Auf den Punkt gebracht…

Zwei Zitate, die eigentlich alles Wesentliche sagen. Kein Kommentar von mir, denn dem gibt es nichts hinzuzufügen. Erstens:

You can engage a culture, but you cannot engage a corpse. When people are living in a cemetery, you do not join them. You establish a real village, and invite them over. You first become the sorts of people who sing, who love men and women for what they are, who love children (and actually have a few), who admire innocence, and who kneel before the holy. Then you will have something of a culture – and you will find those who are weary of the alternative trying to engage you.
—— Anthony Esolen

Zweitens:

„What is Christian culture? It is essentially the Mass. That is not my or anyone’s opinion or theory or wish but the central fact of 2,000 years of history. Christendom, what secularists call Western Civilization, is the Mass and the paraphernalia which protect and facilitate it. All architecture, art, political and social forms, economics, the way people live and feel and think, music, literature ― all these things when they are right are ways of fostering and protecting the Holy Sacrifice of the Mass. To enact a sacrifice, there must be an altar, an altar has to have a roof over it in case it rains; to reserve the Blessed Sacrament, we build a little House of Gold and over it a Tower of Ivory with a bell and a garden round it with the roses and lilies of purity, emblems of the Virgin Mary ― Rosa Mystica, Turris Davidica, Turris Eburnea, Domus Aurea, who carried His Body and His Blood in her womb, Body of her body, Blood of her blood. And around the church and garden, where we bury the faithful dead, the caretakers live, the priests and religious whose work is prayer, who keep the Mystery of Faith in its tabernacle of music and words in the Office of the Church; and around them, the faithful who gather to worship and divide the other work that must be done in order to make the perpetuation of the Sacrifice possible – to raise the food and make the clothes and build and keep the peace so that generations to come may live for Him, so that the Sacrifice goes on even until the consummation of the world.“

John Senior, from „The Restoration of Christian Culture

Das moderne Wrack

Ich verstehe nicht viel von Kunst, um das gleich vorweg zu sagen, doch das folgende Bild scheint mir ästhetisch ziemlich ansprechend zu sein, und zugleich irgendwie sehr gut auf die heutige gesellschaftliche Lage und die zukünftigen Aussichten zu passen, die uns bevorstehen, wenn wir nicht umkehren, oder es einen direkten Eingriff von GANZ oben gibt.

Gefunden habe ich es hier. Das Bild ist von William Turner und heißt „The Wreck of the Minotaur“. Es stammt aus dem Jahr 1810.

Doch natürlich geht es mir nicht nur darum, meinen vermutlich nicht vorhandenen Kunstgeschmack zu zelebrieren, oder den Leser auf dieses Bild aufmerksam zu machen, sondern eigentlich um etwas anderes, nämlich den Zustand unserer Gesellschaft. Der Gewohnheitsleser des Blogs wird wissen, dass sein Autor eher zum Pessimismus neigt, um das einmal vorsichtig auszudrücken, zumindest kurz- und mittelfristig. Langfristig wird die Sache natürlich ganz anders aussehen, darüber haben wir als Katholiken recht zuverlässige Informationen, um auch dies vorsichtig zu formulieren.

Doch in den nächsten 10, 20 vielleicht 50 Jahren? Wir haben gesehen, wie stark sich die Welt in 50 Jahren verändern kann. Nur die hellsichtigsten Zeitgenossen waren 1960 in der Lage die nahezu vollständige Zerstörung des sogenannten traditionellen Familienbildes vorhersehen, und selbst dass nur 20 Jahre später in fast ganz Europa und Nordamerika scheinbar zivilisierte Völker die Tötung der schutzlosesten Menschen, der Ungeborenen, legalisiert haben würden, wäre vermutlich den meisten völlig absurd vorgekommen.

