Die Homo-Ehe als Vorbote der Verfolgung

Man kann derzeit den deutschen Medien entnehmen, dass US-Präsident Barack Obama seine Meinung zur „Homo-Ehe“ geändert habe und diese nun unterstütze. Dies trifft auch auf die offizielle Position des Präsidenten zu – bisher hatte er immer die Auffassung vertreten, die Ehe sei zwischen Mann und Frau zu belassen. Doch ist die Rede von Obamas Gesinnungswandel hinsichtlich seines realen Verhaltens vollkommen irreführend. Schon 2008 hatte Obama sich gegen ein Referendum im Staate Kalifornien ausgesprochen, durch das die angeblich auch von Obama geteilte Haltung zur Frage der Homo-Ehe, in der Verfassung verankert werden sollte. Später, während seiner Amtszeit als Präsident, setzte er sich immer wieder für die Förderung der Anliegen der Homolobby ein. Noch vor wenigen Wochen sprach er sich gegen ein weiteres Referendum aus, diesmal im Bundesstaat North Carolina, das den Schutz der Ehe in der Verfassung verankert hätte.

Jetzt hat er also auch offiziell bestätigt, was jeder vorher schon wusste. Obama befürwortet den Abbau, nein sogar die Zerstörung, des christlichen Glaubens und aller Spuren christlicher Ethik. Er befürwortet nicht nur ein unbegrenztes Recht auf die Tötung von Kindern im Mutterleib, sondern geht noch weiter. Selbst das Verbot der Tötung geborener Kinder infolge fehlgeschlagener Abtreibungen, das in vielen US-Bundesstaaten vor einigen Jahren verabschiedet wurde, fand nicht die Zustimmung jenes antichristlichsten Präsidenten, den die USA jemals hatten. Zu seiner Zeit im Senat von Illinois stimmte er nicht nur gegen den „Born Alive Infants Protection Act“, sondern sprach vehement gegen dieses Gesetz im Senat von Illinois. Ein ähnliches Gesetz verabschiedete der US-Senat mit Zustimmung selbst der radikalsten anderen Abtreibungsbefürworter einstimmig. Doch Obama – damals noch in der Landespolitik – war vehement dagegen.

Obama befürwortet die staatliche Förderung von Abtreibungen – sie sind, wenn auch auf der politischen Opportunität geschuldeten Umwegen, in Obamas Krankenversicherungsgesetz inbegriffen. Obamas Kampf gegen die Freiheit der Kirche ist zwar in Deutschland weitgehend medial ignoriert worden, doch deswegen nicht weniger intensiv.

Die Liste könnte noch lange weitergeführt werden, doch Obamas gesellschaftspolitisches Streben ist von scharfer Feindschaft gegen die katholische Kirche und die anderen christlichen Gemeinschaften geprägt, selbst wenn er sich selbst als Christen bezeichnet. Doch was Obama unter Christentum versteht, kann jeder für sich herausfinden, wenn er sich die vom unheiligen Geist erleuchtete rassistische Hetzpropaganda eines Jeremiah Wright anhört. Obamas Familie lauschte über Jahre andächtig diesen Predigten. Erst als das im Jahr 2008 politisch problematisch für Obamas Wahlchancen wurde, distanzierte er sich in einem polittaktischen Manöver von Wright.

Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass ein Präsident, der sich in einem heftigen Kulturkampf gegen jegliche Form des authentisch Christlichen befindet, auch die sogenannte Homo-Ehe unterstützt.

Zugleich hat sich das Volk von North Carolina mit etwa 61% der Stimmen zugunsten der vorgeschlagenen Verfassungsänderung ausgesprochen, durch die die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau definiert wird. Sie haben den progressistischen Sozialingenieuren damit erst einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Doch bei einem staatlichen oder staatlich kontrollierten Schulwesen, wie es auch in den USA mehr und mehr üblich wird, ist die Umerziehung der nächsten Generation ja immer möglich. In zehn bis zwanzig Jahren wird Kritik an der „Homo-Ehe“ genauso unmöglich erscheinen wie heute Kritik an der Verhütungsmentalität, die ja selbst Konservative längst als wunderbaren Fortschritt akzeptiert haben. Die Zerstörer des christlichen Glaubens und die Streiter gegen das natürliche Sittengesetz gehen immer in Etappen vor. Zu jeder beliebigen Einzelfrage – ob Abtreibung, Homo-Ehe, Scheidung, Verhütung und was auch immer – äußern sie sich zuerst sehr negativ, dann zurückhaltend, dann abwartend, dann als ob es selbstverständlich wäre, und am Ende wird die Äußerung der „traditionellen“ Position gesellschaftlich oder gar strafrechtlich sanktioniert. Dieser Verlauf wird hier sehr treffend beschrieben:

Stage 1: “Oh please. Only a far-right-wing nutjob would make such a paranoid and ridiculous accusation – I suppose next you’ll accuse us of wanting to poison your precious bodily fluids!” [Bitte. Nur ein rechtsextremistischer Spinner würde mir einen solch paranoiden und lächerlichen Vorwurf machen – ich vermute, Sie werden uns als nächstes beschuldigen, dass wir Ihre Körperflüssigkeiten trinken wollen!]

Stage 2: “Well, I wouldn’t go as far as X. All the same, it’s good to be open-minded about these things. I mean, people used to think ending slavery was a crazy idea too…”

[„Nun ja, ich würde nicht so weit gehen wie X. Dennoch sollte man für diese Dinge offen sein. Ich meine, die Leute dachten ja auch, die Abschaffung der Sklaverei sei eine verrückte Idee…“]

Stage 3: “Hey, the Europeans have had X for years and the sky hasn’t fallen. But no, I admit that this backward country probably isn’t ready for X yet.”

[„Hey, die Europäer haben X schon seit Jahren und die Welt ist nicht untergegangen. Aber nein, ich gebe zu, dieses rückständige Land ist für X noch nicht bereit.“]

Stage 4: “Of course I’m in favor of X – it’s in the Constitution! Only a far-right-wing nutjob could possibly oppose it.”

[„Natürlich bin ich für X – es steht in der Verfassung! Nur ein rechtsextremistischer Spinner könnte überhaupt dagegen sein.“]

Stage 5: “You have the right to remain silent. Anything you say can be used against you in a court of law…”

[Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden…]

Ebenso sind heute die amerikanischen Konservativen gegen die Homo-Ehe. Doch auch hier kann man dieselben fünf Stufen beobachten. Sie verlaufen meist so – ebenfalls in dem oben verlinkten Artikel beschrieben.

Stage 1: “Mark my words: if the extreme left had its way, they’d foist X upon us! These nutjobs must be opposed at all costs.”

(„Merken Sie sich das: Wenn die extreme Linke sich durchsetzte, würden sie uns X aufzwingen. Diese Verrückten müssen um jeden Preis bekämpft werden.“)

Stage 2: “Omigosh, now even thoughtful, mainstream liberals favor X! Fortunately, it’s political suicide.”

(„Oh mein Gott, inzwischen sind selbst nachdenkliche, angesehene Liberale [in den USA gleichbedeutend mit „Linke, Anm. von Catocon] für X. Glücklicherweise ist das politischer Selbstmord.)

Stage 3: “X now exists in 45 out of 50 states. Fellow conservatives, we need to learn how to adjust to this grim new reality.”

(„X gibt es jetzt in 45 von 50 Staaten. Meine konservativen Freunde, wir müssen lernen, wie wir mit dieser harten neuen Realität umzugehen.“)

Stage 4: “X isn’t so bad, really, when you think about it. And you know, sometimes change is good. Consider slavery…”

(„X ist wirklich nicht so schlimm, wenn man darüber nachdenkt. Und, wissen Sie, manchmal ist Veränderung gut, wie bei der Sklaverei…“)

Stage 5: “Hey, I was always in favor of X! You must have me confused with a [paleocon, theocon, Bible thumper, etc.]. But everyone knows that mainstream conservatism has nothing to do with those nutjobs…”

(Hey, ich war immer für X! Sie müssen mich mit einem [Traditionalisten, Anhänger eines Gottesstaates, radikalen Bibelklopfer usw.] verwechseln. Aber jeder weiß, dass angesehen Konservative mit diesen Verrückten nichts zu tun haben…“)

Diese zwei Fünfstufenprogramme klappen immer. Graduell verwandeln sich die beiden akzeptablen gesellschaftlichen Positionen und sie verschieben sich immer weiter nach Links, hin zur Auflösung traditioneller, gewachsener Strukturen, besonders wenn es sich um christliche Strukturen handelt. Die Säure der Moderne frisst sich durch das gesellschaftliche Gewebe immer weiter durch, bis nichts mehr übrig ist, oder das halb aufgelöste Gewebe reißt. Und „Konservative“ können und wollen nichts dagegen tun, weil sie bloß bewahren.

Die Progressiven machen Fehler, und die Konservativen verhindern, dass sie korrigiert werden. Diese Einsicht hatte schon Chesterton.

