Aus der persönlichen Korrespondenz eines Teufels mit einem Arbeitskollegen:
Lieber Untersekretär Mückenwurm!
Du hast mich in deinem letzten Brief gefragt, ob ich es für sinnvoll hielte, das letzte Konzil der Kirche weiter zu verteidigen, oder lieber eine Gegenreaktion ins entgegengesetze Extrem anzustreben. Du warst der Auffassung, eine solche Gegenreaktion sei ohnehin erwartbar, weil selbst die Menschen erkennen würden, wie sehr das Konzil samt Folgen die Kirche geschwächt hat, und unsere beste Chance sei daher, diese Reaktion zu pervertieren, indem wir ihren Eifer ins Eiferertum überführen, ihre Traditionalisten zu Reaktionären machen. Ich muss sagen, dass dies in Zukunft nötig werden könnte. Doch bisher haben die Menschen noch immer nicht erkannt, wie erfolgreich wir wirklich waren. Die meisten, man glaubt es kaum, erkennen nicht einmal unsere Existenz!
Ich will dir daher kurz sagen, warum ich es für wichtig halte, die Früchte des Konzils so lange wie möglich auszukosten. Einen Strategiewechsel können wir später immer noch bedenken.
Die Geschichte der Kirche seit dem letzten Konzil ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Noch nie ist es unseren Mächten gelungen, ein Konzil der Kirche so vollständig zu unseren Zwecken zu pervertieren. Ich persönlich kann mir einen wichtigen Teil dieses Erfolges in der Hierarchie der Hölle anrechnen lassen, war ich doch für die Delegation von Teufeln zuständig, die die Konzilsbischöfe bearbeiten musste. Meine Beförderung kann also, wenn ich die Früchte des Konzils heute anschaue, nicht mehr weit weg sein.
Noch nie ist es uns gelungen, mehr als 90% der Gläubigen in den Stammländern der Kirche vom Pfad des Glaubens wegzuführen, ohne dass diese es überhaupt merken. Und der Geist des Konzils – direkt aus der Manufaktur „Inferno“ meines geschätzten Handwerkerkollegen von Nebenan – ist wohl die nützlichste Idee seit dem (leider fürchterlich gescheiterten) Kreuzigungsplan.
Ich habe nicht die Zeit, hier alle Früchte des Konzils aufzulisten, doch die meisten dieser Früchte sind inzwischen überreif und fallen bald in unsere wartenden, gierigen Hände. Ich möchte mich nur auf das eine Land konzentrieren, indem ich persönlich gewirkt habe, und in dem ich aufgrund meiner unvergleichlichen Verführungsfähigkeiten besonders erfolgreich war. Die Früchte innerhalb dieses Landes, das die Erdlinge „Deutschland“ nennen, sind so reich, dass es mir unmöglich wäre, auch nur an der Oberfläche zu kratzen, wollte ich sie alle hier aufzählen.
Daher nur einige wenige Beispiele aus der jüngsten Zeit.
Der Papst, der schon viele unserer Pläne erfolgreich verhindert hat, traf dort auf eine völlig verhärtete Öffentlichkeit, die er niemals hätte überzeugen können, und diese Art der Rezeption war sogar innerhalb der katholischen Kirche erfreulich häufig. Zwietracht innerhalb der von Gott eingesetzten Hierarchien ist immer gut für uns, es sei denn es handelt sich um wirkliche dogmatische Streitigkeiten – diese sind extrem gefährlich für uns, weil es da um Wahrheitsfindung geht. Meist streben wir ja nach Pöstchengerangel und Karrierismus, da dies die optimale Mischung von Zwietracht, Misstrauen und Egozentrismus bietet, doch wenn es uns gelingt, eine ideologische Barriere innerhalb der Kirche aufzubauen, dann ist das noch besser. Überraschenderweise (selbst ich hätte das nicht zu hoffen gewagt), ist uns in der Kirche von Deutschland beides gelungen: Wir haben überzeugte Karrieristen, die sich nicht als Karrieristen, sondern als Träger einer reformerischen oder revolutionären Ideologie sehen, und zudem behaupten, sie seien gegen dogmatische oder ideologische Streitigkeiten. Ein Maß an Selbsttäuschung, das ich selbst von den bekannt dummen Menschentieren nicht erwartet hätte.