Ähnliches gilt für den Kult, und man beachte dieses Wort, denn ich gebrauche es mit Bedacht, der um „alternative Sexualneigungen“ getrieben wird. Generell ist jedes Verständnis für die Tatsache, dass beide Geschlechter (und es gibt nur zwei, nicht zehn oder dreihundertneunundachtzig, egal was die Genderisten uns weismachen wollen) gerade weil sie so wertvoll und großartig sind, verschieden sein müssen, dass diese Verschiedenheit einen guten, lebensspendenden Grund hat, abhanden gekommen. Klar, auch heute würden nur die radikalsten Ideologen die EXISTENZ der Geschlechterdifferenz leugnen. Die Menschen sehen die Differenz, aber sie sehen nicht mehr, dass sie gut und schützenswert ist. Und doch basiert auf ihr die Fortexistenz des Menschen durch natürliche Fruchtbarkeit, und die natürliche Familie aus Mann, Frau und Kindern, auf der wiederum die Gesellschaft unverzichtbar aufbaut. All dies wird in der Theorie und zunehmend auch in der Praxis geleugnet. All dies hätten die Menschen 1960 nicht verstanden.

Ich bin überzeugt, dass ein Zeitreisender aus dem Jahre 1960, selbst wenn man ihm die ganze neue Technik erklärt und er sie verstanden hätte, sich 2010 nicht mehr zurechtfinden könnte. Es hat keinen großen Krieg gegeben, und doch lässt man Kinder nicht bei ihren Eltern, bei Vater und Mutter, verbunden durch den Bund der Ehe, aufwachsen, sondern in künstlichen Anstalten, fernab von der so notwendigen elterlichen Liebe. Es gibt keine immense finanzielle Not, und trotzdem sind Mütter nicht mehr für ihre Kinder, sondern nur noch für den wirtschaftlichen Austausch da (und scheinen das auch noch gut zu finden). Und Männer, die mit einer Frau ein Kind zeugen, heiraten diese nicht mehr, sondern zahlen lieber etwas Unterhalt, und es gibt kaum gesellschaftlichen Druck auf sie. Und selbst wenn sie heiraten, lassen sie sich bald wieder scheiden.

Unser fiktiver Zeitreisender sähe Kirchen, in denen die Lehre der Kirche nicht mehr gepredigt wird, sondern nur noch ihre Leere herbeigeredet. Er sähe eine evangelische Kirche, die inzwischen offen antichristliche Thesen vertritt, die Tötung der Ungeborenen akzeptiert hat. Er sähe eine katholische Kirche, doch er wäre unfähig, sie als solche zu erkennen. Wo ist der Altar? Was macht dieser komische hässliche Tisch da vorn im Heiligtum? Wo ist der Tabernakel? Warum starrt mich der Priester während der Messe an, hat der nichts Besseres zu tun, wie etwa zu Gott zu beten? Warum verschweigt er uns, wenn er an diesem komischen, lächerlichen Redepult da vorne steht, die Hälfte der Wahrheit? Warum erkennt man ihn nicht als Priester, wenn er nicht gerade die Messe liest? Und was machen die ganzen Mädchen am Altar? Warum hält keiner diese anmaßenden Laien auf, die permanent im Heiligtum umherlaufen, als sei es ein Schauspielhaus? Warum gibt es keinen Respekt vor dem Priester? Warum gibt es keine jungen Leute mehr in der Kirche, und wo sind die ganzen Kinder? Warum ist ein Drittel der Katholiken geschieden? Warum geht niemand beichten? Warum hassen viele von ihnen den Papst so sehr? Die Liste seiner entsetzten Fragen ließe sich endlos fortsetzen. Doch man könnte ihm nicht verübeln, wenn er zu dem Ergebnis käme, er hätte sich in der Tür geirrt, da dies offensichtlich nichts mit einer katholischen Kirche zu tun hat.

Vermutlich würde er Sedisvakantist, wenn ihm niemand gründlich erklärte, was wirklich abgelaufen ist.

Die heutige, moderne Gesellschaft ist ein Wrack, sie befindet sich derzeit noch auf hoher See, doch die Felder von Eisbergen werden immer dichter. Und die Kirche, die sie vielleicht aus diesem Moloch befreien könnte, ist intern mit kleinen Streitfragen beschäftigt, die sie seit Jahrzehnten ihres Missionseifers berauben. Irgendwelche anmaßenden Laienvertreter befassen sich mit Dingen, die sie nichts angehen, und viele Priester und Bischöfe leben und predigen, als ob sie sich niemals vor ihrem Schöpfer verantworten müssten. Manche treiben es bis in die Strafbarkeit (etwa beim Missbrauchsskandal), andere sind moralisch weniger verdorben, lassen dafür ihre Schäfchen massenhaft ins Verderben laufen, indem sie Häresien predigen, den Glaubensverfall „pastoral“ begleiten, statt ihn ernsthaft zu bekämpfen (was wirklich pastoral ist, denn der Pastor ist der Hirte, und der Hirte ist dafür verantwortlich, dass die Schafe nicht in den Abgrund stürzen), und nicht den Eindruck machen, als ginge es ihnen um die Wahrheit, sondern nur um Popularität.