Im November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Obama hat sich als entschlossener Gegner des Christentums und des Naturrechts längst etabliert. Sein wahrscheinlicher Herausforderer, der Mormone Mitt Romney, steht den Finanzkapitalisten sehr nahe und gilt ansonsten als inhaltlich unendlich flexibel. Bis vor wenigen Jahren erklärte Romney öffentlich, er sei für das Recht auf Abtreibung, und er unterstützte auch sonst jede progressivistische Haltung, die man nur haben kann. Seit er republikanischer Präsidentschaftskandidat geworden ist, gibt er sich plötzlich als Konservativer aus.

Natürlich ist Romney nicht konservativ, sondern bloß ein Freund des Großkapitals. Deshalb wird er auch große Schwierigkeiten haben, die republikanische Basis, besonders in entscheidenden Bundesstaaten wie Ohio, Pennsylvania, Florida, Virginia und North Carolina, die allesamt gesellschaftspolitisch eher konservativ ausgerichtet sind, obwohl sie 2008 für Obama gestimmt haben, zu mobilisieren. Und die politische Mitte wird ein uncharismatischer Managertyp mit großer Affinität zu den Finanzhaien von der Wall Street sicher nicht anziehen.

Vier weitere Jahre für Obama sind also der derzeit wahrscheinlichste Ausgang. Und wenn Obama sich nicht mehr um die Wiederwahl sorgen muss, wird es mit der Hatz auf die christliche Sittlichkeit und den christlichen Glauben erst so richtig losgehen.

Es bleibt zu hoffen, dass die amerikanischen Christen sich nicht in vorauseilendem Gehorsam selbst zum Schweigen bringen werden, wie es ihre europäischen Glaubensgenossen weitgehend getan haben.

Trittsteine des Glaubens (Teil 3)

Dies ist der dritte Teil der kürzlich angekündigten Serie. Ich werde vorläufig zehn Bücher kurz vorstellen (und dadurch natürlich auch empfehlen), die mir bei meinem Weg vom Atheismus bis zum katholischen Glauben der Päpste und des Lehramts geholfen haben. Die Reihenfolge ist teilweise chronologisch nach dem Zeitpunkt, an dem ich auf die Bücher gestoßen bin, doch im Grunde eher willkürlich. Natürlich sind Einschätzungen und Auswahl subjektiv gefärbt.

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7. C.S. Lewis – The Great Divorce

Ein weiteres Buch von C.S. Lewis, wiederum im Dunstkreis von Himmel und Hölle. Es handelt von einem „Reisenden“, der aus einer schrecklichen, tristen Stadt auf einen Tagesausflug in eine idyllisch wirkende, lichte, doch bei näherer Betrachtung scheinbar unbewohnbare Landschaft geht. Es stellt sich heraus, dass jeder Reisende eingeladen ist, doch einfach zu bleiben, doch fast alle entscheiden sich dagegen. In einer Reihe von Gesprächen erfährt der Protagonist immer mehr über diese Landschaft, findet heraus, dass er sozusagen in der Scheidewand zwischen Himmel und Hölle steht, dass die Menschen in der tristen Stadt die Verdammten sind, die sich trotz ständiger Einladung weigern, die Reise in den Himmel zu unternehmen und dort zu bleiben. Das ganze Werk ist ein großes Gleichnis für das menschliche Leben auf Erden, das immer entweder auf dem Weg in den Himmel zur ewigen Schau des Angesichts Gottes, oder auf dem Weg in die Verdammnis sind. Es ist ein ungemein erhellendes Werk für einen ehrlichen Suchenden, der sich mit den Problemen befasst, die das christliche Weltbild aufwirft.

8. G.K. Chesterton – Orthodoxy

Wenn Mere Christianity das erste Buch war, das mich vermuten ließ, das Christentum können wirklich wahr sein, so war Orthodoxy, etwa zwei Jahre später erstmals von mir entdeckt, das erste Buch, das mich vom christlichen Glauben überzeugt hat. Chestertons unnachahmlicher Stil (Übersetzungen kenne ich keine, halte sie auch kaum für möglich, da dabei dieser Stil verloren geht) vermittelt nicht nur anschaulich die Wahrheit des christlichen Glaubens in groben Zügen, sondern weckt auch einen Enthusiasmus für ihn. Orthodoxy ist eines von den Büchern, die man immer wieder liest, weil sie einfach immer wieder faszinierend sind. Ein weiteres Meisterwek des 20. Jahrhunderts.

9. G.K. Chesterton – The Everlasting Man

Ein weiteres Buch von Chesterton, in dem er auf seine besondere Weise zwei Brüchen in der Geschichte der Welt nachgeht: Dem Sprung vom Tier zum Menschen und den Sprung vom Menschen zu Christus. Es geht Chesterton darum, dass der Mensch, wie auch immer es mit der Evolution seiner biologischen Anteile, d.h. seines Körpers, stehen mag, sich fundamental vom Tier unterscheidet, und zwar in einer Weise, die weder langsam durch evolutionäre Veränderungen noch irgendwie anders rein natürlich zu erklären ist. Und im zweiten Teil will er zeigen, dass der Mensch namens Jesus ebenfalls nicht als Mensch, nicht einmal als besonders guter Mensch, zu verstehen ist. Seine These: Wenn wir annehmen, dass der Mensch bloß ein weiteres Tier ist, gelangen wir zu völlig verrückten Schlussfolgerungen, die weniger wahrscheinlich sind, als wenn wir eine übernatürliche Erklärung annehmen. Und ebenso verfährt er mit Jesus: Nehmen wir ihn bloß als Menschen, verstricken wir uns in absolut unglaubliche Vorstellungen, die, wenn wir sie durchdenken, darin resultieren, dass die Hypothese „Jesus ist bloß Mensch“ nicht ausreichend ist. Im letzten Kapitel deutet er ein ähnliches Verfahren noch für die Institution Kirche an, die eigentlich, nach menschlichem Ermessen, schon längst hätte untergehen müssen, aber irgendwie immer wieder auflebt, wenn man sie schon für tot erklären möchte. The Everlasting Man ist Chestertons zweites großes „theologisches“ Meisterwerk und kann gar nicht genug empfohlen werden.

10. Mark Shea – By What Authority?

Mark Shea, ein katholischer Blogger und Konvertit aus den Vereinigten Staaten, hat neben unzähligen witzigen, allgemeinverständlichen und doch sehr informativen apologetischen Artikeln zum christlichen und katholischen Glauben und viele andere Themen, auch ein Buch über die Frage nach der Autorität der Kirche geschrieben. Wenn ich einem ernsthaften, gläubigen Protestanten ein einziges Buch empfehlen sollte, dann wäre es dieses. Shea, selbst ein ehemaliger (evangelikaler) Protestant, war immer fest von „sola scriptura“ überzeugt und hielt den Papst und das katholische Lehramt für überflüssige, nachträgliche Hinzufügungen zum reinen christlichen Glauben. Als er jedoch den ernsthaften Versuch unternahm, seinen Glauben gegen die Anwürfe von Nichtgläubigen, entmythologisierenden Theologen und radikalen historisch-kritischen Bibelfledderern zu verteidigen, geriet er ins Zweifeln. Denn seine Argumente basierten alle auf der Bibel, doch woher stammt die Bibel? Über die Frage nach dem Kanon des Neuen Testaments gelangt er zu der Einsicht, dass er sie einzig der bindenden Festlegung der Kirche verdankt, dass also die Bibel auf dem unfehlbaren Lehramt der Kirche beruht, und also ohne dieses Lehramt kein sicheres Fundament des christlichen Glaubens zu bieten vermag. Doch wenn man das Lehramt der Kirche annimmt, muss man auch das annehmen, was es lehrt. Und also, nach langem Zögern und Zaudern, gelangt Shea zur katholischen Kirche.

Als ich dieses Buch erstmals las, war ich fest vom Christentum überzeugt, doch welcher Kirche sollte ich beitreten? Ich war als Kind evangelisch getauft worden, und daher lag der Protestantismus nahe. Dieses Buch präsentiert schlüssige Argumente, warum der Protestantismus nicht wahr sein kann.

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Hiermit endet meine kurze Vorstellung von zehn Büchern, die mir auf dem Weg zum katholischen Glauben geholfen haben. Natürlich könnte ich noch mindestens zehn bis zwanzig weitere (wahrscheinlich noch mehr) erwähnen, und selbstverständlich sind Bibel, Katechismus und lehramtliche Dokumente sehr wichtig für mich geworden, nachdem ich einmal den christlichen Glauben akzeptiert hatte. Ich hoffe, dass diese Empfehlungen hilfreich sind. Wenn ich Zeit habe, wird noch ein Teil über Internetseiten folgen.

Trittsteine des Glaubens (Teil 2)

Dies ist der zweite Teil der kürzlich angekündigten Serie. Ich werde vorläufig zehn Bücher kurz vorstellen (und dadurch natürlich auch empfehlen), die mir bei meinem Weg vom Atheismus bis zum katholischen Glauben der Päpste und des Lehramts geholfen haben. Die Reihenfolge ist teilweise chronologisch nach dem Zeitpunkt, an dem ich auf die Bücher gestoßen bin, doch im Grunde eher willkürlich. Natürlich sind Einschätzungen und Auswahl subjektiv gefärbt.

