Weise Worte…

Alasdaire MacIntyre schrieb vor gut 30 Jahren in seinem hervorragenden ethischen Grundlagenwerk „After Virtue“, dessen Absicht die Wiederbelebung aristotelisch orientierten Denkens in der säkularen Moralphilosophie war, folgende klare Worte über den Zustand der moralischen Gemeinschaft im modernen Westen und mögliche praktische Lösungsansätze für diese Krise:

„It is always dangerous to draw too precise parallels between one historical period and another; and among the most misleading of such parallels are those which have been drawn between our own age in Europe and North America and the epoch in which the Roman empire declined into the Dark Ages. Nonetheless certain parallels there are. A crucial turning point in that earlier history occured when men and women of good will turned aside from the task of shoring up the Roman imperium and ceased to identify the continuation of civility and moral community with the maintenance of that imperium. What they set themselves to achieve instead – often not recognizing fully what they were doing – was the construction of new forms of community within which the moral life could be sustained so that both morality and civility might survive the coming ages of barbarism and darkness. If my account of our moral condition is correct, we ought also to conculde that for some time now we too have reached that turning point. What matters at this stage is the construction of local forms of community within which civility and the intellectual and moral life can be sustained through the new dark ages which are already upon us. And if the tradition of the virtues was able to survive the horrors of the last dark ages, we are not entirely without grounds for hope. This time however the barbarians are not waiting beyond the frontiers; they have already been governing us for quite some time. And it is out lack of consciousness of this that constitutes part of our predicament. We are waiting not for a Godot, but for another – doubtless very different – St. Benedict.“

— Alasdaire MacIntyre, After Virtue

Eine grobe Übersetzung:

„Es ist immer gefährlich, zu genaue Parallelen zwischen einer historischen Periode und einer anderen zu ziehen; und unter den irreführendsten ist die Parallele zwischen unserer Zeit in Europa und Nordamerika und der Epoche, in der das Römische Reich in ein dunkles Zeitalter stürzte. Trotzdem gibt es manche Parallelen. Ein entscheidender Wendepunkt dieser früheren Geschichte geschah, als Männer und Frauen guten Willens sich von der Aufgabe abwandten, das Römische Reich zu stützen und damit aufhörten, die Fortführung von Zivilität und moralischer Gemeinschaft mit der Erhaltung dieses Reiches zu identifizieren. Was sie stattdessen zu erreichen unternahmen – oftmals ohne vollständig zu erkennen, was sie taten – war die Konstruktion neuer Gemeinschaftsformen, in denen das moralische Leben erhalten werden konnte, so dass sowohl Zivilität als auch Moralität die nahenden Zeiten des Barbarismus und der Dunkelheit überleben konnten. Wenn mein Bericht unserer moralischen Lage richtig ist, sollten wir auch zu derm Schluss kommen, dass wir seit einige Zeit diesen Wendepunkt erreicht haben. Worauf es in dieser Phase ankommt, ist die Konstruktion lokaler Formen von Gemeinschaft, in denen Zivilität und das geistige und moralische Leben durch die neuen dunklen Zeitalter hindurch erhalten werden können, in denen wir bereits leben. Und wenn die Tradition der Tugenden die Schrecken der letzten dunklen Zeitalter überleben konnte, dann gibt es Grund zur Hoffnung. Diesmal wartendie Barbaren jedoch nicht an den Grenzen, sondern sie regieren uns schon eine Weile. Und es ist das fehlende Bewusstsein dieser Tatsache, die einen Teil unserer misslichen Lage ausmacht. Wir warten nicht auf Godot, sondern auf einen – sicherlich ganz anderen – Hl. Benedikt.“

Dávila über Demokratie, Individualismus und Moderne

Zu den Werten und Folgen von Demokratie und Revolution:

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Das demokratische Programm wird in drei Etappen eingelöst: die liberale Etappe, welche die bürgerliche Gesellschaft begründet, deren Wesen uns die Sozialisten vermitteln; die egalitäre Etappe, die die sowjetische Gesellschaft begründet und über deren Wesen wir von der Neuen Linken erfahren; die brüderliche Etappe, deren Vorspiel die Drogensüchtigen liefern, die in kollektiven Haufen kopulieren.

Zum Verhältnis des modernen Menschen zur Freiheit:

Dem modernen Menschen ist es gleichgültig, in seinem Leben keine Freiheit zu finden, wenn er sie in den Reden jener verherrlicht findet, die ihn unterdrücken.