Natürlich gibt es gute Priester und Bischöfe, und es gibt gute Laien (und durch das Internet können sie sogar etwas mehr Einfluss gewinnen, und so vielleicht den Niedergang verlangsamen, vielleicht mit viel Glück sogar lokal stoppen oder umkehren). Genauso wie es sie immer gab und immer geben wird. Doch die große Masse der Menschen ist, so unpopulär und „undemokratisch“ das klingen mag, letztlich immer einigen wenigen gefolgt, die sie geführt haben. 99% der Menschen führen ihr Leben nicht nach sorgfältig durchdachten, logischen, zusammenhängenden Prinzipien, aber sie haben Vorbilder, Neigungen, Eltern, eine sie umgebende Gesellschaft, und all dies prägt die Menschen und beeinflusst ihren Willen. Kaum jemand ist wirklich unabhängig von „den Anderen“ und ihren Ansichten – heute im Zeitalter der Massenmedien noch weniger als je zuvor. Langfristig, und ich spreche von mindestens den letzten 400 Jahren, ist die Tendenz der Zersplitterung, des Glaubensverfalls, immer wieder als Sieger aus den Auseinandersetzungen hervorgegangen – das ist die Periode, die Geschichtswissenschaftler unter Moderne zusammenfassen, etwa seit dem frühen 17. Jahrhundert. Und in dieser Periode hat es immer wieder kurzfristige Siege der Kirche gegeben, aber niemals haben diese Siege lange gehalten. Immer war die nächste Flut höher als die letzte, und die Wasser des „Fortschritts“ gingen niemals wieder so weit zurück, wie bei der letzten Ebbe.

War alles, was die Moderne gebracht hat, notwendigerweise schlecht? Nein, es gab auch viele gute Errungenschaften. Technischer Fortschritt hat das Leben vereinfacht und verlängert. Das positive Potenzial dieser Art Fortschritt ist enorm. Aber wofür haben die Menschen es genutzt? Mord, Zerstörung, zwei schreckliche Weltkriege und eine niemals dagewesene Vernichtung ihrer natürlichen Lebensumgebung, der meist so bezeichneten „Umwelt“. Und hat selbst so etwas wunderbares wie ein höheres Lebensalter wirklich nur positive Auswirkungen auf die Seele des Menschen? Oder gibt es nicht die Versuchung, je länger man lebt, dem alten Traum von der Unsterblichkeit mit den Mitteln des Menschen, statt mit denen Gottes nachzuhängen? Und was ist mit Technologien wie dem Automobil? Klar, Menschen können nun weitere Strecken zurücklegen, sie sind flexibler. Das KANN gute Auswirkungen haben. Doch hat es nicht die Zerstreuung von Familieneinheiten über das ganze Land begünstigt, in dem vergeblichen Geiste, man könne einander ja besuchen? Hat es nicht mehr zur Zerstörung echter lokaler Gemeinschaften beigetragen, als kaum eine Erfindung der letzten 200 Jahre? Ähnlich lassen sich Fragen aufwerfen bezüglich aller großen gefeierten technischen Fortschritte außerhalb des strikt medizinischen Bereichs – Handy, diverse Kühltechnologien, und ganz sicher der Computer.