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3. C.S. Lewis – The Abolition of Man (dt. Die Abschaffung des Menschen)

C.S. Lewis wird den meisten Lesern ein Begriff sein. Die drei Vorlesungen, die in diesem Buch gesammelt sind, stellen zusammen ein absolutes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts dar. Lewis geht von einem ganz unschuldigen Beispiel in einem britischen Schulbuch seiner Zeit aus, und analysiert von daher das Grundübel der heutigen Philosophie heraus. Es geht generell um die Ablehnung objektiver, bindender, absoluter moralischer Wahrheiten (Lewis nennt sie das „Tao“). Er zeigt in einem Anhang auf, dass sich die moralischen Vorstellungen der menschlichen Hochkulturen aller Teile der Welt kaum voneinander unterscheiden, und ihnen ein wirkliches gemeinsames Gesetz zugrunde liegt. Dass das „Tao“ in der Praxis nicht befolgt wird, ist eine Binsenweisheit. Doch dass es auch theoretisch geleugnet wird, nicht nur von einigen wirren Philosophen, sondern auf breiter Front, ist eine Innovation der Moderne. Wohin es führt, wenn man das „Tao“, oder auch nur ein Teil desselben, einfach ignoriert oder nach seinem eigenen Willen zu verändern versucht, zeigt Lewis ebenfalls. Alles in allem wiederum kein explizit christliches Buch, aber eine sehr hilfreiche Vorbereitung auf das Christentum. Als ich es erstmals las, war ich bereits zu dem Schluss gelangt, dass das Christentum wahrscheinlich der Wahrheit entsprach, und dieses Buch bestärkte mich darin.

4. C.S. Lewis – Mere Christianity (dt. Pardon, ich bin Christ)

Endlich einmal ein Buch, das nicht nur von einem Christen geschrieben ist, sondern das auch noch vom Christentum handelt. (Der Titel der deutschen Übersetzung ist vollkommen missraten, und die Qualität der Übersetzung, die ich inzwischen teilweise gelesen habe, lässt auch eher zu wünschen übrig. Es empfiehlt sich die Lektüre des Originals.) Für mich ist dies in etwa das wichtigste Buch, das ich je gelesen habe. Als ich etwa im Jahr 2007 durch verschiedene Überlegungen und Erfahrungen mit dem atheistischen Denken, gleich ob von „links“ oder von „rechts“, mit allen möglichen Ideologien unzufrieden war, und sehr viele moralische Ideen des Christentums als nützlich und plausibel ansah, stieß ich durch Zufall auf einer englischen Internetseite, auf der eine protestantische Version des Christentums vertreten wurde, auf einen Link zum Text dieses Buchs. Ich begann zu lesen und als es am nächsten Morgen hell wurde, hatte ich das Buch durch. Lewis stellt den christlichen Glauben nicht vollständig dar, und er vermag auch nicht alle Fragen zu beantworten, aber was er darstellt, eine Art sachlich und rational begründetes Grundgerüst christlicher Glaubensinhalte, ist sehr überzeugend. Nach der Lektüre dieses Buchs stelle ich mir zum ersten Mal in meinem Leben die Frage, ob diese Geschichte wirklich wahr sein könnte. Nicht nur schön oder nützlich, sondern den Tatsachen entsprechend.

Es beantwortete diese Frage nicht, aber es machte mich zu einem echten Suchenden, zu jemandem, der wirklich wissen wollte, ob das Christentum wahr oder falsch war. Ich kann es gar nicht genug empfehlen.

5. C.S. Lewis – The Problem of Pain

Eines der größten Probleme, mit denen sich christliche Denker immer beschäftigt haben, ist das Problem des Bösen. Christen behaupten, Gott sei gut und allmächtig. Es gibt aber Böses in der Welt. Entweder Gott ist allmächtig, dann kann er nicht gut sein, weil er Böses zulässt, oder Gott ist gut, dann aber nicht allmächtig, wiederum weil er Böses zulässt. Für viele Atheisten und Zweifler ist dies ein sehr großes Problem. Auch ich rang mit dieser Frage, als ich erstmals ernsthaft überlegte, ob das Christentum wahr sein könnte. In diesem Buch findet sich die beste zusammenfassende und doch relativ allgemeinverständliche Darstellung zu dem Thema, die ich kenne. Lewis begründet überzeugend, warum Gott das Böse zulässt, obwohl er gut und allmächtig ist, und begründet auch, warum wir manchmal nicht verstehen können, warum Gott dieses oder jenes Übel nicht verhindert. Ein weiteres sehr bedeutendes Buch für jeden Suchenden.

6. C.S. Lewis – The Screwtape Letters

Wo wir gerade bei Lewis sind, nenne ich noch eine weitere Schrift. Screwtape, ein Teufel in der mittleren Verwaltung der Höllenhierarchie, schreibt Briefe an einen jungen Verführer, dessen Aufgabe darin besteht, die Seele eines ganz normalen Briten in die Hölle zu führen. Diese Ausgangslage dient als Hintergrund für ein sehr informatives und unterhaltsames Gedankenspiel, das aus der verkehrten Perspektive resultiert. Was Screwtape lobt, sollte der Mensch meiden, und was er kritisiert, kann so schlecht nicht sein. Die in dem Werk hervortretende Weltsicht ist die eines ewigen geistlichen Kampfes zwischen Gott und dem Teufel um die Seelen der Menschen, in dem der Teufel den Menschen zu seinem eigenen Nutzen verführt, ihn belügt und betrügt. Als ich dieses Buch las, war ich noch kein überzeugter Christ, aber dieses Weltbild schien mir äußerst plausibel, weil es eine große Menge alltäglicher Erfahrungstatsachen zu erklären vermag. Aufgrund der satirischen „Verpackung“ wirkt es auch nicht abstoßend, sondern eher unterhaltsam, auf Leser, die die religiösen Prämissen des Buches nicht teilen, was es fast schon zu einem katechetischen Werkzeug machen könnte, wenn man es richtig zu gebrauchen versteht.

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Soweit der zweite Teil dieser kleinen Empfehlungsreihe.

Trittsteine des Glaubens (Teil 1)

Dies ist der erste Teil der kürzlich angekündigten Serie. Ich werde vorläufig zehn Bücher kurz vorstellen (und dadurch natürlich auch empfehlen), die mir bei meinem Weg vom Atheismus bis zum katholischen Glauben der Päpste und des Lehramts geholfen haben. Die Reihenfolge ist teilweise chronologisch nach dem Zeitpunkt, an dem ich auf die Bücher gestoßen bin, doch im Grunde eher willkürlich. Natürlich sind Einschätzungen und Auswahl subjektiv gefärbt.

Später wird dann noch ein Teil über Internetseiten folgen, doch schon die zehn Bücher machen drei Artikel aus, von denen hier der erste folgt:

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1. J.R.R. Tolkien – The Lord of the Rings (dt.: Der Herr der Ringe)

Was soll dieses Buch auf einer Liste hilfreicher Bücher auf dem Weg zum christlichen Glauben? Tolkien selbst war so tief durchdrungen von seinem christlichen und katholischen Glauben, dass sich diese Durchdrungenheit auf alle seine Werke, und besonders auf dieses Monumentalwerk erstreckt hat. Das Buch selbst kommt zwar nicht christlich daher, und das Christentum taucht gar nicht auf, doch an jeder Ecke begegnet dem aufmerksamen Leser eine zutiefst christliche Sicht von Konzepten wie Hoffnung, Vertrauen, der Welt und der Geschichte als bedeutsame Erzählung oder „Abenteuer“, ein sehr christliches Verständnis von Heldentum (Opfer für den Anderen) und vieles mehr. Dies, verbunden mit der hervorragenden literarischen Umsetzung, macht das Buch zu einer Art intuitiver Einführung in das Christentum: Es vermittelt keine Dogmen und es predigt nicht, aber es vermittelt eine stark christlich geprägte Lebenseinstellung.

Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass ich durch die Lektüre dieses Buches erstmals bemerkt habe, dass dem Leben eines Atheisten, das ich bisher geführt hatte, etwas ganz Fundamentales fehlte. Denn die erwähnten literarisch verarbeiteten Konzepte, auf denen die ganze Anziehungskraft eines solchen Werkes basiert, ergeben im Rahmen einer atheistischen, materialistischen Weltsicht einfach keinen Sinn. Weil es für mich persönlich auf dem Weg sehr wichtig war, und es die erwähnten Qualitäten besitzt, kommt es hier in die Liste, obgleich es kein „christliches“ Buch ist. Aber wir brauchen auch nicht „christliche Bücher“ (Bücher über das Christentum), sondern „christliche Autoren“ (Bücher von Christen über alles mögliche, in denen die spezifisch christliche Weltsicht ganz selbstverständlich, geradezu beiläufig, vermittelt wird).