Zum modernen Individualismus:

Der doktrinäre Individualismus stellt keine Gefahr dar, weil er Individuen schafft, sondern weil er sie abschafft.

Das Produkt des doktrinären Individualismus des 19. Jahrhunderts ist der Massen-Mensch des 20.

Wissenschaft und Magie

Einen sehr interessanten und nur selten entdeckten Zusammenhang zwischen Magie und Naturwissenschaft stellt C.S. Lewis ganz beiläufig in einem seiner Meisterwerke her:

„There is something which unites magic and applied schience while separating both from the „wisdom“ of earlier ages. For the wise men of old the cardinal problem had been how to conform the soul to reality, and the solution had been knowledge, self-discipline, and virtue. For magic and applied science alike the problem is how to subdue reality to the wishes of men: the solution is a technique; and both, in the practice of this technique, are ready to do things hitherto regarded as disgusting and impious – such as digging up and mutilating the dead.“

– C.S. Lewis – The Abolition of Man

Übersetzung:

„Es gibt etwas, das Magie und angewandte Naturwissenschaft verbindet und gleichzeitig beide von der „Weisheit“ früherer Zeitalter trennt. Für die Weisen der Vergangenheit hatte das Hauptproblem  darin bestanden, die Seele mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, und die Lösung hatte gelautet: Einsicht, Selbstbeherrschung und Tugend. Für die Magie so gut wie für die angewandte Naturwissenschaft heißt das Problem, die Wirklichkeit den Wünschen der Menschen gefügig zu machen; die Lösung liegt in einer Technik. Und beide sind bei der Anwendung der Technik bereit, Dinge zu tun, die man bis dahin für widerlich und ruchlos betrachtete – wie etwa das Ausgraben und Verstümmeln von Leichen.“

– C.S. Lewis – Die Abschaffung des Menschen

Jesus und die Prohibition – „Vinum non habent“

„[H]aben wir vergessen, welches das erste Wunder Jesu war? Haben wir vergessen, daß es sich bei der Hochzeit zu Kana nur um die Aufhebung des Übels handelte: „Vinum non habent„, „sie haben keinen Wein mehr“? (…) Das Evangelium sagt: „Er offenbarte Seine Glorie und Seine Jünger glaubten an Ihn“. Die Kirche sieht in diesem Wunder vor allem die Offenbarung der Gottheit Christu. Aber es ist zugleich auch eine Offenbarung der grenzenlosen Fülle Seiner göttlichen Liebe. Das erste Wunder Jesu war weder die Heilung eines Kranken, noch das Geschenk eines hohen natürlichen Gutes, etwa das des Augenlichtes für den Blindgeborenen, nicht einmal ein unerläßliches Gut wie bei der Brotvermehrung. Die Verwandlung von Wasser in Wein war weder für das Paar,- noch für die Hochzeit als solche unerläßlich. Es diente nur der Erhöhung der Festesfreude. Dabei fehlte der Wein nicht völlig, nur seine Quantität war unzureichend. Göttlicher Überfluß! Christus, unser Erlöser, der uns ständig ermahnt, nur das „Eine Notwendige“ zu suchen, bezeugt ein solches Interesse daran, daß die Hochzeit in ungestörter Freude stattfinde und der Bräutigam nicht gedemütigt werde oder in Unruhe gerate, weil es nicht genug Wein gibt.

— Dietrich von Hildebrand – Der verwüstete Weinberg S. 138. Hervorhebungen von Catocon.

Spontane Frage: Wie konnten die Puritaner aus religiöser Motivation den Konsum von alkoholischen Getränken grundsätzlich ablehnen, wenn Jesus sogar Wunder wirkt, um mehr Wein herbeizuschaffen, der dann getrunken werden soll? Hätte Jesus für die Prohibition plädiert?

Es zeigt sich doch immer wieder, dass gerade die katholische Religion nicht nur die Fülle der übernatürlichen Glaubenswahrheiten besitzt, sondern auch alle echten Freuden und irdischen Glücksgüter – an dem ihnen angemessenen Platz – besitzt und ihr Genießen zulässt und fördert. Und mehr noch: Dass der Genuß der natürlichen Güter erst dann in besonderer Weise aufblüht und wirkliche Freude bringt, wenn er in dem vernünftigen Rahmen stattfindet, den die Kirche für ihn vorsieht.

Die wahre Kirche kann nur diejenige sein, die das Gute am natürlichen, diesseitigen Leben fördert und in den Kontext stellt, in dem es zur höchsten Entfaltung kommt, und zugleich das Schlechte am natürlichen, diesseitigen Leben erkennt, isoliert und nach Kräften bekämpft.