Der Besuch des Papstes war eine riesige Bedrohung für unsere Stellungen. Wir haben bereits in England gesehen, welchen Einfluss ein Papst auf die öffentliche Meinung in einem skeptischen Land haben kann, welchen Eindruck dieser alte Mann in weiß machen kann, wenn man ihn lässt. Die offensichtliche Strategie wäre gewesen, die Reise entweder ganz zu verhindern (es lassen sich immer passende Viren in unserem Arsenal finden), oder unter einem Haufen offen anti-katholischer Hetze untergehen zu lassen. Letztere Strategie, samt öffentlicher Petition für die Verhaftung des Papstes wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, ist in England leider gescheitert. In meinem unendlichen Genius habe ich daher die Strategie „Teilen statt Heilen“ verwendet. Ich beschreibe sie hier nur kurz (eine ausführliche Explikation kann man wie üblich in unserem Lehrbuch für Junge Teufel, Kapitel 3047, Sektion 119, nachlesen). Wir haben innerkirchliche Verbündete (gar nicht mehr so rar gesät, heutzutage) eingesetzt, die vorher und nachher gezielt Provokationen an die Öffentlichkeit gebracht haben, um zu verhindern, dass der Papst seine Agenda anbringen kann, und dafür zu sorgen, dass sein Besuch ganz im Zeichen der üblichen, von uns herausgegebenen Diskussionsleitfäden steht, die heute in den Köpfen vieler kirchlicher Mitarbeiter zirkulieren. Wir haben dafür gesorgt, dass unsere vielen Verbündeten in den Medien ebenfalls fast nur diese Themen ansprechen, und dass sie alle Worte des Papstes, die nicht in dieses Muster passen, einfach ignorieren, oder schlicht uminterpretieren.
Schließlich haben wir versucht, die Reden und Ansprachen des Papstes zu pervertieren. Das ist uns aber nicht gelungen – er hat sich unseren Nachstellungen widersetzt. Sein Schutzengel war immer um ihn herum, wir kamen einfach nicht durch. Und eine starke Frauenhand drängte uns immer zur Seite – ich habe das schreckliche Gefühl, es könnte diese Maria gewesen sein, die uns seit vielen Jahrhunderten große Sorgen bereitet. Nur an einem kleinen Detail haben wir drehen können und eine Formulierung in seine Rede im Bundestag eingebaut, die für den oberflächlichen Betrachter nach einem Lob der Grünen Partei klingt – unserem treusten Verbündeten seit mindestens 25 Jahren im deutschen Parlament. So haben wir den Eindruck der sonst extrem gefährlichen Papstrede im Bundestag komplett verändert. Alle sprachen vom „Lob an die Grünen“ oder „an die Umweltbewegung“ und kaum noch jemand hörte, was er wirklich gesagt hat.
Der Papstbesuch war also eine riesige Bedrohung für uns, die wir haben abwenden können. Ich erwähne dies als Beispiel für meine These, dass es sinnvoll ist, die Früchte des Konzils weiter zu kultivieren, statt jetzt schon den von dir angeregten Strategiewechsel zu vollziehen. Die Früchte des Konzils sind so fest verankert, dass wir ohne große Mühe mit etwas Geschick fast alle Menschen im Westen von Gott, der Kirche und dem Papst abschirmen konnten.
Wir haben es durch die geschickte Manipulation der liturgischen Praxis geschafft, die Besucher der katholischen Messe trotz wirklicher Gegenwart ihres Erlösers und Gottes praktisch vollständig von den Gnaden abzuschirmen, die sie sonst dort empfangen können, und den Glauben an die Realpräsenz praktisch zum Erlöschen gebracht.
Wir haben es durch die geschickte Manipulation von Glaubensvermittlung und kirchlichen Medien und Schulen geschafft, dass heute kaum noch etwas über den christlichen Glauben bekannt ist, selbst unter sich selbst als „religiös“ sehenden Menschen. Und dass sie ihren Glauben nicht mehr vermitteln, weil er ja nur einer unter vielen ist.
Wir haben die kirchlichen Apparatschiks so vollständig im Griff, dass wir selbst eine ernste Bedrohung wie den Papstbesuch vollständig haben sublimieren können. Schon eine Woche nach der Abreise des Papstes war wieder „business as usual“, alles vergessen, was er gesagt hatte.
Die Liste der Erfolge ist schier endlos, und die Erfolge sind sehr robust. Viele von ihnen werden selbst das Abtreten der Generation, die uns diese Erfolge ermöglicht hat, überleben. Man bekommt die Zahnpasta eben leichter aus der Tube als wieder hinein, wie manche dieser Erdlinge zu sagen pflegen. Noch auf viele Jahrzehnte hinaus können wir uns sicher sein: Im Sektor Europa, besonders in Untersektion 13 (Deutschland), haben wir die Lage für den Fürsten der Unterwelt fest im Griff.
Es besteht sogar die Chance, wenn wir einige kleinere Wolken, die sich derzeit in der jüngeren Generation zu bilden scheinen, auch noch zerstreut bekommen, dass wir die Kirche in dieser Untersektion praktisch direkt an unsere Administration angliedern können – wie es uns schon mit weiten Teilen der Lutheraner gelungen ist. Dann werden wir wahrhaft gesiegt haben.
Das einzige Problem, das ich bei dieser Strategie sehe, ist, dass schon heute der Heilige Geist und die Mutter Gottes an einigen Ecken und Enden zu sägen begonnen haben. Doch die Minderheit, die diese Sägearbeiten ermöglicht und unterstützt, haben wir momentan unter Kontrolle.
Und das alles, nachdem derselbe Geist es uns verunmöglicht hatte, direkte Häresien in die Konzilstexte zu schreiben.
Ein Erfolg unserer Taktik auf ganzer Linie – und weil sie so erfolgreich war, sollten wir die Taktik beibehalten.
Gezeichnet:
Dein Generalsekretär Brutzel