2. Theodore Dalrymple (Pseudonym) – Our Culture, What’s Left of It

Ein weiteres nicht-christliches Buch, diesmal sogar von einem nicht-christlichen (agnostischen) Autor, der jedoch, ohne es selbst so recht zu merken, den Boden für das Christentum bereitet. Er schreibt gar nicht über Religion, und nicht einmal direkt über Moral, sondern über den Verfall der westlichen Kultur, über Verrohung der Sitten und Gleichgültigkeit gegenüber Werten aller Art. Als weitgereister, kultivierter, belesener Mann, der viele Jahre lang in England als Gefängnisarzt in einem „Problemviertel“ gearbeitet hat, verfügt er über einen reichen Erfahrungsschatz, aus dem er für seine Einsichten schöpft. In einer großen Zahl kleinerer Aufsätze beschreibt er die Probleme unserer Zeit und die irregeleiteten Versuche, sie durch staatliche Eingriffe und Vorschriften zu lösen. Für Dalrymple ist der Wohlfahrtsstaat an vielem schuld und gehört weitgehend abgeschafft. Doch er erkennt, anders als viele andere Gegner sozialdemokratischer Ansichten, dass die Lösung nicht einfach in „mehr Markt und weniger Staat“ liegt, weil auch eine reine Marktwirtschaft noch immer mit den Herzen der Menschen zu tun hätte, die eben nicht gut und rein sind. Dalrymple kennt das Konzept der „Erbsünde“, obgleich er es als Ungläubiger ablehnt. Er spricht von der „allegorischen Wahrheit“ der „Doktrin der Erbsünde“, nämlich dass das Böse immer im Herzen der Menschen wohnt. Für ihn gibt es keine Lösung, er verkündet keine frohe, sondern eher eine bittere Botschaft und ruft durchweg zur Verteidigung der westlichen Kultur auf, die er als Bollwerk gegen die Barbarei sieht, das von Barbaren nicht bloß vor den Toren, sondern besonders im Innern der Festung bedroht sieht.

Die Lektüre dieses Buches hat mich persönlich davon überzeugt, dass das Böse tatsächlich praktische Realität ist, die weder durch staatliche, noch durch marktliche Reformen oder irgendeinen „Fortschritt“ jemals beseitigt werden kann (bzw. diese Einsicht gestärkt). Ferner kann man zu der Erkenntnis gelangen, dass die westliche Kultur, die nun einmal unausweichlich auch eine christliche Kultur ist, unbedingt bewahrenswert ist. Es ist daher ein unbewusster Beitrag eines Agnostikers, durch den dem Evangelium der Weg bereitet wird, denn das Evangelium ergibt keinen Sinn, wenn man nicht vorher die verzweifelte Lage erkannt hat, in der die Menschen sich durch ihre Sünden begeben haben.

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Soweit der erste Teil dieser Empfehlungsreihe.

Der Irrweg der Experten und die Soziallehre

Von Ideologien ist heute nicht mehr viel die Rede. Alle politischen Parteien verkaufen sich als technische Problemlöser ohne feste Grundüberzeugungen, wir leben in einer Zeit der Macher, die eben nicht viel übrig haben für rigide Theoriegebäude, wie sie von überzeugten Liberalen und Sozialisten vertreten werden. Zumindest ist das die Selbstdarstellung der Politiker und Medienleute. Es geht mehr um Sachverstand als um Grundsätze. Politik will sich heute mehr denn je „wissenschaftlich“ geben und die daraus erwachsende Verschränkung des politischen, medialen und universitären Raums zu einer einheitlichen „Expertokratie“ wird eher als Fortschritt denn als Problem gesehen.

Doch schon der Durchschnittsbürger, der sich wenig mit Politik beschäftigt und nicht viel über die fachlichen Fragen weiß, mit denen sie sich heute herumschlägt, ahnt dunkel etwas davon, dass es um den Sachverstand der Politiker und ihrer weithin unbekannten Vordenker und Hintermänner nicht allzu gut bestellt ist. So erkennt eine große Mehrheit der Deutschen intuitiv die Phrasenhaftigkeit und geistige Leere, die hinter dem großen Expertenkult steckt. Verantwortung für große Grundsatzentscheidungen wird abwechselnd auf die Meinung der Experten oder auf unmittelbaren Sachzwang abgeschoben. Sachverstand wird ersetzt durch den Anschein desselben.

Ist diese Intuition des einfachen Bürgers falsch? Gibt es inzwischen wirklich eine sachverständige Elite, welche die Geschicke des Staates und der Gesellschaft besser zu lenken versteht, als die einfachen Bürger? Wenn unter Berufung auf das Urteil der Ökonomen – ob einheillig oder nicht – die weitgehende Abtretung nationaler Souveränität und sogar des hart von den Königen und Kaisern erkämpften Budgetrechts an eine weder demokratisch noch anderweitig legitimierte kleine Gruppe von Menschen gerechtfertigt wird, dann liegt dieser Schluss nahe. Ebenso wenn unter Berufung auf das Urteil der Pädagogen und Kinderpsychologen immer mehr Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht vorgenommen werden, um etwa „Kinder aus bildungsfernen Schichten“ vor dem drohenden Unheil materieller und geistiger Rückständigkeiten zu bewahren. Den größten Sieg des Expertenkultes finden wir jedoch bei der Debatte um den sogenannten Klimawandel. Ein internationales Wissenschaftlergremium, das International Panel on Climate Change (IPCC), spricht unter Berufung auf eine Vielzahl von Klimaforschern von einer gefährlichen Erwärmung des Klimas auf der Erde. Und unter Berufung auf das Urteil der Experten soll nach dem Willen der Befürworter dieser Entwicklungen eine radikale Reform der Weltwirtschaft geschehen, durch die die Gefahr für das Weltklima so weit wie möglich minimiert werde.

Diese drei Beispiele mögen genügen, doch viele weitere ließen sich anführen. In jedem Falle wird unter Berufung auf den überlegenen Sachverstand der Experten eine Entdemokratisierung angestrebt. Man handelt schließlich aufgrund von Sachzwängen und ist ausgestattet mit wissenschaftlich bewiesenen Vorstellungen.

Lassen wir die eindeutige Tatsache, dass es in der Naturwissenschaft gar keine „Beweise“ geben kann, sondern nur Wahrscheinlichkeiten, und dass deshalb jede Theorie falsifizierbar sein muss, damit sie überhaupt als eine naturwissenschaftliche Theorie gelten darf, einmal beiseite und konzentrieren uns nur auf die verwandte Frage, ob eine solche Expertenherrschaft wirklich einen Schritt in die richtige Richtung darstellt. Dies ist der Fall, wenn der Experte wirklich über einen einschlägigen größeren Sachverstand verfügt. Ist der Experte wirklich einer, der es besser weiß, dann wäre es nur vulgärer Antiintellektualismus, begehrte man gegen seine weisen Worte und Empfehlungen auf. Doch weiß „es“ der Experte in der heutigen politischen Diskussion wirklich besser?

Die naheliegende Antwort ist: Es kommt auf das Thema und den Experten an. Manche wissen wirklich bescheid, andere nicht, und in manchen Fragen weiß der Experte mehr, nämlich wenn es um sein Fachgebiet geht, und in anderen wiederum womöglich nicht. Diese Antwort ist natürlich nicht falsch. Aber sie ist auch nicht vollständig. Denn wenn wir spezifisch nach „politischen“ Diskussionen fragen, dann müssen wir hinzufügen, worin denn die Natur spezifisch politischer Diskussionen besteht.

Um die Frage nach der Rechtfertigung von Politik unter Berufung auf Experten und Sachzwänge beantworten zu können, ist daher eine Antwort auf die Frage nach der Natur des politischen Diskurses notwendig. Was ist überhaupt Politik? Die Natur einer Sache läßt sich aus ihrem Zweck erkennen. Wofür ist also Politik da? Dem Leser fallen hier sicherlich ziemlich viele Aufgaben ein: Landesverteidigung, Rechtssprechung, je nach politischer Ausrichtung auch die Bereitstellung von Schulen oder allgemein wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen. Doch das sind nur nachgeordnete Zwecke der Politik. Sie rechtfertigen sich wieder durch innerpolitische Argumente. Auch sie sind wieder „für etwas da“, haben einen Zweck. Bereitstellung von Landesverteidigung und einer verlässlichen Rechtssprechung sind einzelne Aufgaben des Staates, aber nicht der Zweck des Staates. Sie sind die Mittel und Wege, durch die Staaten ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen versuchen. Manche dieser Mittel und Wege sind unstrittig, wie die Landesverteidigung, andere sind strittig, wie bestimmte sozialpolitische Maßnahmen, aber sie alle werden von ihren Befürwortern gerechtfertigt unter Berufung auf etwas, das in der Regel „Gemeinwohl“ genannt wird. Dieser abstrakte Begriff ist von vielen politischen Theoretikern und Praktikern bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden, so dass er heute einen negativen Beiklang besitzt. Was ist nicht alles im Namen des Gemeinwohls gerechtfertigt worden! Es scheint, als ob die Gemeinschaft ohne Gemeinwohl besser dran wäre. Doch der Missbrauch einer Sache schließt nicht den korrekten Gebrauch aus. Wir sollten nicht „das Kind mit dem Bade“ ausschütten.