Technik verlängert den Arm des Menschen, noch wofür nutzt er den verlängerten Arm? Das hängt von seiner sittlichen Grundhaltung ab, und die ist noch nie besonders gut gewesen. Die technische Unfähigkeit der Menschen, ihre starke lokale Gebundenheit, ihre kurze Lebensspanne, all dies hat die Fähigkeit des Menschen zum Guten wie zum Bösen immer geschwächt. Für sich ist Technologischer Fortschritt also neutral – doch der Mensch ist nicht neutral; er untersteht zunächst einmal dem Fürsten dieser Welt und ist von der Erbsünde gezeichnet. Auch wir Christen sündigen ständig und tun anderen großes Leid an. Mit den Mitteln moderner Technik multiplizieren wir dieses Leid tausendfach. Wir können auch das Gute multiplizieren, auf dieselbe Weise. Aber es gibt nur so wenige Heilige, und so viele unbußfertige Sünder! Die Schwäche des Menschen ist Gottes Quarantäne – und wir haben sie unterwandert. Doch wir haben unsere Krankheit, die die Quarantäne notwendig gemacht hat, dabei nicht abgelegt, wir haben unsere Seelen nicht geheilt, sondern sie immer kränker gemacht, uns immer mehr berauscht an Gier, Neid, Hochmut, Wollust und ihren Gefährten.

Und selbst heute: Kehren wir um? Es gibt kaum ein Anzeichen, dass ein signifikanter Anteil der Menschen überhaupt erkennt, dass es Grund zur Besorgnis gibt. Wir plappern von großen Bedrohungen, doch verstehen tun wir nichts. Wir können noch so sehr gegen die Banker, Spekulanten, Kapitalisten, Sozialschmarotzer, Ausländer, Moslems, Patriarchen, Reaktionäre, Juden und all die anderen Sündenböcke hetzen – die Schuld tragen wir selbst, mit jeder einzelnen Sünde, mit der wir unseren Erlöser erneut kreuzigen, sein zartes Herz durchbohren, und unsere eigenen Seelen und die unserer Mitmenschen verderben und verführen. Für unsere Missetaten ist niemand verantwortlich als wir selbst – und unsere Missetaten sich wirklich, ernst, und haben schreckliche Folgen in diesem und im nächsten Leben. Doch wer hört das heute noch in Kirchen? Kaum jemand. Und so schlafwandeln wir in den irdischen, zeitlichen Abgrund, aber auch in den ewigen.

Klar gibt es diejenigen, die sagen, alles sei auf dem Weg der Besserung. Selbst der sonst so realistische Fr. Longenecker stimmt in diesem Triumphalismus hemmungslos mit ein. Ja, traditionelle Orden und Priesterbruderschaften haben mehr Nachwuchs, und es mag auch sein, dass unter den heutigen Kirchgängern unter 30 die Einsicht der Papsttreue sich durchsetzen wird oder schon hat. Doch es sind so wenige, und es werden weniger! Und wir leben nun einmal in einer Demokratie, wo die Mehrheit entscheidet, d.h. es entscheidet die Elite, die in der Lage ist, die Mehrheit effektiv zu indoktrinieren. Und diese Elite ist nicht auf unserer Seite und wird es auch in Zukunft nicht sein.

Nein, wir sind nicht auf dem Weg der Besserung, zumindest nicht auf viele Generationen hinaus, zumindest nicht in Westeuropa und Nordamerika. Wir sind vielmehr, und damit komme ich zum Schluss, in der gleichen Lage, wie die Passagiere des oben abgebildeten Schiffs. Es gibt Rettungsboote, und wir werden nicht alle umkommen, aber die Lage ist ernst. Und es bringt nichts, nachdem die Titanic den Eisberg schon gerammt hat, und bereits im Sinken begriffen ist, noch fröhlich auf Deck Liedchen zu pfeifen, wie schön frisch doch der Tag ist, wenn man nicht wenigstens die wirkliche Lage realisiert. die moderne Gesellschaft lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht hervorbringen kann – sie kann nur von der Substanz aus vormoderner Zeit zehren. Doch diese Substanz ist nicht unendlich, sie wird irgendwann aufgebraucht sein, und dann Gnade uns Gott.

Hörempfehlung: Manche diskutieren über den Verfall der Kultur, oder die „Kultur des Todes“. Anthony Esolen stellt in dieser Tonaufzeichnung eines Vortrags (in englischer Sprache) die Frage, ob wir überhaupt noch eine Kultur haben – und antwortet für die USA mit nein. Doch seine Analyse trifft auch auf uns zu. (Titel des Vortrags: „Is Culture a Thing of the Past?“)

Die Tugend der Reinheit

Anthony Esolen ist, wie ich schon früher auf diesem Blog geschrieben habe, einer der wenigen verbliebenen Weisen im besten Sinn des Wortes. Auch sein neuer Artikel, „Purity: Youth Restored“ ist so reichhaltig und auf einer so tiefgreifenden Ebene richtig, dass es fast unmöglich ist, einzelne Abschnitte hervorzuheben. Er sollte unbedingt zur Gänze gelesen (und wiedergelesen, und an andere weitergegeben) werden.