Chesterton über die Bedeutung der Familie

Kürzlich bin ich auf die folgende Passage gestoßen, während ich (mal wieder) eines der Meisterwerke eines Meisters, The Everlasting Man von G.K.Chesterton las. Auf seine unnachahmliche Weise drückt Chesterton hier wieder vieles aus, was geringere Autoren nur in angestrengter Prosa auf viele Seiten verteilt auszudrücken imstande wären. Im Anschluss eine sehr grobe Übersetzung des englischen Originaltextes aus eigener Hand.

„We can say that the family is the unit of the state; that it is the cell that makes up the formation. Round the family do indeed gather the sanctities that separate men from ants and bees. Decency is the curtain of that tent; liberty is the wall of that city; property is but the family farm; honour is but the family flag. In the practical proportions of human history, we come back to that fundamental of the father and the mother and the child.

(…)

If we are not of those who begin by invoking a divine Trinity, we must none the less invoke a human Trinity; and see that triangle repeated everywhere in the pattern of the world. For the highest event in history, to which all history looks forward and leads up, is only something that is at once the reversal and the renewal of that triangle. (…) The old Trinity was of father and mother and child and is called the human family. The new is of child and mother and father and is called the Holy Family. It is in no way altered except in being entirely reversed; just as the world which is transformed was not in the least different, except in being turned upside-down.“

— G.K. Chesterton, The Everlasting Man

Und hier eine grobe Übersetzung:

Wir können sagen, dass die Familie die Einheit des Staates ist; dass sie die Zelle ist, aus der das Gebilde besteht. Um die Familie herum sammeln sich tatsächlich die Heiligkeiten, die die Menschen von Ameisen und Bienen trennen. Anstand ist der Vorhang dieses Zeltes; Freiheit ist die Mauer dieser Stadt; Grundbesitz ist nur der Familienhof; Ehre ist nur das Familienbanner. In den praktischen Verhältnissen der Geschichte der Menschheit kommen wir auf diese Grundlage des Vaters, des Mutters und des Kindes zurück.

(…)

Wenn wir nicht zu denen gehören, die sich zu Anfang auf eine göttliche Dreifaltigkeit berufen, dann müssen wir und dennoch auf eine menschliche Dreifaltigkeit beziehen; and sehen dieses Dreieck überall im Muster der Welt wiederholt. Denn das höchste Ereignis der Geschichte, auf das alle Geschichte vorausblickt und zu dem sie hinführt, ist nur etwas, das zugleich die Umkehr und die Erneuerung dieses Dreiecks ist. (…) Die alte Dreifaltigkeit bestand aus Vater und Mutter und Kind und wird die menschliche Familie genannt. Die Neue besteht aus Kind und Mutter und Vater und wird die Heilige Familie genannt. Nichts ist verändert – nur ist es genau umgekehrt; genauso wie die transformierte Welt nicht im Geringsten anders ist, außer auf den Kopf gestellt.

Unpraktische Scholastiker

Die Haltung des durchschnittlichen modernen Menschen und oft genug selbst des durchschnittlichen Philosophen zur „mittelalterlichen“ Scholastik ist keine rationale Ablehnung einer bekannten Sache sondern basiert auf Unkenntnis und Vorurteilen. Das allein ist nicht schlimm – fast all unser Wissen basiert auf Vorurteilen, und wir können das aufgrund unserer Endlichkeit auch gar nicht verhindern.

Man sagt: Die mittelalterlichen Philosophen und Theologen sind ja so schrecklich unpraktisch. Sie debattierten jahrelang über die Frage wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden, und ignorieren alle wirklich bedeutenden Probleme, sie beschräftigen sich mit abstrakten Konzepten, die uns völlig absurd vorkommen und nichts bringen. Wir sind heute praktisch orientiert und verstricken uns niemals in sinnlose Debatten über Wesen oder Natur der Dinge.