Gemeinwohl bezieht sich auf das (irdische) Wohl der Gemeinschaft. In der christlich geprägten Tradition des Westens gab es immer schon eine klare Unterscheidung zwischen dem Staat, dessen Zweck ein rein Diesseitiger ist, und der Kirche, welche auch und vor allem für das Heil der Seelen verantwortlich ist. Natürlich spielt die Sorge um das Heil der Seelen in mancher Frage – nämlich in Glaube und Sittenlehre – in weltliche Angelegenheiten herein, und umgekehrt sind die weltlichen Dinge nicht unbedeutend für das Seelenheil der Menschen, so dass diese Trennung keine strikte und absolute sein kann. Sprechen wir im politischen Sinne von Gemeinwohl, so kann nur das irdische Wohl der Menschen, der Individuen und ihrer Familien gemeint sein. Doch etwas gereicht einem Menschen zum Wohl, wenn es gut für ihn ist. Die Frage nach dem Guten, und zwar dem Guten in einem spezifisch ethischen Sinne, kommt über das Gemeinwohl unweigerlich in die Politik. Denn es reicht für das Gemeinwohl eben nicht, wenn etwas nur „gut für mich“ oder „gut für dich“ ist – das ist purer Egoismus. Ebenso ist es nicht ausreichend, wenn etwas „gut für die Mehrheit“ ist, denn es kann aus der Sicht der Mehrheit durchaus gut sein, andere Menschen auszurotten oder ihnen das Leben schwerer als nötig zu machen. Und dass etwas „gut für alle“ sein könnte, dass also alle Menschen einer Gesellschaft eine bestimmte Handlung zugleich als für sie selbst gut einstufen könnten, ist vollkommen utopisch. Wir benötigen also für die Frage nach dem Gemeinwohl eine Begrifflichkeit des „objektiv Guten“ – dessen, was nicht für irgendjemanden oder irgendetwas gut ist, sondern gut als Solches, oder gut an sich. Etwas also, dass für den Menschen gut ist, insofern er nicht irgendetwas anderes ist, sondern eben ein Mensch. Diesen Begriff des Guten nennen wir aber einen „ethischen“ Begriff.

Dies schließt freilich nicht aus, dass im Gemeinwohl auch einige nichtethische Zusammenhänge ihre Rolle und ihren angemessenen Platz haben könnten. Aber ohne einen Begriff vom moralisch Guten können wir das Gemeinwohl nicht definieren. Ohne Moral kein Gemeinwohl, und ohne Gemeinwohl keine Politik. Moral ist die Voraussetzung des Gemeinwohls und Gemeinwohl ist der Zweck der Politik. Daraus folgt streng logisch: Ohne Moral ist Politik zwecklos. Moral ist entscheidender Bestandteil der Politik. Politik befasst sich mit der Verwirklichung des moralisch Guten im menschlichen Zusammenleben nach irdischem Maß.

Nun zeichnet sich aber die Moral gerade dadurch aus, dass es in ihr keine Experten gibt, die sich diesen Expertenstatus durch irgendein intellektuelles Wissen erworben hätten. Kein Diplom und kein Abschluss macht einen Menschen zu einem besseren Menschen, sondern höchstens zu einem gebildeteren Menschen, was etwas ganz anderes ist, wie uns spätestens die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte gelehrt haben müsste. Der Experte ist derjenige, der den Gegenstand besser kennt als der Nicht-Experte. Der einzige Experte in der Moral ist also der tugendhafte moralische Mensch, dem das moralische Gesetz zur zweiten Natur geworden ist. So ein Mensch dürfte selten genug sein, und er ist an Universitäten gewiss nicht häufiger als woanders.

In der Moral können alle Menschen mitreden, weil jedem Menschen das moralische Gesetz ins Herz geschrieben ist, und jeder Mensch gleichermaßen dazu fähig ist, den Antreiben des Gewissens zu folgen oder sie im Laufe der Jahre immer schwächer wetrden zu lassen, bis die Stimme des Gewissens letztlich von dem wilden Kreischen der niederen Gelüste und Antriebe übertönt und damit unhörbar geworden ist. Alle Menschen sind ihren Fähigkeiten und Anlagen nach gleichermaßen moralfähig. Kurz können wir sagen: Der Mensch ist seiner Natur nach moralfähig.

Der Professor und der Bauer mögen unterschiedliches Vokabular verwenden, wenn sie über Moral sprechen. Der Ethiker mag ein scharfes philosophisches Verständnis diverser ethischer Ansätze entwickelt haben, das dem Bauern vollkommen fehlt. Aber wenn der Ethiker die Tötung der Unschuldigen rechtfertigt, und der Bauer sagt, „man tut das nicht“, dann ist der Bauer der ethische Experte und der Ethiker der Dumme.

Wenn es aber in der Moral keine Experten gibt, die sich durch formale Qualifikationen auszeichnen, dann gilt das auch für das Gemeinwohl, das der moralischen Fundierung bedarf, wenn es nicht zu einem reinen Kampf um den größtmöglichen selbstbezogenen Vorteil werden soll, bei dem die Stärkeren immer gewinnen. Doch wenn das Gemeinwohl ebenfalls keine diplombewehrten Experten kennt, dann gilt dasselbe auch für die spezifisch politischen Fragen.

Natürlich weiß der Ökonom wahrscheinlich mehr über Ökonomie als der Bauer. Er kann uns aber nur sagen, zu welchen Folgen bestimmte Handlungen seiner Theorie nach führen werden. Im Idealfall, wenn er wirklich bescheid weiß, dann werden diese Prognosen auch eintreffen. Davon sind wir natürlich weit entfernt. Doch selbst unter Annahme absoluten Expertenwissens wäre der Ökonom keine Hilfe bei der Frage nach dem Ziel.

Vielleicht könnte der perfekte Klimaforscher ausrechnen, dass „x“ Emissionen zu einem Temperaturanstieg von „y“ führen. Doch ob wir bereit sind, diesen Temperaturanstieg hinzunehmen, ob wir ihn als etwas Gutes sehen, und die negativen Folgen zu lindern versuchen, oder ob wir ihn als etwas Schlechtes sehen, und die guten Folgen als eher geringfügig betrachten, das ist keine Frage der Klimaforschung, sondern eine der Politik. Denn es ist die Frage nach dem Ziel, die Frage danach, was dem Gemeinwohl am besten dient, und damit letztlich eine moralische Frage.

Die Expertokratie ist daher ein Irrweg. Experten, die sich durch den einen oder anderen Abschluss auszeichnen, und mit genug Diplomen wedeln können, um als Alleinverantwortliche für die Abholzung der Regenwälder zu erscheinen, wissen vielleicht in ihrem Fachgebiet viel, doch sagt dies nicht das Geringste über den Zustand ihres Gewissens aus.

Kein Bildungszertifikat kann jemals so viel Weisheit vermitteln wie eine dieser zeitlosen Banalitäten, die sich schon die Bauern vor tausenden von Jahren erzählt haben.

Eine andere Folge dieser ganzen Überlegung ist aber, dass die Experten, wenn sie ihre politischen Meinungen gar nicht aus ihrem Expertenstatus schöpfen können, an ihre politischen Positionen ebenso herankommen wie die Nicht-Experten. Vielleicht können sie sie geschliffener formulieren, doch das konnten die Sophisten auch. Vielleicht sind die Sophisten sogar heute mal wieder wortgewandter als die Nachfolger des Sokrates, was womöglich daran liegt, dass die Nachfolger des Sokrates sich weithin den Sophisten angeschlossen haben. Die Experten haben kein privilegiertes Wissen in Fragen von Moral und Politik – daher sind diejenigen, die sich auf Experten für ihre politischen und moralischen Ansichten berufen, entweder einfach einer Täuschung erlegen, oder maskieren durch die Berufung auf die angeblich wissensbedingte Autorität der Experten nur eine bestimmte politisch-moralische Ideologie.

Da die Expertenlüge eigentlich sehr leicht zu durchschauen ist, zumal die Experten ja nicht einmal in ihren Fachgebieten wirklich fähig sind – ein Beispiel: welcher Ökonom hat die Krise von 2008 vorhergesagt? – trifft die Hypothese der Maskierung einer politischen Ideologie vermutlich auf die meisten Personen des öffentlichen Lebens zu, die sich, quer durch alle Parteien und Medien, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, auf die scheinbare Autorität der Experten berufen.