Ich will trotzdem versuchen einige Höhepunkte zu isolieren – doch niemand sollte glauben, das wäre alles was der Artikel zu bieten hat. Er ist ein Gesamtkunstwerk, wie alles was Esolen schreibt.

Der Hintergrund ist eine Romanvorstellung: Quo Vadis von Henryk Sienkiewicz. Über die Qualität des Romans kann ich nichts sagen, weil ich ihn nicht kenne. Aber was aus dem Artikel hervorscheint deutet an, dass auch der Roman die Lektüre verdient.

Es geht um einen römischen Zenturio, Marcus, der sich auf eine ziemlich dekadente Weise in Ligia verliebt – eine Christin, wie sich herausstellt. Er begehrt sie auf tierische Art und Weise, läßt sie sogar entführen, um sie dann zu verführen, doch stellt dann fest:

Slowly he comes to understand, though long in confusion, that even if he could have Ligia in these ways, he would not want to, because it would spoil the very quality in her that most attracts him.

Doch er wundert sich:

What normal woman wouldn’t jump at the chance to be the concubine of a handsome young patrician? Had they set themselves in pride against ordinary pleasures, like the Cynics? But the Cynics were as bitter as gall, and these Christians were mild, almost to a fault. What Marcus comes to see is that Ligia has too exalted a view of happiness for his understanding. Her human desires – and she has fallen in love with him – are caught up in the divine, and transformed. To love Ligia is to love her in that radiant integrity.

Was Marcus an Ligia anzuziehen scheint, ist eine Qualität, die wir mit dem Wort Reinheit („purity“) bezeichnen können. Diese Fähigkeit ist letztlich der Schlüssel zu vielem, unter anderem zu einem glücklichen Leben. In seinen lesenswerten „Screwtape Letters“ läßt C.S. Lewis den Oberteufel Screwtape über Gott sagen, er sei im tiefsten seines Herzens ein Hedonist, verstanden als jemand, der sehr großen Wert auf Freude legt. Und G.K: Chesterton verwendet irgendwo (ich glaube in „Orthodoxy“) das Bild von den Geboten und Verboten des Christentums als Zaun um einen Kinderspielplatz: Um den Spielplatz findet sich ein Abgrund, doch die Kinder können auf dem Spielplatz Freude haben, gerade weil es den Zaun zu ihrem Schutz gibt. Der Zaun ist, genauso wie die christliche Moral, auf den ersten Blick restriktiv, ja sogar ein Gefängnis. Aber er ermöglicht erst wahre Freiheit und wahre Freude. Ohne den Zaun könnten die Kinder nicht so sorglos spielen und wären nicht so glücklich.

Die Art Glück, die wir Menschen in einem ständigen Durchbrechen der Zäune, durch Tabubrüche, erlangen können, ist kurzfristig schön, langfristig schon in dieser Welt höchst schädlich und in Ewigkeit erst recht. Doch die Art Glück, die wir erlangen können, indem wir die Zäune achten und pflegen, und in den Grenzen der Zäune bleiben, ist, wie das Glück der Kinder in dem obigen Bild, langfristig schon in diesem Leben schön, und die wahre Belohnung kommt natürlich in der Ewigkeit. Doch das ist ein Gedanke, der, wie mir scheint, auch Esolens Zusammenfassung zugrunde liegt. „Her human desires – she has fallen in love with him – are caught up in the divine, and transformed“ – Ihre bloß menschlichen Begierden stehen nicht mehr für sich, sie haben ihren angemessenen Platz in dem kosmischen Drama der Schöpfung und des Schöpfers, sie werden durch diese Einordnung in die göttliche Ordnung (mitsamt moralischen Geboten) transformiert, verwandelt, und zwar nicht in Form einer Erkaltung oder Abschwächung dieser Begierden. Die Einordnung in den ihnen angemessenen Zusammenhang bewirkt gerade das Gegenteil. Eheliche Liebe ist nicht nur moralisch besser als ein „One-Night-Stand“, sondern macht auch viel eher glücklich als die Leere der Objektifizierung des Partners als bloßes Mittel zum Zweck der Trieb- oder Leidenschaftsbefriedigung. Das gilt für die gesamte menschliche Sphäre. Begierden, Leidenschaften, Triebe, die in ihren gesunden moralischen Zusammenhang eingeordnet und in diesen Grenzen ausgelebt werden, erfahren keine Schwächung sondern eine Stärkung. Das ist das christliche Paradox. Gerade durch die Unterordnung unter Gott und seine Gebote wird der Mensch erst frei. Sünde ist Sklaverei. Reinheit, Heiligkeit sind Voraussetzungen der Freiheit.