Dazu Chesterton in seinem Buch „Heretics“:

Suppose that a great commotion arises in the street about something, let us say a lamp-post, which many influential persons desire to pull down. A grey-clad monk, who is the spirit of the Middle Ages, is approached upon the matter, and begins to say, in the arid manner of the Schoolmen, „Let us first of all consider, my brethren, the value of Light. If Light be in itself good–“ At this point he is somewhat excusably knocked down. All the people make a rush for the lamp-post, the lamp-post is down in ten minutes, and they go about congratulating each other on their unmediaeval practicality. But as things go on they do not work out so easily. Some people have pulled the lamp-post down because they wanted the electric light; some because they wanted old iron; some because they wanted darkness, because their deeds were evil. Some thought it not enough of a lamp-post, some too much; some acted because they wanted to smash municipal machinery; some because they wanted to smash something. And there is war in the night, no man knowing whom he strikes. So, gradually and inevitably, to-day, to-morrow, or the next day, there comes back the conviction that the monk was right after all, and that all depends on what is the philosophy of Light. Only what we might have discussed under the gas-lamp, we now must discuss in the dark.

(Chesterton: Heretics, 9)

Eine kleine, rohe Übersetzung von Catocon:

Nehmen wir an, auf der Straße entsteht eine große Aufregung über etwas, sagen wir über einen Laternenmast, den viele einflußreiche Personen abreißen möchten. Ein graugekleideter Mönch im Geiste des Mittelalters wird dazu befragt und beginnt in der trockenen Weise der Scholastiker zu sagen: „Lasst uns als erstes den Wert des Lichts bedenken. Wenn Licht an sich gut sei…“ Zu diesem Zeitpunkt wird er einigermaßen verständlich niedergeschlagen. Das ganze Volk stürmt nun zum Laternenmast, der Laternenmast ist in zehn Minuten abgerissen, und sie beglückwünschen sich für ihre unmittelalterliche Sachlichkeit. Aber die Dinge entwickeln sich nicht so leicht. Manche haben den Laternenmast abgerissen, weil sie ein elektrisches Licht wollten; manche, weil sie altes Eisen wollten; manche weil sie Dunkelheit wollten, denn ihre Taten waren böse; für manche war er zu sehr Laternenmast, für manche nicht genug; manche handelten, weil sie städtische Anlagen zerschlagen wollten; manche weil sie irgendetwas zerschlagen wollten. Und es herrscht Krieg in der Nacht, und niemand weiß wen er schlägt. Also, Stück für Stück und ausausweichlich, heute, morgen oder übermorgen, kommt die Überzeugung zurück, dass der Mönch recht hatte, und dass alles davon abhängt, was die Philosophie des Lichts ist. Nur was wir unter der Gaslaterne hätten diskutieren können, müssen wir jetzt im Dunkeln diskutieren.

Über Demokratie und Fortschritt

Zwei Zitate zum Thema „Demokratie und Fortschritt“:

Democracies are the blossoming of the aloe, the sudden squandering of the vital force which has accumulated in the long years when it was contented to be healthy and did not aspire after a vain display. The aloe is glorious for a single season. It progresses as it never progressed before. It admires its own excellence, looks back with pity on its earlier and humbler condition, which it attributes only to the unjust restraints in which it was held. It conceives that it has discovered the true secret of being ‚beautiful for ever,‘ and in the midst of the discovery it dies.

— James Anthony Froude

[Demokratien sind das Erblühen der Aloe, das plötzliche Verschleudern der Lebenskraft, die sich in den langen Jahren angesammelt hat, in denen sie zufrieden damit war, gesund zu sein und sich nicht eitel zur Schau zur stellen. Die Aloe ist prächtig für eine Jahreszeit. Sie schreitet voran, wie sie nie zuvor vorangeschritten ist. Sie bewundert ihre eigene Vortrefflichkeit, schaut mitleidig auf ihren früheren und demütigeren Zustand zurück, für den sie einzig die ungerechten Einschränkungen verantwortlich macht, in denen sie gehalten wurde. Sie stellt sich vor, dass sie das wahre Geheimnis der „ewigen Schönheit“ entdeckt hat – und mitten in dieser Entdeckung stirbt sie.]

Und noch eines meiner Lieblingszitate von C.S.Lewis

We all want progress. But progress means getting nearer to the place where you want to be. And if you have taken a wrong turning, then to go forward does not get you any nearer. If you are on the wrong road, progress means doing an about-turn and walking back to the right road; and in that case the man who turns back soonest is the most progressive man.

— C.S. Lewis

[Wie alle wollen Fortschritt. Doch Fortschritt bedeutet, dem Ort näher zu kommen, an dem man sein will. Und wenn man falsch abgebogen ist, dann kommt man nicht näher heran, indem man weiter vorwärts geht. Wenn man auf dem falschen Weg ist, bedeutet Fortschritt, umzukehren und auf den rechten Weg zurückzugehen; und in diesem Fall ist der Mensch, der zuerst umkehrt der fortschrittlichste Mensch.]