In diesem Sinne erscheint gerade die repetitive Vehemenz, mit der immer wieder vorgetragen wird, es handle sich nicht um ideologische Ziele, sondern um Sachzwänge, die etwa die Zentralisierung politischer und wirtschaftlicher Macht in den Händen der Wenigen, die sogenannte „Globalisierung“, die Reaktion auf den Klimawandel, die Abtretung nationalstaatlicher Budgetsouveränität und dergleichen mehr erforderlich machten, als indirekter Beweis für die ideologische Absicht, die hinter den gegenteiligen Beteuerungen steckt.

Man sagt uns immer wieder, es gebe keine Alternative. Ist das wirklich so? Gibt es keine Alternative? Die generell vorgeschlagenen Alternativen sind die bekannten politischen Ideologien, die längst alle gescheitert sind, und deren Scheitern ihre Anhänger der Selbstdarstellung folgend auf wundersame Weise zu nüchternen, sachlichen, technokratische „Lösungen“ vorschlagenden Experten gemacht hat. Doch ansonsten? Wenn wir keine Liberalisten, Sozialisten oder Nationalisten sein wollen, wenn wir weder dem Markt noch dem Staat über den Weg trauen, bleibt uns denn dann etwas anderes übrig, als uns auf den puren Sachverstand der Experten zu verlassen, selbst wenn er nur ein schöner Schein ist, hinter dem sich eine seltsame Mischung von Egozentrismus und politischer Ideologie verbirgt?

Und ob. Denn der gemeinsame Punkt aller gescheiterten Ideologien und der heutigen Schein-Expertokratie ist eben dieser: Dass sie sich alle in der einen oder anderen Weise auf die zeitlosen Banalitäten der Moral berufen, von denen beiläufig schon die Rede war. Dass sie alle aber ein bestimmtes an sich richtiges moralisches Prinzip herausgreifen und es so weit unter Ausschluss aller anderen Prinzipien radikalisieren, bis es über den Status der Richtigkeit hinaus zum Irrtum aufgestiegen ist.

Dem gegenüber steht einsam die katholische Soziallehre, die peinlich die Übersteigerung eines einzelnen moralischen Prinzips meidet, indem sie das ganze moralische Gesetz berücksichtigt. Hier haben wir ein Ideal, das, Chesterton zufolge, nicht versucht und für schlecht befunden, sondern für schwer befunden, und deswegen nicht versucht worden ist. Wäre es nicht eine gute Idee, dieser Idee eine Chance zu geben, nachdem alle anderen Ideen heillos gescheitert sind, und bevor wir uns in den radikalen Nihilismus stürzen, der die Folge des Scheiterns sinngebender Ideologien zu sein pflegt?

Chesterton über die Bedeutung der Familie

Kürzlich bin ich auf die folgende Passage gestoßen, während ich (mal wieder) eines der Meisterwerke eines Meisters, The Everlasting Man von G.K.Chesterton las. Auf seine unnachahmliche Weise drückt Chesterton hier wieder vieles aus, was geringere Autoren nur in angestrengter Prosa auf viele Seiten verteilt auszudrücken imstande wären. Im Anschluss eine sehr grobe Übersetzung des englischen Originaltextes aus eigener Hand.

„We can say that the family is the unit of the state; that it is the cell that makes up the formation. Round the family do indeed gather the sanctities that separate men from ants and bees. Decency is the curtain of that tent; liberty is the wall of that city; property is but the family farm; honour is but the family flag. In the practical proportions of human history, we come back to that fundamental of the father and the mother and the child.

(…)

If we are not of those who begin by invoking a divine Trinity, we must none the less invoke a human Trinity; and see that triangle repeated everywhere in the pattern of the world. For the highest event in history, to which all history looks forward and leads up, is only something that is at once the reversal and the renewal of that triangle. (…) The old Trinity was of father and mother and child and is called the human family. The new is of child and mother and father and is called the Holy Family. It is in no way altered except in being entirely reversed; just as the world which is transformed was not in the least different, except in being turned upside-down.“

— G.K. Chesterton, The Everlasting Man

Und hier eine grobe Übersetzung:

Wir können sagen, dass die Familie die Einheit des Staates ist; dass sie die Zelle ist, aus der das Gebilde besteht. Um die Familie herum sammeln sich tatsächlich die Heiligkeiten, die die Menschen von Ameisen und Bienen trennen. Anstand ist der Vorhang dieses Zeltes; Freiheit ist die Mauer dieser Stadt; Grundbesitz ist nur der Familienhof; Ehre ist nur das Familienbanner. In den praktischen Verhältnissen der Geschichte der Menschheit kommen wir auf diese Grundlage des Vaters, des Mutters und des Kindes zurück.

(…)

Wenn wir nicht zu denen gehören, die sich zu Anfang auf eine göttliche Dreifaltigkeit berufen, dann müssen wir und dennoch auf eine menschliche Dreifaltigkeit beziehen; and sehen dieses Dreieck überall im Muster der Welt wiederholt. Denn das höchste Ereignis der Geschichte, auf das alle Geschichte vorausblickt und zu dem sie hinführt, ist nur etwas, das zugleich die Umkehr und die Erneuerung dieses Dreiecks ist. (…) Die alte Dreifaltigkeit bestand aus Vater und Mutter und Kind und wird die menschliche Familie genannt. Die Neue besteht aus Kind und Mutter und Vater und wird die Heilige Familie genannt. Nichts ist verändert – nur ist es genau umgekehrt; genauso wie die transformierte Welt nicht im Geringsten anders ist, außer auf den Kopf gestellt.

Die Gleichheit der Geschlechtslosigkeit

The Equality of Sexlessness

G. K. Chesterton


In almost all the modern opinions of women it is curious to observe how many lies have to be assumed before a case can be made. A young lady flies from England to Australia; another wins an air race; a Duchess creates a speed record in reaching India; others win motoring trophies; and now the King’s prize for marksmanship has gone to a woman. All of which is very interesting and possibly praiseworthy as means of spending one’s leisure time; and if it were left to that, even if no more were added than the perfectly plain fact that such feats could not have been achieved by their mothers and grandmothers, we would be content to doff our hats to the ladies with all courtesy and respect which courage, endurance and ability have always rightly demanded.

But it is not left to that; and considerably more is added. It is suggested, for example, that the tasks were beyond the mothers and grandmothers, nor for the very obvious reason that they had no motorcars and airplanes in which to amuse their leisure hours, but because women were then enslaved by the convention of natural inferiority to man. Those days, we are told, „in which women were held incapable of positive social achievements are gone forever.“ It does not seem to have occurred to this critic that the very fact of being a mother or grandmother indicates a certain positive social achievement; the achievement of which, indeed, probably left little leisure for travelling airily about the hemispheres. The same critic goes on to state, with all the solemn emphasis of profound thought, that „the important thing is not that women are the same as men — that is a fallacy — but that they are just as valuable to society as men. Equality of citizenship means that there are twice as many heads to solve present-day problems as there were to solve the problems of the past. And two heads are better than one.“ And the dreadful proof of the modern collapse of all that was meant by man and wife and the family council, is that this sort of imbecility can be taken seriously.

The London Times, in a studied leading article, points out that the first emancipators of women (whoever they were) had no idea what lay in store for future generations. „Could they have foreseen it they might have disarmed much opposition by pointing to the possibilities, not only of freedom, but of equality and fraternity also.“

And we ask, what does it all mean? What in the name of all that is graceful and dignified does fraternity with women mean? What nonsense, or worse, is indicated by the freedom and equality of the sexes?

We mean something quite definite when we speak of a man being a little free with the ladies. What definite freedom is meant when the freedom of women is proposed? If it merely means the right to free opinions, the right to vote independently of fathers and husbands, what possible connection does it have with the freedom to fly to Australia or score bulls-eyes at Bisley? If it means, as we fear it does, freedom from responsibility of managing a home and a family, an equal right with men in business and social careers, at the expense of home and family, then such progress we can only call progressive deterioration.

And for men too, there is, according to a famous authoress, a hope of freedom. Men are beginning to revolt, we are told, against the old tribal custom of desiring fatherhood. The male is casting off the shackles of being a creator and a man. When all are sexless there will be equality. There will be no women and no men. There will be but a fraternity, free and equal. The only consoling thought is that it will endure but for one generation.

–From GK’s Weekly, July 26, 1930

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Übersetzung: (Es handelt sich um einen groben Übertrag aus dem Englischen, keine geschliffene, literarisch wertvolle Arbeit. Die Übersetzung stammt von Catocon.)

Die Gleichheit der Geschlechtslosigkeit

Bei fast allen modernen Meinungen über Frauen ist es sonderbar, wie viele Lügen man annehmen muss, bevor eine [sinnvolle] These aufgestellt werden kann. Eine junge Dame fliegt von England nach Australien; eine andere gewinnt ein Wettfliegen, eine Herzogin stellt einen Geschwindigkeitsrekord nach Indien auf, andere gewinnen Preise im Motorsport; und jetzt hat eine Frau den Schützenpreis des Königs gewonnen. Was alles sehr interessant und womöglich löblich als Freizeitbeschäftigung ist; und wenn es dabei bliebe, selbst wenn man nicht mehr hinzufügte als die ganz klare Tatsache, dass solche Leistungen nicht von ihren Müttern und Großmüttern hätten vollbracht werden können, wären wir zufrieden, unsere Hüte höflich und respektvoll für die Damen zu lüften, was Mut, Ausdauer und Fähigkeit immer zurecht verlangt haben.