Das alles ist, unterschwellig, in einer Erfahrung enthalten wie Marcus sie macht.

Esolen weiter:

Ligia becomes the means of Marcus’ salvation. She is so not because she meets him halfway, becoming a little bit debauched for the debauched, or a little bit of a whore for the whoremonger. Had she done so, Marcus would have had his way with her, enjoying her for a while, and then tiring of the emptiness.

We do not become impure for the impure, dishonest for the dishonest. Such qualities are not actually things in themselves, but deficiencies or corruptions. When a man is hungry, we do not feed him with cardboard. We give him real meat and bread. When a man is shivering with cold, we do not give him rags. We give him real clothing.

(Hervorhebungen von Catocon)

Wenn Jesus sagt wir sollen uns zu den Sündern begeben, so wie er gekommen ist, um die Sünder zu retten, dann meint er nicht, wir sollen die Sündhaftigkeit der Sünder annehmen oder entschuldigen, um irgendwie zu zeigen, dass „wir ja alle im gleichen Boot sitzen“. Er meint, dass wir den Irrenden Wahrheit, den Hungernden Brot, den Dürstenden Wasser, den Sündern Heiligkeit, den Unterdrückten wahre Freiheit bringen sollen. Den Grund dafür nennt Esolen auch: Das Böse ist gar nicht an sich, sondern immer nur als Parasit einer eigentlich guten Qualität oder Eigenschaft. Es saugt das Gute aus, nährt sich an ihm. Sexualität ist etwas sehr Gutes, und gerade deshalb ist ihre Perversion etwas sehr Schlechtes. Und gerade weil Freiheit ein hohes Gut ist, vermag sie so viel Schaden anzurichten, wenn sie pervertiert wird. Ähnliches gilt für alle menschlichen Güter.

Doch was will uns Heutigen das sagen? Die Antwort gibt Esolen ebenfalls:

Modern man is like Marcus. He no longer knows what his body is for. He has no sense of the integrity of the person, body and soul, as cooperating with God in the making of new life.  He has at best a hazy view of the eternal love for which we are made. He is hungry and cold.

Der moderne Mensch, so Esolen, weiß nicht mehr, wofür sein Körper ist. Er weiß mehr über seinen Körper als jede frühere Generation. Aber er kennt nicht mehr den Zweck, den Gründ für seinen Körper. Er glaubt, der Körper sei ein Instrument, das er benutzen könne wie und wann er wolle („Mein Körper gehört mir!“) Er erkennt nicht mehr, dass er als Person, als Bild Gottes, zur Liebe berufen ist. (Liebe, in diesem Sinne, bedeutet aber nicht bloß ein Gefühl, sondern, dem Hl. Thomas folgend, „das (objektiv) Gute des Nächsten zu wollen“, was in der christlichen Theologie das Fachwort „caritas“ zugewiesen bekommen hat). Diese Liebe äußert sich in der Beziehung zu Gott, aber im derzeit behandelten Zusammenhang steht die Liebe zum Nächsten im Vordergrund.

