aus seinem Herzen verstößt. Gott will jeden von uns, egal welche Missetaten auf unser Konto gehen, jeden von uns auf ewig bei sich haben. Doch da Gott uns freien Willen gegeben hat (ohne freien Willen könnten wir weder einander noch Gott lieben, da wir dann nur mechanische Konstrukte wären, ohne Fähigkeit zur eigenen, unabhängigen Entscheidung), können wir uns gegen die Annahme dieses unendlichen Gnadengeschenks der Erlösung von unseren Sünden zur Wehr setzen. Es ist dem Menschen möglich, das Geschenk der Erlösung abzulehnen, indem er nicht bereut, seine sündhaften Wege nicht mit der Hilfe Gottes zu verlassen sucht, sondern in ihnen persistiert bis zum Ende seines Lebens. Gott gibt viele Chancen, aber am Ende ist es unsere Entscheidung, ob wir erlöst werden wollen oder nicht. Die Tore der Hölle sind von innen abgeschlossen. Niemand, der dorthin kommt, wird, wenn er erst einmal dort ist, die Gerechtigkeit des Urteils bestreiten.
Also kann selbstverständlich auch der schlimmste Abtreiber, der schlimmste Mörder, und, um es erst recht auf die Spitze zu treiben, selbst ein Stailn oder Hitler, die Erlösung erlangen. Natürlich tilgt selbst die beste, ehrlichste und tiefste Reue samt Bußsakrament nicht die zeitlichen Folgen der Sünden, so dass die genannten Schwerverbrecher wahrscheinlich sehr ausführliche Bekanntschaft mit den bereits erlösten, aber noch im Prozess der Reinigung befindlichen Seelen im Fegefeuer machen werden. Aber in letzter Konsequenz steht keinem Menschen etwas anderes auf dem Weg in den Himmel im Wege als er selbst. Und wer erlöst ist, wer bei Gott ist und Sein Angesicht auf ewig schaut, der ist bereits heilig. Daher kann die Kirche natürlich auch schwerste Sünder heiligsprechen – immer Reue und Buße vorausgesetzt.
Alle Menschen sind Sünder – nicht alle Sünden sind natürlich gleich schwer, aber wir alle haben Reue und Buße wahrhaft nötig. Die Sünden mancher Menschen sind größer als die anderer Menschen. Doch Gott ist in der Lage selbst die tiefste Wunde zu heilen. Das alles ist vollkommen klar aus der Sicht der christlichen Theologie.
Dennoch liest man dann Artikel wie diesen, in dem Mark Shea mit diesen und ähnlichen Argumenten systematisch die unbedachten und ignoranten Argumente zerlegt, die auf der Religionsseite von CNN verzapft worden sind. Auch der Religionskommentator bei CNN kommt zu dem Ergebnis, eine Abtreiberin könne heiliggesprochen werden. Er begründet dies auch: Das habe zwei Gründe, erklärt er. Erstens habe es etwas mit der Christlichen Lehre der Vergebung zu tun, aber vor allem liege es daran, dass viele Katholiken „von der offiziellen Parteilinie“ in Fragen wie Homosexualität, Verhütung und Abtreibung abweichen. Diese Argumentation wird von Shea wie gesagt systematisch zerlegt, was auch das einzige ist, das man mit solch ignorantem Unfug tun kann. Aber dass ein solcher Artikel ernst genommen wird, zeigt wie wenig selbst in einem relativ religiös geprägten Land wie den USA über den Katholizismus im Speziellen und das Christentum im Allgemeinen bekannt ist. Die elementarsten Informationen fehlen den Religionskommentatoren – und sicherlich auch den einfachen Leuten, denen die Unsinnigkeit des Arguments gar nicht auffällt.
Solange jemand nicht einmal den Unterschied zwischen Vergebung und Entschuldigung von Sünden verstanden hat, kann er eigentlich nichts hinsichtlich des Christentums sagen oder schreiben, ohne sich lächerlich zu machen. Wenn ich eine Sünde entschuldige, dann sage ich: „War schon nicht so schlimm“. Vergebe ich sie, dann sage ich fast genau das Gegenteil: „Es war schlimm, aber ich vergebe dir.“ Dieser fundamentale Unterschied kann einer interessierten und halbwegs intelligenten Person selbst heutzutage eigentlich nicht entgehen.
In seinem lesenswerten Artikel verweist Shea dann auf die vielen Abtreibungsärzte und Frauen, die abgetrieben haben, nur um später ihr Unrecht einzusehen und umzukehren. Sie alle sind mit offenen Armen empfangen worden, sie alle sind vollauf akzeptiert worden, auch und gerade von den traditionellsten und konservativsten Elementen in der Kirche und der weiteren Pro-Life-Bewegung. Die einzigen, die vielleicht etwas weniger gut reagiert haben, sind genau die „Katholiken“, die Abtreibung nicht für sündhaft halten, und deshalb dachten, es gebe gar nichts zu bereuen. Die also, wie der umwissende Religionskommentator und Soziologe auf CNN es formulieren würde, nicht der offiziellen Parteilinie folgen. (Natürlich folgen auch traditionelle Katholiken keiner „Parteilinie“, da die Kirche keine Partei ist. Doch Ideologen und Soziologen – oft genug tragen beide Worte dieselbe Bedeutung – können nur von sich auf andere schließen, und wer alles politisiert hat, wird überall Parteien sehen. Katholiken hingegen folgen keiner Partei, sondern Gott und Seiner Kirche.)
Abschließend lässt sich also sagen: Natürlich kann NUR derjenige, der die Lehre der Kirche über die Vergebung der Sünden akzeptiert, für die Heiligsprechung einer Frau sein, die abgetrieben hat. Denn wer nicht glaubt, dass es da Sünden zu vergeben gäbe, der wird auch in einer entschlossenen Umkehr keinen besonderen Wert sehen. Die Heiligen sind eben nicht in erster Linie „perfekte Menschen“, sondern fehlerhafte Menschen, die sich Gott zugewandt und ihn und den Nachsten wirklich zu lieben versucht haben.