Aber man lässt es nicht dabei und es wird noch einiges mehr hinzugefügt. Es wird zum Beispiel suggeriert, diese Leistungen überstiegen die Fähigkeiten der Mütter und Großmütter nicht aus dem sehr offensichtlichen Grund, dass sie keine Automobile und Flugzeuge hatten, mit denen sie ihre Freizeit verbringen konnten, sondern weil Frauen damals durch die Konvention natürlicher Unterlegenheit gegenüber dem Mann versklavt gewesen seien. Diese Tage, von denen man uns sagt, „Frauen wären als nicht zu positiven gesellschaftlichen Leistungen fähig angesehen worden“, seien für immer vorbei. Es scheint diesem Kritiker nicht aufgefallen zu sein, dass die bloße Tatsache eine Mutter oder Großmutter zu sein, bereits eine gewisse positive gesellschaftliche Leistung darstellt; deren Erreichen tätsächlich wohl wenig Freizeit für das luftige Reisen durch die Hemisphären gelassen hat. Derselbe Kritiker sagt weiter, mit aller feierlichen Betonung profunden Denkens, „das Wichtige ist nicht, dass Frauen und Männer gleich seien – das ist ein Irrtum – sondern dass sie für die Gesellschaft genauso wertvoll sind wie Männer. Bürgerliche Gleichheit bedeutet, dass es doppelt so viele Köpfe gibt, um heutige Probleme zu lösen, als um die Probleme der Vergangenheit zu lösen. Und zwei Köpfe sind besser als einer.“ Und der grauenhafte Beweis des modernen Zusammenbruchs von allem, was bei Ehemann und Ehefrau und dem Familienrat gemeint war, ist das diese Art Blödsinn ernst genommen werden kann.

Die Londoner Times macht darauf aufmerksam, dass die ersten Emanzipatoren der Frauen (wer auch immer sie waren) keine Vorstellung von dem hatten, was zukünftigen Generationen bevorstand. „Hätten sie vorhersehen können, dass sie viel Widerstand hätten entwaffnen können, allein durch Verweis auf die Möglichkeiten nicht nur der Freiheit, sondern auch der Gleichheit und Brüderlichkeit?“

Und wir fragen, was bedeutet das alles? Was, im Namen alles Holden und Würdigen, bedeutet Brüderlichkeit mit Frauen? Was für ein Unsinn, oder Schlimmeres, wird durch die Freiheit und Gleichheit der Geschlechter angedeutet?

Wir meinen etwas ziemlich bestimmtes, wenn wir davon Sprechen, ein Mann sei etwas „frei mit den Damen“. Welche bestimmte Freiheit meint man, wenn man die Freiheit der Frauen vorschlägt? Wenn es bloß das Recht auf freie Meinungen, das Recht auf von Vätern und Ehemännern unabhängige Wahl bedeutet, welche mögliche Verbindung hat es dann mit der Freiheit nach Australien zu fliegen oder der Freiheit in Bisley ins Schwarze zu treffen? Wenn es, was wir befürchten, Freiheit von der Verantwortung ein Haus und eine Familie zu verwalten, bedeutet, ein gleiches Recht mit Männern im Beruf und gesellschaftlichen Karrieren, auf Kosten des Heims und der Familie, dann können wir solchen Fortschritt nur fortschreitenden Niedergang nennen.

Und auch für Männer gibt es, einer bekannten Autorin zufolge, eine Hoffnung auf Freiheit. Männer, so sagt man uns, beginnen zu revoltieren gegen den alten Stammesbrauch, Vaterschaft zu begehren. Das Männchen wirft die Fesseln ab, ein Schöpfer und ein Mann zu sein. Wenn alle geschlechtslos sind, dann wird es Gleichheit geben. Es wird keine Frauen und keine Männer geben, nur eine Brüderlichkeit, frei und gleich. Der einzige tröstende Gedanke ist, dass es nur eine Generation andauern wird.

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Ein ähnlicher Gedankengang kommt auch in der Enzyklika Casti Connubii von Pius XI. aus dem Jahre 1931 zum Ausdruck.

„If Landlords and Laws and Sciences are against it…“

Gilbert Keith Chesterton dürfte vielen Lesern als der Schöpfer von Father Brown bekannt sein, und gerade in den letzten Jahren scheinen seine Werke sogar im deutschsprachigen Raum auch über Father Brown hinaus wieder weitere Verbreitung gefunden zu haben.

Ich möchte an dieser Stelle auch auf die „Deutsche Chesterton-Gesellschaft“ verweisen, die sich gerade im Aufbau befindet, und Interessenten sucht (Link).

Abgesehen von Father Brown sind besonders Werke wie Orthodoxy und Heretics bekannt (ich gebrauche im Folgenden immer die englischen Titel, da ich die deutschen Übersetzungen, so sie denn überhaupt existieren, nicht gelesen habe, und zudem wohl wirklich gute Chesterton-Übersetzungen aufgrund seines Sprachstils praktisch unmöglich sein dürften.

Mich persönlich haben von Chestertons Werken auf dem Weg zum Übertritt in die katholische Kirche vorwiegend „Orthodoxy“, „The Everlasting Man“ und ein weiteres, etwas weniger gut bekanntes Werk namens „What’s Wrong with the World“ (im Folgenden: W4) beeinflusst. Um das letztere soll es mir im Folgenden gehen.

Chesterton gibt auf die im Titel gestellte Frage zwei Antworten, beide gleichermaßen zufriedenstellend. Die erste ist kürzer, zugleich aber auch besonders profund – sie trifft auf jeden von uns zu, besonders auf die, die das nicht so sehen:

What’s Wrong with the World? Antwort: I am.

Mit der zweiten Antwort auf die Titelfrage beschäftigt Chesterton sich in seinem gleichnamigen Werk, in dem er auf unnachahmliche Weise seine philosophischen, (und überraschenderweise sogar wirtschaftsethischen) Einsichten in unvergessliche Sätze und Formulierungen verpackt. Worum geht es ihm im Kern? Er fasst es am Ende des Buches in einer für mich unvergesslichen Passage zusammen, die ich gleich im englischen Original zitieren möchte*.

Diese eine Passage zerlegt vollständig und unwiderlegbar sämtliches moderne Denken zur Verbesserung der Welt durch zentrale Planung von Wirtschaft und Gesellschaft, destruiert die menschliche Hybris staatlicher Sozialplaner wie privater Konzernchefs gleichermaßen, führt die moderne Orthodoxie, die um keinen Preis eine solche sein möchte, ad absurdum, und fokussiert das Denken des Lesers auf das was wirklich zählt, das was wirklich wichtig ist. Hier ist diese Passage: (Seite 215 in der Dover Books-Ausgabe)

Now the whole parable and purpose of these last pages, and indeed of all these pages, is this: to assert that we must instantly begin all over again, and begin at the other end. I begin with a little girl’s hair. That I know is a good thing at any rate. Whatever else is evil, the pride of a good mother in the beauty of her daughter is good. It is one of those adamantine tendernesses which are the touchstones of every age and race. If other things are against it, other things must go down. If landlords and laws and sciences are against it, landlords and laws and  sciences must go down. With the red hair of one she-urchin in the gutter I will set fire to all modern civilization. Because a girl should have long hair, she should have clean hair; because she should have clean hair, she should not have an unclean home: because she should not have an unclean home, she should have a free and leisured mother; because she should have a free mother, she should not have an usurious landlord; because there should not be an usurious landlord, there should be a redistribution of property; because there should be a redistribution of property, there shall be a revolution. That little urchin with the gold-red hair, whom I have just watched toddling past my house, she shall not be lopped and lamed and altered; her hair shall not be cut short like a convict’s; no, all the kingdoms of the earth shall be hacked about and mutilated to suit her. She is the human and sacred image; all around her the social fabric shall sway and split and fall; the pillars of society shall be shaken, and the roofs of ages come rushing down, and not one hair of her head shall be harmed.