Diese Art Liebe hat der heutige Mensch gegen Liebe als Emotion, als Leidenschaft, eingetauscht. Das ist ein Verlustgeschäft, weil die höchsten Formen der Liebe dabei in Vergessenheit geraten. Es ist auffällig, dass der Mensch umso hungriger nach Liebe geworden ist, umso weiter er sich von den Normen der christlichen Moral entfernt hat. Ohne ein solides Wissen um den Zweck des Leibes kann man keine sinnvollen Entscheidungen über ihn treffen. Doch der Zweck des Leibes, hinsichtlich seiner Sexualität, ist Fortpflanzung und, untrennbar damit verbunden, Vereinigung mit dem Partner zu einer unauflöslichen Einheit. Und was der Mensch im Bereich der Liebe vergessen hat, wirkt sich nicht nur auf Ehe und Familie aus, sondern auf die gesamte menschliche Existenz. Alles gerät aus dem Gleichgewicht, wenn man das Ziel, den Zweck aus den Augen verliert. In diesem Sinne ist es auch klar, dass Ligia eine Christin sein muss. Denn natürlich besteht der allerletzte Endzweck der ganzen Schöpfung in Gott.

Der heutige Mensch ist dagegen orientierungslos. Er driftet vom einen Ort zum nächsten, ist nirgendwo verwurzelt, und ist auch mit niemandem untrennbar verbunden. Es ist ein Leben als Nomade – welch ein Rückschritt für den Fortschrittlichen!

Esolen verweist dann noch auf einige der Auswirkungen dieses Auseinanderbrechens der Gesamtschau, des Zerfalls des einen Endzwecks in viele kleine subjektive, vom Menschen gemachte, Zwecke, von denen keiner dem Menschen wirklich gerecht werden kann, weil das Wesentliche – oder vielmehr: der Wesentliche – fehlt. Die Auswirkungen die Esolen nennt, ergeben in der Summe den totalen Zusammenbruch unserer Hochkultur und einen Rückfall in barbarische Zeiten. Es ist nichts weniger als die Entzivilisierung der Zivilisation. Und wir eilen weiter voran, unermüdlich, alle Zäune einreißend, immer unbefriedigt dem nächsten Tabubruch nachhaschend, in der vergeblichen Hoffnung, er möge uns endlich erfüllen. Doch erfüllen kann uns nur das Wahre: Nur die Wahre Liebe, die Wahre Schönheit, die Wahre Freiheit und so weiter. Doch Jesus sagte, er sei die Wahrheit. Er hat sie nicht nur – er ist sie. Daher kann auch nur er uns erfüllen.

Esolen schließt brillant:

Modern man, then, needs to behold that virtue that spiritualizes the body, uniting the natural appetites in an integral orientation towards what is holy. That virtue is purity

Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Solange der Mensch „seinen“ Körper nur als materielles Werkzeug begreift, wird der im Westen begonnene Verfall sich immer weiter ausbreiten, da auch der Westen sich ausbreitet, durch die ökonomische Globalisierung, die durch und durch westlich ist – nicht nur aufgrund der Tatsache, dass es derzeit noch westliche Kulturen sind, die im globalen Wettbewerb die Nase vorn haben, sondern aus dem tieferen Grund, dass die Werte, die der Globalisierung zugrunde liegen, wie etwa der Universalismus, letztlich Perversionen der Christlichen Kultur des Westens sind.

Den Körper als „spirituelle“, geistliche Realität zu begreifen und ihn entsprechend zu behandeln, ist in der Tat notwendig. Denn unsere Leiber sind ein Tempel des Heiligen Geistes (1. Kor 6:19), wie schon Paulus wusste.

Lest Esolen!

Der Titel dürfte selbsterklärend sein. Für alle Katholiken und eigentlich alle Menschen sind die Artikel von Anthony Esolen ein absolutes Muss. Esolen schreibt mit einem Einfühlungsvermögen und immenser Tiefe über die Probleme der Zeit, dass man ihn zu den Weisen dieser Generation rechnen muss. Ein äußerst gelehrter Mann im besten Sinne des Wortes. Einige Artikel, die mich besonders überzeugt haben, werde ich hier verlinken. Doch eigentlich sind alle ausnahmslos lesenswert und größtenteils wiederlesenswert.

Women of Leisure

Marriage in A Cubicle

No Family, No Society

Moral Capital

Moderne Menschen sehen solche Ideen wahrscheinlich als absurd an. Doch sie sind es nicht. Ich fordere alle Leser dazu auf, ernstlich über seine Ideen nachzusinnen.