[NACHTRAG: EINE ÜBERSETZUNG DER TEXTSTELLE VON ULTRAMONTANUS AUS DER KOMMENTARSPALTE:

Das ganze Gleichnis und die Absicht der vorigen Seiten ist dies: zu erklären, dass wir auf der Stelle wieder ganz neu anfangen müssen, und zwar am andern Ende. Ich fange mit dem Haar eines Mädchens an. Das ist, ich weiß es, in jedem Falle eine gute Sache. Was auch immer sonst von Übel sein mag, der Stolz einer guten Mutter über die Schönheit ihrer Tochter ist gut. Es ist eine jener adamantenen Zärtlichkeiten, die die Prüfsteine jeder Zeit und jedes Volks sind. Wenn andere Dinge dagegen sind, dann müssen andere Dinge untergehen. Wenn Vermieter und Gesetze und Wissenschaft dagegen sind, müssen Vermieter und Gesetze und Wissenschaft untergehen. Mit dem roten Haar einer Straßengöre im Abfluss lege ich Feuer an die ganze moderne Zivilisation. Weil ein Mädchen langes Haar haben sollte, sollte sie sauberes Haar haben; weil sie sauberes Haar haben sollte, sollte sie kein unsauberes Heim haben; weil sie kein unsauberes Heim haben sollte, sollte sie eine freie und nicht gehetzte Mutter haben; weil sie eine freie Mutter haben sollte, sollte sie keinen Wucherer als Vermieter haben; weil es keinen Wucherer als Vermieter geben sollte, sollte es eine Neuverteilung des Besitzes geben; weil es eine Neuverteilung des Besitzes geben sollte, soll es eine Revolution geben. Das kleine Gör mit dem goldroten Haar, das ich gerade an meinem Haus vorbeilaufen sah, sie soll nicht gestutzt, verdroschen und verformt werden; ihr Haar soll nicht geschoren werden, wie das eines Sträflings; nein, alle Königreiche der Erde sollen zertrümmert und verstümmelt werden, um sich ihr anzupassen. Sie ist das menschliche und heilige Abbild; der ganze Gesellschaftsbau um sie herum soll wanken und zerspringen und fallen; die Säulen der Gesellschaft sollen erzittern und die Gewölbe der Zeiten niederstürzen, und nicht ein Haar ihres Hauptes soll ein Leid erfahren.]

Eigentlich ist jedes Wort, das ich dazu schreiben könnte, wie eine Narbe auf der Schönheit des Gesamtkunstwerkes. Trotzdem will ich kurz versuchen, einige der wesentlichen dahinter stehenden Konzepte wenigstens anzudeuten, für jene, die nicht mit Chestertons Denken vertraut sind, und daher womöglich die obige Passage falsch verstehen könnten.

1. Was wirklich zählt, auf menschlicher Ebene, ist die individuelle Person. Alle Vorstellungen, die die Gesellschaft zentral planen wollen, sind generell abzulehnen, weil sie den Menschen zu einem Rädchen im Getriebe, zu einer unbedeutenden statistischen Ziffer machen. Zu Chestertons Zeit war wohl im Gespräch, aufgrund der Gefahr des Lausbefalls, Mädchen aus armen Verhältnissen die Haare abzuschneiden – zumindest bezieht sich Chesterton auf diese Idee, nimmt sie zum Anlass für die obige generelle Aussage. Er distanziert sich aufs Schärfste von diesem Versuch, den Menschen an die Umgebung anzupassen, statt umgekehrt die Umgebung an den Menschen.

2. Chesterton denkt immer zuerst an die „einfachen Leute“, aber in der Absicht, ihnen wirklich zu helfen, was ihn von Sozialisten und Kapitalisten fundamental unterschiedet. Der Sozialist nutzt das Elend seiner Mitbürger aus, um seine politische Ideologie der Zentralisierung und Verstaatlichung umzusetzen. Der Kapitalist verfolgt sein Eigeninteresse – wenn das zufällig anderen Menschen hilft, dann ist es genau das: Zufall. Oft genug schadet es anderen Menschen, aber was interessiert das den Kapitalisten? Chesterton lehnt Sozialismus und Kapitalismus gleichermaßen ab. Chesterton ist Distributivist.

3. Wie für die katholische Kirche ist auch für Chesterton die natürliche Familie die Urzelle jeder menschlichen Gesellschaft. Vater, Mutter, Kinder, idealerweise mit einem Stück Land, das sie ihr Eigen nennen, und auf dem sie möglichst unabhängig von den beiden Götzen Staat und Kapital leben können.

4. Wie schon im ganzen Buch, so betont Chesterton auch hier die besondere Beziehung zwischen Mutter und Kind, die vom Vater zu schützen ist, d.h. das, was man heute relativistisch „traditionelle Rollenverteilung“ nennt. Sie ist nicht optional, oder gleichgültig, oder „eine persönliche Präferenz“, sondern eine Grundvoraussetzung für das Wohl der Familie, und damit das Wohl der individuellen Personen, die in der Gesellschaft leben. Chesterton glaubt nicht an die „Emanzipation“ der Frau von ihrer eigenen Familie, die „Befreiung“ der Frau aus den Fesseln der Mutterschaft durch abhängige Lohnarbeit. Er befindet sich damit vollumfänglich auf der Linie der katholischen Kirche, wie jeder in Casti Connubii, Rerum Novarum und einer Vielzahl anderer Enzykliken nachlesen kann. (Einie davon finden sich auf diesem Blog unter „Lehre der Kirche„)

Das beinhaltet auch die heute besonders unpopuläre innerfamiliäre Hierarchie – mit dem Vater als natürlichem Haupt der Familie. Chesterton erkannte jedoch:

It can, perhaps, be most correctly stated by saying that, even if the man is the head of the house, he knows he is the figurehead.

— G.K. Chesterton: All Things Considered

Natürlich liegt die wahre Macht in jeder Gesellschaft immer bei den Frauen. Besonders schön drückt ein Gedicht von William Ross Wallace diese eindeutige Tatsache aus:

The Hand that rocks the cradle

Is the hand that rules the world.

Natürlich kann der Mann in einer gerechten Gesellschaft nicht mehr sein als eine Galionsfigur – Christus ist ein Mann geworden, denn er entäußerte sich und wurde zum Diener. Patriarchat ist, wenn die Diener herrschen! (Vergleiche: Epheser 5, 22-33, für die ganz Hartgesottenen hier die Vulgata)

5. „She is the human and Sacred Image“, sie ist das heilige Bild, das Abbild Gottes. Nicht die „Gesellschaft“. Nicht „Effizienz“, „Erfolg“, „Fortschritt“, „Nation“, „Rasse“, „Freiheit“, „Wohlstand“, oder sogar „Gesundheit“ sind heilige Bilder, sondern der Mensch. Und auch er ist ein „heiliges Bild“ nur weil er von dem Schöpfer kommt, er hat seine Würde nur, weil er von ihm mit ihr ausgestattet worden ist, ebenso wie das Bild seine Schönheit aus der Kunstfertigkeit des Malers bezieht.

Das kleine Mädchen ist nicht nur wichtiger oder wertvoller als all diese abstrakten Ideale, sondern unendlich viel wertvoller, eben weil sie das „heilige Bild“ ist, das Abbild Gottes. Daher ist es auch viel wichtiger, dass „nicht ein Haar auf ihrem Kopf beschädigt werde“, als dass die Gesellschaftsstruktur unversehrt bleibe.

6. „The roofs of ages come rushing down“. Chesterton was sicher kein Gegner der Tradition – im Gegenteil, er war einer ihrer größten Verteidiger im 20.Jahrhundert. Aber es ist ein Fehler, Tradition gegen Menschen auszuspielen. Der Sabbat ist für den Menschen da. Das ist keine „Liberalisierung“ oder Verwässerung des Gebots (wie der Heilige Vater im 1. Band seines Jesusbuches überzeugend argumentiert), sondern eine Vertiefung, eine Erkenntnis des inneren Sinns. Ebenso auch mit der Tradition. Sie (hier sprechen wir natürlich von menschlichen Traditionen, nicht von der Überlieferung der Heiligen Mutter Kirche!) ist nur für den Menschen da, nicht umgekehrt. Das bedeutet nicht, dass wir Traditionen einfach ignorieren könnten oder sollten, bloß weil sie uns nicht gefallen, oder sie uns behindern. Im Gegenteil! Es bedeutet, dass die Traditionen sich nach dem moralischen Gesetz richten müssen, dass sie sich vor dem Tribunal des informierten Gewissens zu verantworten haben, und dass sie fallen müssen, wenn sie gegen das natürliche moralische Gesetz stehen.

„If landlords and laws and sciences are against it, landlords and laws and  sciences must go down.“

Diese eine kurze Passage beinhaltet noch weitaus mehr Einsichten, und sie ist nicht die einzige, die eine eingehende Betrachtung verdient. Chestertons „What’s Wrong with the World“ besticht als Gesamtwerk durch eine bis heute unbestreitbar aktuelle Gesellschaftskritik, die mit den kleinen und kleingeistigen Ideologien der Menschen gründlich aufräumt, und den Blick aufs Wesentliche ermöglicht.

Es ist kein explizit „katholisches“ oder „christliches“ Buch, aber es ist immens kompatibel mit einer traditionellen Lesart der katholischen Soziallehre, wie sie in Rerum Novarum und Quadragesimo Anno zum Ausdruck kommt.

Wer es noch nicht gelesen hat, der lese!

Wer es schon gelesen hat, der lese es erneut!

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*Wer über eine Übersetzung verfügt, oder gar seine eigene Hand daran versuchen möchte, ist dazu herzlich eingeladen. Mein Versuch, die Passage zu übersetzen, ist kläglich gescheitert. Ich würde mich über Wortmeldungen im Kommentarbereich zu diesem Thema freuen.